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by Nate Southard


  Bitte sei ein Bär!, dachte sie. Ein zahmer Bär, der gar keine Lust verspürt, uns todlangweiligen Menschen hier drinnen einen Besuch abzustatten.

  Neben ihr atmete Kevin hörbar schneller. Eine seiner Hände krallte sich um ihren Unterarm. Sie zuckte zusammen.

  »Hören Sie!«, flüsterte er.

  »Ja, ich höre es.«

  »Nein, ich meine, hören Sie mir zu. Es gibt, äh … es gibt ein paar Dinge, die ich getan habe, und schauen Sie … falls etwas … Ich kann das nicht einfach für mich behalten. Nicht, wenn …«

  »Wir sind hier nicht bei der Beichte. Halten Sie den Mund!«

  Er gehorchte, aber sein Arm klammerte sich fest an ihren. Ohne nachzudenken, legte sie eine Hand auf sein Knie und drückte es, in der Hoffnung, ihn so ein wenig beruhigen zu können.

  Das Geräusch draußen verstummte. Es war fast am Heck angelangt und löste sich dann quasi in Luft auf. Das Knurren hielt noch ein paar Sekunden an. Shannon behielt unwillkürlich die Stelle im Auge, von der es ausging, und hielt den Atem an. Im Geist ging sie verschiedene Alternativen durch und hasste jede einzelne davon. Sie hätte sich gerne eingeredet, dass harmlose Neugier den Bären – oder worum auch immer es sich handelte – angelockt hatte, aber das Brüllen strafte sie Lügen.

  Das Zischen setzte wieder ein und bewegte sich direkt auf sie zu. Und wenn es doch nur Meister Petz war, der aus seinem Bau gekommen war, um dieses riesige, vom Himmel gefallene Objekt zu inspizieren? Er würde nur kurz nach dem Rechten schauen und sich trollen, sobald seine Neugier befriedigt war.

  Langsam bahnte sich das Etwas im Freien erneut seinen Weg am Rumpf entlang. Wäre das Knurren nicht gewesen, das wie ein lang gezogenes, raues Atmen klang, hätte sie sich mit der Erklärung abgefunden, dass es sich um ein harmloses Tier handelte, das an der Hülle schnupperte wie ein Hund bei seinem Morgenspaziergang. Ich erkunde bloß meine kleine Welt, lasst euch von mir nicht stören.

  Schließlich erklang das Geräusch direkt neben ihnen. Sie hatte es die ganze Strecke bis zur verzogenen Metallbarriere verfolgt. Mit angehaltenem Atem wartete sie, was als Nächstes passierte. Ein Teil von ihr machte sich Sorgen um Greg und um Curtis’ Leiche, doch wegen der akuten Bedrohung hielten sich diese Sorgen in engen Grenzen.

  Die Welt schien stillzustehen. In der verwüsteten Kabine fühlte sich die Luft stickig und fast körperlich greifbar an. Alles lief wie in Zeitlupe ab, während Shannon die Wand anstarrte und wartete, was geschah. Das Knurren wich einem tiefen Grollen. Ein weiteres Brüllen schloss sich an. Es war so laut, dass es in Shannons Brustkorb vibrierte wie ein Bass-Solo bei einem Rockkonzert. Ihr ganzer Körper bebte und Kevins Hand klammerte sich fester um ihren Arm. Ihre Lungen brannten. Keuchend ließ sie die Luft frei, die sie angehalten hatte. Zitternd strömte sie aus ihr heraus und sie atmete erneut ein, bevor sie wieder den Atem anhielt. Um nichts in der Welt wollte sie riskieren, dass das, was sich im Freien herumtrieb, auf sie aufmerksam wurde.

  Sie nahm schwere Schritte wahr, als ob die unbekannte Erscheinung sich stampfend in Position brachte. Sie fühlte sich an zum Losstürmen bereite Stiere erinnert und fragte sich, ob der ungebetene Besucher so groß wie ein Stier oder möglicherweise sogar noch größer war. Er klang jedenfalls ungemein bedrohlich, aber vielleicht hielt ihre Angst sie zum Narren. Sie atmete so leise wie möglich aus, verzog ihren Mund zu einer grimmigen Linie und kniff die Augen zusammen. Je länger sie darauf wartete, dass Was-immer-du-bist die Initiative ergriff, desto mehr schien ihre Furcht von Wut ersetzt zu werden. Was trieb es da draußen? Worauf lauerte es? Gott, womit hatten sie es zu tun?

