Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 19

by Bianca Iosivoni


  Sie zuckte zusammen und senkte den Blick. Shit. Normalerweise hielt ich mich mit so einer Ausdrucksweise zurück, aber dieses Mädchen … Manchmal brachte sie mich wirklich um den Verstand. Und zwar auf keine gute Art und Weise.

  Ich blieb vor ihr stehen und legte die Hände vorsichtig auf ihre Schultern. »Es war nur ein Spiel, Jen. Niemand hat mit irgendwem rumgeknutscht oder sonst was gemacht. Beim letzten Mal haben wir Karten gespielt und vor ein paar Wochen Flaschendrehen.«

  Wobei ich ihr nie von dem Kuss zwischen Grace und mir erzählt hatte. Vielleicht hätte ich das tun sollen, aber wir waren damals gerade getrennt gewesen, und ich fragte sie auch nie danach, was sie in unseren Pausen so trieb – oder mit wem. Ich wollte es einfach nicht wissen und nahm an, dass es ihr ebenso ging. Oder ich hatte einfach nur Schiss davor, dass so ein Geständnis in einer eifersüchtigen Szene und wilden Beschimpfungen geendet hätte. Und sie wäre wohl völlig durchgedreht, als die Band Grace zur neuen Sängerin gewählt hatte. Oder wenn sie davon wüsste, dass wir regelmäßig morgens miteinander trainierten. Zumindest an den Morgen, an denen Jenny nicht bei mir übernachtete … aber das war in letzter Zeit leider viel zu selten vorgekommen.

  »Da läuft nichts. Das weißt du doch.« Ich strich ihr beruhigend über die Arme. »Erinnerst du dich noch an Hazel? Da ist auch nie etwas gelaufen. Wir waren nur Freunde.«

  »Ja, später irgendwann. Aber am Anfang war sie scharf auf dich. Ich bin eine Frau, ich weiß das.«

  Uff. Falsches Thema, Maze. Ganz falsches Thema.

  Wie hatte ich das nur vergessen können? Als ich im ersten Semester der Gitarrist von Waiting for Juliet geworden war, schien alles super zu sein. Jenny war anfangs sogar zu jeder Probe gekommen. Doch dann hatte ich mich mit Hazel angefreundet – und sie war ausgerastet, obwohl zwischen unserer Sängerin und mir niemals etwas gelaufen war. Ja, Hazel war attraktiv, aber das musste sie auch sein, schließlich war sie die Frontfrau der Band. Außerdem hatte sie von Anfang an mehr Interesse an Kane gezeigt als an irgendjemanden sonst. Aber es hatte Monate und unendlich viele Diskussionen gebraucht, bis Jenny akzeptiert hatte, dass von Hazel keine Gefahr ausging. Dass unsere Beziehung sicher war und ich nicht vorhatte, sie zu hintergehen und etwas mit einer anderen anzufangen, nur weil wir ein gemeinsames Hobby hatten.

  Um ehrlich zu sein, hatte es mich überrascht, dass es mit Grace als neuer Sängerin kein Drama gegeben hatte. Offenbar hatte ich mich zu früh gefreut. Jenny hatte sich ihr Pulver lediglich aufgespart, um jetzt alles auf einmal zu verschießen.

  Ich atmete tief durch und suchte nach Worten, nach Erklärungen, nach irgendetwas, das Jenny beschwichtigen würde. Wir hatten dieses Thema schon so oft durch, aber ganz egal, was ich sagte, ganz egal, was ich tat, es schien nicht zu genügen. Es schien nie etwas zu ändern, dabei war sie früher nie so gewesen. In der Highschool war sie das entspannteste und coolste Mädchen gewesen, das ich kannte. Erst als unser Abschluss immer näher rückte und damit auch die Pause zwischen uns, in der ich zum Militär gehen würde und sie auf Reisen, war Jenny immer eifersüchtiger geworden. Damals kam es mir zunächst merkwürdig widersprüchlich vor – schließlich war sie es, die wegwollte von mir, von uns. Mittlerweile wusste ich, dass ihre Eifersucht weniger mit mir zu tun hatte und dafür viel mehr mit ihrer eigenen Unsicherheit. Auf andere mochte Jenny selbstbewusst wirken, vielleicht sogar arrogant, aber im Grunde war sie ziemlich sensibel. Sie vertraute nur wenigen Menschen, darunter ihren engsten Freundinnen und mir. Zu ihren Eltern hatte sie kaum Kontakt und besuchte ihren Vater und ihre Mutter an den Feiertagen mehr aus Pflichtgefühl als freiwillig. Am Labor Day waren wir nur kurz bei jedem von ihnen zu Hause gewesen, um Hallo zu sagen, hatten den Rest des Tages aber bei meiner Familie verbracht. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen. Ihre mittlerweile geschiedenen Eltern waren nicht gerade das Paradebeispiel für eine gesunde, funktionierende Beziehung und hatten Jenny öfter vernachlässigt, als dass sie sich um sie gekümmert hatten.

