Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 12

by Bianca Iosivoni


  »Warum tust du dir das eigentlich an?«, fragte er plötzlich.

  Ich blieb auf halbem Weg zwischen unseren Wohnheimen stehen und drehte mich zu ihm um. Ich musste die Augen zusammenkneifen, weil es inzwischen so hell war und die Sonne mich blendete, trotzdem bemerkte ich den nachdenklichen Ausdruck in seinem Gesicht.

  »Was meinst du? Wieso nicht?«

  »Komm schon …« Er wippte auf den Fußballen vor und zurück, als könnte er selbst nach dieser mörderischen Sporteinheit nicht still halten. »Ich bin nicht blind. Ich sehe doch, dass es dir keinen Spaß macht. Du zwingst dich zu diesem Workout. Warum?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Das ist meine Entscheidung, oder?«

  »In anderen Worten: Es geht mich immer noch nichts an.« Er lächelte entwaffnend. »Schon gut. Ich hab’s kapiert. Sieh zu, dass du nicht zu kalt duschst. Dein Körper braucht Wärme und Magnesium nach dem Training, um Muskelkater vorzubeugen. Oder eine Massage«, fügte er augenzwinkernd hinzu.

  Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, joggte Mason bereits zu seinem eigenen Wohnheim. Jawohl, er joggte. Nach unserem ganzen Army-Workout. Dieser Kerl war eindeutig verrückt.

  Noch immer schwer atmend und mit einem unangenehmen Ziehen in der Seite schleppte ich mich in den Aufzug und drückte die Taste für die vierte Etage. Meine Beine brannten bereits wie Feuer, da würde ich jetzt sicher keine Treppen mehr laufen, auch wenn das besser gewesen wäre.

  Auf dem Weg nach oben tauchte Masons Frage wieder in meinem Kopf auf. Warum tat ich mir das eigentlich an?

  Ich wünschte, die Antwort darauf wäre einfach oder überhaupt in Worte zu fassen. Tatsächlich mochte ich es, mich zu bewegen und fit zu halten, auch wenn ich nie eine Sportfanatikerin gewesen war, aber regelmäßiges Training hatte schon immer zu meinem Alltag gehört. Dieses Bootcamp hingegen?

  »Oh, Schätzchen. Ein bisschen mehr Bewegung würde dir guttun.«

  »Was denn? Sit-ups und Liegestützen?«

  »Das versteht sich von selbst. Aber im Grunde reicht doch schon ein simples Kopfschütteln, wenn dir jemand Essen anbietet.«

  Ich biss mir fest auf die Unterlippe. Genau deshalb tat ich es. Wegen solcher Kommentare. Von Mom. Von Daniel. Von irgendwelchen Cheerleadern, die mit uns und den anderen Spielern abhingen und die mich mit kritischen Blicken bedachten. Es war geradezu ironisch, dass ich früher alle möglichen Sprüche zu hören bekommen hatte, weil ich zu dünn gewesen war, und wie schnell das ins Gegenteil umgeschlagen war, als ich mit den Schönheitswettbewerben begonnen hatte.

  Solche Aussagen sollten mich wütend machen, aber mittlerweile fragte ich mich nur noch, ob ich nicht einfach zu empfindlich geworden war? Zog ich das Training tatsächlich noch für mich selbst durch? Um mich fit zu halten? Ich wünschte, ich könnte es bejahen, aber ich wusste, dass das nur ein Teil der Wahrheit war. Moms wiederkehrende Erinnerungen an den Wettbewerb, für den sie mich Anfang des Semesters angemeldet hatte, war der beste Beweis dafür. Aber das würde ich nie vor meinem unfreiwilligen Trainer zugeben. Das war einfach zu erniedrigend.

  In der richtigen Etage angekommen, trat ich aus dem Fahrstuhl, holte die Schlüsselkarte aus meiner Hosentasche – und blieb wie angewurzelt stehen, als ich die vertraute Gestalt vor meinem Zimmer entdeckte.

  »Hey …«, begrüßte ich sie langsam. Irritiert. Schließlich war Samstag und noch nicht mal acht Uhr.

