Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us Page 22

by Iosivoni, Bianca


  »Sprich es aus, Callie …« Die Aufforderung war leise und klang mehr wie eine Bitte als ein Befehl.

  Ich war nicht die Einzige, die sich gegen das, was zwischen uns war, sträubte. Auch Keith klammerte sich an den Küchentresen und in seinem Gesicht las ich den gleichen Zwiespalt, in dem ich mich seit Wochen befand. Er schien genauso hin- und hergerissen zu sein, sich genauso verzweifelt dagegen zu wehren … und genauso machtlos zu sein wie ich.

  Die Erkenntnis traf mich so hart, dass meine Knie beinahe nachgaben. Nur mit Mühe hielt ich mich aufrecht, während das Hämmern in meiner Brust immer stärker wurde.

  »Ich hasse dich«, flüsterte ich und meinte jedes einzelne Wort davon ernst.

  Sein Blick senkte sich auf meinen Mund, ehe er mir wieder in die Augen sah. »Ich weiß.«

  Und damit war alles gesagt. Ich stieß mich vom Küchentresen ab, legte die Arme um seinen Hals und zog ihn zu mir herunter. Unsere Lippen trafen sich mit einer Härte, die an Schmerz grenzte, aber das störte mich nicht. Genau genommen wollte ich es so. Ich wollte keine zarten Liebkosungen oder Liebesbekundungen, sondern dieser verdammten Anziehungskraft zwischen uns entgegenwirken. Ich wollte sie loswerden, aus mir herausschneiden und nie wieder daran zurückdenken, wie schwach ich in Wirklichkeit war.

  Gleichzeitig war da diese nagende Angst in mir, diese leise Stimme in meinem Bewusstsein, die mir sagte, dass nichts mehr wie zuvor sein würde. Nicht nach diesem Kuss. Nicht nach dieser Nacht. Nicht nachdem ich gesehen hatte, dass Keith sich genauso gegen diese Anziehungskraft zwischen uns wehrte wie ich.

  Ich öffnete die Lippen unter seinen in einer stummen Einladung, die einem Befehl gleichkam. Ich wollte, nein, ich musste mehr von ihm spüren. Keith verschwendete keine Sekunde, erkundete meinen Mund mit seiner Zunge und nahm ihn für sich ein, bis ich das leise Stöhnen, das sich in meiner Brust sammelte, nicht länger unterdrücken konnte. Als wäre dies sein Startsignal, packten seine Hände mich an der Taille und hoben mich auf den Küchentresen hinter mir. Sofort drängte er sich zwischen meine Beine und ich schloss sie wie selbstverständlich um ihn. Unsere Bewegungen waren fahrig, drängend und harmonierten dennoch auf eine subtile Weise, da wir keine Fremden füreinander waren. Sieben Jahre mochten eine lange Zeit sein, aber sie hatten nichts an den verrückten Empfindungen geändert, die dieser Mann in mir auslöste. Sie hatten das Gefühlschaos nur noch verstärkt.

  Ich grub die Finger in Keiths Haar und zog daran. Er quittierte das mit einem leisen Knurren an meinen Lippen und damit, dass er mich grob im Nacken packte und festhielt, während er mich um den Verstand küsste. Mein Herz schien jeden Moment aus meiner Brust springen und davonhüpfen zu wollen und ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, aber ich konnte auch nicht aufhören. Als hätte mein Körper ein Eigenleben entwickelt, drängte ich mich an Keith und krallte die freie Hand in sein Shirt.

  Schließlich war es Keith, der den Kuss unterbrach und den Kopf hob. Seine Brust hob und senkte sich schnell und in seine Augen war etwas Gefährliches getreten. Wäre ich nicht so benebelt gewesen, hätte ich die Warnung in seinem Blick vielleicht erkannt, aber mein Verstand hatte seine Funktion schon vor Minuten eingestellt. Mit einem Arm auf meinem unteren Rücken zog Keith mich bis an den Rand der Arbeitsfläche und drängte sich gegen mich. Ich biss mir fest auf die Unterlippe, um mein überraschtes Stöhnen zu unterdrücken, denn unsere atemlosen Küsse auf der Küchentheke hatten auch ihn nicht kaltgelassen. Was sich da gegen mich presste, war pure Hitze und Härte.