  Aber wann, verdammt noch mal, wann würde sie begreifen, dass ich sie nie hintergehen oder ihr absichtlich wehtun würde? Wie oft mussten wir uns noch trennen und wieder zusammenfinden, bis sie akzeptierte, dass das mit uns für immer war? Damit sie endlich von ihrer Eifersucht abließ und mir gestattete, ihr all die Freiheiten zu geben, die sie brauchte und wollte. Denn das würde ich.

  Geknickt ließ sie die Schultern sinken. »Tut mir leid. Es ist nur … als ich euch so gesehen habe …« Sie schüttelte den Kopf und ein gequälter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Warum musst du überhaupt so viel Zeit mit ihr verbringen?«

  »Weil sie in der Band ist und wir Freunde sind. Außerdem hat sie …« Ich hielt inne, als mir klar wurde, dass das nicht mehr stimmte. Grace hatte keinen Freund mehr, denn die Sache mit Daniel schien erledigt zu sein. Zumindest hatte ich nichts Gegenteiliges gehört. Und wenn sie doch zu diesem Dreckswichser zurückgehen sollte, gab es eine ganze Reihe von Menschen, die ihr ins Gewissen reden würden. Mich selbst eingeschlossen. Der Typ hatte sie überhaupt nicht verdient.

  »Außerdem hat sie … was?«, hakte Jenny nach.

  »Kein Interesse an mir. Definitiv nicht. Bis vor Kurzem konnte sie mich nicht ausstehen, und der Band zuliebe können wir froh sein, dass sich das etwas gelegt hat.«

  Und zwar seitdem wir angefangen hatten, morgens regelmäßig miteinander zu trainieren – auch wenn ich das auf Grace’ Bitten hin für mich behielt –, seit wir in derselben Band spielten, sie wieder öfter mit Emery, Elle, Luke und den anderen unterwegs war … und irgendwie ein fester Teil meines Lebens geworden war. Aber das spielte überhaupt keine Rolle. Jenny war diejenige, die ich wollte. Immer gewesen. Und das würde auch immer so bleiben. Daran änderte auch ein kurzer Moment der Schwäche während eines Tanzes nichts.

  »Alles gut?«, fragte ich leise und suchte ihren Blick.

  Sie atmete tief ein und langsam wieder aus, nickte dann aber. »Alles gut. Tut mir leid, dass ich so … so bin, wie ich bin.«

  »Hey …« Ich strich ihr über die Wange und beugte mich zu ihr hinunter, um mir endlich den Kuss zu holen, den ich schon bei ihrem unerwarteten Auftauchen gewollt hatte. »Ich weiß genau, wie du bist und worauf ich mich da eingelassen habe.«

  Sie lächelte an meinen Lippen.

  »Kommst du nächste Woche zum Konzert?«

  Ich musste einfach fragen. Nach dem ganzen Hin und Her und dieser kleinen Szene eben schien gar nichts mehr sicher zu sein, was Jenny anging. Aber ich wollte sie dabeihaben. Dies könnte schließlich ein entscheidender Auftritt für die Band werden. Und wenn ich auf die Bühne trat und wir mit dem ersten Song loslegten, wollte ich sie zwischen den Zuschauern sehen.

  »Natürlich. Das habe ich dir doch versprochen.« Sie legte die Hände an meine Wangen und strich mit den Lippen über meine.

  Lächelnd kam ich ihr entgegen. Und schob dabei jeden Zweifel und jeden Gedanken an morgen weit von mir. Vor allem jegliche Gedanken an Grace.

  Jenny schmiegte sich an mich und legte die Arme um meinen Hals. Wie von selbst wanderten meine Hände an ihren Seiten hinab, umfassten ihren Hintern und hoben sie hoch, damit sie die Beine um mich schlingen konnte. Hinter Emerys Tür waren noch immer Stimmen und Musik zu hören, als ich Jenny in mein Zimmer und geradewegs zum Bett trug.

