Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht

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Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht Page 8

by Julie Johnson


  Als das Gelächter schließlich nachlässt, ist die Luft im Raum ein wenig wärmer geworden. Es ist noch nicht wieder alles in Ordnung – bei Weitem nicht –, aber wenigstens schlagen wir uns nicht mehr gegenseitig die Köpfe ein. Wir gehen wieder höflich miteinander um.

  Ich weiß, dass es vielleicht nie wieder so werden wird, wie es war, als wir zum ersten Mal nach L. A. kamen: Diese Abende, an denen wir stundenlang zusammensaßen, unseren Spaß hatten und lachten und an unserem ersten Album arbeiteten. Damals konnten wir unser Glück kaum fassen und waren so froh darüber, dass wir uns niemals hätten vorstellen können, wie schnell alles den Bach runtergehen würde.

  Wir waren mehr als nur Freunde. Wir waren eine Familie.

  Wildwood.

  Bevor die Verlockungen der Partyszene von L. A. stärker wurden als die Liebe zur Musik. Bevor ich allein dastand und sie nicht davon abhalten konnte, in Sphären abzudriften, in denen ich sie nicht erreichen konnte. Bevor sie anfingen, jedes Interview zu verpassen und auf unsere Verpflichtungen zu pfeifen, was dazu führte, dass ich die ganze Verantwortung allein tragen musste …

  Mein Lächeln verblasst bei der Erinnerung daran. Plötzlich weiß ich wieder, warum ich nicht zulassen darf, dass alles wieder so wird wie früher, egal wie gern ich diese entspannte Freundschaft, die wir einst miteinander teilten, wiederherstellen würde. Dieser vertraute Umgang mag sich hier und jetzt gut anfühlen, aber ich weiß besser als jeder andere, dass das Ganze langfristig gesehen unweigerlich auf akuten Herzschmerz hinauslaufen wird.

  Dabei kann von langfristig keine Rede sein, rufe ich mir streng ins Gedächtnis. Das hier ist nicht von Dauer.

  In vier Monaten werde ich in mein Häuschen auf Cape Cod zurückkehren, und das alles wird eine ferne Erinnerung sein.

  Sie werden eine ferne Erinnerung sein.

  Ryder beobachtet mich immer noch vorsichtig von der anderen Seite des Raums aus. Er betrachtet mein Gesicht, als könnte er genau sehen, welchen Weg meine Gedanken eingeschlagen haben. Ich reiße den Blick von seinem los und wende mich der Tür zu. Als ich über die Schulter schaue, um etwas zu sagen, bemühe ich mich um einen beiläufigen Tonfall.

  »Ich muss ein paar Dinge erledigen, also werde ich jetzt verschwinden. Wir sehen uns morgen.«

  Ich schaue nicht in ihre Gesichter und warte auch keine Reaktion ab. Stattdessen gehe ich einfach zur Tür hinaus Richtung Aufzug. Ich drücke schnell auf den Knopf und hoffe, dass der Aufzug kommen wird, bevor mir einer von ihnen nach oben folgen kann. Als sich die Tür mit einem leisen Bimmeln öffnet, denke ich, dass ich es geschafft habe …

  Bis sich Ryder in letzter Sekunde in die Kabine quetscht.

  Mist.

  Als die Tür zugleitet und uns in diesem beengten Raum einsperrt, höre ich auf zu atmen. Er drückt auf den Knopf für den siebten Stock – ein Stockwerk unter meinem –, bevor er sich an die gegenüberliegende Wand lehnt. Seine Miene ist undurchsichtig, als er mein Gesicht betrachtet. Seine Augen sind glasklar. Ich entdecke keine Anzeichen der Drogen, die seinen Blick in den Wochen vor meiner hastigen Abreise trübten.

  Vielleicht ist er endlich clean, schlägt meine hochgeschraubte Hoffnung vor.

  Oder vielleicht ist er einfach nur besser darin geworden, die Anzeichen zu verbergen, rufen mir meine bittersten Erinnerungen ins Gedächtnis.

  Ich kann ihn absolut nicht lesen. Weder die Gedanken in seinem Kopf noch die Absichten, die dahinterstecken. Er lässt den Blick auf meinem Haar ruhen, und nach einer Weile schüttelt er den Kopf und wendet sich ab.

  »Was?«, frage ich, da ich nicht eine Sekunde länger in der Lage bin, sein Schweigen zu ertragen.

