Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 17

by Bianca Iosivoni


  »Bitte, Grace.« Daniel machte einen Schritt auf mich zu und senkte die Stimme. »Du musst nichts sagen, nichts tun. Hör mir nur zu. Fünf Minuten. Mehr verlange ich gar nicht. Danach bist du mich für immer los.« Er kam noch einen halben Schritt näher. »Bitte.«

  Es schien ihm wirklich wichtig zu sein. In den letzten Monaten hatte ich viele Seiten von Daniel kennengelernt, aber die hier war neu. So ernst, so eindringlich wie in diesem Moment hatte ich ihn nie zuvor erlebt.

  Ich atmete tief durch, schaltete die Videos auf meinem Handy aus und ließ es in meine Collegetasche fallen. »Fünf Minuten.«

  Ein zaghaftes Lächeln erhellte sein Gesicht. »Danke.«

  Ohne uns absprechen zu müssen, ließen wir den Coffeeshop hinter uns und folgten dem gepflasterten Weg.

  Ich betrachtete Daniel von der Seite. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, war nicht rasiert und hatte sich trotz der warmen Temperaturen seine Teamjacke übergeworfen, fast so, als wäre ihm alles andere egal. Jetzt vergrub er die Hände in den Taschen seiner Jacke. Als er meinen Blick bemerkte, drehte er den Kopf zu mir.

  »Woher wusstest du, dass ich hier sein würde?«, fragte ich, bevor er etwas sagen konnte.

  »Es ist dein Lieblingscafé«, erwiderte er schlicht.

  Mein Herz zog sich für einen Sekundenbruchteil so sehr zusammen, dass es schmerzte. Ich hatte mit einem »Ich wusste es nicht« oder »Gut geraten« oder einer anderen Antwort gerechnet, die in diese Kategorie fiel. Womit ich definitiv nicht gerechnet hatte, waren diese Worte. Offensichtlich war ich ihm doch nicht völlig egal gewesen. Er hatte sich mein Lieblingscafé und meinen Stundenplan gemerkt. Was das Ganze nur noch schlimmer machte. Denn wenn ich ihm wichtig genug war, dass er sich an diese Details erinnerte und extra auf den Weg machte, um mich vor meinem Lieblingscafé abzufangen, wie hatte er mir dann so wehtun können?

  »Ich wollte schon am Wochenende mit dir reden«, begann er nach einer Weile leise.

  Wir befanden uns noch immer auf dem Campus, aber die Abstände zwischen den roten Backsteingebäuden wurden immer größer, genau wie die säuberlich gemähten Wiesen dazwischen. Neben dem Straßenverkehr war das Gluckern eines Brunnens zu hören. Von irgendwoher schallte Popmusik in unsere Richtung.

  »Erinnerst du dich noch an die Nacht nach dem Spring Break letztes Semester?«

  Ich nickte, da ich kein Wort herausbrachte. Wir hatten sie zusammen in seinem Zimmer verbracht, nachdem wir uns tagelang nicht gesehen hatten. Das Wiedersehen war leidenschaftlich, gefühlvoll und voller Gelächter gewesen. Später hatten wir stundenlang in seinem Bett gelegen, ich hatte mich an seine Seite geschmiegt, er den Arm um mich gelegt. Wir hatten über uns, zum ersten Mal aber auch über unsere früheren Beziehungen gesprochen. Ich hatte ihm von Stephen, dem Mistkerl, erzählt und er mir von dem Mädchen, mit dem er die ganze Highschoolzeit über zusammen gewesen war. Seine erste große Liebe, die dann mit ihren Eltern weggezogen war.

  »Das Mädchen, von dem ich damals gesprochen habe …« Er schluckte hart. »Sie ist wieder in der Stadt und geht seit diesem Semester hier aufs College. Ihr Name ist Ashley.«

  Ashley. Das Mädchen, das sein Zimmer am Samstagabend fluchtartig verlassen hatte. Er hatte nach dieser Nacht nicht oft von ihr gesprochen, aber wenn er es tat, konnte ich ihm anmerken, wie viel ihm noch immer an ihr lag. Und wie sehr er sich wünschte, sie eines Tages wiederzusehen. Und jetzt war sie zurück, studierte am selben College wie wir und war auch noch eine der Cheerleaderinnen, die Daniel und seine Teamkollegen regelmäßig anfeuerten.