  Grace

  Am Montagmorgen war Mason ungewöhnlich schweigsam. Er gab keine Sprüche von sich, wippte nicht wie sonst auf und ab, als könnte er kaum still halten, und zeigte auch nicht das für ihn typische freche Grinsen. Stattdessen war sein Blick so finster, als wäre er derjenige, der eine ewig lange Mail von seiner Mutter mit Ernährungsplan und Ratschlägen zur Miss Winternight bekommen hatte, die er doch bitte alle befolgen sollte. Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab, und er schien so in Gedanken versunken zu sein, dass ich mit Sicherheit ein paar Liegestütze hätte ausfallen lassen können, ohne dass er es gemerkt hätte. Was ich nicht tat. Schließlich war das hier meine Idee gewesen, auch wenn ich mich allmählich selbst fragte, was ich hier eigentlich tat. Denn ganz gleich, mit wie viel oder wenig Elan Mason an die Sache hera
nging, ich hasste noch immer jede Sekunde davon und verabscheute es, morgens extra früher aufzustehen, nur um rauszugehen und heimlich hinter dem PAC Sport zu machen.

  Ächzend hievte ich mich ein weiteres Mal hoch. Meine Arme zitterten, und es war selbst vor sieben Uhr so schwül, dass sich die Luft wie ein zusätzliches Gewicht auf mich legte. Wir hatten gerade erst angefangen, trotzdem war mein Sportoutfit schon durchgeschwitzt, und ich hatte Mühe, mit dem Zählen nachzukommen.

  Mason absolvierte seine Liegestütze stumm neben mir. Wahrscheinlich zählte er gar nicht mit. Und während er weiterhin auf den Boden starrte, sich immer wieder nach unten sinken ließ und dann nach oben drückte, während ich mit jeder einzelnen Bewegung zu kämpfen hatte, wuchs meine Frustration.

  Als ich endlich fertig war – mehrere Minuten nach Mason, wohlgemerkt –, hätte ich am liebsten alles hingeschmissen. Jeder Muskel tat mir weh, es war widerlich warm, und allein bei der Vorstellung, nach den Sit-ups auch noch zwei Meilen zu laufen, war ich kurz davor, in hysterisches Lachen auszubrechen. Aber ich sagte nichts, sondern ließ mich ins Gras sinken, biss die Zähne zusammen und begann mit den Sit-ups.

  Mason machte es mir nach, diesmal wurden wir jedoch gleichzeitig fertig. Zumindest fast. Ich machte die letzten beiden Sit-ups und blieb dann einfach auf dem Rücken liegen. Ich konnte nicht mehr. Meine Bauchmuskeln brannten, meine Oberarme zitterten noch immer von den Liegestützen, und in diesem Moment hätte ich sogar lieber im Biologieunterricht kleine Tiere seziert, als jetzt aufzustehen und zu rennen.

  »Wir sind noch nicht fertig«, kam es ungewöhnlich schroff von Mason. Selbst während der bisherigen Trainingseinheiten war sein typischer Humor durchgeblitzt – wenn er sich kreative Drohungen ausgedacht oder mich mit dämlichen Gesangseinlagen zu motivieren versucht hatte. Heute war nichts davon zu sehen.

  »Sofort …« Ich atmete tief ein – und verzog das Gesicht. Aua. Das würde Muskelkater geben.

  »Steh auf.«

  Ich verdrehte die Augen und kämpfte mich ächzend hoch. Dabei erinnerte ich mich immer wieder selbst daran, dass ich das hier so gewollt hatte. »Bereit.«

  Er sah nicht mal auf, sondern tippte an der Uhr an seinem Handgelenk herum. »Die Zeit läuft ab … jetzt! Los!«

  Keine Scherze. Kein Nachfragen, ob ich noch konnte. Er joggte einfach los, als würden wir das immer so machen. Ein, zwei Sekunden lang konnte ich ihm nur nachstarren, dann setzte ich mich in Bewegung. Ganz egal, wie sehr mir alles wehtat und wie sehr ich Mason und diese dämliche Idee mit jeder weiteren Minute nur noch mehr verfluchte.

  Wir ließen das PAC hinter uns, liefen an der Kreuzung auf der Stelle und schlugen den Weg zum nächstgelegenen Park ein wie an so vielen Morgen zuvor. Mittlerweile machten wir das seit fast einem Monat an jedem zweiten Tag, aber einfacher war es dadurch nicht geworden. Von spaßiger ganz zu schweigen. Und die zwei Kilo, die ich seither abgenommen hatte? Ich hatte die Enttäuschung in Moms Stimme bei unserem letzten Telefonat nur zu deutlich herausgehört. Ein bisschen mehr als das hätte ich aber schon von dir erwartet, Grace.

  Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerung daran ebenso wie den bitteren Geschmack in meinem Mund zu vertreiben.

  Die Sonne strahlte auf uns herab, und obwohl es früh war, begegneten wir ein paar anderen Joggern und zwei Müttern mit Kinderwagen im Park. Ich wollte gar nicht an die ganzen Kurse denken, die mir heute noch bevorstanden. Mir würde gerade mal Zeit bleiben, um nach dem Training kurz zu duschen und mir auf dem Weg in die erste Vorlesung einen Kaffee und etwas zu essen zu holen, dann war ich bis abends verplant. Und dann kam die Bandprobe, schließlich war am Samstag unser erster richtiger Auftritt, und wir mussten dringend an unserer Performance feilen.

  Im Park war die Luft leider nicht viel kühler als hinter dem PAC. Ich kniff die Augen zusammen, konzentrierte mich auf einen Punkt am Horizont und lief weiter. In großem Abstand hinter Mason, weil ich mit dem mörderischen Tempo, das er heute draufhatte, nicht mithalten konnte. Und weil sich ein Stechen in meiner Seite meldete. Nicht schon wieder …

  Schweiß trat mir auf die Stirn, aber ich joggte weiter. Selbst dann, als das Stechen immer schlimmer wurde und ich mit meiner Atmung zu kämpfen hatte. Ich wollte nicht aufgeben. Ich weigerte mich, einfach aufzugeben.

  »Warum tust du dir das eigentlich an?« Mason war plötzlich wieder an meiner Seite. Und obwohl er mich die letzte halbe Stunde fast komplett ignoriert hatte, wanderte sein Blick jetzt an mir auf und ab, als wäre ich der Grund, warum er heute so mürrisch war. Anders als bei ihm waren an meiner Haut keine Farbreste von dem gestrigen Twister-Debakel zurückgeblieben. Aber auch nur, weil ich am Abend in der Dusche eine geschlagene halbe Stunde damit verbracht hatte, sie wegzuschrubben.

  »Ich wollte ein har…« Ein Stich in meiner Seite. Ich kniff die Augen zusammen. »Ein hartes Workout … das … Resultate … zeigt«, brachte ich keuchend hervor.

  »Erzähl keinen Scheiß.« Er blieb stehen. Mitten im Park. Obwohl die Stoppuhr noch immer lief und wir gerade mal die Hälfte der vorgegebenen Strecke geschafft hatten.

  »Hey, was soll das?«

  »Komm schon. Ich bin nicht dämlich. Ich sehe doch, wie sehr du dich damit quälst. Jedes verdammte Mal.«

  Abwehrend verschränkte ich die Arme vor der Brust, obwohl mein Atem noch immer viel zu ungleichmäßig war und mein Puls raste. Doch bevor ich auf diese Anschuldigung reagieren konnte, machte er bereits weiter.

  »Und wozu? Für das nächste Arschloch, das nicht zu schätzen weiß, was er an dir hat?«

  Ich zuckte zusammen, wich aber weder seinem Blick noch seinen Worten aus. »Was geht dich das überhaupt an?«

  »Es geht mich etwas an, weil ich derjenige bin, der dich trainiert. Weil wir Bandkollegen und … Freunde sind. Darum.«

  Ich verdrehte die Augen. »Oh ja, Freunde. Das merkt man gerade heute richtig gut. Was hat dir denn schon so früh die Laune verdorben?«

  Er biss die Zähne zusammen und sah zur Seite.

  »Echt jetzt?«, rief ich. »Du darfst nachbohren und ein Urteil über mich fällen, ich aber nicht?«

  »Das eine hat überhaupt nichts mit dem anderen zu tun«, presste er hervor. Und war dabei kein bisschen außer Atem. Ganz im Gegensatz zu mir, die noch immer keuchte und sich die schmerzende Seite hielt.

