Love is Loud – Ich höre nur dich

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Love is Loud – Ich höre nur dich Page 26

by Engel, Kathinka


  »Was ist los?«, frage ich deswegen und setze mich.

  »Was hast du in meinem Büro zu suchen?«, sagt Victor. Es ist offensichtlich, dass er sich bemüht, nicht zu schreien. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, und an seiner Stirn tritt eine Ader hässlich hervor.

  »Wie bitte?«

  »Du hast mich schon verstanden!«

  »Äh … Ich war nicht in deinem Büro«, sage ich. Denn das entspricht der Wahrheit. Kein einziges Mal bin ich in diesem Raum gewesen.

  »Lüg mich nicht an!« Er wird nun doch laut.

  »Ich lüge nicht!« Auch ich verleihe meiner Stimme mehr Nachdruck.

  »Denk mal nach«, sagt Faye sanft. Sie ist so süß mit ihrer hohen Stimme. Das absolute Gegenteil ihres Mannes. »Könnte es sein, dass du aus Versehen hineingegangen bist? Nicht nachgedacht hast?«

  »Aus Versehen!« Victor spuckt die Worte beinahe aus .

  »Victor, bitte.«

  »Ich war wirklich nicht in deinem Büro, Victor. Ich verspreche es. Faye hat mir gesagt, der Raum ist tabu. Und daran halte ich mich.«

  »Und wie erklärst du dir dann, dass eine Schreibtischschublade nicht ganz geschlossen war?« Wütend funkelt er mich an. Es würde mich nicht wundern, träte aus seinen Nasenlöchern auf einmal Qualm aus.

  »Vielleicht … hast du sie nicht richtig zugemacht?«, biete ich an, doch Victor lacht nur. Es ist ein herablassendes, hasserfülltes Lachen.

  »Diese Schublade, junge Dame, mache ich sehr selten auf, weil sie klemmt. Ich kann dir sogar den genauen Tag nennen, an dem ich das letzte Mal etwas hineingelegt habe. Und dieses Etwas lag jetzt nicht mehr oben. Das bedeutet, du hast nicht nur eine Regel gebrochen, sondern bist auch noch durch meine Sachen gegangen.« Er macht eine kunstvolle Pause, in der er mich voller Verachtung ansieht. »Du kannst jetzt mit der Scharade aufhören. Denn mein Vertrauen hast du ohnehin verloren.«

  »Ich war es wirklich nicht«, sage ich nun leiser und senke den Blick. Ich merke, dass es mich doch nicht so kaltlässt, wie ich am Anfang vor mir selbst behauptet habe. Ganz im Gegenteil: Ich habe einen Kloß im Hals, und hinter meinen Augen sammeln sich Tränen. Es fühlt sich an, als hätte sich die ganze Welt gegen mich verschworen. Erst die Sache mit Link und dann das hier.

  Auf einmal geht mir ein Licht auf. Link! Er muss es gewesen sein. Während ich mit meiner Mutter telefonierte. Was zur Hölle hat er da drin getrieben? Und warum ist er danach verschwunden?

  Ich schlucke einmal, dann merke ich, wie sich eine Träne löst. Faye legt einen Arm um mich. Und diese kleine Geste lässt nach den letzten vierundzwanzig Stunden alle Dämme brechen. Ich beginne zu weinen, weil ich mich so allein fühle. Im Stich gelassen von Link, mit dem Chaos, das er angerichtet hat. Zu Unrecht einer Sache bezichtigt, ohne die Möglichkeit, meine Unschuld beweisen zu können.

  »Siehst du, was du angerichtet hast?«, sagt Faye zu Victor.

  »Das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Wer unerlaubt in meinen Sachen herumschnüffelt …«

  »Wenn Franzi sagt, sie war es nicht, glaube ich ihr.« Fayes Tonfall ist nach wie vor sanft, aber bestimmt. Ich bin ihr so dankbar für ihre Freundschaft in diesem Moment, obwohl das mit Sicherheit bedeutet, dass Victor und sie einen weiteren Ehekrach haben werden.

  »Dann bist du noch dümmer, als ich dachte.« Ich spüre, wie Faye sich neben mir versteift. Fast habe ich Lust, etwas nach Victor zu werfen. Was fällt ihm ein, so mit Faye zu sprechen!

