Aus dem Amerikanischen von Patrick Baumann
10. Juni 1993
Eins
Ein starkes Zittern breitet sich über die gesamte Länge des Flugzeugs aus, vergleichbar mit einem Frösteln, das einem eiskalt den Rücken hinunterläuft. Ein metallisches Ächzen folgt. Allen Passagieren schießt die Frage durch den Kopf, ob irgendetwas nicht stimmt, während ihre Augen hektisch den Innenraum des Fliegers abscannen. Einige starren aus dem Fenster und entdecken dort nichts als Nacht. Langsam wird die Luft von einem Seufzen erfüllt. Ein nervöses kleines Kichern schließt sich an.
Der Pilot meldet sich über die Lautsprecher. Er entschuldigt sich in routiniertem Ton für den Zwischenfall. Die üblichen Turbulenzen. Er versichert, dass das Schlimmste gleich überstanden ist. Dann wird seine Stimme wieder vom Summen der Triebwerke ersetzt.
Ein weiteres Aufseufzen. Jemand macht eine sarkastische Bemerkung und die Spannung entlädt sich in einem kollektiven Lachen.
Dann wird das Flugzeug jäh durchgeschüttelt, sackt ab und etwas donnert wie ein Kanonenschuss.
Potter schielte auf seine Uhr und hätte beinahe ein breites Grinsen aufgesetzt. Stattdessen seufzte er und beschloss, das Beste zu hoffen. Noch gut 20 Minuten bis zum Beginn der Show, also blieb ihm genügend Zeit. Wenn nicht gerade eine mittlere Katastrophe geschah, würde er die Frequency Brothers genau rechtzeitig auf die Bühne schicken. Das hieß, dass sie die Bühne auch genau rechtzeitig wieder verließen und er seinen Hintern pünktlich ins Flugzeug schwingen konnte. Wenn alles glattlief, würden sie sogar etwas früher am Airport sein. Der Gedanke brachte ihn beinahe zum Lachen. Eine überaus angenehme Vorstellung.
Während er durch die Betonflure der Frank-Erwin-Mehrzweckhalle schlenderte, entdeckte er ein Münztelefon und lief darauf zu. Der Anruf stand auf seiner Liste, aber ziemlich weit unten, deshalb war der finstere Ausdruck noch nicht ganz aus seinem Gesicht verschwunden. Mit jedem Schritt redete er sich ein, dass er sich so bald wie möglich darum kümmern würde. Dass das Abhaken der anderen Punkte damit einherging, den Anruf früher erledigen zu können. Das war leicht dahingesagt, aber nicht ganz so leicht zu glauben, wenn man das Telefon direkt vor der Nase hatte.
Also nahm er sich seine wichtigste Checkliste vor, die er immer abrufbereit im Kopf gespeichert hatte. Vor seinem inneren Auge erschien die zerknüllte Seite eines linierten Notizblocks, der ausgeblichen und ziemlich schäbig wirkte. Oben stand in dicken Blockbuchstaben TO-DO-LISTE. Darunter tauchten die einzelnen Punkte auf:
1. Endkontrolle bei Technikteam
2. Aufruf: 20 Minuten bis zum Auftritt
3. Treffen mit Reporterin vom Rolling Stone
4. Ginnys Verstärker
5. Aufruf: zehn Minuten
6. Persönlicher Anruf bei Marie
7. Aufruf: fünf Minuten
8. Beginn der Show
Kein schlechter Ablauf. Er hatte im Laufe der Jahre schon weitaus Schlimmeres erlebt. Aber die Frequency Brothers hatten sich in der Regel gut im Griff. Sogar Conner befand sich die meiste Zeit in auftrittsfähigem Zustand. Er wurde nur nach den Shows und an freien Tagen zum echten Problem.
