Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 39

by Bianca Iosivoni


  Hinter der Bühne hatten sich neben uns auch die anderen beiden Bands versammelt, die die Vorrunden in anderen Städten geschafft hatten. Diesmal würde es kein Weiterkommen geben. Nur Sieger und Verlierer. Und ich hatte vor, zu den Gewinnern zu gehören.

  »Bereit? Ihr seid als Zweites dran«, informierte uns ein Techniker, der mit Headset und einem Klemmbrett herumlief. Bevor einer von uns darauf antworten konnte, hetzte er schon zur nächsten Gruppe weiter.

  Ich nickte den Jungs zu. Wir standen etwas abseits und versuchten uns nicht von dem Trubel um uns herum und den Geräuschen aus dem Saal verrückt machen zu lassen. Diesmal hingen nicht Kane oder Pax die ganze Zeit am Handy, sondern Jesse. So wie seine Daumen über das Display rasten, könnte man meinen, er wollte einen neuen Weltrekord aufstellen. Hin und wieder sah er auf, grinste bei meinem fragenden Blick jedoch nur und zuckte mit den Schultern. Okay. Seltsam. Aber wahrscheinlich seiner Nervosität geschuldet, genau wie bei Kane, der ziellos hinter der Bühne auf und ab lief.

  Die letzten beiden Wochen hatte ich damit verbracht, unseren Auftritt neu zu koordinieren und mit Kane, Pax und Jesse abzusprechen. Sie waren nicht begeistert darüber gewesen, dass wir ohne Grace auf die Bühne gehen würden, hatten aber auch keine Fragen gestellt. Zum Glück. Auch wenn Jesse bei jeder Probe so aussah, als würde er gleich platzen, wenn er nicht herausfand, was genau eigentlich zwischen uns los war.

  Das wüsste ich selbst gerne. Aber ich hatte Grace seit unserem letzten Auftritt nicht mehr gesehen. Weder bei den Proben noch auf dem Campus und auch nicht bei Treffen mit unseren gemeinsamen Freunden. Sie schien sich vollkommen zurückgezogen zu haben, schien wieder eine Fremde zu sein, die bis auf Emery nichts mit dem Rest von uns zu tun hatte.

  Ich hasste jede Minute davon, und sie fehlte mir so sehr, dass ich mehr als einmal vor dem Wohnheim gesessen und nach ihr Ausschau gehalten hatte, bis ich mir vorkam wie der letzte Stalker. Und ich konnte gar nicht mehr nachzählen, wie oft ich das Smartphone in die Hand genommen hatte, nur um es dann wieder wegzulegen. Denn was sollte ich ihr mitteilen, das ich ihr nicht schon längst gesagt hatte? Was konnte ich noch tun, um ihre Meinung über mich, über uns zu ändern? Ich wusste es nicht. Also stürzte ich mich in etwas, das ich beeinflussen konnte, nämlich den Ausgang dieses Wettbewerbs.

  »Okay, Leute, auf geht’s!« Der Techniker von vorhin tauchte neben uns auf und deutete Richtung Bühne. Ich wechselte einen Blick mit Jesse, Kane und Pax und nickte ihnen zu. Wir würden unser Bestes geben und das hinkriegen. Keiner von uns war ein Mann vieler Worte – abgesehen von Jesse, aber seine Motivationsrede würgte Kane mit einem schroffen »Ja ja, dann mal los« ab. Ich grinste und spürte, wie ein kleines bisschen Anspannung von mir wich. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann betraten wir unter tosendem Applaus die Bühne.

  Diesmal durften wir nur zwei Songs spielen – ein Cover und ein Original. Ursprünglich war für das Cover Secret Love Song geplant gewesen war. Grace hatte sich nach ihren anfänglichen Protesten überzeugen lassen, und jedes Mal, wenn sie es gesungen hatte, war ich mir sicher gewesen, dass dieses Lied unser Garant für den Finalsieg sein würde. Aber nun war Grace fort, und ohne sie war es unmöglich, das Stück zu spielen.

  Da ich wieder die Erststimme übernahm, hatten wir uns nach einigen Diskussionen für Fuckin’ Perfect entschieden, das ich problemlos ohne einen zweiten Sänger stemmen konnte.