  »Dein Haar.«

  Ich erwidere nichts.

  »Es gefällt mir nicht«, sagt er unverblümt.

  Ich schnappe ungläubig nach Luft. »Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten.«

  »Du siehst nicht mehr wie du aus.«

  »Tja, du kennst mich nicht mehr.«

  »Und wessen Schuld ist das, Felicity?«, schnauzt er frustriert zurück.

  Abgesehen von einem kleinen Zucken, das ich nicht ganz zurückhalten kann, unterdrücke ich jegliche Reaktion. In meinen Augen flammt jedoch Wut auf und teilt ihm meine Gedanken mit wie ein blinkendes Neonschild.

  Wessen Schuld das ist? Es ist deine, Ryder, und das weißt du.

  Ich mag gegangen sein … Aber du bist derjenige, der mich dazu gebracht hat.

  Seine Gesichtszüge entgleiten ihm so schnell, dass es schwerfällt, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, in dem er von Wut zu Reue wechselt. Ich wende den Blick ab und konzentriere mich auf die Stockwerkanzeige über uns. Wir haben sein Stockwerk fast erreicht.

  Ich kann spüren, wie er während der restlichen Fahrt mein Gesicht nicht aus den Augen lässt. Und ich kann immer noch seine Worte von gestern Nacht hören, die in der Luft zwischen uns widerhallen.

  Das mit uns ist nicht vorbei. Es war vor zwei Jahren nicht vorbei. Und es ist jetzt nicht vorbei.

  Es wird niemals vorbei sein, egal wie viel Zeit vergeht oder wie viel Entfernung zwischen uns liegt.

  Als sich die Türen in seinem Stockwerk öffnen, tritt er schweigend aus der Kabine. Ich gehe davon aus, dass er ohne ein weiteres Wort an mich davongehen wird, doch im letzten Moment dreht er sich um.

  Seine straffen Muskeln spannen sich an, als er die Türen aufhält. In den Tiefen seiner Augen liegt eine Herausforderung, als er sie auf mich richtet – der bloße Anblick sorgt dafür, dass meine Knie weich werden. Und als er schließlich spricht, ist sein Tonfall eine solch drastische Mischung aus Leidenschaft und Frustration, dass mir der Atem stockt.

  »Ich weiß, dass es meine Schuld ist, okay? Ich weiß es. Ich bin der Böse. Ich habe das verbockt. Ich habe das mit uns in den Sand gesetzt. Ich weiß, dass du sauer auf mich bist. Und weißt du was? Ich bin auch ziemlich sauer auf mich.« Sein Kiefer zuckt, weil er seine Emotionen kaum im Zaum halten kann. »Wenn du mir die Schuld geben willst, wenn du mich hassen willst … dann stell dich gefälligst hinten an. Du kannst mich anschreien und weinen und mich verfluchen, du kannst toben und mich hassen und mich verachten … aber das ändert alles nichts an unserer Situation.«

  Ich starre ihn mit großen Augen an und wage es kaum zu atmen.

  »Du hast mich für die nächsten vier Monate an der Backe, ob es dir nun gefällt oder nicht. Bei den Proben, den Auftritten, während wir von einem Ort zum anderen reisen. Du wirst das Mikro, den Bus und deine Privatsphäre mit mir teilen müssen. Du kannst versuchen, deine Mauern aufrechtzuerhalten, Baby, aber du solltest wissen …« Er senkt den Kopf, und seine Stimme wird zu einem Flüstern. »Dass ich sie einreißen werde. Eine nach der anderen, Stein für Stein, wenn nötig mit bloßen Händen. Es mag eine Woche oder einen Monat oder den Rest meines verdammten Lebens dauern … Aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde nicht aufhören. Also nur zu. Meide den Augenkontakt mit mir, tu vor den Jungs ruhig so, als würde ich nicht existieren, tu so, als gäbe es zwischen uns nichts mehr … Aber ich werde nicht verschwinden. Gewöhn dich dran.«

  Er lässt die Hände sinken und tritt zurück, damit sich die Türen schließen können. Sie gleiten zu und versperren mir die Sicht auf ihn.

  Ich schwöre, dass ich erst wieder atme, als ich sicher in meinem Stockwerk angelangt bin und mich in meinem Penthouse verschanzt habe. Hier bin ich außerhalb seiner Reichweite und frei vom Einfluss dieser magischen zweifarbigen Augen.