Potter zog im Weiterlaufen das Walkie-Talkie vom Gürtel ab und drückte auf die Sprechtaste: »Technik, hier ist Potter. Bitte melden. Over.«
Er ließ die Taste los, und eine verrauschte Stimme antwortete ihm: »Ja, Paul am Mischpult. Over.«
»Alles klar mit Licht und Sound? Over.«
»Bestens. Over.«
»Aufbau? Bitte melden. Over.«
»Die letzten Instrumentenkoffer sind ausgeladen, alles bereit. Hintergrundmusik läuft bereits. Over.«
»Ausgezeichnet. Meldet euch, wenn’s Probleme gibt. Over and out.«
Mit geübter Bewegung klemmte er das Funkgerät am Gürtel fest. Hastig ging er noch einmal seine Liste durch:
1. Endkontrolle bei Technikteam
2. Aufruf: 20 Minuten bis zum Auftritt
3. Treffen mit Reporterin vom Rolling Stone
4. Ginnys Verstärker
5. Aufruf: zehn Minuten
6. Persönlicher Anruf bei Marie
7. Aufruf: fünf Minuten
8. Beginn der Show
Ein guter Anfang. Jetzt musste er nur noch seine Künstler zusammentrommeln.
Allmählich ersterben die Schreie und werden von nervösem Gemurmel abgelöst. Das Flugzeug wird heftig durchgeschüttelt, die Luft in der Kabine scheint zu vibrieren. Hände ergreifen Hände und Augen suchen die Fenster nach Anzeichen ab, dass sich die Lage bessern wird.
Stattdessen sehen sie Feuer. Eines der Triebwerke brennt, ein Ball aus orangefarbenen und blauen Flammen droht die Tragfläche zu verschlingen.
Das Geschrei setzt von Neuem ein.
»Weißt du, wir gehörten nie so wirklich zu den coolen Jungs. Vielleicht haben wir uns das selbst eingeredet, aber … na ja, die Hoffnung stirbt zuletzt.«
Curtis musste über seine eigene Aussage lachen und rollte den Würfel, den er in der Hand hielt. Rot, mit 20 Seiten, in jede davon eine weiße Zahl eingeprägt. Er kullerte über den Tisch und blieb mit der Nummer Vier oben liegen. Curtis zuckte zusammen. Als er kurz darauf lächelte, nahm er eine Hand vor den Mund, um seine schiefen Zähne zu verstecken.
»Mein Waldläufer schlägt sich nicht besonders gut.«
»Du hättest einen beidhändigen Kämpfer und keinen Bogentypen aus ihm machen sollen«, empfahl ihm Greg. Der Gitarrist feixte, während er einen Schluck aus einer Flasche in einem tragbaren Getränkekühler nahm. Das ließ ihn etwas cooler wirken, fand er. Zumindest ein bisschen.
»Vielleicht wollte ich nicht einfach deinen Charakter nachäffen, so wie sonst immer.«
»Das hat gesessen, Mann. Autsch.«
»Solche Interviews sollten wir wirklich öfter geben«, meinte Curtis. Er drehte sich zu Shannon um, der Reporterin vom Rolling Stone. Mit den Ellenbogen auf den Knien spendierte er ihr ein Grinsen, das etwas verklemmter rüberkam, als es ihm lieb war. Sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in Jeans und schwarzer Bluse da. Ihre Schuhe faszinierten ihn, denn sie verfügten über die mörderischsten Absätze, die er je gesehen hatte. Er liebte solche Schuhe an Frauen, je höher desto besser. Sie teilten sich den Spitzenplatz mit roten Haaren, Tattoos und Push-up-BHs. Sein Gesicht schien zu glühen. Wäre er doch nur anstelle von Greg der Gitarrist! Schlagzeuger konnten bei den Ladys einfach nicht landen. Andererseits spielte Greg lediglich Bassgitarre, also stand es um dessen Chancen auch nicht zum Besten.
»Ach wirklich?«, steuerte Shannon bei. Ihr Lächeln wirkte freundlich und vermittelte sogar ein wenig den Eindruck, als würde sie sich gut amüsieren.
»Ja. Wobei es am meisten Spaß bringt, wenn man mindestens zu viert spielt und noch einen Spielleiter hat. Zu zweit ist es auf Dauer ganz schön öde.«
»Fick dich«, warf Greg ein, »mir macht’s jedenfalls Spaß.«
Curtis schüttelte den Kopf und beneidete den Bandkollegen um sein Selbstvertrauen.