  »Ach nein?«

  »Nein.«

  »Gut. In dem Fall hast du auch nicht das Recht, meine Entscheidungen, die absolut nichts mit dir oder der Band zu tun haben, infrage zu stellen.«

  »Doch. Denn genau das ist es, was Freunde füreinander tun.« Er kam noch einen Schritt näher, senkte die Stimme, ließ mich nicht aus den Augen. »Sie passen aufeinander auf.«

  Ich funkelte ihn an. Wütend darüber, dass er immer wieder nachhakte, obwohl es ihn überhaupt nichts anging. Wütend darüber, dass er die Fragen aussprach, die ich mir selbst schon gestellt hatte und damit meine Selbstzweifel nur noch mehr befeuerte. Aber vor allem war ich wütend über die Wirkung, die seine Nähe selbst in einer Situation wie dieser auf mich hatte. Ich hasste es, wie meine Haut zu prickeln und mein Herz zu rasen begann.

  »In dem Fall sind wir wohl keine Freunde«, stieß ich hervor und verschränkte die Arme ein weiteres Mal vor der Brust.

  Wenn ich ihn mit diesen Worten hatte treffen wollen, hatte ich gründlich versagt. Mason zeigte keine Reaktion. Sein Blick wurde bloß noch finsterer. Zwei Leute joggten vorbei, aber keiner von uns rührte sich.

  »Lenk nicht ab, Grace. Das hier ist kein Training. Das ist eine Bestrafung. Warum tust du dir das an? Für irgendeinen Typen? Ist es das?«

  Sekundenlang konnte ich ihn nur anstarren. Das war jetzt nicht sein Ernst, oder?

  »Das hier hat nichts mit Daniel oder sonst irgendwem zu tun«, fauchte ich. »Wie kommst du überhaupt darauf?«

  Ich trainierte nicht für irgendeinen Kerl, und schon gar nicht für einen, der mich sitzen gelassen hatte. Vielleicht hatte das Ganze mit einer dämlichen Bemerkung von meinem Ex begonnen. Vielleicht auch damit, dass Mom mich in den Ferien so
bearbeitet hatte, dass ich das Gefühl hatte, mich in meiner eigenen Haut nicht mehr wohlzufühlen und dringend etwas ändern zu müssen. Aber das war nicht der alleinige Grund gewesen. Ich trainierte für … mich. Nur für mich. Und wie sehr ich jede Sekunde davon hasste, sollte überhaupt keine Rolle spielen. Schon gar nicht für Mason.

  »Ach wirklich?«, bohrte er nach.

  Ich wich nicht zurück, gab nicht nach. »Wirklich. Ich würde auch ohne dich genauso viel und hart trainieren.«

  »Dann brauchst du mich hier ja nicht mehr.«

  Einen Moment lang war ich sprachlos. Wirklich sprachlos. Ging es Mason überhaupt um das Training? Oder hatte diese Diskussion ganz andere Gründe? Wenn er keine Lust mehr auf mich, auf dieses Training hatte, sollte er es einfach sagen und gehen. Ich war das schließlich mehr als gewöhnt.

  Eigentlich sollte es mich nicht überraschen. Früher oder später verschwanden sie alle. Ganz egal, ob es Menschen waren, mit denen ich befreundet oder verwandt war. Sie blieben nie. Es war dumm von mir, auf etwas anderes zu hoffen. Und ganz besonders dumm von mir war es gewesen, ausgerechnet Mason um dieses Training zu bitten und mich damit verletzlich zu machen.

  Mein Stolz verbot es mir, etwas anderes zu tun, als das Kinn in die Höhe zu recken und ihn anzufunkeln. »Stimmt. Wenn du etwas Besseres zu tun hast, kannst du gerne gehen.«

  »Dann lassen wir das Training sein.«

  »Gut!«, zischte ich.

  »Gut.« Er rieb sich über das Gesicht, wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ mich dann einfach stehen. Mitten im Park. Mitten im Training.

  Wow. Völlig perplex starrte ich ihm nach. Was um alles in der Welt war da gerade passiert?

  Kapitel 13

  Grace

  Am Samstagabend stand ich vor dem Spiegel in meinem Zimmer. Mein schwarzes Kleid, das ich nach ewigem Suchen endlich ganz hinten im Schrank gefunden hatte, war ideal für den Auftritt. Elegant und feminin, aber in Kombination mit der Halskette von Emery und den kniehohen schwarzen Stiefeln auch rockig genug für die Bühne. Myung-hee hatte mein Make-up übernommen. Meine Augen wirkten riesig und irgendwie … geheimnisvoll. Dazu ein kaum sichtbarer Lippenstift, in Form geföhnte Haare und das Glücksarmband, das Gillian mir zu Beginn des Studiums geschenkt hatte. Rein äußerlich war ich bereit für das Konzert.

 

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