  Die Bühne war völlig in Dunkelheit getaucht. Ich hörte ein Rascheln neben mir und drehte den Kopf in Kanes Richtung, um ihm einen fragenden Blick zuzuwerfen, konnte aber kaum etwas erkennen. Egal. Keine Ablenkungen. Pax zählte an, und ich holte Luft, um mit der ersten Strophe zu beginnen, als plötzlich die Scheinwerfer angingen und eine andere Stimme, eine warme, sinnliche, nur zu vertraute Stimme die erste Zeile von Secret Love Song zu singen begann.

  Ich erstarrte. In meinem Kopf existierte kein einziger Gedanke mehr. Ich wagte es nicht mal zu atmen, aus Angst, dass das hier nur ein schöner Wunschtraum sein könnte. Aber das war es nicht. Grace stand keine zwei Schritte von mir entfernt auf der Bühne, in einem silbernen Kleid, das Haar mit einer funkelnden Spange zur Seite gesteckt, und hielt das Mikrofon mit beiden Händen fest. Ihre Stimme war die einzige Melodie. Die Instrumente hatten noch nicht mal eingesetzt, aber mich hatte sie schon jetzt verzaubert. Sie zitterte leicht, genau wie ihre Stimme, aber das verstärkte die Wirkung des Songs nur noch.

  Gerade rechtzeitig erinnerte ich mich an meine Gitarrengriffe und spielte im selben Moment wie der Rest der Band los. Langsam zunächst, da wir erst mit dem Refrain richtig loslegen würden.

  Bisher hatte Grace mich noch nicht angesehen, obwohl ich den Blick kaum eine Sekunde von ihr nehmen konnte. Aber als das Tempo nach und nach zunahm und schließlich der Refrain einsetzte, wandte sie sich mir endlich zu – und mir blieb die Luft weg.

  Denn dieser Song passte zu uns beiden, zu dem Vielleicht, das schon so lange zwischen uns war und das ich zu einem Ganz sicher machen wollte. Wenn sie mich nur ließ. Ich erinnerte mich noch genau, wie ich das Lied zum ersten Mal gehört und es zu den Vorschlägen für unsere Setlist gepackt hatte. Ohne nachzudenken. Ohne auch nur ahnen zu können, dass es eines Tages so wichtig für uns werden könnte. Für mich. Und dass ich mit der Frau, die es singen würde, mehr als alles andere zusammen sein wollte.

  Von Grace’ Zurückhaltung bei den Proben und ihrer Unsicherheit war nichts mehr zu spüren. Denn jetzt gab sie alles. Ihre Stimme war tiefer als das Original, aber das verlieh dem Song eine ganz eigene, sinnliche Note.

  Als mein Part einsetzte, vergaß ich das Publikum völlig und wandte mich ihr zu. Ich konnte nur hoffen, dass sie mir ansah, wie ernst es mir war. Und vielleicht, nur vielleicht tat sie das tatsächlich, da sie jetzt näher kam, bis wir direkt voreinander standen und den Refrain gemeinsam sangen. Diesmal schimmerten keine Tränen in ihren Augen, dafür lächelte sie zittrig, bevor ihr Gesang alles übertraf, was ich bisher von ihr gehört hatte. Ich bekam eine Gänsehaut und gab mein Bestes, um mitzuhalten, aber es war Grace, die diese Performance zu etwas Atemberaubendem machte. So sehr, dass völlige Stille eintrat, sobald die letzten Töne verklungen waren.

  Dann erfüllte lauter Beifall den Saal und brandete wie eine Flutwelle über uns hinweg, aber ich hatte nur Augen für Grace. Bedeutete ihr Auftauchen das, was ich hoffte, dass es bedeutete? Ich wollte sie fragen, wollte es unbedingt erfahren, aber wir hatten noch einen weiteren Song vor uns, und für einen Moment war ich verwirrt. Wir hatten meinen Song zwei Wochen lang bei jeder Probe eingeübt – aber bei keiner davon war Grace dabei gewesen. Ich wandte mich zu den Jungs um, doch als mein Blick auf Jesse fiel, grinste er nur. Keine Spur von Unsicherheit bei ihm – und auch die anderen beiden wirkten entspannt. Pax wedelte ungeduldig mit den Sticks, und dann zählte er auch schon an. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf meinen Part zu konzentrieren – erst bei der Gitarre, dann beim Gesang. Zu meiner Überraschung verschwand Grace aber nicht einfach von der Bühne, sondern übernahm die Zweitstimme. Und das so professionell und selbstverständlich, als hätten wir es genau so einstudiert.