»Ihr beide habt also zusammen Dungeons & Dragons gespielt, bevor ihr mit der Musik angefangen habt?«
Greg trank sein Bier aus und steckte sich eine Marlboro an, lehnte den Kopf zurück gegen die Couch und starrte die Decke an. »Könnte man so sagen. Ich meine, wir mochten schon immer Musik und hatten den Traum, irgendwann berühmte Rockstars zu werden. Okay, wem geht’s nicht so. Kennengelernt haben wir uns allerdings beim Kartenspielen mit meinen Cousins und den übrigen Spinnern von der Gang.«
»Wir haben uns für die Rollenspiele aber nie verkleidet«, meldete sich Curtis. Sein Gesicht lief erneut rot an. »Tut mir leid. Ein Teil von mir wollte das gerne klarstellen, ein anderer Teil ist eher genervt, dass ich es klarstellen wollte. Falls das irgendwie einen Sinn ergibt.«
»Klar«, antwortete Shannon. »Wi
r haben alle unsere Hobbys. Gibt’s noch andere Leidenschaften, von denen ich wissen sollte?«
»Wir fliegen kurz nach dem Konzert schon nach Hause, also wirst du leider nicht mehr erleben können, wie ich Mädchen mit Brille anbaggere. Und was hast du für welche?«, fragte Greg. Sein Grinsen deutete an, dass man sich mit ihm gut amüsieren konnte.
»Darüber können wir uns vielleicht später noch unterhalten. Welche Etappen gab’s denn auf dem Weg vom Kartentisch bis zu dieser Bühne in Austin? Wie wird aus zwei Waldläufern eine Rockband?«
»Hey«, wandte Curtis ein, »ich habe meistens einen Dieb gespielt.«
Greg kicherte hinter seiner Rauchwolke. »Ich glaube nicht, dass das eine Rolle spielt, Mann.«
»Okay, also schön. Ich würde sagen, am Anfang stand ein angeknackstes Selbstbewusstsein. Und zwar nicht zu knapp.«
»Wie vermutlich bei den meisten pubertierenden D&D-Fans.«
»Also haben meine Eltern mir ein Schlagzeug gekauft. In dem Jahr gab es keine anderen Geschenke zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Nur das Schlagzeug.«
»Und dann legte er los.«
»Yep. Hat ein Jahr oder so gedauert, bis ich’s halbwegs draufhatte. Dann habe ich Greg dazu überredet, sich eine Gitarre zu wünschen.«
»Hab aber ’nen Bass bekommen, weil ich am unteren Ende besser aufgehoben bin. Fanden jedenfalls meine Eltern.«
»Und bald haben wir von morgens bis abends Coverversionen von Hüsker Dü und Fugazi in der Garage geprobt.«
»Ich glaube, einmal haben wir The Waiting Room fast fünf Stunden am Stück gespielt.«
An der Tür war ein Klopfen zu hören, dann schwang sie auf, bevor jemand darauf reagierte. Potter sagte seinen Spruch auf.
»Noch 20 Minuten, Jungs.«
»Okay«, meinte Curtis. »Räumen wir auf.«
»Lassen wir’s liegen«, entgegnete Greg. »Dann können wir später weitermachen, wo wir aufgehört haben.«
»Denk ans Flugzeug, Mann.«
»Stimmt. Okay, scheiß drauf. Dann lass uns zusammenpacken und noch ein bisschen einspielen.«
Sie starren entsetzt hin und verrenken sich die Hälse, um das tosende Feuer besser sehen zu können, das eines der Triebwerke einhüllt. Die Beleuchtung in der Kabine flackert und erlischt. Ein Kreischen schält sich aus der Dunkelheit, darunter mischt sich ein gluckerndes Schluchzen. Aus einer Entfernung, die nicht real sein kann und nur durch die Panik erklärbar ist, ruft eine Stimme: »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«, als ob es ein heidnischer Lobgesang wäre.
Die Flammen breiten sich aus, flackern und verschwinden abrupt, als hätte man sie per Knopfdruck ausgeschaltet. Alle verstummen, das kollektive Luftanhalten einer einzigen, tief verängstigten Kehle. Keiner weiß so recht, worauf sie hoffen und welche Fragen sie besser nicht stellen. Ihnen wird klar, dass das Triebwerk den Geist aufgibt. Das Einzige, was sie jetzt noch hören, ist das Klappern des Flugzeugrumpfes, das Pfeifen von Wind um den ausgefallenen Motor herum und das unbeholfene Heulen des verbliebenen Motors. Es erinnert auf unangenehme Weise an ein Schwein, das in nackter Todesangst um sein Leben rennt.