  Ich schnappte nach Luft, suchte nach Worten, die irgendeinen Sinn ergeben würden – und vergaß sie im gleichen Atemzug. Keith nutzte meine Sprachlosigkeit aus, um den Kopf ein weiteres Mal zu senken. Diesmal traf sein Mund aber nicht auf meinen, sondern folgte der Linie meines Kiefers bis zu meinem Ohrläppchen, in das er sachte hineinbiss. Ich zuckte zusammen, als die Empfindung blitzartig durch mich hindurchschoss und sich in meinem Unterleib sammelte. Wieso hatte ich bei anderen Männern nie so heftig reagiert wie hier und heute? Lag es daran, dass wir etwas Verbotenes taten? Dass ich ausgerechnet mit dem Mann herummachte, den ich aus tiefster Seele verabscheuen sollte?

  Ich fand die Antwort auf diese Fragen nicht, zumindest nicht in dieser Nacht. Denn in diesem Moment senkte Keith seinen Mund auf meinen Hals. Ich schnappte nach Luft, als glühende Hitze durch meine Adern schoss, als hätte mir jemand eine Injektion mit flüssiger Lava verpasst. Das hier waren nicht die federleichten Berührungen seines Nicht-Kusses in der Bar. Von Anfang an ließ er mich seine Zunge und immer wieder seine Zähne spüren, was mich zusammenzucken ließ. Das Pochen in meinem Körper nahm zu, Blut rauschte in meinen Ohren und ich begann beinahe zu vergessen, wer und wo wir waren.

  »Wir müssen damit aufhören …«

  War das meine Stimme, die so rau und heiser klang, dass ich sie kaum verstand?

  »Oder weitermachen.« Keiths gemurmelte Antwort wurde von einem kleinen Biss in meinen Hals begleitet.

  Ein prickelnder Schauer breitete sich rasend schnell von der Stelle aus. Haltsuchend tastete ich hinter mich, ohne zu wissen, ob ich von Keith weg oder ihn mit mir ziehen wollte.

  Ein dumpfer Laut drang an mein Ohr, dicht gefolgt vom splitternden Geräusch von Glas. Ich riss die Augen auf. Keith wirkte genauso überrascht wie ich. Ohne mich loszulassen, drehte er den Kopf nach rechts. Ich folgte seinem Blick. Das, was einmal mein Wasserglas gewesen war, lag jetzt in Scherben auf dem Küchenboden.

  »Fuck.«

  Nicht das zersplitterte Glas brachte mich zurück in die Wirklichkeit, sondern Keiths leise gemurmelter Fluch. Nach und nach begannen die Synapsen in meinem Gehirn ihre Tätigkeit wiederaufzunehmen und ich erkannte, wo ich war und was ich hier tat. Mit wem ich es tat.

  Bevor ich in den Panikmodus umschalten konnte, schüttelte Keith den Kopf. »Das war schon das zweite …«

  »Das zweite?«

  Er schnaubte leise und sah mich wieder an. »In der ersten Nacht, bevor du mit dem Baseballschläger auf mich losgegangen bist, habe ich schon ein Glas zerbrochen.«

  Ich wollte etwas darauf erwidern, eine lockere Bemerkung machen, die diese Situation entschärfte. Zum Beispiel die Frage, wie jemand, der offenbar mit seinen Händen arbeitete, gleichzeitig so ungeschickt sein konnte. Aber mir kam keine Silbe über die Lippen. Stattdessen pochte mein Herz in einem warnenden Rhythmus und meine Muskeln spannten sich an.

  Nicht zu Unrecht, wie sich zwei Sekunden später herausstellte, als eine Tür im Haus aufging. Panik breitete sich in mir aus. Ich musste von hier weg, runter von der Arbeitsplatte und raus aus der Küche, bevor Holly oder Stella uns hier erwischten. Noch dazu in dieser eindeutigen Position. Doch als ich Anstalten machte, vom Tresen zu rutschen, packte Keith mich an der Taille.

  »Was hast du vor?« Seine Stimme war ein raues Flüstern, dennoch hatte ich das Gefühl, sie wäre unerträglich laut in der Stille um uns herum.

  »Ich muss … wieder ins Bett«, stammelte ich. Hatte er die Tür etwa nicht gehört? Oder legte er es darauf an, dass uns jemand erwischte? Ich drückte mit beiden Hände gegen seine Brust und schob ihn zurück.

