Love is Loud – Ich höre nur dich

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Love is Loud – Ich höre nur dich Page 7

by Engel, Kathinka


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  Lincoln

  »Lauwarmes Leitungswasser?«, fragt Esmé und grinst wissend, als ich zu ihr an den Tresen komme.

  »Danke.« Ich bin ganz heiser. Insgesamt drei Stunden habe ich ohne Pause gespielt.

  »Du hast dich überhaupt nicht mehr bei mir gemeldet«, sagt sie und schiebt ihre Unterlippe vor.

  »Brauchte Schlaf«, erwidere ich. »Hab ich doch gesagt.«

  Sie zuckt mit den Schultern. »Ich warte nicht ewig auf dich, weißt du?«

  Ich habe keine Ahnung, was sie meint. Schließlich ist das zwischen uns eine lockere Angelegenheit. Wir warten nicht aufeinander. Aber bevor ich sie fragen kann, ist sie nach hinten in die Küche verschwunden.

  Das Diner ist gut besucht. Die Geräusche der Tischgespräche vermischen sich mit der Stimme des Baseballkommentators, die aus dem Fernseher über der Bar schallt. Ich lasse meinen Blick schweifen. Geschäftsleute, Touristen. An einem Tisch in der hintersten Ecke erkenne ich den alten Mann und das Mädchen, das sich vorhin Jelly Roll Morton gewünscht hat. In dem Moment, da er sich erhebt und auf die Toiletten zusteuert, beschließe ich, hinüberzugehen.

  »Hi«, sage ich, als ich vor ihr stehe. Ich stütze mich auf die Stuhllehne und schenke ihr ein verheißungsvolles New-Orleans-Lächeln .

  Sie blickt auf, und ich sehe, dass sie überrascht ist.

  »Äh … hi«, erwidert sie.

  »Hat dir meine Version von Doctor Jazz gefallen?«, frage ich und zwinkere ihr zu. »Darf ich?« Ich deute auf den Stuhl neben ihr, und noch ehe sie antworten kann, setze ich mich. »Also, dann erzähl mal. Warum Jelly Roll Morton?«

  »Äh«, sagt sie wieder. Sie wird ein bisschen rot. Das gefällt mir. Es sieht süß aus. »Hugo … der alte Mann hört das.« Sie nickt Richtung Toiletten.

  »Du bist nicht von hier, oder?« Sie hat einen lustigen Akzent. Aber auch sonst sieht sie vollkommen anders aus als die Einheimischen. Sie ist ein good girl. »Ich bin Lincoln«, sage ich. »Nenn mich Link.«

  »Ich bin Franziska«, sagt sie. »Nenn mich Fränzi.« Sie schlägt sich die Hände vor den Mund. »Franzi.«

  »Frenzy?«, sage ich und lache. »Interessanter Name.«

  »Ich meinte Franzi«, korrigiert sie sich noch mal.

  Die Röte auf ihrem Gesicht ist bis zu ihren Ohren gewandert, die zwischen den Haaren herausstehen. Ich grinse.

  »Keine Ahnung, warum ich das so blöd gesagt habe«, schiebt sie noch hinterher.

  »Frenzy ist gut. Frenzy hat eine Bedeutung.«

  Ich will, dass sie sich ein bisschen entspannt, obwohl ich es unglaublich charmant finde, wie unwohl sie sich fühlt. Sie ist das komplette Gegenteil von Esmé. Und das meine ich im positiven Sinn. Doch als ich gerade ansetzen will, sie über ihre Herkunft auszuquetschen, kommt der alte Mann zurück.

  »Wusste gar nicht, dass du so ein Männermagnet bist«, sagt er, und Frenzys Gesichtsfarbe wird noch eine Nuance dunkler.

  »Ich bin kein …«, beginnt sie, aber dann verdreht sie einfach nur die Augen .

  »Lincoln«, stelle ich mich vor. »Lincoln Hughes. Der Gitarrist.«

  »Hab dich schon erkannt, Junge«, sagt er. »Guter Sound.«

  »Man tut, was man kann«, erwidere ich und stelle zu meiner Erleichterung fest, dass Frenzy sich ein bisschen zu entspannen scheint. Offenbar steht sie nicht gern im Mittelpunkt. Obwohl es dem Mittelpunkt sicher nicht schaden würde, wenn ab und zu mal jemand wie sie …

  »Wenn ihr Lust habt, meine Band und ich haben morgen einen Gig«, sage ich.