»Kommst du?«, meldete sich Dani von der Tür aus. Sie umklammerte den Rahmen etwas fester, als sie es eigentlich wollte, und strich mit der anderen Hand ihre langen blonden Haare hinter das Ohr zurück. Alle hielten sie deshalb für bescheuert, aber sie empfand das Einspielen immer noch als spannendes Ritual. Wie sie zu fünft im Kreis standen und Jen ihre Gitarre hart anschlug, damit sie gegen den Gesang ankam. In der Regel einigten sie sich auf zwei kurze Songs oder einen längeren, je nach Tagesform. Potter hatte angefangen, Regeln durchzusetzen, nachdem sie in Dayton vor dem Auftritt über eine Viertelstunde dumm rumgesessen hatten.
»Rede mit deinem Göttergatten, Chica.«
»Ich hab’s gleich.«
Dani beobachtete, wie Kevin eine hohe E-Saite auf Jens Telecaster spannte und mit dem Stimmen anfing. Er hielt sich den Gitarrenhals ans Ohr und war schon nach wenigen Momenten zufrieden. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ihr Mann war zwar kein Bandmitglied, aber sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, einen Auftritt ohne ihn durchzustehen.
»Bitteschön, Kleine!«, sagte er und drückte Jen die Tele in die Hand. Sie klatschte anerkennend, bevor sie das Instrument entgegennahm.
»Juhu! Mein Held! Auf geht’s!« Sie warf sich den Gitarrengurt über die Schulter, sprang von der Couch und joggte in Richtung Bühne. Mit ihrem blonden Kurzhaarschnitt und dem grünen Pullover hätte sie glatt als Grunge-Version von Peter Pan durchgehen können.
Dani lachte so dreckig, wie sie konnte, und schlurfte ebenfalls den Gang entlang. Als sie ihre Schwester einholte, warf sie ihr einen kurzen Blick zu.
»Wie findest du meinen Mann?«
»Langweilig.«
»Du lügst!«
»Tu ich nicht. Ich sage die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit.«
»Mich langweilt er jedenfalls nicht.«
»Du bist ’ne Schnarchnase.«
»Nee. Ich hab Sex mit ihm!«
»Halt die Klappe.«
»Ständig!«
»Sei still!«
»Er hat einen Penis!«
Die Schwestern wieherten vor Lachen, als sie in Richtung Green Room liefen.
Für einen Augenblick, der sich viel zu lange anfühlt, warten sie schweigend. Tief in ihrem Inneren hoffen sie, dass gleich die beruhigende Stimme des Piloten aus der Bordsprechanlage kommt. Dass er ihnen versichert, alles sei in bester Ordnung. Dass es kein Problem darstellt, mit nur einem Triebwerk weiterzufliegen. Dass ihnen zwar genau genommen eine Notlandung bevorsteht, aber auf der Landebahn eines regulären Flughafens. Nur noch ein paar nervenaufreibende Minuten und es ist überstanden. Sie werden sich in Sicherheit befinden und Freunden und Familie später etwas zu erzählen haben.
Aber die Stimme des Piloten lässt sie im Stich. Es gibt keine beruhigenden Worte oder Versprechen. Alles, was sie zu hören bekommen, sind die ratternden Geräusche des Fliegers, des schneidenden Windes und eines einzelnen Motors, der etwas überlastet klingt.
In der Dunkelheit stolpert eine groß gewachsene Gestalt in Richtung Cockpit, kämpft sich mühsam Sitzreihe für Sitzreihe nach vorn durch, als müsste sie für jeden Schritt die ganze Welt niederringen. Die anderen erkennen, dass es ihr Tourmanager ist, und finden, dass er ein echter Teufelskerl ist. Er wird gleich zurückkommen und ihnen sagen, dass kein Grund zur Sorge besteht.
Dann sackt die Maschine ohne Vorwarnung nach unten, und ihr Held knallt auf den Kabinenboden.