  Zum allerersten Mal sang ich den Text, den ich selbst geschrieben hatte, und spielte die Musik, die ich komponiert hatte, vor einem Publikum, aber in Gedanken war ich die ganze Zeit nur bei Grace. Ich hatte so viele Fragen, aber vor allem wollte ich sie einfach nur ganz fest an mich ziehen und umarmen, ihren Duft einatmen und sie küssen.

  Bevor ich jedoch auch nur eines dieser Dinge tun konnte, scheuchte uns der Moderator nach unserer Performance von der Bühne und wandte sich an das Publikum und die Jury. Ich nahm seine Worte kaum wahr, folgte nur den anderen hinter den Vorhang, ein paar Stufen und einen langen Gang hinunter … den Blick die ganze Zeit über auf Grace gerichtet. Irgendwie befürchtete ich schon, dass sie wieder verschwinden würde – und kurz verlor ich sie auch aus den Augen. Irgendwie hatten unsere Familien es vor uns in einen Nebenraum geschafft, vermutlich mithilfe der Veranstalter, und begrüßten uns mit jeder Menge Jubel und Umarmungen.

  Jesses Tante war kaum zu überhören, genauso wenig wie se
in dreijähriger Cousin. Kanes Eltern wirkten so stolz, als hätte er den Nobelpreis gewonnen, und auf Pax warteten zwei seiner Brüder, um ihn erst heftig in die Seite zu boxen und ihm dann mit einer ähnlich starken Umarmung zu gratulieren, die er mit einem Augenrollen kommentierte, aber auch erwiderte.

  Erst als ich Mom einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, mir von Dad auf die Schulter hatte klopfen lassen und mich aus Nonnas Umarmung befreite, konnte ich mich endlich wieder nach Grace umsehen. Ich entdeckte sie ganz am Rande des Raumes, in dem Getränke und Snacks für uns bereitstanden. Sie war ganz allein. Eigentlich hätte sie verloren wirken müssen, stattdessen schien sie völlig damit zufrieden zu sein, das Geschehen zu beobachten. Als sich unsere Blicke trafen, begann mein Herz erneut zu rasen.

  Langsam setzte ich mich in Bewegung und blieb etwa einen Schritt von ihr entfernt stehen. »Du bist gekommen …«

  Wie so oft, wenn sie nervös war, strich sie sich über das Kleid. Aber sie wich meinem Blick nicht aus, sondern hielt ihn fest. »Ich weiß, du hast gesagt, ihr braucht mich nicht … aber ich brauche euch. Und als ich mit Jesse gesprochen habe, war er gleich dabei. Er hat mir geholfen, deinen Song einzustudieren. Er ist … er ist großartig, Maze. Ehrlich.« Sie holte tief Luft, und während ich noch versuchte, all das zu begreifen, was ich gerade gehört hatte, fügte sie leise hinzu: »Ich konnte euch nicht im Stich lassen.« Sie warf den anderen ein kurzes Lächeln zu, bevor sie sich wieder ganz mir zuwandte.

  Aus irgendeinem Grund war meine Kehle plötzlich staubtrocken. »Ist das der einzige Grund, warum du hergekommen bist? Um der Band zu helfen?«

  »Nein.« Sie schluckte leicht und überbrückte die Distanz zwischen uns, bis sie dicht vor mir stand.

  Dicht genug, um ihren Duft wahrzunehmen. Dicht genug, um nur die Hand heben zu müssen, damit ich sie berühren konnte, aber ich zwang mich dazu, es nicht zu tun. Erst musste ich die Wahrheit hören.

  »Maze …«

  Das Hämmern in meiner Brust verstärkte sich, aber ich rührte mich noch immer nicht.

  »Es tut mir leid«, wisperte sie. »Es tut mir so unendlich leid. Ich wollte dir nie wehtun. Ich dachte nur … Ich war mir sicher, nicht gut genug zu sein. Nicht für die Band und nicht … für dich. Dass ich nur die zweite Wahl bin, weil du schließlich all diese Pläne für dein Leben mit Jenny gemacht hast und eines Tages aufwachen und feststellen würdest, wie unzufrieden du bist, dass du eben doch nur mich abbekommen hast und nichts davon so geworden ist, wie du es dir vorgestellt hast …« Sie wurde immer leiser, bis sie schließlich ganz verstummte.