  Als sie hörte, wie das Stapfen, das schwerfällig und wendig zugleich wirkte, im Wald verschwand, fiel die Anspannung von ihr ab. Eine Welle der Erleichterung, unter die sich Erschöpfung mischte, durchströmte sie. Shannon ließ sich aus ihrer Hocke auf die Knie fallen. Sie ließ den Kopf hängen und schnaufte.

  »Was glauben Sie, was das gerade gewesen ist?«, wollte Kevin wissen.

  »Ich weiß es nicht«, entgegnete sie. »Aber ich hoffe, wir werden es nie erfahren.«

  Greg verlor jegliches Zeitgefühl. Er hatte die Zigarette neben sich auf dem Teppich ausgedrückt und wartete schweigend ab, kämpfte den Schmerz in seinem Arm nieder und ließ die Bruchstelle in der Außenhülle direkt hinter der Leiche seines besten Freundes nicht aus dem Auge. Er hoffte, dass dieses riesige und offenbar stinkwütende Vieh sich dort nicht blicken ließ. Er hatte es gehört – so laut, wie es knurrte und sich bewegte, war das kaum zu vermeiden gewesen. Ihm drängte sich der Eindruck auf, dass er in einer gottverdammten Falle hockte. Er glaubte zwar nicht, dass sich ein Puma oder irgendeine andere Wildkatze an der Absturzstelle herumtrieb, aber hier einzudringen und sich einen Bissen von ihm zu gönnen, war auch für kleinere Tiere eine leichte Übung. Einen schrecklichen Augenblick lang hoffte er, dass die Leiche von Curtis eine gute Ablenkung war, doch sofort hasste er sich dafür, diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen. Beinahe zärtlich musterte er seinen toten Freund.

  Wenigstens musst du das hier nicht ertragen, dachte er. Es war kein wirklicher Trost, aber es half ein wenig.

  Als sich die Schritte rumorend in Richtung Wald entfernten, gestattete er sich, mit einem Schnaufen auszuatmen. Sein Arm sackte gegen das Metall, das ihn hier festhielt. Ein Blitz aus Schmerz zuckte bis ans untere Ende seiner Wirbelsäule und zurück. Greg fletschte die Zähne und versuchte, nicht laut zu schreien. Heraus kam eine Mischung aus Zischen und Ächzen. Als er den Arm inspizierte, sah er ein Rinnsal aus Blut an der Flugzeugwand entlanglaufen. Eine dünne, rote Spur zog sich bis zu seinem Ellenbogen. Von dort fiel ein einzelner Tropfen auf den Teppich.

  Versuchsweise wackelte er mit den Fingern. Er bildete sich ein, dass sie sich schwach bewegten, war sich aber nicht ganz sicher. Beim Anblick seines Arms wusste er nicht, was er mehr fürchtete: ein wildes Tier, das hier herumschnüffelte, oder dass er nie wieder Bass spielen konnte. Das eine konnte ihn töten, das andere seine Karriere als Musiker beenden. Wollte er dann überhaupt weiterleben?

  »Scheiß drauf!«, murmelte er. Über manches sollte man erst nachgrübeln, wenn man alle Tatsachen kannte. Solange er in den Trümmern feststeckte, konnte er lediglich Mutmaßungen anstellen. Er sah in seinen Schoß, wo seine Marlboros und Potters Feuerzeug auf ihn warteten. Ein kurzes Nachzählen verriet ihm, dass ihm noch elf Kippen blieben. Er wusste, dass er sie sich gut einteilen musste, doch im Moment kümmerte ihn das nicht. Er friemelte umständlich einen Glimmstängel heraus und klemmte ihn zwischen die Lippen.

  Das Feuerzeug hatte die halbe Distanz zu seinem Mund zurückgelegt, als etwas mit einem lauten Knall auf der Oberseite des Wracks landete. Gregs Blick folgte dem Geräusch. Die Zigarette fiel ihm aus dem Mund, als ein Beben durch den gesamten Rumpf ging und das Dach ein paar Zentimeter weit einsackte. Ein stechender Schmerz presste einen gequälten Aufschrei aus ihm heraus.

  Ein Brüllen antwortete ihm. Etwas sprang vom Flugzeugdach auf den Boden und landete direkt vor der gezackten Öffnung im Rücken von Curtis’ Leiche. Greg stockte der Atem und der Schrei erstarb in seiner Kehle.