»Hallo? Entschuldigung?«
Der Junge tat, als hätte er nichts gehört. Oder als wäre er zu wichtig, um sich angesprochen zu fühlen. Potter kannte solche Tricks. Dieser Knabe würde ihn nicht zum Narren halten, ganz egal, ob er dafür andere dringliche Probleme vernachlässigte.
»Entschuldigung. Sir? Würden Sie bitte einen Moment warten?«
Der Kerl blieb stehen und Potter lächelte innerlich. Mit den Worten »bitte« und »Sir« erreichte man viel, wenn man sie geschickt einsetzte. Als der Jugendliche sich umdrehte, schätzte er ihn auf ungefähr 17. Natürlich machte er einen nervösen Eindruck. Das war bei Leuten üblich, die sich ohne Backstage-Pass hinter die Bühne schlichen. Als er zu dem unbefugten Eindringling aufschloss, fragte er sich, ob dieser Bursche mit Greg Gitarre spielen, Dani einen Heiratsantrag machen oder Jen anbetteln wollte, mit ihm rumzumachen. Solange er nicht gekommen war, um Conner Heroinnachschub zu bringen, gab es keinen Grund, die Sache an die große Glocke zu hängen.
»Ja. Hi«, sagte der Junge.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Was? Nein, alles gut. Danke, Mann.«
»Ganz sicher?« Er pumpte seinen Brustkorb auf und schob das Kinn vor. Sein wuchtiger Oberkörper und der Bart erledigten den Rest.
»Hä?« Nervös. Gut so.
»Ob Sie ganz sicher sind, dass Sie keine Hilfe brauchen.«
»Ja, ich bin mir sicher.«
»Wu
nderbar. Dürfte ich dann bitte Ihren Ausweis sehen?«
»Meinen …?«
»Ihren Ausweis«, wiederholte Potter geduldig. Er nahm seine Tourplakette von der Brust und hielt sie ihm hin, wedelte damit vor der Nase des Teenagers herum. Das Band schnappte an seinen dicken Hals zurück. »Den Backstagepass.«
Eine Sekunde lang starrte ihn der Knabe verständnislos an, als stünde ein Matheprofessor mit einer schwierigen Prüfungsfrage vor ihm. Potter liebte diesen Gesichtsausdruck. Verwirrung und Angst stellten wirklich tolle Sachen mit den Fans an. Als der Junge sich umdrehte und versuchte, wegzurennen, seufzte er leise, streckte den Arm aus und grub seine fleischige Pranke in den Nacken des Flüchtenden. Ein kurzes Aufjaulen war zu hören, dann hatte er den Kerl an seine Seite gezogen und schleifte ihn hinter sich her.
»Ich bin beeindruckt, Jungchen. Dein Auftritt lässt zwar zu wünschen übrig, aber immerhin bist du so weit gekommen. Das schafft nicht jeder.«
»Äh …?«
»Sag nichts. Wir gehen jetzt einfach weiter, bis wir einen Ausgang oder einen von den netten Security-Leuten finden. Ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auf eines von beidem stoßen. Guter Plan, oder?«
»Werden … werden Sie mich rausschmeißen?«
»Aus dem Konzert? Nein. Aus dem Backstagebereich? Darauf kannst du deinen Arsch verwetten. Wen wolltest du denn treffen?«
»Ähm … Curtis.«
»Ach herrje.«
Die Stimme des Piloten kommt schließlich doch, aber sie klingt nicht so beruhigend, wie alle gehofft haben. Was sie aus den Lautsprechern hören, deutet auf massiven Stress hin und bewegt sich dicht an der Grenze zur Panik.
»Legen Sie bitte alle Ihre Sitzgurte an. Sofort!«
Das ist ein Befehl, der ihnen durch und durch geht und sie mitten ins Herz trifft. Hände tasten hektisch nach Gurten. Diejenigen, die aufgestanden waren, legen verrückte, unbeholfene Sprints zu den nächsten Sitzen hin. Im Dunkeln scheint sich Potters stöhnender Umriss in Zeitlupe zu bewegen. Er stemmt sich zunächst auf die Knie und rappelt sich dann auf wackeligen Beinen auf. Der Tourmanager findet einen freien Platz und lässt sich hineinplumpsen, schafft es gerade noch, den Gurt zu schließen, bevor ihn erneut die Kräfte verlassen.
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