  9. KAPITEL

  Felicity

  Die nächsten paar Tage vergehen in einem verschwommenen Wirbel aus Proben. Seit unserem ersten frostigen Tag ist die Stimmung unter den Bandmitgliedern ein wenig aufgetaut und wir klingen mit jedem Durchgang besser. Wir sind noch nicht wieder ganz so gut wie früher, aber es wird. Sogar Francesca wirkte zufrieden, als wir gestern Abend fertig waren.

  Ich floh mit ihr in den Aufzug, da ich es nicht riskieren wollte, erneut mit Ryder darin gefangen zu sein. Es ist unmöglich, ihm vollständig aus dem Weg zu gehen, aber bislang ist es mir gelungen, nach
jeder Probe ohne eine weitere hitzige Konfrontation in meine Abgeschiedenheit zurückzukehren. Während der Stunden, die wir zusammen im Studio verbringen, halte ich einen Sicherheitsabstand ein – ich komme ihm nie zu nah und lasse unsere Unterhaltungen nicht über oberflächlichen Small Talk hinausgehen.

  Bei der dritten Strophe warst du richtig gut.

  Lass uns den Text noch einmal durchgehen.

  Kannst du mir meine Wasserflasche reichen?

  Ryder sagt seinerseits nicht besonders viel. Zumindest nicht mit Worten. Aber mit den Augen – ganz selten lasse ich zu, dass sich unsere Blicke begegnen – sagt er so viel, dass mir Schauer über den Rücken laufen. Ich habe den unerklärlichen Eindruck, dass er … wartet. Auf den richtigen Augenblick.

  Doch worauf genau er wartet, ist und bleibt mir ein Rätsel.

  Anstatt mich mit Grübeleien darüber verrückt zu machen, konzentriere ich mich jeden Tag voll und ganz auf die Musik. Ich fülle meinen Kopf mit Noten und Melodien, bis er überquillt und es darin keinen Platz mehr für Gedanken an den Mann gibt, der an meiner Seite singt. Immer wenn ich nachts nicht schlafen kann, schreibe ich in mein Notizbuch – halbfertige Texte und Ideen für Lieder. Alles, was mich ablenkt.

  Bislang hat das wunderbar funktioniert.

  Der heutige Tag stellt jedoch eine neue Herausforderung dar – unser Interview mit Eileen Dillan, der Königin des Nachmittagsprogramms, steht an. Es ist mein erstes öffentliches Interview seit meiner Rückkehr nach L. A. Verflixt, es ist praktisch mein erster Termin außerhalb des Studios von Route 66, seit ich diese Küste betreten habe. Francesca hat mich darauf vorbereitet, dass die Paparazzi ganz wild auf ein Foto von mir sind und jeden meiner Schritte eifrig dokumentieren werden.

  Ob Sie nun blond sind oder nicht, warnte sie mich mit einem nachdrücklichen Blick auf mein Haar. Sie werden das Studio in Scharen umschwärmen. Bereiten Sie sich darauf vor.

  Also habe ich den Morgen im Kline verbracht, einem schicken neuen Salon am Rodeo Drive. Die Besitzerin, Harper Kline, hat lavendelfarbenes Haar und ist zurzeit eine der begehrtesten Stylistinnen in Hollywood. Auf ihrer Kundenliste stehen große Stars. Alle von Katharine Firestone bis hin zu Nicole Kidman wurden schon beim Verlassen des exklusiven Haar- und Make-up-Studios gesehen, seit sie den Laden letztes Jahr eröffnet hat.

  Normalerweise dauert es sechs Monate, bis man einen gewöhnlichen Termin bekommt, ganz zu schweigen von einer exklusiven Behandlung, die den ganzen Morgen dauert. Aber Francesca wäre nicht Francesca, wenn sie nicht die unfehlbare Fähigkeit besäße, ihre Beziehungen spielen zu lassen. Und deswegen starre ich jetzt in einem edlen Salon mein Spiegelbild an und bewundere Harpers Werk mit weit aufgerissenen Augen. Ich muss zugeben, dass sie jeden Penny der astronomischen Summe, die Route 66 für mein stundenlanges Styling ausgegeben hat, wert ist. Meine dunklen Haare sind wieder da, und ich sehe endlich wieder wie ich selbst aus.

