Never Too Close

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Never Too Close Page 24

by Moncomble, Morgane


  »Lieber nicht.«

  Enttäuschung zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab. Sie versteht meine Ablehnung nicht, aber wenn wir einen schlechten Tag erwischen, könnte die Situation eskalieren. Wir bleiben kurz stumm, gestärkt, weil wir uns einander anvertraut haben.

  Doch unser verbotener Moment an der Küchenwand kehrt zurück und verfolgt uns.

  Ich werfe Violette einen Seitenblick zu, um herauszufinden, woran sie denkt. Angesichts ihrer aufgelösten Miene gehe ich davon aus, dass sie das Gleiche denkt wie ich. Nach gut fünf Minuten sitzen wir immer noch auf dem Couchtisch im Wohnzimmer, ich in meinen Boxershorts und sie nackt unter ihrer Decke.

  »Was machen wir jetzt, Loan?«

  Ich habe keine Ahnung.

  20

  Heute

  Violette

  Ich habe mich ziemlich schuldig gefühlt, nachdem Loan und ich das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Aber gestern … gestern war etwas ganz anderes. Das gestern gehörte nicht zu unserem Kompromiss.

  Ich habe nicht eine Sekunde an Clément gedacht und halte das für ein sehr schlechtes Zeichen … Als Loan mich fragte, ob ich Clément liebe, konnte ich nicht lügen. Nein, ich bin nicht in ihn verliebt. Hingegen bin ich mir ziemlich sicher, dass ich jemand anderen liebe. Okay, definitiv sicher. Ich liebe Loan. Ich weiß nicht, seit wann – vielleicht seit unserem sinnlichen Tanz oder vielleicht auch schon, seit ich ihn vor einem Jahr um ein Päckchen Mehl gebeten habe –, aber das spielt auch keine Rolle. Ich weiß nur, dass ich es nach unserem ersten Mal erkannt habe. Ich konnte die Augen nicht mehr davor verschließen.

  Nachdem ich mir endlich darüber im Klaren bin und nach diesem zweiten Sex habe ich vor, Clément alles zu sagen. Das, was ich ihm ohne sein Wissen antue, hat er nicht verdient. Meine Entscheidung ist gefallen. Jetzt muss ich nur noch den richtigen Zeitpunkt finden.

  »War es gestern nett?«

  Verdutzt schaue ich Zoé an, die mit mir zum Auto geht. Wir verlassen gerade ESMOD und wollen nach Hause, um meinen Vater zu begrüßen, den Loan am Bahnhof abgeholt hat. Ich setze einen möglichst unschuldigen Ausdruck auf – Zoé soll nicht erfahren, dass Loan und ich es wieder getan haben.

  »Gestern? Was soll da besonders nett gewesen sein? Alles war wie immer.«

  Okay, an der Verschwiegenheit müssen wir noch arbeiten.

  »Entspann dich, ich frage doch nur. Falls es dich interessiert, bei mir war es …«

  »Nein, es interessiert mich nicht«, meine ich grinsend und setze mich auf den Beifahrersitz. »Trotzdem vielen Dank.«

  Maulend fährt sie los. Sie und Jason zusammen zu sehen gefällt mir, das gebe ich zu, aber ich habe keine Lust, alle Details zu erfahren. Es tut mir ohnehin leid, dass ich eine so lebhafte Fantasie habe.

  »Gut, dann sage ich eben nichts. Aber falls es dich tröstet, wir haben uns gut geschützt. Bist du jetzt wenigstens stolz auf mich?«

  Ich will sie gerade angrummeln, weil sie mir Bilder aufgezwungen hat, die ich wieder stundenlang nicht vergessen kann, als mir das Blut in den Adern gefriert.

  Warte mal. Stopp. Welt, hör für zwei Minuten auf, dich zu drehen.

  Haben wir …? Tatsächlich. Loan und ich haben vergessen, zu verhüten. Ich kann nicht fassen, dass ich nicht daran gedacht habe. Gott, bin ich blöd! Wie konnte ich den Unterschied zwischen »mit« und »ohne« Kondom nicht bemerken?

  Ich zittere heftig, teils vor Angst, teils wegen der Erinnerung, die unwillkürlich zurückkommt. Fieberhaft denke ich nach und weiß nicht, was ich tun soll. Ob Loan sich dessen bewusst ist?

  Nach kurzem Zögern schreibe ich ihm:

  Ich: Loan …

  Loan: ??

  Ich: Wir haben gestern nicht verhütet.

