Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht

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Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht Page 6

by Julie Johnson


  Lying here, this empty bed

  Broken crown upon my head

  The king, he’s gone

  Our realm in ruins

  Wish you’d listened when I said …

  I never wanted to be queen

  Never wanted anything but you

  Now the kingdom’s torn up at the seams

  And this is too much pain, too much pain

  For nineteen …

  Meine Stimme klingt zittrig und schwach. Eine gebrochene Hülle ihrer ehemaligen Pracht. Ich rede mir ein, dass sie deswegen bricht, weil ich sie so lange nicht benutzt habe, und nicht wegen des Texts, den ich in diesem ersten dunklen Winter auf Cape Cod schrieb, als ich immer noch um die Dinge trauerte, die ich verloren hatte. Damals konnte ich den Schmerz in meiner Brust nur lindern, indem ich ihn in Worte verwandelte und diese mit Tinte auf die Seiten meines lange vernachlässigten Notizbuchs schrieb.

  Erinnerungen blitzen in meinem Kopf auf.

  Blut auf einem gefliesten Badezimmerboden.

  Eine Kiste unter der Erde auf den Klippen am Meer.

  Ich verdränge diese Bilder – tief, tief, tief –, bevor sie mich überwältigen können. Dieses Gefühl, das ich gerade empfinde, dieser unerträgliche Kummer, ist der Grund dafür, dass ich meine Gitarre in einen muffigen Schrank stellte und mein Notizbuch in einer Kommodenschublade einschloss. Ich wische mir die Tränen von den Wangen, wende mich mit einer abrupten Drehbewegung vom Mikro ab, ohne das Lied zu beenden, und eile zum Ausgang. Selbst sich im Bett hin und her zu wälzen muss besser sein als diese Qual.

  Ich brauche ein paar Stunden Pause von meiner Identität als Felicity Wilde.

  Ich bin auf halbem Weg zur Tür, als ich die verweinten Augen zur Glaswand hebe, die den Proberaum vom Tonraum trennt. Ich bleibe schlagartig stehen, als ich den Mann entdecke, der dort steht und mich durch die Glasscheibe anstarrt.

  Ich muss halluzinieren.

  Er kann nicht hier sein.

  Aber das ist er.

  Er rührt sich nicht vom Fleck und ich ebenfalls nicht. Wir schweben am Rand eines steilen Abgrunds und betrachten einander durch eine dünne Wand aus Glas.

  Drei Meter.

  Zwei Jahre.

  Ein Augenblick.

  Ein Leben.

  Ich bemühe mich, mein Gesicht ausdruckslos zu halten, aber es spielt nicht mit. Mein Puls pocht wie verrückt in meinen Venen, während ich den Hals meiner Gitarre umfasse – ein vergeblicher Versuch, mich an der Realität festzuklammern. Ich starre ihn an, lasse den Blick über seine sonnengebräunte Haut wandern, weiche aber diesen unergründlichen ungleichen Augen aus, die es schon immer geschafft haben, mit einem bloßen Blick eine Kerbe in meinem Herzen zu hinterlassen.

  Er sieht vollkommen anders aus und doch wieder nicht.

  Es ist derselbe Bart, nur dass er jetzt voller ist, so als hätte er sich in letzter Zeit nicht die Mühe gemacht, sich richtig zu rasieren. Es ist derselbe hochgewachsene Körper, aber er ist nicht mehr drahtig – er ist voller Muskeln, und sein gebräunter Bizeps dehnt den Stoff seines ausgeblichenen schwarzen T-Shirts, von dem ich schwören könnte, dass ich es schon mal an ihm gesehen habe. Es sind dieselben farblich unterschiedlichen Augen – eins blau, eins braun. Und er sieht mich mit beiden an und sorgt so dafür, dass ich mich nicht vom Fleck rühren kann. In ihnen liegt so viel Schmerz, dass mir der Atem stockt, wenn ich sie anschaue, also blicke ich stattdessen auf sein Kinn. Ich hoffe, dass er nicht sehen kann, wie mein Herz unter dem dünnen Stoff meines blauen Kleids pocht.