  »Warte.«

  Worauf? Darauf, dieser Anziehungskraft zwischen uns noch mal zu verfallen und nicht nur mich selbst zu vergessen, sondern auch ihn und das, was vor sieben Jahren geschehen war? Oder darauf, dass Holly oder Stella gleich hier reinmarschierten und uns auf frischer Tat ertappten? Oh nein, keine Chance. Ich wollte nicht …

  Keith unterbrach meine Gedanken, indem er mich wieder an sich zog und von der Theke hob. Automatisch schlang ich die Beine um seine Hüften und hielt mich an ihm fest, während er einen großen Bogen um das Glas auf dem Boden machte und mich aus der Küche trug. Nicht ins angrenzende Wohnzimmer, sondern daran vorbei zur Treppe, die nach oben führte.

  »Was tust du da?«, flüsterte ich. Panik schwang in meinen Worten mit, denn in diesem Moment hörte ich Schritte aus der Richtung von Stellas Schlafzimmer.

  »Dafür sorgen, dass ich dir nicht noch mal das Knie verbinden muss. Oder in diesem Fall den Fuß.« Kaum ausg
esprochen, setzte Keith mich auf der untersten Stufe ab und kehrte in die Küche zurück. Gerade rechtzeitig, denn eine Sekunde später ging das Licht im Wohnzimmer an.

  Ich drückte mich gegen das Geländer und betete, dass Stella mich nicht gesehen hatte. Sekunden verstrichen, in denen ich nichts hörte bis auf das Rauschen in meinen Ohren, dann erklang ihre müde Stimme.

  »Was ist passiert?«

  »Nur ein kleiner Unfall«, antwortete Keith ebenso leise. »Geh wieder ins Bett, Mom.«

  Sie sagte noch etwas, das ich nicht verstand, weil ich so darauf konzentriert war, lautlos die Treppe hinaufzuschleichen. Mein Herz hämmerte in einem trommelnden, fast schon schmerzhaften Rhythmus. Meine Haut brannte überall dort, wo Keith mich berührt hatte. Und an meinen Lippen haftete noch immer sein Geschmack, als hätte er sich dort hineingebrannt.

  Wahrscheinlich machte es mich zu einem Feigling, jetzt abzuhauen, statt einfach zu warten, bis Stella wieder in ihrem Schlafzimmer verschwand, und dann zu Keith zurückzukehren. Um mit ihm über das zu reden, was da eben zwischen uns passiert war. Oder genau dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Beim Gedanken daran machte mein Herz einen Satz und ich presste mir die Hand auf die Brust. Eindeutig eine schlechte Idee, die nur in einer Katastrophe enden konnte.

  Doch das Schlimmste daran war, dass ich mich mit jeder Faser meines Körpers nach genau dieser Katastrophe sehnte.

  Ich zuckte beim Quietschen meiner Zimmertür zusammen und drückte sie vorsichtig zu. Dann lehnte ich mich dagegen und atmete tief durch. Selbst hier hatte ich das Gefühl, Keith noch immer spüren zu können und verfluchte ihn in Gedanken dafür. Wie um Himmels willen sollte ich den Rest des Sommers aushalten, ohne dass so etwas wie vorhin noch mal passierte? Denn diesmal konnte ich nicht Keith dafür verantwortlich machen. Sicher, er hatte sich hinter mich gestellt und war mir viel näher gekommen, als ein Stiefbruder seiner Stiefschwester kommen sollte, aber ich hatte mich zu ihm umgedreht. Ich hatte ihn an mich gezogen und ihn geküsst.

  Verdammt. Ich war so was von erledigt.

  13

  »Ich habe mit Keith rumgemacht.«

  Kaum hatte ich mich gegenüber von Faye an unseren Stammplatz im Diner gesetzt, kam mir dieses Geständnis schon über die Lippen. Wochenlang hatte ich die Anziehung zwischen uns ignoriert, hatte so getan, als wäre da nichts. Ich hatte meinen Mund gehalten, hatte niemandem etwas von diesen Blicken oder seinen Berührungen erzählt. Von dem ersten Kuss ganz zu schweigen. Aber jetzt konnte ich es nicht mehr für mich behalten. Wenn ich auch nur einen Tag länger in der Nähe dieses Kerls verbringen musste, ohne mit jemandem darüber zu reden, würde ich noch explodieren. Und das nicht auf eine gute Art und Weise.