  Warum soll ich ein Blatt vor den Mund nehmen? Tatsächlich dauert es zwei endlose Minuten, bis er mir antwortet. Ich frage mich, was er wohl denkt. Ein bisschen schuldig fühle ich mich schon, auch wenn ich mir keine Vorwürfe machen muss. Endlich vibriert mein Handy.

  Loan: Ich bin gesund. Nimmst du die Pille?

  Ich: Ja.

  Loan: Gut. Vio, es tut mir leid … Ich habe es völlig vergessen.

  Ich lächle mein Handy an. Mir hätte klar sein sollen, dass er sich entschuldigen würde.

  Ich: Lass gut sein, es ist auch meine Schuld. Wir hatten es … zu eilig.

  Loan: Das war meine Aufgabe. Ich hätte es nicht vergessen dürfen.

  Darauf antworte ich nicht. Wir fahren zu unserer Wohnung. Es ist wirklich ein Glück, dass ich die Pille nehme. Nicht nur, weil Loan und ich nicht zusammen sind, sondern ich kenne auch seine Ansicht zu diesem Thema …

  Als ich die Wohnungstür öffne, sitzt mein Vater auf einem der Küchenhocker und unterhält sich mit Loan.

  »Papa!«, rufe ich fröhlich. »Willkommen in unserer Wohnung!«

  Mein Vater steht auf und nimmt mich in den Arm. Ich genieße den für ihn charakteristischen Nadelholzduft, einen Geruch nach frischer Luft und Weite.

  »Hallo, Kleines. Ich habe dich vermisst«, sagt er lächelnd, wie es seine Art ist.

  Ich schließe die Augen und lasse mich mit einem Gefühl von Erleichterung in seine Umarmung fallen. Es tut so gut, dass ich am liebsten weinen möchte. Ich wusste gar nicht, wie sehr er mir gefehlt hat.

  »Ich bin so froh, dass du da bist. Hast du schon gegessen?«, frage ich ihn, während ich meinen Mantel ausziehe.

  Anschließend begrüße ich Loan. Er richtet sich auf und legt mir die Hand ins Kreuz, was mich elektrisiert. Anstelle meines Vaters antwortet er:

  »Nein, wir haben auf dich gewartet.«

  Ich frage meinen Vater nach der Familie und wie seine Arbeit läuft – die übliche Routine. Zoé und Loan essen mit uns zu Mittag, die Atmosphäre ist gelöst und entspannt. Mein Vater stellt Loan viele Fragen über seine Arbeit, die er sehr bewundert. Zoé und ich unterhalten uns über unsere Hausaufgaben für ESMOD. Zum Glück haben wir ab heute zwei Wochen Ferien.

  »Dann erzähl mal«, fragt mein Vater lächelnd nach dem Kaffee, »wie willst du die nächsten zwei Tage mit deinem schrulligen alten Vater genießen?«

  »Sie sind absolut nicht schrullig«, widerspricht Zoé sofort.

  »Schleimerin«, ziehe ich sie auf.

  »Ich habe gehört, du willst mir jemanden vorstellen?«

  Ich beiße mir auf die Lippen, ehe ich antworte. Ich hatte völlig vergessen, dass Clément heute Abend zum Essen kommt … War es Loan, der es meinem Vater gesagt hat? Ich wage es nicht, ihn anzusehen, um es herauszufinden. Nach dem gestrigen Ereignis erscheint mir die Idee völlig grotesk, aber jetzt kann ich nicht mehr zurück.

  »Äh, ja … Aber nimm es nicht zu ernst, okay?«

  Er nickt, während ich angespannt lächle. Jetzt muss ich mich nur noch motivieren und davon überzeugen, dass wir alle einen schönen Abend verbringen werden! Mein Optimismus gerät jedoch ins Wanken, als ich meinen Vater und Loan bei einem verstohlenen Blickwechsel überrasche, der nur einen Sekundenbruchteil andauert … Er ist so kurz, dass ich am Ende fast überzeugt bin, ihn mir nur eingebildet zu haben.

  Gestresst schaue ich noch einmal in den Spiegel. Verdammt, ich muss mich beruhigen, bevor ich meine Zunge mal wieder nicht im Zaum halten kann und schon vor dem Nachtisch allen mitteile, dass ich (zweimal!) mit Loan geschlafen habe.

  »Du siehst sehr schön aus.«

  Ich hebe den Blick zu Loans Spiegelbild. Er lehnt mit verschränkten Armen am Türrahmen. Ich taxiere mich noch einmal und versuche verzweifelt zu verstehen, wie er darauf kommt. Heute Abend trage ich einen ärmellosen schwarzen Rollkragenpullover, der bis kurz unter die Brust reicht, zu einem hoch geschnittenen grauen, knielangen Rock. Klassisch und sexy zugleich.