  Ich blieb stehen, den unangetasteten Kaffeebecher noch in der Hand, und starrte Daniel an.

  »Es ist nicht so, wie du denkst. Wir haben nicht …« Er unterbrach sich, sah kurz zur Seite und atmete tief durch, bevor er sich mir wieder zuwandte. »Ich will dich nicht anlügen und behaupten, dass an dem Abend absolut nichts gelaufen ist. Aber ich habe nicht mit ihr geschlafen. Ich wollte dich nicht betrügen.«

  Ich ließ seine Worte auf mich wirken und versuchte irgendeinen Sinn darin zu finden. Bisher ohne Erfolg.

  »Als wir uns im Stadion wiedergesehen haben, das war … Ich wusste nicht mehr, was ich denken oder fühlen soll. Ash war so lange ein Teil meines Lebens. Scheiße, sie war mein Leben – und dann war sie auf einmal weg. Und jetzt ist sie plötzlich wieder da, obwohl wir seit ihrem Umzug keinen Kontakt mehr hatten. Sie wusste nicht mal, dass ich hier studiere. Es ist, als … als hätten wir plötzlich eine zweite Chance bekommen.«

  Eine zweite Chance. Ich wiederholte seine Worte in Gedanken langsamer, versuchte noch immer einen Sinn zu finden, einen Grund, warum er mir das alles erzählte.

  »Was soll …« Seufzend rieb ich mir über die Stirn. »Was soll ich deiner Meinung nach mit dieser Information anfangen?«

  Er ließ die Schultern hängen. »Ich hoffe, dass du es irgendwie verstehen kannst. Du musst mir nicht verzeihen, aber vielleicht begreifst du irgendwann, dass ich dir niemals wehtun wollte, Grace.«

  Widerwillig musste ich mir eingestehen, dass ich ihm das sogar glaubte. Vielleicht machte mich das naiv, aber ich konnte ihm ansehen, wie sehr er unter der aktuellen Situation litt. Auch wenn das nichts daran änderte, dass er sich wie das letzte Arschloch verhalten hatte. Ohne es zu wollen, ja, aber das änderte nichts am Ergebnis.

  »Was du getan hast, war absolut nicht in Ordnung.«

  »Ich weiß.« Er senkte den Blick und rieb sich mit der Hand über den Nacken. »Glaub mir, das weiß ich. Und es tut mir unendlich leid. Das mit uns ist total falsch gelaufen, und ich würde es auch verstehen, wenn du mich jetzt hasst.«

  Daniel hatte einen Fehler gemacht – aber er war kein schlechter Mensch. Natürlich nicht. Ein Teil von mir wollte ihn hassen und auf immer und ewig abschreiben, nur um sich dann im Bett zu verkriechen, einen tagelangen Serienmarathon zu starten und Eiscreme aus der Fünfliterpackung zu essen. Aber ein anderer Teil von mir war auf eine verquere Art erleichtert. Denn wie es aussah, hatte ich mich nicht völlig in ihm getäuscht. Er war nicht wie Stephen, an den ich viel zu viel Zeit verschwendet hatte. Und dass ich diesmal tatsächlich an einen guten Kerl geraten war, dieser aber noch an seiner Ex hing, war nicht seine Schuld.

  Ich drückte den Rücken durch, suchte seinen Blick und hielt ihn fest. »Ich hasse dich nicht, Daniel.«

  Er atmete erleichtert aus. »Danke …«

  »Ich hoffe, du und Ashley, ihr kriegt das diesmal hin.« Irgendwie brachte ich die Worte über die Lippen – und das nicht, weil ich aus irgendeinem Grund pseudofreundlich sein wollte, sondern weil ich sie tatsächlich so meinte. Wären unsere Rollen vertauscht, würde ich auch alles daransetzen, die Person zurückzugewinnen, der noch immer mein ganzes Herz gehörte. Leider gab es so jemanden nicht in meinem Leben. Vielleicht würde es das nie.

  Eine letzte, etwas seltsame Umarmung, dann war Daniel kein Teil meines Lebens mehr. Ich sah ihm nach und musste gegen das plötzliche Brennen in meinen Augen ankämpfen. Gar nicht mal so sehr seinetwegen, wie mir nun bewusst wurde, sondern weil er trotz seiner Fehler tief in seinem Herzen einer von den Guten war. Und weil ich es zwar endlich geschafft hatte, jemanden zu finden, der mich nicht nur benutzte oder als Statussymbol ansah, als hübsches Accessoire an seinem Arm, es mit ihm aber trotzdem nicht geklappt hatte. Denn ich war nicht seine erste Wahl, war es nie gewesen. Und vielleicht war das einfach mein verdammtes Schicksal.