  »Hey.« Emery stieß sich von der Wand ab. Sie trug das platinblonde Haar mit den rosa Spitzen trotz der schwülwarmen Temperaturen offen, dazu ein buntes Tanktop, eine dünne schwarze Hose und ihre pinkfarbenen Chucks. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten, als ich näher kam und die Tür entriegelte. Meine beste Freundin wirkte nachdenklich, aber vor allem übernächtigt. Sie hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, die Schatten unter ihren Augen zu überschminken. Oder vielleicht hatte sie das sogar, nur waren die so dunkel, dass sie selbst unter Concealer und Make-up hindurchschimmerten.

  »Alles okay?«, fragte ich und ging voraus zu meinem Schreibtisch. Neben meinem Laptop hatte ich vor dem Training bereits ein Handtuch und saubere Sachen bereitgelegt.

  »Mhm«, machte Emery und ließ sich wie selbstverständlich auf mein gemachtes Bett fallen.

  »Ich geh kurz duschen, ja?«

  Sie nickte und nahm sich eine der Zeitschriften von meinem Nachttisch, obwohl wir beide wussten, dass sie sich nicht sonderlich für die neuesten Modetrends interessierte. Einen Moment lang beobachtete ich sie dabei, wie sie gelangweilt durch die Seiten blätterte, dann ging ich kopfschüttelnd ins Bad. Was auch immer mit Emery los war, ich würde es mit Sicherheit in den nächsten Minuten erfahren. Sie war nicht der Typ dafür, mit ihren Problemen hinterm Berg zu halten. Nicht mir gegenüber. Nicht nach dem ganzen Drama in unserer alten Highschool und in der Anfangszeit hier am College. Als Kinder waren wir mal die besten Freunde gewesen, dann hatten wir uns zerstritten und seither nie mehr so richtig leiden können. Nein, das war untertrieben. Sie hatte mich dafür gehasst, dass ich das beliebteste Mädchen der Schule gewesen war, und ich sie dafür, dass es sie überhaupt keine Anstrengung kostete, von allen gemocht zu werden. Und als dieser Skandal jede Sympathie für Emery ins Gegenteil verkehrt hatte, hatte ich sie nur noch mehr gehasst, insgeheim aber darum beneidet, dass sie sich nicht um die Meinungen und das Getuschel der Leute zu scheren schien.

  Unser Abschluss an der Highschool hätte der perfekte Schlussstrich sein sollen – die beste Voraussetzung dafür, dass wir einander nie wieder über den Weg laufen würden. Aber genau das war passiert. Ein Jahr später. Zweitausend Meilen entfernt an einem kleinen College in West Virginia. Und nachdem uns ein Prof für eine Projektarbeit zusammengesteckt hatte, war uns gar nichts anderes übrig geblieben, als uns miteinander zu arrangieren. Im Laufe der Zeit hatte Emery ihre harte, misstrauische Schale abgelegt, genau wie ich meine biestige. Sie wusste, dass sie jederzeit zu mir kommen konnte, genau wie ich zu ihr. Mittlerweile war von dem früheren Hass nichts mehr zu spüren, aber wir waren noch genauso brutal ehrlich zueinander wie früher.

  Ein Seufzen kam mir über die Lippen, als ich mich unter den lauwarmen Wasserstrahl stellte. Ja, ich wusste, dass ich nicht allzu kalt duschen sollte nach dem heutigen Training, aber etwas anderes war bei diesen Temperaturen einfach nicht möglich. Selbst wenn wir im Wohnheim eine funktionierende Klimaanlage hatten, war ich von den vielen Liegestützen, Sit-ups und dem Gerenne immer noch erhitzt. Wenigstens zitterten meine Muskeln nicht mehr so sehr und auch das Seitenstechen war verschwunden, als ich aus der Dusche trat und mich abtrocknete, aber ich spürte das Training trotzdem noch bei jeder Bewegung. Ich cremte mich schnell ein, zog Unterwäsche und ein Kleid an, dann kämmte ich mir das feuchte Haar, pflegte es mit etwas Haaröl, und kehrte schließlich zu Emery zurück.

  Sie saß noch immer auf meinem Bett, hatte das Interesse an der Zeitschrift aber wie vermutet verloren und tippte stattdessen auf ihrem Smartphone herum.