  »Bourbon oder Frenchmen Street?«, fragt der alte Mann. Er kennt sich offenbar aus.

  »Frenchmen. Im Cat’s Cradle. «

  »Potz Blitz«, sagt er und nickt anerkennend. »Guter Laden.«

  »Und guter Sound.« Ich lächle erst ihn, dann Frenzy an. »Würde mich freuen.« Sie erwidert mein Lächeln etwas schüchtern, aber es ist definitiv eine Erwiderung.

  Weil Esmé jeden Moment zurückkehren könnte und ich kein Drama riskieren will, stehe ich auf. »Hat mich gefreut, Frenzy.« Ich nehme ihre Hand und – ich weiß nicht einmal, warum – hauche scherzhaft einen Handkuss darauf. Aber so schräg diese Aktion auch war, ihren perplexen Blick war es allemal wert.

  Auf meinem Weg zurück zur Bar höre ich noch, wie der alte Mann »Guter Typ« sagt. Und obwohl es mir egal sein könnte, gefällt es mir.

  9

  Franzi

  »Und er hat deine Hand geküsst?«, fragt Lara zum ungefähr hundertsten Mal. Es ist noch früh, und die morgendlichen Video-Anrufe sind beinahe zu einer Routine geworden.

  »Ja.« Ich grinse in mich hinein. Ich bin die Begegnung mit dem gut aussehenden Gitarristen sicher ein Dutzend Mal in meiner Erinnerung durchgegangen.

  »Und wie hat er dich genannt?«

  »Frenzy.« Beim Gedanken daran werde ich rot. So peinlich! Warum habe ich auch versucht, meinen Namen mit amerikanischem Akzent auszusprechen?

  Lara kichert. »Ich hab’s gegoogelt«, sagt sie. »Frenzy bedeutet Raserei, Rausch, Wahnsinn, Ekstase, Taumel. Das bist also zu hundert Prozent du.« Jetzt prustet sie los.

  »Sehr witzig«, gebe ich zurück. Denn das ist so ungefähr der unpassendste Spitzname, den ich mir für mich selbst vorstellen kann. Aber irgendwo in meinem Hinterkopf passiert etwas. Vielleicht kann ich ja in diesem Jahr ein bisschen Ekstase zulassen. Vielleicht kann ich ein bisschen Frenzy sein.

  »Wie heißt er noch mal? Dann suche ich gleich nach ihm.«

  »Lincoln Hughes«, erwidere ich. Diesen Namen vergesse ich nicht mehr.

  »Okay, ich finde ihn nicht auf Instagram.« Sie tippt weiter auf ihrem Handy herum. »Hä? Nicht mal auf Facebook? Was ist das denn für einer? «

  Ich muss grinsen. »Das passt zu ihm«, sage ich. »Er wirkt nicht wie jemand, der sich viel aus sozialen Netzwerken macht.«

  »Na, dann seid ihr ja ein absolutes Traumpaar.«

  Ich verdrehe die Augen. Aber Lara hat recht. Ich bin tatsächlich nicht so richtig präsent im Internet. Ich habe einen vernachlässigten Facebook-Account, den ich seit Jahren löschen will, und einen Instagram-Account ohne Bilder und mit null Followern, den ich nicht nutze.

  »Dann musst du ihn eben beschreiben«, sagt Lara.

  »Also, er sieht echt gut aus …«

  »Ja, aber wie?«

  »Er hat diese verrückten Augen. Graublau. Intensiv. Blonde Haare, die ihm in die Stirn fallen. Und wenn er singt …«

  »Ja?« Lara bekommt ganz große Augen.

  »Diese Stimme!« Allein beim Gedanken daran kriege ich eine Gänsehaut. »Tief und ein bisschen heiser. Man kann nicht weghören.«

  Lara quietscht. »Du weißt, dass amouröse Abenteuer auch Abenteuer sind, oder?«

  »Hör auf!«, sage ich.

  »Ernsthaft, Franzi. Ein gut aussehender Gitarrist in New Orleans? Ein Jahr, um sich auszutoben? Wann hattest du das letzte Mal was mit einem Kerl?«

  Ich denke an meinen Ex-Freund. Wir waren nicht sehr lange zusammen. Ein halbes Jahr im vorletzten Semester. Dann trennte er sich von mir, weil er sich auf seinen Abschluss konzentrieren wollte. Und ich war auch nicht sonderlich enttäuscht, mehr Zeit zum Lernen zu haben.