  Es war viel zu warm. Obwohl wir mittlerweile September hatten, war ein Ende der Hitzewelle nicht in Sicht. Tagsüber war es unerträglich in der Sonne. Die meisten der sonst so beliebten Tische und Bänke im Freien blieben leer, nur wenige Leute wagten sich nach draußen, und wenn, dann meist im Schatten der Bäume. Nur gegen Abend wurde es angenehmer, wenn ein leichter Wind aufkam und es nicht mehr ganz so schwül war. Darum verbrachte ich meine Abende neuerdings meist mit den anderen draußen auf der Grünfläche zwischen den Wohnheimen. Oft mit Lernen, was Tate sehr begrüßte, oder mit etwas zu trinken, guter Musik, Spielen und Gesprächen bis in die Nacht hinein.

  Elle und Luke hatten gerade ein hitzk�
�pfiges Pokerduell beendet, das Luke gewonnen hatte, und es war still auf der Wiese geworden. Zumindest bei uns, denn nur ein paar Meter entfernt spielten ein paar Leute Frisbee, ein Fidget Spinner flog ungewollt durch die Luft und ein Paar trennte sich gerade in aller Öffentlichkeit.

  Elle wechselte einen Blick mit Tate. »Popcorn wäre ganz nett.«

  »Oder Eis«, ergänzte Tate und streckte alle viere von sich. Direkt neben ihr hockte Trevor, die Nase in einem Buch vergraben, das nicht wie ein spannender Roman aussah, sondern eher wie ein Sachbuch über Personalmanagement.

  Ugh. Wie schaffte er es, an einem Sonntagabend bei diesen Temperaturen zu lernen? Er war außerdem der Einzige, denn sogar Tate hatte ihre Bücher für heute zugeklappt. Und das sollte etwas heißen.

  Mason saß mir schräg gegenüber in einer rissigen Jeans und einer offenen Sweatweste, den Reißverschluss nicht mal halb hochgezogen, was mir einen überdeutlichen Blick auf seine gebräunte Brust und seine Bauchmuskeln ermöglichte. Nicht, dass ich hinsehen würde. Das tat ich überhaupt nicht. Kein bisschen.

  Nachdenklich drehte er die leere Colaflasche auf dem Boden vor sich. »Hey, wir könnten …«

  »Nein!«, unterbrachen Tate, Emery und ich ihn gleichzeitig. »Wir spielen nicht Wahrheit oder Pflicht«, fügte Emery entschieden hinzu.

  »Beim letzten Mal musste ich meine letzte Textnachricht vor allen laut vorlesen. Nein. Auf keinen Fall. Nie wieder.«

  »Jetzt will ich umso mehr wissen, was du als Letztes geschrieben hast.« Grinsend deutete Mason mit der Flasche auf sie. »Aber gut. Dann schlag was anderes vor. Mir ist langweilig.«

  »Geh zocken«, knurrte sie.

  »Würde ich ja, aber die Klimaanlage ist immer noch kaputt«, erinnerte er sie.

  Ach ja, richtig. Seit ein paar Tagen gab es Probleme mit der Belüftung in ihrem Wohnheim, was nur ein weiterer Grund für die Abende im Freien war. Am Donnerstag war ich kurz bei Elle und Tate gewesen, aber ihre Wohnung hatte einer Sauna geglichen. Keine Ahnung, wie sie dort überhaupt schlafen konnten. Gott sei Dank hatte ich das Problem im Wohnheim gegenüber nicht, aber ich würde mich hüten, das ausgerechnet jetzt zu erwähnen. Außerdem war ich lieber hier draußen bei ihnen und ließ mich von Mücken zerstechen, statt allein in meinem Zimmer zu hocken und über mein Leben nachzudenken. Oder über meine Unfähigkeit, einen guten Kerl zu finden und eine Beziehung mit ihm zu führen. Eine, die länger hielt als ein paar Monate bis maximal ein Jahr. Daniel hatte sich seit unserem Gespräch am Dienstag nicht mehr bei mir gemeldet, und das war in Ordnung. Wir hatten uns voneinander verabschiedet. Das bedeutete aber nicht, dass ich ihn so einfach aus meinen Gedanken verbannen konnte. Oder damit aufhörte, mich zu fragen, was schiefgelaufen war und ob es einfach immer so enden würde in meinem Leben.