  »Was gibt’s Neues in der Welt?«

  »Keine Ahnung«, murmelte sie und warf es neben sich auf die Decke. »Aber in der Tierklinik hat sich jemand krankgemeldet und Dylan springt für ihn ein.«

  Ich blinzelte überrascht. »Hatte er gestern nicht schon die Spätschicht?«

  »Jepp.«

  »Und jetzt übernimmt er auch noch die Frühschicht?«

  »Mhm.«

  »Bist du sauer auf ihn?«

  »Auf wen?« Sie sah mich geradewegs an. »Auf den Kerl, der mein Freund ist und den ich in den letzten Wochen kaum zu Gesicht bekommen habe? Aber nein, warum sollte ich?«

  Oookay. Emery war nicht sauer. Sie war fuchsteufelswild. Und verletzt. Andernfalls wäre sie meinem Blick nie so schnell ausgewichen, als ich mich neben sie setzte und sie genauer in Augenschein nahm. Obwohl wir uns alles erzählen konnten, hasste sie es noch immer, ihre sensible Seite zu zeigen.

  »Hat er etwas dazu gesagt? Zu der neuen Schicht heute, meine ich.«

  Sie zuckte mit den Schultern und rang sich ein Lächeln ab. »Dasselbe wie immer. Er hat sich entschul
digt und mir erklärt, dass er arbeiten muss, es aber wiedergutmachen wird.«

  Ein Versprechen, das Dylan allem Anschein nach bisher nicht eingelöst hatte. Ich seufzte. Was Beziehungen anging, war ich nicht gerade die richtige Person, um Ratschläge zu erteilen. Ich war ja schon froh und überrascht darüber, dass es mit Daniel so gut lief und wir keinerlei Probleme und Diskussionen hatten, abgesehen davon, dass seine Trainingszeiten und meine Bandproben unseren Plänen manchmal in die Quere kamen. Allerdings war das mit Stephen im letzten Highschooljahr genauso gewesen, bis … ja, bis er sich anderweitig umgesehen hatte. Entschieden schob ich die Gedanken an meinen Ex beiseite und ignorierte das Ziehen in meinem Bauch. Wenn ich Emery schon keine guten Ratschläge geben konnte, konnte ich sie wenigstens etwas ablenken.

  »Wie war der Abend gestern noch?«, fragte ich das Erste, was mir spontan einfiel.

  »Ganz okay.« Sie dachte einen Moment lang nach. »Kane hat Myung-hee heimgebracht, kurz nachdem ich dir das letzte Mal geschrieben habe. Sorry, leider hab ich keine weiteren News zu den beiden.«

  Musste sie auch nicht. Ich würde jedes einzelne Detail später von Myung-hee selbst erfahren. Das Mädchen konnte kein Geheimnis für sich behalten. Ganz zu schweigen von irgendwelchen intimen Details. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich wusste mehr über ihr Sexleben als über mein eigenes.

  »Und du?«, hakte ich nach.

  »Ich bin noch eine Weile mit Jesse dageblieben.«

  Ausgerechnet mit Jesse … Und das, nachdem sie mir selbst geschrieben hatte, dass er sich an sie ranmachte und mir auch schon die langen Blicke aufgefallen waren, die er ständig in ihre Richtung warf. Dabei erinnerte Mason ihn in regelmäßigen Abständen daran, dass Emery einen Freund hatte – auch wenn Dylan nur noch selten zu sehen war. Wenn ich genauer darüber nachdachte, hatte ich ihn das letzte Mal vor den Sommerferien gesehen. Und inzwischen waren wir schon wieder drei Wochen auf dem Campus. Wenn Jesse Emery auch nur halb so viel Aufmerksamkeit schenkte, wie ich befürchtete, war ihm das ebenfalls aufgefallen.

  »Tut mir leid, aber ich muss fragen. Läuft da etwas zwischen dir und Jesse?«

  »Was? Nein! Natürlich nicht.« Ihre Augen wurden riesig, aber ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ihre Entrüstung nur gespielt war. Zumindest ein Teil davon.

  Herausfordernd zog ich die Brauen hoch und taxierte Emery so lange, bis sie die Scharade sein ließ.

