Never Too Close

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Never Too Close Page 3

by Moncomble, Morgane


  »Ich frag mich wie.«

  Ohne weiteren Kommentar wendet sie sich wieder ab und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich nähe das letzte Stück Spitze an und erkläre ganz ruhig:

  »Loan und ich müssen nicht ständig schreiben, um zu wissen, dass wir aneinander denken. Außerdem kommt er bald zurück. Es gibt also keinen Grund, ihm auch aus der Ferne auf die Pelle zu rücken, wenn wir uns sonst ohnehin jeden Tag sehen. Schließlich sind wir nicht zusammen.«

  »Tja, ihr zwei seid ganz schön undurchsichtig.«

  Ich atme tief durch und zwinge mich zu lächeln, obwohl ich allmählich sauer werde.

  Schließlich springe ich auf, gehe zur Tür und lasse meine Arbeit einfach liegen. Zoé will wissen, was ich vorhabe. Während ich meine Schuhe anziehe, antworte ich, dass ich etwas essen gehe, weil nichts mehr im Kühlschrank ist. Ich sehe ihr an, dass sie mich bitten will, ihr etwas mitzubringen, und mache, dass ich wegkomme.

  Und natürlich – kaum habe ich die Tür zugeschlagen, merke ich, dass ich schon wieder meinen Regenschirm vergessen habe. Egal! Wenn ich mal einen Tapetenwechsel brauche oder in Ruhe lernen will, gehe ich gern in das vegane Restaurant an der Ecke. Ich bin weder Vegetarierin noch Veganerin – zwar muss ich schon an Mistinguette denken, wenn ich eine Kaninchenkeule esse, aber ich mag Fleisch zu gern, um mich deswegen schuldig zu fühlen. Es war Zoé, die mich eines Tages während ihrer Hipster-Phase dorthin mitschleppte.

  In letzter Zeit bin ich ständig dort. Kleine Anekdote am Rande: Seit Kurzem sehe ich dort einen Typen, immer denselben, der dreimal in der Woche allein mit seinem Laptop an einem Tisch sitzt. Als sich unsere Blicke das erste Mal trafen, hat er mir zugelächelt. Beim zweiten Mal tat ich es. Seitdem spielen wir eine Art Pingpong, das anscheinend nie an Schwung verliert.

  Heute bin ich mit Lächeln dran.

  Als ich die Tür des Restaurants aufstoße, bin ich nass bis auf die Haut. Ich mache mir nicht allzu viele Gedanken über mein Aussehen und widerstehe dem Drang, mich nach ihm umzuschauen. Während ich mir eine feuchte Strähne hinters Ohr schiebe, gehe ich zu einem freien Tisch. Kaum habe ich mich hingesetzt, als meine Augen auch schon seinem stahlgrauen Blick begegnen. Noch ehe einer von uns wirklich darüber nachdenkt, lächeln wir uns gleichzeitig an. Ich senke den Kopf, unterdrücke ein Lachen und sehe, wie er das Gleiche tut.

  Mein mysteriöser Fremder hat einen sanft gebräunten Teint und leicht struppiges blondes Haar. In seinem Abercrombie-Shirt und Jeans mit Filzstiefeln von Toms sieht er brav, aber sexy aus. Für ihn spricht, dass er sich gut anzieht. Weniger gut finde ich, dass er aussieht, als hätte er Geld. Ich hoffe nur, dass es nicht so viel ist, dass er sich was darauf einbildet.

  Eine Kellnerin kommt und fragt mich höflich lächelnd, was ich möchte.

  »Dass dieser junge Mann sich endlich entschließt, mich anzusprechen!«, ruft meine innere Stimme.

  »Ich hätte gern Seitan à la Chicken Tikka. Kalt.«

  »Sehr gern. Kommt sofort.«

  Ich lege meinen Schal ab, ohne zu merken, dass Monsieur Filzstiefel aufgestanden ist. Ich erstarre und weiß nicht, was ich tun soll. Mist, ich habe nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich rüberkommt. Ich räuspere mich und warte, bis er neben mir steht, ehe ich den Blick hebe.