  »Du denkst gerade an Elias, oder?«, fragt sie.

  Ich nicke.

  »Süße, das ist Monate her. Und deine Augen haben nie so geleuchtet, wenn du über ihn gesprochen hast. «

  »Meine Augen leuchten nicht«, sage ich.

  »Du gehst doch zu seinem Konzert heute Abend, oder?«

  Ich habe darüber nachgedacht. Natürlich habe ich das. Aber ganz allein in eine Bar gehen – noch dazu in einer fremden Stadt –, das klingt nach Frenzy. Nicht nach Franzi.

  Lara merkt sofort, dass ich zögere. »Ach komm. Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du hast ein Jahr, um Spaß zu haben. So richtig viel Spaß.«

  »Ich glaube, ich würde mich komisch fühlen«, sage ich.

  »Na und? Dann fühlst du dich eben komisch. Das macht nichts. Dich kennt kein Mensch in New Orleans. Du hast nichts zu verlieren.«

  »Ja, vielleicht, aber …«

  »Kein Aber. Geh hin. Zähl meinetwegen bis zehn. Wi
rst schon sehen, es spricht nichts dagegen.«

  Lara macht sich schon immer lustig über meine Zählerei. Aber es ist meine Methode. Und bislang hat sie mich noch nie im Stich gelassen.

  »Eins«, sagt Lara grinsend.

  »Ach komm, hör auf.« Ihre gute Laune ist ansteckend, und ich muss lachen.

  »Zwei.«

  »Ich bin nicht wie du. Ich brauche eben ein bisschen Zeit.«

  »Drei.« Sie kichert. »Du musst da hin!«

  »Ich muss gar nichts.«

  »Vier.«

  »Ich würde da einfach nur rumstehen. Ganz allein.«

  »Fünf. Dir kann nichts passieren beim Rumstehen.«

  Ich weiß, dass sie recht hat. Aber mich zu überwinden ist schwierig.

  »Sechs.«

  »Du solltest herkommen und mit mir dorthin gehen. «

  »Solange ich nicht da bin, musst du die Sachen allein angehen. Sieben.«

  Und mein Abenteuer nutzen. Natürlich. Dafür bin ich schließlich hier.

  »Acht.«

  Hugo mochte Link. Nicht, dass das sonderlich viel zu bedeuten hat, aber es ist vielleicht ein Anhaltspunkt. »Neun.«

  »Also … ich glaube …«

  »Zehn.«

  »… ich mach’s. Ja, ich mach’s. Ich geh hin.«

  »Im Ernst?« Jetzt sind es definitiv Laras Augen, die leuchten.

  »Ja, du hast recht. Es wird Zeit, dass mein Abenteuer auch wirklich eines wird.«

  10

  Lincoln

  Freitagabend bin ich wieder einmal zu spät dran. Ich verfluche mich selbst. Es ist unsere große Chance, und jetzt kann ich keinen Soundcheck machen. Nicht, dass wir nicht auch ohne Soundcheck rocken würden, doch ich hasse es, die Band hängen zu lassen. Aber ebenso hasse ich es, Charlie, meiner Mom, zu sagen, dass ich gehen muss. Ich schaffe es ohnehin viel zu selten zu meinen Eltern. Erstens, weil es mit dem Fahrrad jedes Mal eine halbe Weltreise ist und ich ein kurzes Stück den Highway entlangfahren muss, wenn ich nicht noch länger unterwegs sein will. Und zweitens, weil die Stimmung jedes Mal gedrückt ist. Seit Blythes Tod ist es kein fröhliches Haus mehr. Ich weiß, das sollte keine Ausrede sein, um nicht hinzufahren. Im Gegenteil: Wenn überhaupt, sollte ich deswegen umso öfter kommen. Aber ich kann es nicht. Ich habe selbst mein Päckchen zu tragen. Besonders, seit ich wieder allein bin. Besonders, seit ich keinen Liebeskummer mehr habe, der andere Trauer überlagert.

  »Bin da!«, rufe ich in die Bar, aus der gerade ein paar Leute, die sich die zweite Band des Abends wohl nicht mehr anhören wollen, hinausströmen.

  »Na endlich«, sagt Bonnie und winkt mich gleich auf die Bühne. Doch noch rechtzeitig!