  Ich musste mich räuspern, um meiner Stimme die nötige Kraft zu verleihen. »Denkst du das immer noch?«

  »Ich weiß es nicht.« Sie lächelte hilflos. »Ich weiß nur, dass ich das mit der Band wiedergutmachen musste. Und dass ich …« Ihre Stimme brach. Ich konnte ihr ansehen, wie viel Überwindung es sie kostete, diese Worte auszusprechen. Wie viel Angst es ihr bereitete, sich so verletzlich zu machen. »Und dass ich dir sagen muss, dass ich gelogen habe. Das mit uns war kein Fehler. Es war das Beste, was mir je passiert ist, und ich werde es mir niemals verzeihen können, wenn ich es durch meine Selbstzweifel zerstört habe.«

  Zwei einzelne Tränen liefen ihr über die Wangen, und ich kam nicht mehr gegen den Drang an, sie zu berühren. Behutsam legte ich ihr die Hände an die Wangen und hielt ihren Blick fest.

  »Erinnerst du dich noch, was ich dir gesagt habe, als du schon bei der ersten Probe alles hinschmeißen wolltest?«

  Sie lachte leise, nickte aber auch. Trotzdem wiederholte ich die Worte von damals für uns beide.

  »Du bist unsere erste Wahl. Du bist meine erste Wahl, Grace. Ich war nur zu dämlich und habe ewig gebraucht, um es zu erkennen. Jenny ist Vergangenheit. Aber du … du bist alles, was ich in meiner Zukunft sehe. Wenn du das auch willst …«

  Sie schloss die Finger um meine Handgelenke. »Tut mir leid, dass ich einfach aufgegeben habe.«

  »Ich weiß«, wisperte ich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Das weiß ich doch, Prinzessin. Und mir tut es leid, dass ich nicht mehr um dich gekämpft habe.«

  »Aber du hast …«

  Ich schnitt ihr das Wort ab, indem ich sie küsste. Genau hier und jetzt. In diesem Raum hinter der Bühne, umringt von unseren Freunden, Familien und den anderen Bands legte ich alles, was ich für diese Frau empfand, in diesen Kuss. Von irgendwoher meinte ich, einen Pfiff und Klatschen zu hören, aber meine ganze Aufmerksamkeit war bei Grace und dem unglaublichen Gefühl, sie wieder in meinen Armen zu halten.

  Als ich den Kopf wieder hob, wirkte sie überrascht, aber sie blieb nicht lange sprachlos. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, dann legte sie die Arme um meinen Hals und zog mich für einen weiteren Kuss an sich. Ein Wunsch, den ich uns beiden nur zu gerne erfüllte. Wieder und wieder, weil ich nie genug von ihr kriegen würde.

  Wir lösten uns erst wieder voneinander, als die Gewinner des Wettbewerbs verkündet wurden und eine der anderen beiden Bands in lautes Gekreische ausbrach. Mit Grace im Arm beobachtete ich ihre Umarmungen, ihr Rumgehüpfe und sah ihnen nach, als sie auf die Bühne stürmten.

  Wir hatten den Wettbewerb nicht gewonnen, hatten weder das Geld noch den Plattenvertrag bekommen, aber das war okay. Natürlich war ich enttäuscht, und ich konnte den anderen ansehen, dass sie auch nicht ganz unberührt davon blieben. Aber das Wichtigste war, dass wir es überhaupt versucht hatten, dass wir den Mut gefunden hatten, uns unseren Ängsten zu stellen und ein Risiko einzugehen, ohne zu wissen, wie es ausgehen würde. Und hey, der zweite Platz war auch nicht schlecht. Ganz besonders dann nicht, als jemand vom Plattenlabel zu uns kam und mir seine Karte gab, weil er an einer Zusammenarbeit interessiert war. Wie es aussah, hatte ihm mein Song so gut gefallen, dass er direkt nach weiteren Stücken fragte und sich mit mir treffen wollte, um über mögliche gemeinsame Projekte zu sprechen.

  Ich steckte die Karte ein und lächelte Grace zu. Da gab es noch einen Song, der absolut perfekt war. Ich mochte zwar die Musik komponiert haben, aber wir hatten Seite an Seite am Text gearbeitet. Eine Zeit lang hatte ich befürchtet, dass es das erste und gleichzeitig auch das letzte Stück gewesen sein könnte, an dem wir zusammen geschrieben hatten. Heute wusste ich: Es war der letzte erste Song gewesen. Denn es würden noch viele weitere folgen.