  »Hi.«

  »Hi.«

  Schweigend starren wir uns an und wissen offenbar beide nicht, was wir weiter sagen sollen. Unbehaglich verziehe ich das Gesicht und bemühe mich, eine Fortsetzung für das Gespräch zu finden. Darin bin ich normalerweise ziemlich gut. Zum Glück kommt er mir zuvor. Er setzt eine betrübte Miene auf:

  »Ehrlich gesagt weiß ich jetzt nicht genau, wie ich weitermachen soll. Ich habe nicht darüber nachgedacht, bevor ich aufgestanden bin … In Filmen sieht es immer viel einfacher aus.«

  Ich muss lachen.

  »Aber jedes Mal, wenn du reinkommst«, fährt er fort, »sage ich mir, dass dies der Tag sein muss, an dem ich dich anspreche. Und jedes Mal kneife ich dann doch wie ein Feigling. Nur heute nicht … Also tu bitte so, als hätte ich etwas sehr Intelligentes gesagt.«

  Ich hebe eine Augenbraue. Er ist mir eindeutig auf Anhieb sympathisch. Schon lange ist mir kein süßer Typ mehr begegnet, der sowohl ein sanftes Lächeln als auch einen lässigen Humor und ein ausgeprägtes Modebewusstsein hat. Als ich sehe, dass mein Schweigen ihn in Verlegenheit bringt, erlöse ich ihn und erkläre ironisch:

  »Wow, mit so viel Witz hat mich noch niemand angegraben!«

  Er kneift die Augen zusammen, kräuselt die Nase und senkt resigniert den Kopf. Daraufhin muss ich noch mehr lachen. Just in diesem Moment kommt die Kellnerin mit meinem Essen.

  »Bitte sehr!«

  »Vielen Dank.«

  Mit einem weiteren freundlichen Lächeln verschwindet sie. Ich beschließe, die Tortur von Monsieur Filzstiefel zu verkürzen und halte ihm die Hand hin. Erstaunt hebt er den Kopf. Eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht.

  »Violette.«

  Er greift nach meiner Hand. Seine Haut ist kalt, aber ich schrecke nicht zurück. Sein Handschlag ist fest. Entschlossen.

  »Clément.«

  »Schön, dich kennenzulernen.«

  »Ich möchte dich nicht beim Essen stören …«

  »Du störst mich nicht«, beruhige ich ihn abwinkend. »Wenn du willst, kannst du dich zu mir setzen. Aber ich warne dich: Ich rede ziemlich viel.«

  Er verzieht das Gesicht, als zögere er, sich so in die Bredouille zu bringen.

  »Ähm. Wie viel genau?«

  »Viel zu viel.«

  Sein Mund verzieht sich langsam zu einem hinreißenden Lächeln. Er nickt.

  »An diesem Punkt wäre es unhöflich, abzulehnen.«

  Er dreht sich um, legt einen Geldschein auf seinen Tisch und kommt mit seinem MacBook Pro in der einen und seiner Jacke in der anderen Hand zurück. Ich bemühe mich, meine Unsicherheit zu verbergen, und fange an zu essen. In Gegenwart eines Jungen, der mir gefällt, bin ich immer ein wenig nervös, oder zumindest ziemlich vorsichtig. Erste Dates machen mir Angst. Sobald ich jemandem vertraue, lässt meine Anspannung jedoch nach – zum Guten wie zum Schlechten.

  »Darf ich dir eine Frage stellen?«

  »Bin ich verpflichtet, ehrlich zu antworten?«

  Für wenige Sekunden scheint er verwirrt.

  »Na ja … wie du willst. Aber wenn man eine Frage stellt, erwartet man doch eigentlich eine ehrliche Antwort, oder?«

  »Nein. Das glauben wir zwar alle, aber ganz oft wäre uns eine gute alte Lüge vielleicht lieber.«

  Er schaut mich lange an und weiß offenbar nicht, was er darauf entgegnen soll. Wieder einmal habe ich losgequatscht, ohne vorher nachzudenken. Wieso sollte ihn meine Küchenphilosophie interessieren?

  »Los, stell deine Frage. Ich antworte auch ehrlich«, füge ich lächelnd hinzu.

  Monsieur Filzstiefel hat sich innerhalb von zwei Sekunden wieder unter Kontrolle und mustert mich nachdenklich.