  Der Soundcheck geht schnell. Mikey mischt uns persönlich ab, und wir sind ein vollkommen eingespieltes Team. Danach haben wir noch eine Viertelstunde, um uns backstage frisch zu machen oder –

  »Curtis, Alter, was ist mit deinem Gesicht passiert?«, frage ich, als ich einen frontalen Blick auf ihn erhasche.

  »Ja, lass dir das mal erzählen«, sagt Bonnie in wütendem Tonfall. »Als würden wir jede Woche die Chance bekommen, hier an einem Freitag zu spielen. Primetime, Mann, und du siehst aus wie ein Straßenschläger.«

  »Ist er ja auch«, murmelt Sal und bekommt einen verdutzten Blick von so ziemlich jedem von uns. Dass er sich zu Wort meldet, ist ungewöhnlich. Also scheint es ein ernstes Thema zu sein.

  »Könnt ihr aufhören?«, fragt Curtis und fährt sich mit der Hand über seine angeschwollene, blutverkrustete Lippe.

  Bonnie wirft mir einen Blick zu, der sagt: Kümmere dich. Rede mit ihm. Setz ihm eine Maske auf. Oder so etwas in der Art. Nonverbale Kommunikation war noch nie meine Stärke.

  »Zigarette?«, frage ich ihn und bedeute den anderen, hierzubleiben.

  Es gibt einen Hinterausgang, der in einen Hof führt. Curtis fummelt an seiner Hosentasche herum und zieht eine Schachtel Kippen und ein Feuerzeug heraus. Er bietet mir eine an.

  »Nein, danke, nicht, wenn ich singen muss«, sage ich. »Was ist passiert?«

  Er inhaliert lautstark und tief. »Scheiße«, sagt er. »Das ist passiert.«

  »Warum?«, frage ich.

  »Hatte eben Bock.«

  Aber er kann mir nichts vormachen. Vermutlich kann er sich selbst ebenfalls nichts vormachen, auch wenn er das ziemlich gut kaschiert. Natürlich gibt es einen Grund. Unterdrückte Gefühle, Unverarbeitetes, Wut auf die Welt, die er versucht, mit sich auszumachen. So war er schon immer. Erst auf den zweiten Blick – oder vielleicht eher auf den siebten oder fünfundzwanzigsten – merkt man, dass so viel mehr in Curtis steckt. Ein loyaler, witziger, verletzter Kerl. Das ist der Grund, warum wir befreundet sind. Und warum Bonnie und ich Jasper davon überzeugt haben, dass er der Richtige für die Band ist. Doch in Momenten wie diesen verstehe ich die Anfangsreserviertheit, die ihm von jedem entgegengebracht wird. Und wenn ich Reserviertheit sage, meine ich eigentlich Angst.

  »Aber die letzten Monate …«, beginne ich.

  »War’n für’n Arsch.«

  Er betastet vorsichtig sein dunkellila Veilchen und zieht scharf die Luft ein. Offensichtlich hat er es wieder getan.

  »Kannst du spielen?«, frage ich mit einem Blick auf seine Fingerknöchel, die ebenfalls ordentlich lädiert aussehen.

  »Was ist das denn für eine Frage? Selbstverständlich kann ich spielen. Hab ich euch je hängen lassen?« Wieder inhaliert er tief, dann wirft er die Kippe auf den Boden und tritt sie aus.

  Damit hat er recht. Er hat uns nie im Stich gelassen. Und deswegen gehört er zu uns.

  »Also dann, zeigen wir den Leuten, dass wir den Freitagsslot verdient haben«, sage ich und klopfe ihm auf die Schulter. »Und rede mit mir. Oder mit Bonnie.« Ich weiß, dass es ihm leichter fällt, mit ihr zu sprechen. Vermutlich, weil er vor ihr nicht die ganze Zeit seine Männlichkeit demonstrieren muss.

  »Ja, Mann.« Er lächelt mich schief an, da die linke Seite seiner Lippe zu geschwollen ist, um mitzumachen. »Ich sag Mikey, er soll den Scheinwerfer von mir wegdrehen. «

  »Und?«, flüstert Bonnie, als wir uns bereit machen, rauszugehen.