  Verrückt. Ganz egal, von welcher Seite er es betrachtete, die Geschichte war absolut verrückt. Er fand kein treffenderes Wort. Er steckte weniger als eine halbe Stunde nach einem Flugzeugabsturz mitten im Nirgendwo fest. Etwas röhrte da draußen in der Dunkelheit wie ein sterbender Tiger, Jen kämpfte mit einem gebrochenen, möglicherweise sogar zerschmetterten Becken und er grübelte nur, wie viel Zeit ihm noch blieb, und verkniff sich, ständig auf die Uhr zu schauen.

  Potter nahm an, dass es inzwischen weniger als 43 Stunden waren. Er hätte längst in New York sein sollen, am besten schon im Mietwagen unterwegs nach Pennsylvania. Aber nein. Stattdessen lag Jen vor ihm, das Gesicht schmerzverzerrt und von Schmutz und Tränen verschmiert, und er überlegte, auf welche Weise man jemanden mit gebrochenem Becken am ungefährlichsten und effektivsten bewegen konnte. Verdammt, er hatte noch nicht einmal ausprobiert, ob das Funkgerät im Cockpit noch funktionierte!

  Ich kann es immer noch
schaffen, dachte er. Mit etwas Glück.

  »Ist still geworden da draußen«, flüsterte Dani. »Meinst du, das Biest hat sich verkrümelt?«

  »Ich würde nicht drauf wetten.«

  »Potter, wir können hier nicht untätig rumhängen.«

  »Das weiß ich.« Sie hatte recht und er wusste es, doch das machte die Situation nicht einfacher. Er lehnte sich gegen den Baumstamm und bot Jen gerade so viel Halt, wie er konnte, ohne dass sein verletztes Knie protestierte. Die Welt um ihn herum schien zu verschwimmen, wirkte unscharf und irgendwie seltsam.

  Neben Jen hatte sich Conner unter den Baum gesetzt, die Knie an die Brust gezogen und seine Arme darumgelegt. Er hielt den Kopf gesenkt, sodass Potter sein Gesicht nicht erkennen konnte. Von Zeit zu Zeit wiegte der Gitarrist sich vor und zurück und stieß leise Klagelaute aus. Das Blut, das sein Hemd durchtränkte und sein Gesicht verschmierte, beunruhigte ihn. Potter glaubte, dass es einen Zusammenhang zwischen der blutigen Grube, in die Conner angeblich gestürzt war, und dem lauten Geheul gab. Eine Futterstelle vielleicht. Potter hatte noch nie von einem Tier gehört, das seine Beute in einem tiefen Loch aufbewahrte, aber das musste nichts bedeuten. Schließlich war er weder Biologe noch ausgebildeter Förster.

  Ein schmerzerfülltes Quietschen zu seinen Füßen erinnerte ihn an dringlichere Angelegenheiten. Er musste Jen zurück ins Flugzeug schaffen. Beim Verlassen des Wracks hatte er sich tief bücken müssen, um durch den Riss in der Seite des Jets zu gelangen. Falls es sich bei der brüllenden Bestie tatsächlich um einen Bären handelte, würde sie kaum durch das Loch im Rumpf passen.

  Er atmete tief durch und rief den aktuellen Status der To-Do-Liste aus seinem Gedächtnis ab:

  1. Die beschissene Situation erfassen

  2. Nachschauen, wer überlebt hat

  3. Checken, wer verletzt ist, und Erste Hilfe leisten

  4. Mit dem Funkgerät Rettung anfordern

  5. Die Umgebung erkunden und – falls nötig – Hilfe

  holen

  Endlich kam er voran. Sobald er Jen ins Flugzeug verfrachtet hatte, konnte er sich darum kümmern, das Funkgerät zum Laufen zu bringen. Eine Stunde, höchstens, dann traf jemand ein, um ihnen zu helfen. Dieses Szenario räumte ihm noch eine Menge Zeit ein. Wäre er nicht so ängstlich gewesen, hätte er gelächelt.

  »Okay«, flüsterte er, griff nach unten und fuhr Jen mit einer Hand durch die schweißnassen Haare. »Wir werden dich ins Flugzeug bringen müssen, bevor dieses Monster zurückkommt.«

  »Wie?« Das Wort war kaum mehr als ein Grunzen.