  Epilog

  Grace

  Zweieinhalb Jahre später

  Ungeduld und eine freudige Erwartung lagen in der Luft. Die Abschlussfeier fand in der großen Haupthalle der Universität statt. Vielleicht hätte es hier drinnen etwas düster gewirkt, aber von draußen strahlte die Sonne durch die Mosaikfenster herein, brachte die Blumen und Banner in den Farben unserer Universität zum Leuchten und warf bunte Muster auf den Boden.

  Ich beobachtete, wie erst meine beste Freundin und dann mein Freund ihre Urkunden entgegennahmen, während ich zusammen mit den anderen Absolventen darauf wartete, dass wir an die Reihe kamen. Das hatte man davon, mit einem Nachnamen geboren zu sein, der mit einem W begann. Ich war eine der Letzten, die auf die Bühne durften.

  Als es endlich so weit war, strich ich den schwarzen Talar glatt, den ich über meinem Kleid trug, straffte die Schultern und ging die Stufen hinauf. Die ganze Zeremonie über war ich innerlich ruhig gewesen, sogar in dem Moment, als ich nach der Musik und den Märschen vor all diese Leute auf die Bühne getreten war, um die Nationalhymne zu singen. Ich hatte den Leitern der einzelnen Fakultäten gelauscht und bei Musik- und Theaterwissenschaften am lautesten mitgejubelt. Und ich hatte jedes Wort der Rede in mich aufgesogen, mit der wir in unseren neuen Lebensabschnitt verabschiedet wurden. Doch jetzt, als sie endlich meinen Namen aufriefen, begann mein Herz wie wild zu hämmern. Meine Hände wurden feucht, und kurz hatte ich Angst, dass ich stolpern und mich völlig blamieren würde, aber ich atmete tief durch und trat auf den Präsidenten der Blackhill University zu. Lächelnd überreichte er mir die Urkunde und schüttelte meine Hand.

  Ein pures Glücksgefühl durchströmte mich, Erleichterung und so viel Stolz. Stolz darauf, nicht aufgegeben zu haben, als i
ch an einem Tiefpunkt angekommen war. Stolz darauf, weitergekämpft und es geschafft zu haben.

  Als ich mich den Zuschauern zuwandte, sah ich all die Menschen, die mich in den letzten Jahren begleitet hatten. Menschen, die mir so wichtig geworden waren, dass ich sie nicht mehr missen wollte.

  Meine Schwester Gillian war zusammen mit ihrem Verlobten Jared aus Montana angereist. Sie hatte Tränen in den Augen und strahlte mich an. Gleichzeitig klatschte sie so laut, dass sie beinahe meine Freunde übertönte. Sie waren alle da, waren alle extra hergekommen, um bei unserer Abschlussfeier dabei zu sein.

  Elle, die mittlerweile als Journalistin bei einem aufstrebenden neuen Magazin in New York City arbeitete, und Luke, der als Sportkommentator schon seine eigene Fangemeinde hatte und nebenher für ein Sportnachrichtenportal schrieb, standen beide in der vordersten Reihe.

  Direkt daneben war Dylan, der gerade erst sein Masterstudium in Charleston absolviert hatte, um anschließend mit Emery nach Montana zu gehen und dort als Tierarzt zu arbeiten. Er hatte den kürzesten Weg hierher gehabt, aber wirkte nicht unbedingt entspannt dadurch – er arbeitete noch immer wie ein Verrückter und schien einen volleren Terminkalender zu haben als Elle. Aber für Emery, und meistens auch für seine Freunde, schaffte er es, sich Zeit zu nehmen.

  Dann war da noch Tate, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Nach ihrem Bachelorabschluss hatte sie ein Aufbaustudium in Los Angeles begonnen. Dort hatte Trevor auch sein Start-up-Unternehmen gegründet und Tate heute hierher begleitet.

  Direkt neben meiner Schwester stand Emerys Familie: Ihre Eltern und ihr großer Bruder Rob, zusammen mit seiner Frau Bree und ihrer kleinen Tochter, die im Kleidchen und mit Blumenkranz auf dem Kopf auf und ab hüpfte.

 

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