  »Charmant, Sohn«, sagt auf einmal eine Stimme, die von der Terrasse kommt. Hugos Stimme. »Glaub mir, Faye, die Höflichkeit hat er sich selbst abgewöhnt.« Dann, wieder an Victor gewandt: »Geht es um deine Schublade? Die klemmt.«

  »Warst du an meinen Sachen, du … du …«

  Ich wage es, wieder aufzublicken, da ich verstehen will, was hier passiert. Hugo steht barfuß oben ohne in der Terrassentür, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Er wippt leicht vor und zurück, im Gesicht einen halb schelmischen, halb schuldbewussten Ausdruck. Victor wirkt, als würde er seinen Vater schütteln wollen.

  »Was hattest du dort zu suchen?«

  »Briefmarken.« Hugo zuckt mit den Schultern. »Ich habe die Schublade aber kaum aufbekommen. Vielleicht solltest du sie mal abschleifen lassen. «

  »Abschleifen l…« Victors Mund verzieht sich zu einem fiesen Grinsen. »Wenn du noch ein Mal in mein Büro gehst, du alter Trottel, stecken wir dich in ein Altenheim, dass das klar ist.«

  »Aye, aye, Sir«, sagt Hugo, salutiert und spaziert zurück in den Garten.

  Ich sitze wie vom Donner gerührt neben Faye. Hugo hat Link gedeckt. Ohne Not. Ohne dass er wusste, was er tat.

  »Willst du dich vielleicht bei Franzi entschuldigen?«, fragt Faye vorsichtig, doch Victor rauscht ohne ein weiteres Wort in sein Büro und knallt die Tür hinter sich zu. Man hört, wie von innen abgesperrt wird.

  Einen Moment lang schweigen wir. Die Stille, die uns jetzt umgibt, ist auf gewisse Weise tröstlich nach Victors Tiraden.

  »Es tut mir leid«, sagt Faye schließlich. Ich kann hören, dass ihre Stimme bebt.

  »Ist doch nicht deine Schuld«, erwidere ich.

  »Er steht in letzter Zeit unter einem enormen Druck.«

  Es gefällt mir nicht, dass sie versucht, sein Benehmen zu entschuldigen. Es ist eine Sache, auszuflippen, weil jemand seine Sachen durchwühlt hat. Aber er hat seine Frau »dumm« genannt. Und ich für meinen Teil habe nicht vor, das zu vergessen.

  »Vielleicht solltest du mal nach Hugo sehen«, schlägt Faye vor. Ich habe den Eindruck, sie braucht einen Moment für sich.

  Ich nicke, obwohl ich Faye nur ungern allein lasse.

  Aus Hugos Schuppen dringt leise Musik. Jelly Roll Morton, nehme ich an. Ich klopfe zaghaft, und im nächsten Moment öffnet sich die Tür.

  »Komm rein, komm rein«, sagt Hugo grinsend. »Mi casa es su casa. «

  Zum ersten Mal betrete ich den Schuppen. Ich war immer davon ausgegangen, dass er voller Gerätschaften ist. Doch als mein Blick nun durch den kleinen Raum wandert, stelle ich fest, dass Hugo sich hier richtig häuslich eingerichtet hat. Zwei Campingstühle stehen an einem einfachen Klapptisch, auf dem sich ein altes Radio befindet. Es rauscht ein wenig. An einer der Wände hängen tatsächlich Werkzeuge und Gartengeräte – Schaufeln, Harken und so weiter. Doch die restlichen Regale sind mit kleinen Figuren gefüllt. Aus Holz geschnitzte Menschen und Tiere. Ich erkenne einen Alligator, einen Biber, einen alten Mann mit Gehstock. Erst jetzt fällt mir auf, dass der Boden über und über mit Holzspänen bedeckt ist.

  »Hast du die alle geschnitzt?«, frage ich überflüssigerweise, denn Hugo hat sich auf einem der Stühle niedergelassen und sich ein Messer und einen kleinen Holzblock gegriffen.

  »Ich habe viel Zeit«, sagt er grinsend.

  »Die sind wunderschön!«

  »Übertreib mal nicht.«

  »Danke«, sage ich dann.

  »Wofür?«

  »Dafür, dass du gesagt hast, du wärst es gewesen.«

  »Sag bloß, du bist tatsächlich in sein albernes Büro gegangen. Hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Er zeigt auf den Stuhl neben sich. »Setz dich.«

  »Ich … äh …« Zögerlich gehe ich auf den Stuhl zu. Ich wage es nicht, Platz zu nehmen, ehe Hugo die Wahrheit kennt.

  »Äh?«

  »Ich glaube, es war Link.« Ich fühle mich absolut elend.