  »Tja, das ist das Problem. Ich weiß es selbst nicht so genau.«

  »Wir könnten eine provisorische Trage bauen«, schlug Dani vor. »Es gibt sicher Wrackteile, die sich dafür nutzen lassen.«

  »Allerdings müssen wir die im Dunkeln auftreiben und daran herumbasteln, während sich in unmittelbarer Nähe etwas herumtreibt, das mächtig angepisst zu sein scheint.«

  »Du kannst sie ohnehin nicht tragen.«

  Er nickte. Eine bessere Idee kam ihm allerdings auch nicht in den Sinn. Mit jeder Sekunde, die er ohne Rückendeckung in diesem Wald verbrachte, fühlte er sich angreifbarer. Früher oder später würden sie Jen von hier forttragen müssen. Zur Not auch durch die Gegend schleifen. Es würde höllisch wehtun und möglicherweise sogar bleibende Schäden verursachen, aber falls ein Bär angestapft kam, während sie versuchten, eine Trage zu bauen, würde der Rettungstrupp sie alle in einem Eimer zum Friedhof schleppen.

  »Können wir bitte mit dieser Scheiße aufhören?«, fragte Conner. Er hob den Kopf und schielte in Richtung Absturzstelle. »Wie weit sind wir entfernt? Dürfte etwa die Länge eines Football-Feldes sein. Möglicherweise sogar nur die Hälfte davon oder weniger.«

  »Wovon redest du?«, wollte Potter wissen.

  »Na, von der Strecke bis zum Flugzeug. Wir tragen sie, dann ist sie innerhalb von zwei Minuten in Sicherheit.«

  »So einfach geht das nicht.«

  »Doch, genau so scheißeinfach geht das. Oder gibt’s jemanden von euch, der scharf drauf ist, noch länger im Wald rumzuhängen?«

  »Wir könnten sie dabei verletzen«, wandte Dani ein.

  »Sie ist bereits verletzt. Ich bin total bekifft, aber das habe sogar ich mitbekommen.«

  Potter wollte etwas sagen. Er schätzte, dass auch Dani eine Erwiderung auf der Zunge lag, aber sie schwieg. Er konnte jede Gefühlsregung von ihrem Gesicht ablesen. Die Sorge um ihre Schwester und die Angst um ihren Mann. Sich selbst eingeschlossen, hatte sie einfach zu viele Menschen zu verlieren, egal wie selbstlos sie sonst im Leben war. Innerhalb der letzten Minuten musste Dani die Schwelle zu einer anderen Ebene der Schadensbegrenzung übertreten haben. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie reagierte, wenn sie erfuhr, was Kevin zugestoßen war.

  Schließlich wandte sich Potter zu Jen um und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Jen, kannst du …«

  »Gebt mir etwas zum Draufbeißen und versprecht mir, dass ihr euch beeilt.«

  Dani tätschelte ihrer Schwester die Wangen. »Bist du ganz sicher?«

  »Ich will auf keinen Fall noch länger hier draußen bleiben.«

  »Okay. Sei tapfer.«

  »Klar, Mama.«

  Potter gab Conner einen Klaps auf den Arm. »Steh auf und schieb deine Arme unter ihre Achseln.«

  »Was?«

  »Du hast schon richtig gehört.«

  »Ich bin nicht …«

  Bevor er darüber nachdenken konnte, schloss sich Potters Hand um Conners Kehle. Der genervte Blick auf dem zugedröhnten Gesicht des Gitarristen hatte einen Schalter in ihm umgelegt. Er stieß Conner gegen den Baum und fühlte, wie jeder Muskel in seinem Körper sich anspannte. Wut brachte die Ränder seines Sichtfelds zum Flimmern.

  »Und ob du das bist! Steh auf, Conner! Sofort!«

  Conners Augen traten aus ihren Höhlen hervor. Ein krächzender Laut löste sich aus seinem Mund. Potter wusste, dass ihm die Aufmerksamkeit des Junkies jetzt sicher war. Er schob ihn zur Seite und funkelte ihn an, während Conner auf die Beine kam und alles andere als motiviert wirkte. Ein Schamgefühl pochte in Potters Brust und er wartete ab, bis es sich etwas gelegt hatte. Darauf konnte und wollte er sich in dieser Situation nicht einlassen. Das würde bis Pennsylvania warten müssen.

  »Versuch, deine Ellenbogen unter ihre Achseln zu bekommen«, erteilte er Conner erneut das Kommando. Der blickte weder auf, noch sagte er ein Wort. Er nickte bloß stumm und ging in die Hocke. Potter wartete, bis Conner die Arme in Position gebracht hatte, schluckte und bedachte Jen mit einem – wie er hoffte – beruhigenden Blick, während er sie an den Fußgelenken packte. Sie nickte ihm zu. Dani kam mit schlurfenden Schritten heran und griff nach der Hand ihrer Schwester.

  »Seid ihr bereit?«, fragte Jen. Ein schmerzverzerrtes Lächeln legte ihr Gesicht in Falten.