  Faye reagierte nicht so wie erwartet. Ich hatte mit Verwirrung oder Entsetzen bis hin zu Abscheu gerechnet, allerdings nicht mit diesem stoischen Ausdruck. Ja, sie starrte mich sekundenlang an, ohne zu blinzeln, aber der Ausbruch, bei dem sie mir den Kopf zurechtrückte, blieb aus.

  »Um ehrlich zu sein, überrascht mich das nicht«, sagte sie schließlich.

  Wie bitte?

  »Denkst du, ich habe nicht gemerkt, wie er dich ansieht? Und wie du ihn ansiehst?«

  Was?

  Sie legte die Speisekarte beiseite und wedelte mit der Hand, als sei es völlig offensichtlich. War es aber nicht, zumindest nicht für mich. Und schlimmer als das, was sie da sagte, war die Frage, ob es außer Faye noch andere Leute bemerkt hatten. Stella zum Beispiel. Oder Holly.

  »Er starrt dich an, als würde er dich in seinen Gedanken Stück für Stück ausziehen. Und du siehst ihn an, als würdest du wollen, dass er genau das tut.«

  »Oh Gott …« Ich rutschte tiefer unter den Tisch und vergrub das Gesicht in meinen Händen. War es wirklich so offensichtlich?

  Die Kellnerin rettete mich davor, mich selbst zu zerfleischen, indem sie an unseren Tisch kam und nach unserer Bestellung fragte. Erleichtert stellte ich fest, dass es sich dabei nicht um Katelyn handelte. Zum Glück. Denn wenn sie irgendetwas von unserem Gespräch mitbekommen würde, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Holly Bescheid wusste.

  Ich bestellte mir eine Cola und verzichtete auf etwas zu essen. Mein Magen rumorte zu sehr, um etwas zu mir zu nehmen. Dafür bestellte Faye eine extra große Portion Pommes zu ihrem Burger und bedachte mich mit einem Blick, der deutlich aussagte, dass sie mich zur Not dazu zwingen würde, ein paar davon zu essen.

  Seufzend lehnte ich mich zurück, als die Kellnerin verschwand, um unsere Bestellungen an die Küche weiterzugeben. Jetzt, da ich mit meinem Geständnis herausgeplatzt war, schien ich auch wieder dazu in der Lage zu sein, meine Umgebung wahrzunehmen. Obwohl es Wochenende war, war im Diner nicht allzu viel los, und ich erinnerte mich daran, dass Holly mir etwas von einem Food Festival erzählt hatte, auf das sie mit Katelyn und ein paar Freunden aus der Highschool gehen wollte. Ihre Einladung, mitzukommen, hatte ich dankend abgelehnt. Zum Glück, denn so hatten Faye und ich das Diner an diesem Nachmittag fast für uns alleine.

  Am Tresen saßen ein paar Leute – eine Frau mittleren Alters mit E-Book-Reader, zwei Mädchen mit Einkaufstüten und einem Handy zwischen ihnen und ein älterer Mann mit Baseball-Cap, der lautstark mit dem Koch über Sport diskutierte. Am einzigen anderen besetzten Tisch hatte sich der örtliche Buchclub versammelt, doch statt über das Buch der Woche zu diskutieren, plauderten sie lautstark über den neuesten Klatsch und Tratsch. Als der Name von Fayes Mutter, Mrs Morgenstern, fiel, runzelte ich die Stirn. Echt jetzt? Regten sich die Leute immer noch darüber auf, dass sie so jung schon Mutter geworden war und dann in ihren Vierzigern noch mal?

  Ich schüttelte den Kopf. Falls Faye es hörte, ließ sie sich nichts anmerken. Stattdessen musterte sie mich neugierig.

  »Will ich die Frage überhaupt hören?«, murmelte ich zögernd.

  »Willst du. Wie war er?« Sie senkte die Stimme. »Wie weit seid ihr überhaupt gegangen? Und wo?«

  Ich stöhnte innerlich. So dringend ich es jemandem hatte erzählen müssen, so sehr wünschte ich mir jetzt, die Worte zurücknehmen zu können. Das Letzte, was ich wollte, war, mich bis ins kleinste Detail daran zu erinnern, aber ich wusste, dass Faye keine Ruhe geben würde, bis sie nicht alles wusste. Also erzählte ich ihr auch alles. Angefangen von der Begegnung am Flughafen, bei der ich Keith nicht wiedererkannt hatte, bis hin zu dem Abendessen in Montgomery und schließlich der nächtlichen Begegnung in der Küche. Einzig den Part mit meinen Albträumen ließ ich aus, genau wie den Grund, aus dem ich an jenem Vormittag so aufgewühlt ins Badezimmer gestürmt und Keith unter der Dusche erwischt hatte. Denn wenn es etwas gab, über das ich noch weniger nachdenken wollte als darüber, wie die Dinge zwischen Keith und mir standen, dann war es das, was überhaupt erst zu diesem komplizierten Verhältnis geführt hatte.