  »Warum bist du immer allein, wenn ich dich hier sehe?«

  Oh. Okay. Er bewertet die Ware. Vermutlich versucht er sich zu vergewissern, dass ich nicht asozial bin. Oder so was in der Art. Ich esse einen Happen von meinem Teller und antworte:

  »Ich flüchte hierher, wenn ich allein sein möchte. Wir leben zu dritt in der Wohnung, da wird es schnell mal eng.«

  »Große Familie, wie?«

  Ich brauche eine Weile, um zu kapieren, was er meint.

  »Oh, nein, ich bin Einzelkind! Mein Vater wohnt im Jura, aber vor zwei Jahren bin ich zum Studium nach Paris gekommen. Ich wohne mit meinen beiden BFFs zusammen.«

  Sein verschmitztes Lächeln kehrt zurück. Seine perfekt ausgerichteten weißen Zähne blenden mich fast. Mit amüsiertem Blick stützt er die Unterarme auf den Tisch und verschränkt die Hände.

  »Oh ja, ich verstehe. Drei Mädchen in einer Wohnung … Darf ich ein bisschen fantasieren?«, scherzt er grinsend.

  Ich öffne den Mund, um ihm zu widersprechen, schließe ihn
aber sofort wieder. Stattdessen schenke ich ihm ein gezwungenes Lächeln. Ich muss ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, dass Loan weder Brüste noch Vagina hat. Oder dass ich manchmal seine Zahnbürste benutze. Oder dass wir häufig im selben Bett schlafen. Ich will ihn nicht von Anfang an abschrecken, denn ich weiß, dass unsere Beziehung für meinen Exfreund Émilien ein echtes Problem darstellte.

  »Sicher darfst du. Aber um das gleich klarzustellen: Nein, wir machen keine Kissenschlachten im Slip.«

  Clément bricht in aufrichtiges Gelächter aus, das mich überrumpelt. Endlich fühle ich mich wohler.

  »Mist, dabei hätte ich so gern mitgemacht!«

  »Und du, was hast du ständig mit deinem Computer zu schaffen? Du scheinst dich ja nie davon zu trennen.«

  Er seufzt sichtlich müde.

  »Lernen, lernen, lernen, auch wenn Twitter nie weit weg ist …«

  »Was studierst du denn?«, erkundige ich mich, während ich weiteresse.

  »Ich bin an der Handelshochschule«, vertraut er mir grinsend an. »Trotzdem bin ich nicht langweilig, ganz ehrlich.«

  Ich lächle ein wenig angespannt. Ehrlich gesagt hätte ich es mir denken können. Zwar steht auf seiner Stirn nicht »ZUKÜNFTIGER BÖRSENMAKLER«, aber Clément riecht zehn Meilen gegen den Wind nach BWL.

  »Die Crème de la Crème«, murmle ich vor mich hin.

  »Unter anderem. Und du? Warte, lass mich raten … Philosophische Fakultät?«

  »Knapp daneben. Ich studiere Modedesign.«

  Unwillkürlich hoffe ich, dass er mich nicht für ausgeflippt hält. Das ist nämlich oft die erste Reaktion, wenn man erklärt, dass man in die Modebranche einsteigen will. Bis auf wenige Ausnahmen antworten dann alle: »Aha. Ach ja. Mode also.« Was übersetzt bedeutet: »Wieder mal eine, die für lau zu Modenschauen eingeladen werden will und lieber Champagner trinkt als zu arbeiten.« Aber das hat nichts zu sagen. Immerhin habe ich ein sehr gutes Abi.

  »Eigentlich hätte ich es mir denken können«, sagt Clément lächelnd und lässt einen anerkennenden Blick über mein Outfit gleiten.

  Ich lächle breit und erröte bis unter die Haarwurzeln. Mir gefällt, dass es so einfach ist, mit ihm zu reden. Ich esse weiter, während er mich ansieht. Ich erwarte, dass er noch etwas hinzufügt, aber das tut er nicht. Der intensive Blick seiner grauen Augen ist mir ein wenig peinlich.

  »Könntest du vielleicht kurz was anderes machen?«, flüstere ich ihm zu.

  »Warum?«

  »Du schaust mir beim Essen zu.«

  »Und?«

  »Es ist mir unangenehm. Das ist der erste Grund. Der zweite ist, dass ich extrem tollpatschig bin. Besonders, wenn ich unter Druck stehe. Wenn du mich also weiter so ansiehst, geht es hier bald deutlich weniger glamourös zu.«

  Er betrachtet mich mit echtem Erstaunen und scheint nicht recht zu wissen, ob ich scherze oder ob ich es ernst meine. Ich schiebe nach:

  »Ernsthaft.«

  »Oh. Okay.«

  Als ich sehe, wie er gehorsam auf seine Hände hinabblickt, presse ich die Lippen zusammen. Er tut mir leid.