  Eigentlich eher wie eine verbessere Version von mir selbst.

  Felicity 2.0.

  Schicke mahagonifarbene Strähnen fallen mir in schimmernden Wellen über die Schultern. Die langen Ponyfransen, die mir in die Stirn fallen, wirken eindeutig mondän. Die Art, wie sie mich geschminkt hat, hat etwas beinahe Sinnliches an sich und lässt meine gold-braunen Augen in dem bläulichen Deckenlicht schimmern.

  »Ziemlich gut, oder?« Harper zwinkert mir zu.

  »Besser als gut«, pflichte ich ihr bei und starre mich wie gebannt an.

  »Gott, ich wünschte, all meine Kunden hätten Haare wie Sie. Das würde mein Leben so viel leichter machen.« Harper streicht mit den Händen über meine frisch gestylten Strähnen und glättet einzelne Haare, die sich schwer bändigen lassen. Sie lächelt, als sich unsere Blicke im Spiegel begegnen. »Der richtige Blondton würde Ihnen sehr gut stehen, verstehen Sie mich da nicht falsch. Aber das Platinblond, mit dem Sie heute Morgen hier hereinkamen, war zu streng für Ihren Hautton – dieses tiefe Dunkelbraun schmeichelt Ihrem Teint sehr viel mehr. Sehen Sie?« Sie reicht mir einen Handspiegel und dreht mich mit dem Stuhl herum, damit ich mir mein Haar von hinten anschauen kann. »Ich habe ein paar dunklere Strähnen hinzugefügt, um dem Farbton mehr Tiefe zu verleihen, und ein paar hellere Strähnen, die Ihr Gesicht umschmeicheln. Die Ponyfransen sind perfekt – elegant und sexy. Das sieht sehr viel erwachsener aus als der Look von vor zwei Jahren, aber es sind immer noch unverkennbar Sie.« Sie grinst triumphierend. »Man wird Sie einfach nur hinreißend finden, Schätzchen.«

  »Danke, Harper.«

  Sie dreht mich wieder zum Spiegel herum. »Das Make-up habe ich einfach gehalten – taufrische Wangen, schimmernde rosafarbene Lippen, strahlender goldener Lidschatten, um Ihre Augen zu betonen. Ein frisches Gesicht, das zu Ihrem Neuanfang passt.« Sie schaut mir in die Augen. »Gefällt es Ihnen?«

  »Es ist toll. Wirklich. Ich liebe die neue Haarfarbe, und das Make-up ist perfekt.«

  Sie beugt sich näher zu mir hin und zieht die Augen zusammen. »Sie müssen jetzt nur noch ein wenig lächeln …«

  Ich unternehme einen halbherzigen Versuch, aber es ähnelt eher einer Grimasse als einem Grinsen. »Tut mir leid, ich bin einfach …« Ich verstumme.

  »Nervös wegen Ihres großen Interviews? Das müssen Sie nicht sein. Alle lieben Ihre Musik, und die Leute sind ganz wild darauf zu erfahren, was Sie in der Zeit getrieben haben, seit sie aus dem Rampenlicht verschwunden sind.«

  »Genau davor habe ich ja Angst«, murmle ich.

  Sie tut meine Worte mit einer wegwerfenden Geste ab. »Sie sind Felicity Wilde – die eine Hälfte von Amerikas Lieblingspromipaar. Die Leute werden so begeistert sein, wenn sie erfahren, dass Sie und Ryder endlich auf Tournee gehen werden, dass Sie gar nicht mehr viel sagen müssen. Außerdem macht Eileen Dillan ihren Job schon so lange, dass sie mittlerweile ein echter Profi ist. Sie wird dafür sorgen, dass das Interview weiterläuft, falls Sie ins Stocken geraten – was nicht passieren wird.«

  »Danke, Harper.« Ich schenke ihr ein Grinsen. »Werden Sie dafür bezahlt, beruhigend auf mich einzureden, oder ist das alles im Preis inbegriffen?«

  Sie schnaubt leise. »Wissen Sie, das ist eigentlich eine tolle Idee. Ich sollte mir eine Approbation besorgen und L. A. s erste Psychiaterfriseurin werden. Überlegen Sie doch nur mal, wie praktisch das wäre – ich style Ihnen die Haare und löse nebenbei noch schnell Ihre psychischen Probleme – alles in einer Sitzung! Ich arbeite mich zu Ihren emotionalen Wurzeln vor, während ich die herausgewachsenen auf Ihrem Kopf neu färbe!«

  »Sie würden ein Vermögen verdienen.«

  »Vor allem in dieser Stadt.«

  Wir kichern beide.