  Als ich fertig war, standen unsere Getränke bereits auf dem Tisch und die Kellnerin stellte gerade Fayes Burger und einen Berg an Pommes dazu. Automatisch schnappte ich mir ein paar davon und schob sie mir in den Mund.

  »Wow …« Faye bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht ganz einordnen konnte. War das etwa Mitleid in ihren Augen? Oder verträumte Bewunderung? »Das ist heftig. Nicht, dass ich dich nicht verstehen würde. Er ist heiß.«

  Ich funkelte sie an. »Das ist nicht hilfreich.«

  Sie zuckte mit den Schultern und biss in ihren Burger. »Aber die Wahrheit«, nuschelte sie mit vollem Mund. »Das weißt du genauso gut wie ich.«

  Leider hatte sie recht, was mein Dilemma nicht gerade vereinfachte. Seufzend rutschte ich tiefer in die Polster, bis mein Kopf an der Lehne lag. »Ich kann mich nicht auf ihn einlassen. Das geht einfach nicht. Das ist genauso unmöglich wie …« Ich suchte nach einem Vergleich, den sie als Tierfreundin verstehen würde. »Wie ein Tier ins Weltall zu schießen.«

  »Haben die Russen schon vor sechzig Jahren gemacht. Ihr Name war Laika.«

  »Dann eben … Zeitreisen!«

  »Ist laut Einsteins Relativitätstheorie durchaus möglich.« Als sie meinen bohrenden Blick bemerkte, zog sie den
Kopf ein. »Ich bin voll mit sinnlosen Fakten. Sorry …«

  »Ich hasse dich gerade ein bisschen«, fauchte ich. »Dann nimm eben irgendetwas, das unmöglich ist.«

  Einen Augenblick lang schien sie ernsthaft zu überlegen. »Faye!«

  »Schon gut. Schon gut.« Sie hob die Hände, aber ich wusste nicht, ob es eine abwehrende Haltung war oder sie mich damit beruhigen wollte. »Es ist unmöglich. Verstanden.«

  Ich atmete tief durch, doch nicht einmal das beruhigte das Flattern in meiner Magengrube. »Was soll ich nur tun?«

  »Willst du, dass ich die Stimme der Vernunft oder der Unvernunft für dich bin?«

  »Ich weiß es nicht.«

  Und genau das war das Problem. Ich war so hin- und hergerissen, dass ich selbst nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war – oder was ich überhaupt fühlen sollte. Sollte und konnte ich Keith für den Rest des Sommers aus dem Weg gehen und ihn ignorieren? Auch wenn er gerade auszog, würden wir noch immer bei den mehr oder weniger regelmäßigen Familienessen am selben Tisch sitzen. Im schlechtesten Fall sogar nebeneinander. Aber welche Alternative hatte ich? Der Anziehung zwischen uns nachgeben, mich auf meinen eigenen Stiefbruder einlassen und mich für den Rest meines Lebens für diese Schwäche hassen?

  »Wenn es irgendein anderer Kerl wäre …«

  »Der zufällig in unserem Haus ein und aus geht«, fiel ich ihr trocken ins Wort.

  »Genau. Wenn es irgendein Kerl wäre, ohne gemeinsame Vergangenheit, ohne das, was damals geschehen ist …« Wie ich nannte sie die Sache nicht beim Namen. Als hätten wir vor all diesen Jahren einen geheimen Pakt geschlossen, nie wieder darüber zu sprechen. Sie hatte nie nachgefragt und ich hatte nie darüber geredet. Bisher waren wir beide ziemlich gut damit gefahren. »Würdest du dich dann auf ihn einlassen?«

  Würde ich das? Mein Verstand schrie Nein und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen diese Vorstellung, aber für ein paar Sekunden ignorierte ich das Toben in meinem Kopf. Wenn Keith nicht mein Stiefbruder wäre und nichts mit dem Unfall zu tun gehabt hätte … Ich atmete tief durch, dann sah ich Faye direkt an.

 

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