  »Wird schon«, erwidere ich. »Er sagt nicht, was los ist, aber er kann wohl spielen. Also alles halbwegs gut.«

  Wir betreten die Bar und springen einer nach dem anderen auf die kleine Bühne. Ich liebe die wenigen Minuten vor einem Gig. Die adrenalingeladene Anspannung, das Gefühl, zusammen eins zu sein, die Energie, die noch zurückgehalten wird, aber in diesem Sprung auf die Bühne ihren ersten Ausdruck findet. Das Strahlen im Gesicht meiner Bandkollegen.

  Die Menge klatscht, einige jubeln uns zu. Ganz vorne identifiziere ich sofort einen Junggesellinnenabschied, bestehend aus einer blondierten Bride-to-be und ihren vier blondierten Freundinnen. Sie tragen Schärpen und einheitliche rosafarbene T-Shirts.

  »Wickel sie um den Finger«, sagt Jasper in meinem Rücken – und das habe ich vor. Sie werden genau das bekommen, was sie sich erhofft haben. Ihr New-Orleans-Erlebnis, ihre erotischen Fantasien mit einem Musiker.

  Ich spiele einen Akkord und nicke meinen Bandkollegen zu. Dann schlägt Curtis viermal seine Sticks aufeinander, und wir legen los.

  Es ist großartig. Es ist bombastisch. Es ist machtvoll. Ich fühle mich, als würde ich fliegen. Als wäre ich unbesiegbar. Wir sind on fire. Wir rocken im wahrsten Sinne des Wortes die Bude. Unser Zusammenspiel ist in perfekter Harmonie. Es ist wie eine Sprache, die nur wir beherrschen. Sagte ich vorher, nonverbale Kommunikation sei nicht mein Ding? Wenn Musik im Spiel ist, bin ich der König dieser Disziplin. Wir alle sind die Könige – und Bonnie die Königin. Jeder weiß, was der andere in jedem Moment tut, und dennoch ist es nicht langweilig. Unsere Soli sind überraschend, neu und zugleich vollkommen vertraut. Meine Stimme erfüllt den Raum mit genau der richtigen Mischung aus Sanftheit, Heiserkeit und Kraft.

  Die fünf Junggesellinnen vor mir tanzen begeistert mit Sektgläsern in der Hand. Sie kreischen und jubeln, und obwohl sie vermutlich schon ziemlich betrunken sind, fühlen sie die Musik wie alle anderen im Raum. Unsere Begeisterung steckt die Menge an, und die Euphorie des Raums schwappt zu uns auf die B�
�hne zurück und pusht uns nur noch weiter.

  Als wir zum letzten Song des ersten Sets kommen, einem langsameren zweistimmigen Stück, das ich mit Bonnie zusammen singe, blicke ich mich einmal in vollem Bewusstsein zu meinen Freunden um und erkenne, dass es ihnen ebenso geht wie mir. Dass sie ebenfalls spüren, wie mächtig unser Sound, wie groß dieser Moment in dieser Stadt ist, in der wir und unsere Musik so sehr zu Hause sind.

  »Feels like home, feels like NOLA , my love«, singe ich, und Bonnie stimmt mit ein. Ich fühle es so sehr. Fühle jedes Wort, jeden Ton. Fühle Sals melancholisch schnarrende Trompete, die sanft und doch kräftig die Melodie trägt. Ich fühle Jaspers jazzy Keyboard-Variationen und Curtis’ Streicheln der Becken. Ich fühle Bonnies Stimme in meiner Brust und das Vibrieren ihres Kontrabasses in Mark und Bein. Und ich fühle mich selbst. Meinen Gesang und meine Gitarre. Die logische Fortsetzung meines Körpers.

  11

  Franzi

  Beinahe hatte ich gehofft, Faye würde mich bitten, nicht auf das Konzert zu gehen. Doch natürlich hatte sie nichts dagegen. Sie bestand aber darauf, mir auf meinem Handy zu zeigen, in welche Gegenden ich mich besser nicht verirren sollte.

  »Alle Viertel mit einer Zahl im Namen meidest du«, sagte sie. Und dann nannte sie ein paar Straßennamen, die ungefähr eingrenzen sollten, wo es sicher war. Fast war ich versucht, die ganze Sache abzublasen, aber vor Faye wollte ich nicht so tun, als sei ich zu ängstlich. Und überhaupt, in einer Sache muss ich Lara recht geben: Ich bin schließlich nicht hier, um mich von meinen Hemmungen zurückhalten zu lassen.

 

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