  »Link?« Hugo runzelt die Stirn. »Jetzt setz dich doch endlich mal hin, du machst mich ja ganz nervös! «

  »Link war hier. Faye hat gesagt, es wäre okay, wenn ich Besuch hätte. Aber er ist anscheinend, während ich telefoniert habe, in Victors Büro gegangen. Ich hatte nicht dran gedacht, ihm zu sagen, dass dort niemand hineindarf.«

  »Der Junge ist ’ne Wucht.«

  Wie so oft, kann ich Hugos Gedankengängen nicht folgen. »’ne Wucht?«

  »Mit so wenig Aufwand so viel Unruhe zu stiften … Bewundernswert.« Er lacht leise vor sich hin.

  »Aber … hast du keine Angst vor Victor?«

  »Doch, Tag und Nacht. Ich habe Angst, dass mir irgendwann mal mein Schnitzmesser auskommt, wenn er in der Nähe ist.«
Er muss meinen erschrockenen Blick bemerkt haben, denn er fügt schnell hinzu: »Keine Sorge, das war ein Scherz.«

  Mir ist nicht wirklich nach Scherzen zumute nach den Ereignissen der letzten halben Stunde, aber ich versuche mich an einem Lächeln. »Es tut mir wirklich, wirklich leid, Hugo«, sage ich. »Dass Victor jetzt sauer auf dich ist, weil ich nicht aufgepasst habe.«

  »Papperlapapp.« Hugo winkt ab.

  »Wie kannst du so ruhig sein? Er hat gedroht, dich in ein Altenheim zu stecken.« Meine Stimme wird auf einmal wieder ganz dünn.

  »Ja, zum ungefähr hundertsten Mal. Manchmal denke ich, dort hätte ich mehr Spaß. Aber nein, ganz im Ernst: Link hat mir einen Gefallen getan.«

  »Wie bitte?« Es könnte durchaus sein, dass Hugo der merkwürdigste Kerl ist, den ich in meinem ganzen Leben getroffen habe.

  »Willst du nicht auch unbedingt wissen, warum Victor so vollkommen außer sich war?«

  »Weil jemand in seine Privatsphäre eingedrungen ist«, schlage ich vor. Etwas, das Link eigentlich verstehen müsste, denke ich bitter.

  »Ha, ja, das auch. Aber die Panik in seiner Stimme? Der Angstschweiß auf seiner puterroten Stirn? Nein, das war nicht einfach nur Wut. Er hat etwas zu verbergen.«

  Ich sehe Hugo mit großen Augen an. »Glaubst du?«

  »Ich weiß es. Aber seit heute weiß ich auch, wo ich danach suchen muss.« Der Triumph in seiner Stimme ist unüberhörbar.

  »Hugo?«, frage ich zögerlich, denn ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir offen sprechen. »Was ist zwischen euch vorgefallen?«

  Er gibt ein grunzendes Geräusch von sich. »Wenn ich dir das erzählen soll, brauche ich einen Schnaps.« Er greift hinter sich und zieht eine Flasche Bourbon hervor. Von einem der Regalbretter nimmt er zwei kleine geschnitzte Gefäße. Dann schenkt er uns beiden ein. »Cheers«, sagt er, und mit einem leisen Tock lässt er Holz gegen Holz klacken.

  Während ich vorsichtig an meinem Whiskey nippe, kippt er seinen in einem Zug hinunter und schenkt sich nach.

  »Also«, sagt er, »du willst die ganze Geschichte?«

  Ich nicke. »Wenn du sie mir erzählst?«

  »Das Elend beginnt am siebten Februar 1962. Da wurde mein Sohn geboren.« Er lacht freudlos. »Und jetzt spule ich ein paar Jahrzehnte vor, denn ich muss dir nicht jede Einzelheit seiner erbärmlichen Existenz erzählen. Es reicht, wenn du weißt, dass wir jahrelang keinen Kontakt hatten.«