  Keiner von uns beiden sagt ein Wort. Ryder hat sich nicht von der Stelle bewegt – und der Ausdruck auf seinem Gesicht lässt vermuten, dass er das auch nicht so bald vorhat. Damit lässt er mir keine andere Wahl … Es sei denn, ich habe vor, die ganze Nacht in dieser Glaskabine zu verbringen und einen Mann anzustarren, dessen Anblick ich kaum ertragen kann. Ich muss einfach durch diese Tür gehen und dieser knapp eins neunzig großen Barriere ausweichen, die zwischen mir und dem Aufzug steht.

  Ruhig atmen.

  Einen Fuß nach dem anderen.

  Der Ausgang ist gleich da vorne.

  Wie ein Soldat an der Front hole ich einmal tief Luft, nehme all meinen Mut zusammen und setze mich in Bewegung. Es sind nur fünf kleine Schritte, aber ich brauche eine Ewigkeit, um sie hinter mich zu bringen. Meine Hand zittert, als ich sie nach der Tür ausstrecke und sie lautlos aufziehe. Mein pochendes Herz ist das einzige Geräusch, das ich höre, als ich über die Schwelle trete. Und dann bin ich draußen und stehe dem Mann, der so tief mit meinem Innersten verwoben ist, dass ich weiß, dass ich ihn niemals loswerden kann – nicht in diesem und nicht mal im nächsten Leben –, von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

  Als ich ein paar Schritte von ihm entfernt stehen bleibe, blitzt in Ryders Augen eine plötzliche Traurigkeit auf, als er die Gitarre in meinen Händen entdeckt.

  »Sie hat dir die Gibson hinterlassen.«

  Ich blicke zu ihm hoch. Jedes einzelne Wort, das ich erwidern könnte, weigert sich hartnäckig, über meine Lippen zu kommen.

  »Das mit deiner Großmutter tut mir leid.« Seine Stimme ist tonlos, und er hält seine Gefühle streng unter Kontrolle. »Ich habe es erst heute Morgen erfahren, als ich zurückkam. Wenn ich es gewusst hätte …«

  Er verstummt.

  Wenn er es gewusst hätte.

  Wenn das hier ein anderes Leben wäre und er es gewusst hätte … wäre er an meiner Seite gewesen, um sich gemeinsam mit mir von meiner Großmutter zu verabschieden. Wenn das hier eine andere Welt wäre und er es gewusst hätte … hätte er meine Hand gehalten, während Bethany Hayes unter der Erde verschwand.

  »Felicity«, flüstert er, und seine Stimme bricht mitten im Wort. Das Bedauern, das darin mitschwingt, erschüttert mich zutiefst. Ich schlucke schwer und versuche erfolglos, die Emotionen zu unterdrücken, die mir die Kehle zuschnüren.

  »Felicity …«

  »Du … Du solltest nicht hier sein«, keuche ich. Meine Worte sind kaum zu verstehen, als sie über meine Lippen kommen. Sie lösen sich in der Luft zwischen uns wie Nebelschwaden auf. »Erst morgen.«

  »Tut mir leid, dass ich dich enttäusche.« Er wirkt nicht so, als würde es ihm leidtun. Ganz und gar nicht. »Aber … ich wusste, dass du hier sein würdest.«

  Wie in aller Welt konntest du das wissen?

  Ich verkneife mir die Frage.

  »Du warst schon immer eine Nachtigall – du singst allein in der Dunkelheit, während der Rest der Welt schläft.« Er bewegt sich keinen Zentimeter, aber seine Stimme – dieser leicht nasale Tonfall, diese berauschende heisere Kratzigkeit – scheint sich auszustrecken und mit einer liebkosenden Berührung an meiner Wirbelsäule entlang nach unten zu streichen. »Als ich dich zum ersten Mal singen hörte, war es drei Uhr morgens. Erinnerst du dich?«

  Ich erinnere mich an alles.

  Ich kneife für einen kurzen Moment die Augen zu, während ich versuche, mich zusammenzureißen. Ich hasse es, dass er trotz allem immer noch diese Wirkung auf mich hat. Ich hasse es, dass er mich nach all der Zeit immer noch so gut kennt.

  Sein Seufzen sorgt dafür, dass ich die Augen wieder öffne.