  Seufzend ließ ich mich auf der ausgebreiteten Decke zurücksinken und schaute nach oben. Kaum eine Wolke war zu sehen, dafür begannen die ersten Sterne über uns zu funkeln, während die Sonne im Westen versank und ein Farbspektakel an den Himmel malte.

  »Wo steckt eigentlich Dylan?«, fragte Mason plötzlich.

  Emery sah von ihrem Handy auf und funkelte ihn an. »Bei der Arbeit.«

  Mason rollte mit den Augen. »Der Kerl schuftet sich noch ins Koma. Textest du ihm gerade? Sag ihm, er soll seinen Arsch hierherbewegen. Oder besser noch, ich mache es selbst.«

  »Hey, was …?«

  Mason lehnte sich über mich zu Emery hinüber und riss ihr das Smartphone aus der Hand. Ich war zu erstarrt von der plötzlichen Bewegung und der vielen, vielen nackten Haut, um zu reagieren. Keine Frage, die ganzen Sit-ups bei unserem morgendlichen Workout machten sich bezahlt. Und Mason war vorher schon trainiert gewesen. Kein typischer Fitnessstudiogänger mit riesigem Bizeps, aber er hatte auch nicht die Figur eines Läufers oder Schwimmers wie Luke und Dylan. Auf den ersten Blick war Mason ganz normal gebaut, aber er hatte starke, sehnige Muskeln. Ob das schon immer so gewesen war oder ein Überbleibsel seiner Zeit beim Militär war, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass er unter keinen Umständen oben ohne oder nur in dieser Sweatweste mit der Band auftreten durfte, sonst würde ich meinen Text völlig vergessen. Ich konnte ja jetzt schon kaum einen klaren Gedanken fassen, dabei berührte er mich nicht mal. Er beugte sich nur über mich und zwinkerte mir zu, dann lehnte er sich zurück und begann auf Emerys Handy einzutippen.

  »Ernsthaft?«, kam es trocken von ihr. »Glaubst du, du kriegst Dylan eher dazu herzukommen als ich?«

  Mason zuckte nur mit den Schultern. »Ich kann ihm zumindest androhen, seine peinlichsten Erlebnisse auszuplaudern. Da gibt es einiges an Stoff … Zum Beispiel damals in der vierten Klasse, als er so verknallt in unsere Geschichtslehrerin war, dass er …«

  »Ah! Ich will das gar nicht hören.« Emery schnappte nach ihrem Handy, aber er lehnte sich einfach zurück und brachte es so außer Reichweite. »Gib es zurück!«

  »Gleich.« Mason tippte weiter.

  »Was war in der vierten Klasse?«, hakte Tate plötzlich nach und richtete sich auf den Ellbogen auf. »Ich will ihn auch erpressen können. Rück damit raus!«

  »Maze …«, warnte Emery.

  Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sie nach einer Wasserflasche tastete. Höchste Zeit, mich in Sicherheit zu bringen. Em hatte Mason schon mal eine runtergehauen, direkt nach ihrem Kennenlernen im ersten Semester, und ich hatte nicht vor, in die Schussbahn zu geraten. Hastig setzte ich mich auf und strich mein Kleid glatt.

  »Ich hab’s!«, rief Luke plötzlich, der die ganze Zeit über unbeteiligt neben uns gesessen und Löcher in die Luft gestarrt hatte. »Wie wär’s mit Twister?«

  »Das … Haben wir das überhaupt da?«, fragte Elle.

  Tate sprang auf. »Ich hole es. Und ein paar Farbflaschen, damit es sich auch lohnt.« Bevor jemand zustimmen oder Einspruch erheben konnte, stapfte sie bereits davon.

  Alle Blicke richteten sich auf Trevor, der noch immer in sein Buch vertieft zu sein schien. »Seht mich nicht an. Ihr wisst genau, dass sie nicht zu stoppen ist, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«

  Und jetzt hatte Tate sich Twister in den Kopf gesetzt? Das letzte Mal hatte ich das auf der Geburtstagsfeier einer Schulfreundin gespielt. Als Neunjährige.