  »Überhaupt keinen?«

  »Nicht mal eine Weihnachtskarte. Als er Faye heiratete, wollte er mich nicht einmal dabeihaben. Sie stand vor ungefähr sieben Jahren plötzlich bei mir vor der Tür, stellte sich vor, gab mir eine Einladung. Sagte, sie würde sich freuen, wenn ich käme. Aber wir wussten beide, dass es ein friedlicheres Fest werden würde, wenn ich fernblieb.« Er kippt den nächsten Whiskey hinunter. »Vor anderthalb Jahren nun habe ich mir mein Bein gebrochen. Ganz blöde Sache. Bin von einer Leiter gefallen, als ich versucht habe, die Glühbirne auf meiner Veranda zu wechseln. Die alten Knochen halten nicht mehr so viel aus.« Er sieht mich kurz direkt an. Aus seinen Augen spricht so viel Traurigkeit und gleichzeitig das Glück eines ganzen Lebens. »Ich musste ins Krankenhaus. War wochenlang ans Bett gefesselt. Dummerweise habe ich keine Versicherung. Das Einzige, was mir einfiel, war, eine Hypothek auf mein Haus aufzunehmen. Und der Einzige, der mir helfen konnte, war Victor. Er kennt sich mit solchen Dingen aus: Immobilien, Hypotheken, Leute ausnehmen. Das ist genau sein Ding. Ich dachte, er würde seinen alten Vater unterstützen. Nicht einfach so, natürlich nicht, aber in Zeiten der Not hält man zusammen, dachte ich. Er kam, hörte sich an, was ich zu sagen hatte. Er war nett, erzählte von seiner neuen Frau, die jetzt gar nicht mehr so neu war. Besuchte mich ein paarmal, sagte, natürlich würde er sich um alles kümmern. Bot mir an, zu ihm und Faye zu ziehen, bis ich wieder für mich selbst sorgen könne. Und ich alter Esel dachte, er hätte sich geändert. Ich dachte, Faye wäre ein guter Einfluss oder irgend so einen kitschigen Schwachsinn. Ich stellte ihm eine Vollmacht über all meine Belange aus. Schließlich sollte das mit der Hypothek schnell vonstattengehen.«

  Hier hält Hugo inne. Er schenkt sich noch einmal einen Whiskey ein und kippt ihn hinunter. Es ist offensichtlich, wie schwer es ihm fällt, über all das zu sprechen. Und mir wird während seiner Erzählung ganz mulmig. Das drohende Unheil ist spürbar.

  »Langer Rede kurzer Sinn: Als ich nach ein paar Wochen zurück nach Hause wollte, eröffnete er mir, dass die Hypothek nicht gereicht hätte, um meine Krankenhausrechnung zu bezahlen. Dass er mein Haus verkauft hätte. Dass ich nun bei Faye und ihm wohnen würde, es mir aber jederzeit freistünde zu gehen. Und seither … bin ich hier.«

  Ich spüre, wie mir wieder Tränen kommen. »O Gott, Hugo«, bringe ich unter größter Anstrengung hervor. Ich habe so viele Fragen, die in meinem Kopf herumschwirren, aber es fällt mir schwer, eine Ordnung hineinzubringen. Ich nehme mein Holzbecherchen und kippe den Whiskey jetzt ebenfalls in einem Zug hinunter. »Weiß Faye Bescheid?«

  »Sie kennt Victors Version der Geschichte.«

  »Hast du nie versucht, mit ihr darüber zu sprechen?«

  »Nein. Was soll das bringen? Noch mehr Zwist? Mein Haus bekomme ich dadurch ja doch nicht zurück.« Er zuckt mit den Schultern und nimmt seine Schnitzarbeit wieder auf. Doch dann merkt er, dass seine Hände zittern, und legt das Messer zurück auf den Tisch.

  »Was hat Victor davon? Ihr könnt euch doch offensichtlich nicht leiden.«

  »Geld. Das Haus war am Rand des French Quarter. Ein kleines, schmuckes kreolisches Cottage. Türkis mit lilafarbenen Fensterläden. Ich habe es renoviert. Die Preise sind in den letzten Jahren ins Unermessliche gestiegen. Und wenn Victor die Möglichkeit sieht, Kohle zu machen, dann ergreift er sie. Es ist wie ein innerer Zwang.«

  »Das ist … das ist so schrecklich«, sage ich. »Wie lebst du damit?«

  »Ich versuche, ihm sein Leben hier so unerträglich zu machen, wie ich kann, ohne dass ich mir wirklich etwas zuschulden kommen lasse. Das ist meine kleine Rache. Und inzwischen macht es mir sogar ein bisschen Spaß.«

  »Könntest du … könntest du nicht vor Gericht gehen?«

  »Weißt du, es ist merkwürdig«, sagt Hugo. »Man kann sich hassen und sich dennoch wünschen, man würde keinen Krieg führen. Das ist die beste Antwort, die ich geben kann, fürchte ich.«

  »Ich bewundere dich«, sage ich und meine es absolut ernst.