  »Felicity. Sag etwas«, fleht er. Er verschlingt mich mit seinem Blick wie ein Blinder, der zum ersten Mal die Sonne sieht. »Sag … irgendetwas.«

  »Wir haben einander nichts mehr zu sagen.«

  Die Wut, die in seinem Gesicht aufflackert, verrät mir, wie sehr er in dieser Hinsicht nicht meiner Meinung ist. »Du willst nicht reden? Meinetwegen. Dann rede ich.« Seine Worte sind ein leidenschaftliches Flüstern. »Hast du wirklich gedacht, dass ich nicht sofort herkommen würde, um dich zu finden, sobald ich erfahren habe, dass du wieder in Los Angeles bist? Hast du wirklich gedacht, dass ich bis zur morgigen Probe warten und mich an Francescas Terminplan halten würde wie ein braver kleiner Junge? Dass ich dir nach zwei verdammten Jahren ohne auch nur ein einziges Wort höfliche Distanz gewähren würde?

  Ich recke trotzig das
Kinn und lasse mich nicht zu einer Antwort herab.

  »Also hast du das gedacht.« Sein Lachen klingt hohl. »Herrgott, Felicity.«

  »Es ist spät.« Meine Stimme zittert ganz furchtbar, während ich seinem Blick standhalte. »Ich bin müde, und wir müssen morgen früh raus. Bitte … lass mich vorbei. Lass mich gehen, Ryder.«

  Endlich bewegt er sich – nicht um mir aus dem Weg zu gehen, sondern um näher an mich heranzukommen. Meine ganze Welt verengt sich und besteht nur noch aus dem kaum vorhandenen Rest Abstand zwischen seinem und meinem Körper. Ein halber Meter Luft, in dem die aufgestauten Emotionen der letzten zwei Jahre aufs Heftigste brodeln.

  Als er das Schweigen schließlich bricht, ist sein Tonfall gefährlich sanft – wie eine Klinge, die zwischen zwei ungeschützte Rippen dringt und sich mitten in mein Herz bohrt. »Wirst du mich ernsthaft dazu zwingen, dich zu fragen, wo du die ganze Zeit über gewesen bist?«

  »Ich kann das gerade nicht. Okay?« Ich schlucke heftig und klammere mich verzweifelt an die letzten Reste meiner mühsam aufrecherhaltenen Fassung. »Wir haben morgen Probe und müssen uns auf eine Tournee vorbereiten …«

  Seine Worte sind schonungslos. »Zum Teufel mit der Tournee, Felicity.«

  Ich zucke zusammen.

  »Eigentlich …« Seine Stimme wird sehr leise, und er macht einen weiteren Schritt auf mich zu und kommt mir ungefragt viel zu nah. »Zum Teufel mit der ganzen gottverdammten Welt. Von mir aus können sie sich alle zum Teufel scheren.«

  Mir stockt der Atem. Ich brauche meine ganze Kraft, um weiterhin Luft zu bekommen, meine Hände vom Zittern abzuhalten und meine Stimme so ruhig zu halten, dass sie nicht bebt, als ich zu ihm aufsehe und die winzige Veränderung in seinem Gesicht wahrnehme – dieser gequälte, ruhelose Ausdruck lag bei unserer letzten Begegnung noch nicht auf seinen Zügen. Ebenso wenig wie die Dunkelheit in seinen Augen.

  »Die Tournee ist mir vollkommen egal. Das Gleiche gilt für die Plattenfirma, die Presse und den ganzen Rest.« Seine Worte klingen hohl und verzweifelt. »Das Einzige, was mir momentan wichtig ist – das Einzige, was mir jemals wichtig gewesen ist –, bist du.«

  Ich verschränke die Arme vor der Brust, um zu verbergen, wie sehr meine Hände zittern. Meine Worte sind so kalt, wie nur eben möglich, als ich meine Sprache wiedergefunden habe.

  »Ich bin nicht deinetwegen hierher zurückgekehrt, Ryder. Ich bin zurückgekehrt, weil ich vertraglich dazu verpflichtet war.«

  »Das spielt keine Rolle«, kontert er umgehend mit rauer Stimme. »Wichtig ist nur, dass du hier bist.«

  »Tja … du kannst auf die Insel zurückkehren, auf der du gestrandet bist, und dort mit deinen Modelfreundinnen Mai Tais schlürfen, denn ich werde nicht bleiben.«

  Er zuckt zusammen. »Wie bitte?«

  »Ich werde wieder weggehen« Ich bereite mich innerlich auf seine Reaktion vor. »Sobald die Tournee vorbei ist, bin ich weg. Es besteht also keine Notwendigkeit für eine große, dramatische Diskussion. Wir müssen die alten Geschichten nicht wieder ausgraben. Okay?«

  »Keine Notwendigkeit?«, wiederholt er mit brüchiger Stimme.