  Nach einem Moment werden ihre Augen ernst. »Wissen Sie, Felicity … Scherz beiseite. Wenn Sie je jemandem zum Reden brauchen … bin ich für Sie da. Mir ist klar, dass Sie mich nicht besonders gut kennen, dass ich einfach nur eine Fremde bin, die in den letzten paar Stunden an Ihnen herumgedoktert hat … Und vielleicht gehe ich gerade zu weit. Normalerweise würde ich nichts sagen. Aber ich sehe diesen Blick in Ihren Augen und erkenne ihn so deutlich.« Sie klemmt sich eine lilafarbene Haarsträhne hinters Ohr, und ihre Augen füllen sich mit einem Kummer, der meinen eigenen widerspiegelt. »Ich habe das Gleiche durchgemacht wie Sie. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Rückkehr in dieses Leben und die Anstrengung, wieder zu dem Menschen zu werden, der man einmal war … das Schwerste auf der Welt ist. Sogar noch schwerer als das, wovor man ursprünglich davongelaufen ist.«

  Ich hole tief Luft. Bislang ist unsere Unterhaltung locker und unbeschwert gewesen und hat sich um aktuelle Themen, unsere Lieblingsfilme und die besten Restaurants in L. A. gedreht. Ihr plötzlicher intuitiver Themenwechsel ist ein regelrechter Schock.

  Ich schlucke schwer und halte ihrem Blick stand. »Woher wussten Sie …?«

  »Meiner Erfahrung nach verändert eine Frau ihre Frisur nur dann so drastisch – und ein Wechsel von dunkel zu blond ist drastisch –, nachdem man ihr ganz furchtbar das Herz gebrochen oder sie einen gewaltigen Verlust erlitten hat.« Sie legt den Kopf
schief und schaut mich nachdenklich an. »Was war es bei Ihnen?«

  Eine blaue Schachtel in einer Nachttischschublade.

  Eine Eichenholzkiste im Boden am Meer.

  Ein weißer Sarg in der kalten Erde.

  »Beides«, flüstere ich mit brüchiger Stimme. »Mir ist beides zugestoßen.«

  Sie nickt, als könne sie das nur zu gut nachvollziehen. »Falls es hilft: Es wird leichter. Dieses Gefühl, als würde man ertrinken, als hätte man nicht genug Luft zum Atmen … Es geht vorbei, auch wenn die Trauer bleibt. Eines Tages wachen Sie auf und atmen wieder, ohne es zu merken.«

  Sie sieht mir im Spiegel fest in die Augen. Wir sind zwei Frauen, die so gut wie nichts übereinander wissen, und dennoch einen Moment gegenseitigen Verständnisses teilen. Ich frage mich flüchtig, was sie durchgemacht hat, welchen Verlust sie erlitten hat, der ihr so ins Gesicht geschrieben steht. Aber ich frage nicht nach. Es genügt, einfach nur zu wissen, dass dort draußen noch jemand anders ist, der die Trauer überlebt und zu sich selbst zurückgefunden hat.

  Zu meinem Erschrecken stelle ich fest, dass ich mit den Tränen kämpfe.

  Es ist schon so lange her, seit ich jemanden auf meiner Seite hatte, es ist so lange her, seit ich eine Freundin hatte, der ich mich anvertrauen konnte. Ich bin regelrecht erschüttert, als mir klar wird, wie schrecklich einsam mein Leben geworden ist. Wie sehr ich mich nach einer Schulter sehne, an der ich mich ausweinen kann, nachdem ich zwei Jahre damit verbracht habe, mich immer wieder zusammenzureißen.

  Ich sollte mittlerweile daran gewöhnt sein.

  Ich sollte stärker sein.

  Immerhin habe ich meine ganze Kindheit damit verbracht, mich nur auf mich selbst zu verlassen. Aber sobald man einmal jemanden an sich herangelassen hat, sobald man sich daran gewöhnt hat, dass sich jemand anders um einen kümmert … ist es schwer, in ein Leben stoischer Einsamkeit zurückzukehren.

 

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