  »Übertreib mal nicht. Ich bin nur ein komischer alter Kauz, der gern seine Hände in Erde vergräbt.«

  Wir verfallen in ein unruhiges Schweigen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und Hugo kämpft wohl gegen die Dämonen seiner Vergangenheit, die er gerade wieder heraufbeschworen hat.

  »Was Link wohl gefunden hat?«, fragt Hugo nach einer Weile in die Stille hinein.

  »Er ist abgehauen«, sage ich, doch ich merke, dass meine Wut auf ihn nichts ist im Vergleich zu dem, was ich empfinde, wenn ich an Victor denke.

  »Abgehauen? O Mann, dann muss es ja ein richtiger Kracher sein.« Hugo lacht leise.

  »Ich wünschte, ich könnte es auch lustig finden. Ich bin, ehrlich gesagt, richtig sauer auf ihn.«

  »Dann solltest du ihm das sagen.«

  »Glaub mir, das werde ich«, erwidere ich mit einer neu gefundenen Entschlossenheit.

  »Ich wollte dir außerdem etwas vorschlagen. Einen Deal.«

  »Einen Deal?«

  »Leben und leben lassen«, sagt er und grinst.

  »Was meinst du damit?« Nach allem, was er mir gerade erzählt hat, kommt er mir auf einmal wieder sehr wie er selbst vor.

  »Ich meine, dass du ein nettes Mädchen bist, das hier eine schöne Zeit haben sollte. Und dass ich den netten alten Mann in mir bitten könnte, öfter mal den garstigen abzulösen, solange ich meine Ruhe habe. «

  »Ich glaube, ich verstehe nicht …«, sage ich. Ich versuche, in seinem faltigen Gesicht zu lesen, doch es gelingt mir nicht.

  »Wie wäre es, wenn du die restliche Zeit, die du hier bist, nutzt, um Spaß mit deinem Link zu haben, statt dich mit mir zu langweilen? Ich komme allein zurecht und brauche niemanden, der den g
anzen Tag hier herumlungert und kontrolliert, ob ich laute Musik höre oder Gras rauche.« Er lacht, und auch ich kann nicht anders, als zu kichern. Unser Streit ist Ewigkeiten her. So viel ist seither passiert.

  »Du willst mich aus dem Haus haben?«, frage ich mit einem Grinsen. »Aber was sagen Faye und … Victor dazu?«

  »Die müssen davon nichts erfahren«, sagt er und zwinkert mir zu. »Schau, Franzi, lass uns Freunde sein. Aber keine Freunde, die einander kontrollieren und sich das Gefühl geben, alt und gebrechlich zu sein. Denn offenkundig bin ich das nicht.«

  Ich nicke. »Du wolltest von Anfang an nicht, dass ich komme, oder?«, frage ich und denke an den Hugo zurück, den ich vor etwas mehr als einem halben Jahr kennengelernt habe.

  »Wirklich nicht. Und das hat nichts mit dir zu tun. Aber viele Dinge, die im letzten Jahr über meinen Kopf hinweg entschieden wurden, wollte ich nicht. Und doch muss ich damit leben. Das hier, das ist etwas, das funktionieren kann, wenn wir ein Team sind.«

  »Leben und leben lassen«, sage ich zögerlich. »Und Faye wird nichts davon erfahren?«

  »In unser beider Interesse.«

  Ich kann kaum glauben, dass ich mich wirklich auf Hugos Idee einlasse. Doch nach allem, was er mir gerade erzählt hat, verdient er es, dass ich seinem Wunsch wenigstens eine Chance gebe. Plötzlich erinnere ich mich an die Unterhaltung, die ich mit Link hatte. Daran, dass ich nur dafür bezahlt werde, mit ihm Zeit zu verbringen.

  »Unter einer Bedingung«, sage ich.

  »Und die wäre?«

  »Dass wir Freunde sind.«

  »Das sind wir doch schon«, erwidert Hugo und legt seine Hand auf meine.

  36

  Lincoln

  Ich bin nervös. Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. Dass ich Frenzy enttäuscht habe – oder vermutlich Schlimmeres. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sich für sie angefühlt haben muss, als ich auf einmal weg war. Jetzt, da ich wieder klar denken kann, kommt mir mein Verhalten unverzeihlich vor. Seit vorgestern feile ich an einer Erklärung, aber ich komme nicht weiter. Und ohne eine Erklärung wage ich es nicht, Frenzy anzurufen. Umso dankbarer bin ich, als auf meinem Handy eine Nachricht von ihr aufleuchtet.

 

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