  Ich nicke abgehackt, ohne auf seine Frage zu antworten. Mit jeder Minute, die ich hier stehe und ihn anstarre, spüre ich, wie meine Kraft ein wenig mehr schrumpft. Ich werde nicht weinen – diese Blöße werde ich mir nicht geben –, aber mein Herz weint mit jedem Schlag in meiner Brust blutige Tränen.

  »Keine Notwendigkeit?«, wiederholt er erneut, und dieses Mal ist sein Tonfall scharf wie eine Streitaxt. »Du und ich haben sehr unterschiedliche Auffassungen über die Einschätzung der Dinge. Denn so wie ich das sehe, Felicity, besteht sehr wohl die Notwendigkeit für ein Gespräch, denn wir müssen über verdammt viele Dinge reden, die vorgefallen sind, bevor du dich ohne ein Wort einfach davongemacht hast.«

  »Nein, das müssen wir nicht«, schnauze ich abwehrend. »Es gibt nichts, worüber wir reden müssten. Wir haben eine Aufgabe zu erledigen. Lass uns das einfach so professionell und elegant wie möglich über die Bühne bringen, und dann können wir getrennter Wege gehen. Die Vergangenheit kann bleiben, wo sie ist – in der Vergangenheit.«

  Er schaut mich lange an, und zahlreiche Emotionen huschen so schnell über sein Gesicht, dass ich keine einzige davon identifizieren kann.

  »Du denkst, dass das hier vorbei ist.« Seine Worte klingen ungläubig. Er deutet zwischen uns hin und her, als wäre allein die Vorstellung schon lächerlich.

  Ich atme zu schnell. »Nein … Ich weiß, dass es vorbei ist. Und das bereits seit zwei Jahren.«

  »Felicity. Lass uns mal etwas klarstellen.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch, während ich warte, und versuche, nicht unter dem Gewicht all der Worte, die auszusprechen ich mir nicht gestatte, zu ersticken. Ich versuche, mich nicht in den Strudel aus Emotionen hineinziehen zu lassen, den ich in seinen Augen wirbeln sehe.

  »Das mit uns?« Er lehnt sich vor, und ich schwöre, dass die Welt stehen bleibt. »Das ist nicht vorbei. Es war vor zwei Jahren nicht vorbei. Und es ist jetzt nicht vorbei. Es wird niemals vorbei sein, egal wie viel Zeit vergeht oder wie viel Entfernung zwischen uns liegt.«

  »Ich …« Ich öffne den Mund, um ihm zu widersprechen, aber nicht eine einzige Silbe kommt mir über die Lippen.

  »Mir ist es egal, wenn du mir nicht glaubst. Mir ist es egal, wenn du mich hasst«, sagt er ungerührt. Seine Worte stellen einen krassen Gegensatz zu der Leidenschaft in seinem Blick dar. »Du bist ein Teil von mir, Felicity. Du bist in meine DNA eingeprägt. Du bist in mein verdammtes Knochenmark eingebettet. So etwas verschwindet nicht. Auch nicht nach zwei Jahren. Niemals.«

  Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um, verlässt den Raum und lässt mich mit seinen Worten zurück, die immer noch wie eine Prophezeiung in der Luft nachhallen.

  Wie ein Schwur.

  7. KAPITEL

  Ryder

  Ich nehme die Treppe und renne Stufe für Stufe nach oben. Meine Schritte werden nicht langsamer, während ich in das Stockwerk hinaufsteige, in dem Francesca mir eine Wohnung besorgt hat.

  Ich bin so verdammt wütend, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann.

  Ich bin nicht deinetwegen hierher zurückgekehrt, Ryder.

  Ich bin zurückgekehrt, weil ich vertraglich dazu verpflichtet war.