  Wenige Minuten später hatte Emery ihr Handy wieder und Tate kehrte mit Spielfläche, Drehscheibe und vier Farbtuben zurück. Ich ahnte Böses. Meine Befürchtungen bestätigten sich, als sie die Matte mit Elles Hilfe auf dem Boden ausbreitete und auf jeden Farbkreis einen Spritzer aus der farblich dazu passenden Tube gab.

  Ich sah an mir hinunter, betrachtete mein roséfarbenes Sommerkleid, das ich mir bei einer Shoppingtour mit Myung-hee Anfang des Semesters gekauft hatte, und zog die Brauen hoch. »Ist das auswaschbar?«

  Tate grinste. »Finde es heraus.«

  »Ähm, ja … Ich passe.«

  Mason stand auf und zwinkerte mir zu. »Nur die erste Runde, danach bist du auch dran.«

  Zusammen mit Elle, Luke und Tate machte er den Anfang, während Emery die Drehscheibe bediente. Ich setzte mich zu ihr und beobachtete die vier dabei, wie sie sich vor unseren Augen verrenkten. Luke rutschte als Erstes auf der flüssigen Farbe aus und flog raus. Er hatte einen riesigen roten Fleck an seinem Unterarm, aber das schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Genauso wenig wie die Tatsache, dass er das Zeug auf seiner Hose verschmierte.

  Elle war als Nächstes raus, weil sie sich zwischen Tates Armen verhedderte und lachen musste, bis sie sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Blieben nur noch Tate und Mason. Die beiden lieferten sich ein überraschend langes Duell. Jeder von uns wusste, wie sehr Tate Sport verabscheute, also dürfte sie die aktuelle Liegestütz-Position nicht mehr lange halten können. Andererseits war sie verbissener als wir alle zusammen, insbesondere verbissener als Mason, der das Ganze nur als witzigen Zeitvertreib sah. Letzten Endes brachten Tate ihr unnachgiebiger Wille und ihr Konkurrenzdenken den Sieg.

  Keuchend ließ sie sich neben uns ins Gras fallen, Gesicht und Oberteil voller Farbflecken, und deutete mit der Wasserflasch
e in der Hand auf die Matte. »Ihr seid die Nächsten. Keine Ausreden. Los!«

  Bevor ich protestieren konnte, zog Emery mich in die Höhe und an den Rand des Spielfelds. Das war inzwischen so mit Farbe verschmiert, dass die einzelnen Farbkreise kaum noch zu erkennen waren.

  »Ich hasse dich gerade ein bisschen«, zischte ich Emery zu, die sich grinsend an den Rand stellte.

  »Ich weiß«, konterte sie übermäßig freundlich. »Ich hab dich auch lieb, Watkins.«

  Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Fauchen – und das auch nur, weil Mom mir beigebracht hatte, dass sich das nicht für eine Dame ziemte. Ich schlüpfte aus meinen Riemchensandaletten, stellte sie vorsichtig beiseite und machte mich dann bereit. Mit uns spielten Mason und Luke. Ich warf Trevor einen anklagenden Blick zu. Wie er es zum zweiten Mal geschafft hatte, sich zu drücken, war mir ein Rätsel.

  »Los geht’s!«, rief Tate und drehte den Zeiger. »Rechte Hand auf Rot!«

  Wir folgten ihrem Befehl und ich verzog das Gesicht, als ich die kalte, glitschige Farbe unter meiner Handfläche spürte. Gleichzeitig war da aber auch ein aufgeregtes Prickeln in meinem Bauch. Für die anderen mochte diese Aktion nicht mal annähernd verrückt sein, für mich schon. Bis auf diese eine Ausnahme bei der Halloweenparty nach meinem Abschluss war ich immer die vorbildliche Tochter gewesen, das brave Mädchen, das nie etwas Dummes oder Verrücktes tat. Aber jetzt, weit weg von zu Hause, konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Und obwohl das Ganze in einer riesigen Sauerei enden würde, wurde mir in diesem Moment bewusst, dass ich genau hier und nirgendwo sonst sein wollte. Hier bei diesen durchgeknallten, liebenswerten Leuten, die mich so offen in ihre Gruppe aufgenommen hatten, als hätte ich schon immer dazugehört. Und das, obwohl Emery zunächst die Einzige war, die mich gekannt hatte.

 

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