  »Auf drei!«, rief Potter. »Eins …«

  Er hörte auf zu zählen. In einiger Entfernung krachte etwas Schweres gegen Metall. Kurz überlegte er, was das Geräusch verursachte – ein Ast oder ein kleinerer Baum, der gegen das abgestürzte Flugzeug schlug? Dann zerriss ein weiteres Brüllen die Nacht und er begriff, dass das Wrack nicht länger eine sichere Zuflucht bot.

  Der Rumpf schwankte, als das, was auf ihm gelandet war, heruntersprang. Etwas Scharfes grub sich in Gregs Unterarm und er konnte sich gerade noch einen Schrei verkneifen. Ein leises Wimmern bahnte sich den Weg zwischen seinen Zähnen hindurch. Schweiß brannte ihm in den Augen. Mit der freien Hand wischte er ihn weg. Er atmete flach und so langsam, wie er nur konnte, zwang sich, stillzuhalten und keinen Mucks zu tun. Dann erstarrte er und schielte durch das Loch hinter Curtis’ Leiche.

  Die Flammen, die der Absturz entzündet hatte, loderten deutlich schwächer, aber sie spendeten ein wenig Helligkeit. Seine Augen hatten sich inzwischen an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt. Als das Biest neben der Maschine aufschlug, konnte er genug erkennen, um Angst zu bekommen. Er hatte gehofft, dass es ein Bär war, und befü
rchtet, es könnte eine Großkatze sein, doch mit beiden Vermutungen lag er falsch. Stattdessen handelte es sich um eine Kreatur, wie er sie nie zuvor gesehen hatte – gleichermaßen vertraut und fremdartig. Ein grotesker Mischmasch einzelner Elemente, die sich zu einem merkwürdigen und furchterregenden Ganzen zusammenfügten.

  Das Geschöpf wirkte beinahe menschlich, falls ein Mensch in der Lage gewesen wäre, zu einem fast zweieinhalb Meter großen Muskelberg anzuwachsen. Die Flammenzungen tanzten auf derbem, vernarbtem Fleisch, das die fahle Tönung verbrannter Asche angenommen hatte. Batzen von verfilzten Haaren zierten die Arme und den Oberkörper und bedeckten den Schädel. Er konnte einen klappenden Kiefer ausmachen, der lediglich aus Knochen und ein paar Fetzen geschwärzter Haut zu bestehen schien. Er erkannte Zähne, die Felsbrocken glichen. Anstelle der Nase klaffte ein ausgefranstes schwarzes Loch wie aus einem Albtraum. Rote Augen glühten unter buschigen Brauen. Der Atem rasselte wie ein dringend reparaturbedürftiger Dieselmotor. Wütend, abgerissen und gefährlich.

  Greg betrachtete die Kreatur und fragte sich, ob er sich weit genug in den Schatten zurückgezogen hatte, damit sie ihn nicht bemerkte. Er erforschte die Bestie mit den Augen. Sie verströmte eine Aura von Verkommenheit, die Bilder von verdorbenem Fleisch und Verbitterung in ihm aufsteigen ließ. Der heranwehende Geruch blieb ihm in der Kehle stecken und brachte seine Augen zum Tränen. Eine entsetzliche Erscheinung, die sich aus einem längst vergessenen Versteck den Weg in die Freiheit gebahnt zu haben schien. Der Begriff Sasquatch kam ihm in den Sinn und er hätte beinahe laut aufgelacht. Was immer dieses Ding war, auf gar keinen Fall handelte es sich um eine billige Attrappe aus einem Horrorfilm. Was da vor dem Flugzeugrumpf kauerte, war ein leibhaftiges Monster. Greg musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien.

  Das Wesen stand einfach da, und Greg hörte das laute Geräusch seines Atems, während er in Deckung blieb und abwartete. Er wollte weglaufen, sich verstecken, doch das Wrack gab ihn nicht frei. Sein Arm steckte nach wie vor in der Falle. Er glaubte nicht, dass es dem bedrohlichen Besucher gelingen würde, durch die Öffnung in die zerstörte Kabine zu kriechen, um ihn zu holen. Auf der anderen Seite wirkte er stark genug, um den Rumpf weiter aufzureißen und zu ihm hereinzuspazieren. Sein Atem beschleunigte sich, als er sich vorstellte, wie das Biest ihn zu fassen bekam, an seinem wehrlosen Körper zerrte und seine Greifhand im Wrack zurückließ, während es den blutenden und schreienden Rest in die Dunkelheit davontrug, um ihn bei vollem Bewusstsein zu verspeisen.

 

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