  Seufzend ließ sie sich zurück aufs Bett fallen. »Da ist nichts«, beharrte sie und starrte an die Zimmerdecke, als könnte die irgendetwas für ihre aktuelle Situation. »Ich weiß, dass er auf mich steht, okay? Trotzdem sind wir nur Freunde und haben gestern Abend einfach nur ziemlich lang geredet. Das ist alles.«

  »Aber …?«

  »Aber …« Sie atmete tief ein und hörbar wieder aus. »Ich hasse es, dass Dylan so viel arbeiten muss und nie Zeit hat. Und ich hasse mich dafür, dass ich es hasse, weil ich weiß, wie dringend er das Geld braucht, und mir von Anfang an klar war, wie sehr ihn seine ganzen Verpflichtungen einspannen. Das will ich ihm auch gar nicht ausreden oder vorwerfen. Aber abgesehen von der einen Woche, die er in Montana war, haben wir uns schon den Sommer über kaum gesehen, weil er rund um die Uhr gearbeitet hat. Ich dachte, das wird jetzt besser, aber um ehrlich zu sein, ist es seit Semesteranfang nur noch schlimmer geworden.«

  »Warte mal, wolltet ihr nicht vor Kurzem für ein Wochenende an die Küste?«

  »Das hatten wir vor, aber wie so oft ist etwas dazwischengekommen, obwohl schon alles gebucht war. Elle und Luke sind an unserer Stelle gefahren.«

  »Und was ist mit dem einen Sonntagabend, als du mich dazu überreden wolltest, mit euch Burger essen zu gehen?«

  »Da war Dylan zwar dabei, aber wir waren nicht allein, sondern mit allen anderen unterwegs. Und danach ist er direkt zu seiner Spätschicht gefahren.«

  Das konnte doch nicht wahr sein. Ich weigerte mich, zu glauben, dass Emery und Dylan tatsächlich keine einzige freie Minute Zweisamkeit gehabt hatten. Dann fiel mir etwas ein.

  »Was ist mit der ersten Uniwoche? Dienstagmorgen. Du hast nicht in deinem Zimmer geschlafen. Zumindest warst du morgens um fünf nicht da.«

  »Ja, okay, da habe ich …« Emery setzte sich ruckartig auf. »Warte mal. Was hast du um fünf Uhr morgens in meiner WG gemacht?«

  Oh. Ups.

  »Gar nichts«, ruderte ich sofort zurück. »Ich wollte sowieso nicht zu dir.«

  Sie kniff die Augen zusammen. »Zu wem wolltest du dann?«

  »Zu … äh … zu Mason.«

  »Um fünf Uhr morgens?«

  Ich blinzelte. »Wenn man es genau nimmt, war es kurz vor fünf.«

  »Okay …« Emery blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Dann eben so: Was wolltest du um kurz vor fünf Uhr morgens von meinem Mitbewohner?«

  Ihre Reaktion hätte mich vielleicht zum Lachen gebracht, wäre da nicht dieser alarmierte Unterton in ihrer Stimme.

  »Gar nichts …?«

  »Grace!«

  Ich stieß die Luft aus. »Schon gut. Ich habe ihn dazu überredet, mit mir zu trainieren.«

  »Du …« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Und Mason?« Jetzt deutete sie mit dem Daumen hinter sich in Richtung des anderen Wohnheims. »Ihr trainiert zusammen?«

  »Ja.«

  »Ich dachte, du hasst die ganzen Workouts, die deine Mom dir immer aufgezwungen hat?«

  Abwehrend zog ich die Schultern hoch. »Tue ich auch.«

  »Aber du machst trotzdem Sport? Ausgerechnet mit Mason? Wäre Luke nicht die bessere Optio… okay, vergiss es.« Sie schüttelte den Kopf, aber ich meinte, die Andeutung eines ungläubigen Lächelns in ihrem Gesicht zu erkennen. »Gibt es da irgendwas, das ich wissen sollte? Über dich und Maze?«

  »Natürlich nicht!«, antwortete ich, bevor sie die Frage überhaupt zu Ende gebracht hatte. »Ich bin vergeben, schon vergessen? Und mehr als zufrieden. Außerdem ist er wieder glücklich mit Jenny vereint.«

  »Ja, fragt sich nur, wie lange.«

  Das gehörte zu den Dingen, über die ich gar nicht erst nachdenken wollte. Genauso wenig wie darüber, wie es war, zusammen mit ihm zu singen und auf der Bühne zu performen.

  Ich atmete tief durch, dann stand ich auf und hielt Emery die Hand hin. »Na los, komm.«

  »Muss das sein?«, murrte sie.