  Ich wusste, dass ein Wiedersehen mit ihr einer Folter gleichkommen würde. Aber das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich seit unserer letzten Begegnung so sehr verändert haben würde. Es sind nicht nur das blonde Haar und die kantigen Wangenknochen oder der verhärmte Ausdruck auf ihrem Gesicht und der blasse Ton ihrer Haut. Es ist die Art, wie sie mich angeschaut hat. Die Kälte in ihrem Blick, die ich nie zuvor bei ihr gesehen habe. Die Distanz in ihrem Tonfall, die mir unmissverständlich klarmacht, dass ich nun ein Fremder für sie bin. Ein Fremder, dem man nicht vertrauen kann und den man nicht zu nah an sich heranlassen darf.

  Wir haben einander nichts mehr zu sagen.

  Oh, Baby, da liegst du falsch. Und zwar so was von falsch. Es gibt nämlich noch eine ganze Menge zu sagen.

  Nein, nicht zu sagen – zu schreien, und zwar in voller Lautstärke.

  Dinge wie »Ich bin clean« und »Es tut mir leid«.

  Dinge wie »Ich habe dich jeden einzelnen Tag vermisst« und »Ich kann nicht ohne dich leben«.

  Ich würde es herausschreien, bis ich blau im Gesicht wäre, wenn ich glauben würde, dass sie mir ihr Gehör schenkt.

  Sobald die Tournee vorbei ist, bin ich weg. Also besteht keine Notwendigkeit für eine große, dramatische Diskussion. Wir müssen die alten Geschichten nicht wieder ausgraben.

  Schon bei unserer ersten Begegnung hatte sie Mauern um sich herum errichtet. Aber nun hat sie eine verdammte Festung um sich gebaut, die so verflucht hoch ist, dass sie selbst gar nicht mehr zu sehen ist. So mächtig, so uneinnehmbar, dass ich nicht mal mehr einen Hauch der Frau entdecken kann, die sie mal war. Eine Frau, deren goldene Augen trotz der Schrecken, die sie als Kind übe
rlebte, so voller Licht waren.

  Das habe ich immer am meisten an Felicity geliebt – aus irgendeinem Grund haben der Schmerz, den sie durchgemacht hat, und die Qualen, die ihre Eltern sie erleiden ließen, nicht dazu geführt, dass sie hart oder kaltherzig geworden wäre, obwohl diese Erlebnisse so ziemlich jeden anderen Menschen zerstört hätten. Sie wanderte durch diese Dunkelheit und strahlte trotzdem umso heller. Sie war stark, ohne hart zu sein. Sie war von einer stillen Widerstandsfähigkeit, die die meisten Menschen fälschlicherweise übersahen. Eine Magnolie aus Stahl wie bereits ihre Großmutter vor ihr.

  Meine Nachtigall mit den zerbrechlichen Flügeln, die in den Schatten singt.

  Aber jetzt liegt eine neue Härte in ihrer Stimme, die vorher nicht da war. Ihre Augen sind verhangen mit einem Schutzschild aus Trauer und Schmerz, der ihr die Sicht auf die Dinge versperrt. Als sie so vor mir stand und wie eine Fremde aussah statt wie die Frau, die ich liebe, wollte ich sie an den Schultern packen und die Antworten auf die Fragen, wo sie gewesen ist und warum sie einfach abgehauen ist, ohne mir die Gelegenheit zu geben, ihr alles zu erklären, aus ihr herausschütteln. Ich wollte sie anschreien, bis sie gezwungen gewesen wäre, mir zuzuhören, wie ich die letzten zwei Jahre mit ein paar unbesonnenen Worten wegerklärte.

  Es erforderte meine ganze Willenskraft, dieses Bedürfnis zu unterdrücken. So wie es meine ganze Selbstbeherrschung erforderte, dort zu stehen und sie durch die Glasscheibe beim Singen zu beobachten, während ihr gebrochener Text überall um mich herum aus den Lautsprechern hallte und jede Zeile ein wenig tiefer in mich hineinschnitt: der Tod der tausend Schnitte, herbeigeführt durch ein Lied.

  Now the kingdom’s torn up at the seams

  And this is too much pain, too much pain … for nineteen …

  Ihr zwanzigster Geburtstag war vor ein paar Wochen, also muss das, worüber sie dieses Lied geschrieben hat, irgendwann zwischen diesem Zeitpunkt und unserer letzten Begegnung passiert sein. So gern ich auch denken würde, dass es darin nur um unsere Trennung geht … um die Nachwirkungen meiner Verhaftung und der Abwärtsspirale, die darauf folgte … kenne ich sie dafür doch zu gut.

 

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