  »Entschuldige. Starr mich nur bitte nicht so an. Das ist gruselig.«

  Ich lächle ihm zu, um ihm zu zeigen, dass ich die Stimmung nicht ruinieren wollte. Er lächelt zurück.

  »Schon gut, kein Problem. Ich habe nur nachgedacht.«

  »Wie du jetzt aus dieser grotesken Situation herauskommst?«

  Er lacht leise und blickt mir erneut tief in die Augen. Diese Durchsichtigkeit seiner erstaunlichen Iris … Klarer als Aquamarin. Wie bewegtes Wasser. Unwillkürlich frage ich mich, ob Clément ein stiller, ruhiger Teich ist, ein einladender, aber unberechenbarer Fluss oder ein mächtiger und gefährlicher Tsunami.

  »Nein, darüber, wie ich dich auf ein Date einladen soll. Du bist zwar ein bisschen flippig, aber sehr hübsch«, scherzt er mit einem unwiderstehlichen Augenzwinkern. »Das zählt schließlich auch.«

  Ich schlucke. Mein Gesicht bleibt sehr ruhig. Innerlich kann ich dagegen für nichts mehr garantieren. Mein Gehirn heizt sich auf wie eine Turbine und mein Herz pocht ein Remake von Un, dos, tres mit Schlagzeugbegleitung. Kurz gesagt, ich bin sehr froh, dass er mich wiedersehen will. Ich hätte zwar einen Haufen lustiger Antworten auf Lager, aber ich benutze sie lieber nicht. Männer mögen oft keine witzigen oder gar originellen Frauen. Ich glaube, so was macht ihnen Angst.

  »Denk aber nicht zu lange nach, sonst überlegst du es dir vielleicht anders.«

  Er wirft einen Blick auf seine auffällige Uhr.

  »Ich muss jetzt leider weg. Ich gehe heute Abend mit ein paar Freunden zu einem Konzert. Aber ich würde dich wirklich gerne wiedersehen.«

  Bei diesen Worten überschwemmt mich eine Hitzewelle. Ich bin froh, dass ich noch an die frische Luft gegangen bin.

  »Ich würde mich freuen.«

  Ein siegreiches Lächeln erhellt sein Engelsgesicht.

  »Großartig.«

  Clément zückt sein Telefon und ich gebe ihm meine Nummer; so einfach ist das. Schließlich steht er auf, zieht seine Jacke an und packt seinen Computer in die Tasche.

  »Danke, Violette«, sagt er und betrachtet mich ein letztes Mal. »Heute war bei Weitem mein bester Lernabend seit Wochen.«

  Ich winke mit falscher Bescheidenheit ab. Sein durchdringender Blick ist mir ein bisschen peinlich. Als würde er versuchen, mir etwas klarzumachen. Etwas, das zu subtil ist, als dass ich es verstehen könnte.

  »Gern geschehen. Menschen zu helfen ist meine große Leidenschaft. Mir liegen die zukünftigen, zu Tode gelangweilten Chefs von BCBG sehr am Herzen.«

  Er schüttelt den Kopf und hebt eine Augenbraue.

  »Zu Tode gelangweilt?«

  »Tu nicht so, als wäre dein Studium der Knaller – ich würde dir nicht glauben. Prozentsätze und Distributionspolitik haben absolut nichts Sinnliches. Es gibt orgiastischere Jobs – nicht wahr?«

  Erst als ich seine Augen funkeln sehe, wird mir klar, was ich da gerade gesagt habe. Klar doch, Violette, tu dir bloß keinen Zwang an – benutze Worte wie »sinnlich« oder »orgiastisch« in jedem Satz! So kapiert er es bestimmt.

  Ich fange mich sofort wieder:

  »Ich meine, es muss doch sterbenslangweilig sein …«

  »Ich gebe zu, dass ich mir durchaus ›orgiastischere‹ Dinge vorstellen kann.«

  Na toll. Aber ich bin selbst schuld. Ich schlage die Augen nieder und bete darum, im Boden zu versinken oder mit dem Holz des Stuhls zu verschmelzen. Der Stuhl zu werden.