  Ich ließ die Hand sinken und gab ihr stattdessen einen Klaps auf den Arm. »Ja. Du wirst nicht hier herumsitzen und eine Trauermiene ziehen, nur weil dein Freund heute arbeiten muss. Das erlaube ich dir nicht. Es ist das Labor-Day-Wochenende! Die Sonne scheint, wir haben frei und müssen uns erst wieder ab Dienstag um die Uni und alles andere kümmern. Also lass uns etwas unternehmen!«

  Kapitel 9

  Grace

  Wir verbrachten den Tag zusammen mit Myung-hee, die uns jedes Detail vom vorherigen Abend erzählte. Nur gab es da leider nicht allzu viel zu berichten. Kane hatte sie nach Hause gebracht, es hatte einen kurzen, etwas seltsamen Moment gegeben, dann hatte er sich hastig verabschiedet. Kein Abschiedskuss. Keine Umarmung. Gar nichts. Also hatte ich nicht nur eine geknickte Freundin, die es aufzumuntern galt, sondern gleich zwei.

  Als Erstes gingen wir zusammen brunchen und deckten uns mit Pancakes, Waffeln, Bacon, Obst, Toast, Rührei und Kaffee ein und redeten über alles Mögliche, außer über Männer. Denn dieses Thema war heute verboten, wie Emery gleich zu Beginn unserer Frühstücksorgie erklärt hatte. Anschließend holten wir uns ein Eis, spazierten durch den Park in der Nähe des Colleges und sonnten uns ein paar Stunden im Gras. Nachmittags begleiteten wir Myung-hee nach Hause. Ihre Eltern grillten gerade und luden Emery und mich ein, zum Essen zu bleiben, und da es bereits köstlich roch, konnten wir nicht Nein sagen. Ich ignorierte mein schlechtes Gewissen und nahm mir vor, morgen ein Extratraining ohne Mason einzulegen. Oder auch zwei, wenn ich noch mehr Burger, gegrilltes Gemüse und Kuchen verschlang.

  Abends kehrten Em und ich pappsatt auf den Campus zurück, während Myung-hee das Wochenende über bei ihrer F
amilie bleiben würde.

  »Danke.« Emery umarmte mich fest.

  »Wofür?« Ich tätschelte ihr die Schulter und löste mich dann von ihr. »Dafür, dass ich dich mit Essen vollgestopft habe?«

  Sie lachte. »Für diesen Tag. Das habe ich gebraucht. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Vergiss das Gejammer von heute früh einfach.«

  Ich runzelte die Stirn. »Sicher …?«

  Aber statt mit einem entschiedenen Ja zu antworten, wie wir alle es von Emery gewöhnt waren, zog sie nur unschlüssig die Schultern hoch und zwang sich zu einem Lächeln. »Mal sehen. Ich halte dich auf den Laufenden.«

  »Sag Bescheid, wenn ich Dylan die Hölle heiß machen soll.«

  Jetzt grinste sie. »Keine Sorge, das mache ich schon selbst. Aber ich behalte das Angebot im Hinterkopf. Und jetzt geh zu deinem Typen, nachdem wir dich den ganzen Tag davon abgehalten haben. Er wartet sicher schon ganz ungeduldig.«

  »Hey«, protestierte ich. »Nichts geht über einen Mädelstag. Erst recht kein Kerl.«

  »Du sagst es, Schwester.« Sie winkte mir zum Abschied, dann steuerte sie ihr Wohnheim an. Hoffentlich war Dylan inzwischen von der Arbeit zurückgekehrt und die beiden konnten sich aussprechen.

  Ich seufzte tief und zufrieden, denn der Tag mit Emery und Myung-hee war wirklich schön gewesen. Auch wenn ich das Gefühl hatte, in den nächsten fünf Wochen nichts mehr essen zu können.

  Die Sonne ging bereits unter, aber es war noch immer warm und die Luft feucht und schwer. Einen Moment lang betrachtete ich das Farbenspiel aus Rosa, Orange und Violett am Abendhimmel, dann machte ich mich auf den Weg. Nicht in mein eigenes Wohnheim, sondern in das von Daniel. Wir hatten heute Morgen getextet, und ich hatte ihm versprochen, später noch vorbeizukommen. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so spät werden würde. Aber egal. Es war schließlich Samstagabend und kein Wochentag, bei dem wir am nächsten Morgen total früh in unsere Kurse mussten.

 

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