  Als ich mich Clément wieder zuwende, sehe ich, dass er sich das Lachen verbeißt. Plötzlich sieht er ganz anders aus als der verlegene Junge, der nicht wusste, wie er mich ansprechen sollte. Er wirkt viel entspannter und selbstbewusster. Das gefällt mir.

  »Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen«, sagt er schließlich.

  Ich sehe ihm nach und lasse vor Erleichterung die Schultern sinken. Plötzlich bleibt er stehen, zögert eine Nanosekunde und kommt zu mir zurück. Ich blicke ihn fragend an. Er reicht mir seinen Regenschirm.

  »Den wirst du brauchen, glaube ich.«

  Ich greife verständnislos danach und will schon ablehnen.

  »Ich …«

  »Nimm ihn. So bist du gezwungen, dich mit mir zu verabreden.«

  Ich lächle und nicke amüsiert.

  »Gut möglich. Oder ich behalte ihn und du siehst ihn nie wieder.«

  Er verzieht den Mund zu einem Schmollen und entfernt sich rückwärts. Schließlich hebt er eine Schulter.

  »Falls es wirklich so weit kommt, macht es auch nichts. Es ist nicht mein Lieblingsschirm.«

  Als ich nach Hause komme, grinse ich breit vor mich hin. Nachdem Clément gegangen war, bin ich noch eine Weile im Restaurant geblieben und habe mir einen Nachtisch genehmigt. Mal sehen, wo diese Sache hinführt …

  »Willst du mich verarschen? Ich hab die ganze Zeit versucht dich zu erreichen.«

  Zoés vernichtende Vorwürfe rei
ßen mich aus meiner Träumerei. Sie sitzt immer noch am selben Platz und wirft einen giftigen Blick auf mein Handy, das ich in der Hand halte. Keine Ahnung warum, aber ich fühle mich wie auf frischer Tat ertappt, und das irritiert mich.

  »Ich war essen und habe mich mit jemandem unterhalten. Deshalb habe ich nicht darauf geachtet …«

  »Das habe ich gemerkt, danke auch. Ich wollte, dass du mir was mitbringst.«

  Jetzt reicht es mir. Ich lege mein Handy härter als nötig auf den Couchtisch und stemme die Hände in die Hüften.

  »Also wirklich, Zoé, langsam nervst du. Wir alle haben einmal im Monat unsere Tage und leben trotzdem weiter, ohne die ganze Welt gegen uns aufzubringen oder zwei Kilo zuzunehmen. Du musst dich eben damit abfinden.«

  Mein Ton ist kühl und Zoé spürt, dass das Maß voll ist. Himmel, fühlt sich das gut an! Meine beste Freundin wirft mir einen finsteren Blick zu, antwortet aber nicht. Sie weiß, dass ich eigentlich ein freundlicher Mensch bin, solange man es nicht übertreibt. Genau genommen spielt sie die Nervensäge nur, bis man etwas sagt, was echt ärgerlich sein kann.

  Schließlich meckert sie doch noch:

  »Aber du hast das letzte Snickers gegessen.«

  Ich verdrehe die Augen und setze mich auf die Couchlehne, um sie in den Arm zu nehmen. Wenn es Zoé nicht gut geht, ist sie wie ich, wenn ich betrunken bin … Ich schaue sie an. Und zum ersten Mal seit ich aus der Uni zurück bin, merke ich, dass etwas nicht stimmt. Sie sieht wirklich völlig fertig aus. Ich vermute sofort, dass ihr älterer Bruder sie angerufen und um Geld angebettelt hat. Wieder einmal.

  »Du solltest dich freuen, dass ich es aufgegessen habe«, sage ich sanft. »Dein Hintern wird es mir ewig danken.«

  Sie schnieft in ein Taschentuch, legt den Kopf an meinen Bauch und nickt weise.

  »Im Gegensatz zu deinem.«

  Wo sie recht hat … Ich werfe einen schrägen Blick auf meinen Po. Um den kümmere ich mich später.

  »So funktioniert wahre Freundschaft eben – manchmal muss man Opfer bringen.«

  Sie zieht mich fester an sich.

  Erst als ich die Worte ausspreche, stelle ich fest, wie wahr sie sind.

 

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