  »Danke.«

  »Komm schon. Der Süße ist sicher gleich da.«

  Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu.

  »Was habt ihr bloß alle mit diesem blöden Spitznamen?« Loan verkneift sich ein Lachen und zupft mich an den Haaren.

  »Zoé
hat ihn so getauft. Achte einfach nicht drauf.«

  Mit Loan im Schlepptau betrete ich das Wohnzimmer. Mein Vater sitzt auf der Couch und wendet sich uns zu, während Loan zur Tür geht und seine Jacke anzieht.

  »Ich lasse euch den heutigen Abend im Familienkreis genießen.«

  Ich drehe mich nicht zu ihm um und vermeide es, meine Verunsicherung zu zeigen. Angesichts der Situation stört es mich, dass Loan gehen will, um die Begegnung mit Clément zu vermeiden – schließlich ist hier auch sein Zuhause …

  »Was?«, empört sich mein Vater. »Du bleibst doch hoffentlich nicht den ganzen Abend weg! Meinetwegen brauchst du ganz sicher nicht zu gehen. Komm schon, bleib zum Essen. Je mehr Verrückte beisammen sind, desto lustiger wird es!«

  Wie bitte? Langsam wende ich mich zu ihnen um. Loan öffnet den Mund und scheint ablehnen zu wollen, bremst sich aber sofort. Er wirft mir einen flüchtigen Blick zu. Ich reiße grimmig die Augen auf. Er zuckt die Schultern. Oh, dieser Verräter.

  »Wenn Sie darauf bestehen«, nimmt Loan die Einladung an und zieht seine Schuhe wieder aus.

  Beide blicken mich um Zustimmung bittend an. Besiegt hebe ich die Hände und zwinge mich, Begeisterung vorzutäuschen:

  »Je mehr Verrückte, desto lustiger!«

  Könnte mich bitte jemand erschießen?

  Als ob das noch nicht genug wäre, klingelt Clément genau in diesem Moment. Wir alle erstarren auf der Stelle. Fast scheint es mir, als hätte ich alle gestresst – eigentlich wäre es echt zum Lachen, wenn mir davon nicht beinahe übel würde. Um mir Mut zu machen, kippe ich ein Glas Champagner auf ex.

  Ich flüstere meinem Vater zu, er soll mich nicht in Verlegenheit bringen, und bedenke Loan mit einem letzten Blick. Ich weiß, dass er verstanden hat, denn er verdreht die Augen. Ich gehe zur Wohnungstür und öffne.

  Clément steht da, gutaussehend, schick gekleidet, einen Blumenstrauß in der Hand. Für ein paar Sekunden vergesse ich meine Angst.

  »Hallo.«

  »Bin ich auch nicht zu spät?«, fragt er, nachdem er mich auf die Wange geküsst hat.

  »Nein, genau richtig. Danke.«

  Er reicht mir die Blumen und ich nehme seinen Arm und führe ihn zur Couch. Jetzt ist es so weit.

  »Papa, das ist Clément. Clément, das ist mein Vater André.«

  »Schön, Sie kennenzulernen, André«, sagt Clément lächelnd und offenbar ohne jegliche Nervosität. »Violette spricht oft von Ihnen.«

  »Also das würde mich überraschen«, scherzt mein Vater.

  Ich nehme Clément den Mantel ab, während Loan ihn seinerseits mit zusammengebissenen Zähnen begrüßt. Mir ist klar, dass Clément sich ärgert, dass Loan dabei ist, aber ich tue so, als wäre alles normal. Nachdem die Höflichkeiten ausgetauscht sind, lege ich am Tisch ein weiteres Gedeck auf und lasse alle Platz nehmen. Ich sitze neben Clément und gegenüber von Loan, mein Vater hat die Schmalseite des Tisches gewählt – den besonders imposanten Platz des Oberhaupts.

  »Also Clément«, beginnt mein Vater. »Wie haben Sie und Violette sich kennengelernt?«

  Ich überlasse es Clément, die Geschichte vom Restaurant zu erzählen, nicke an bestimmten Stellen, bin aber viel zu sehr mit meinem Glas Champagner beschäftigt, um mich einzubringen. Loan hingegen wirkt sehr interessiert und stellt hier und da Fragen. Dabei lässt er mich nicht aus den Augen.

  Das Abendessen geht ganz gut über die Bühne. Mein Vater und Clément tauschen Banalitäten aus und unterhalten sich über Studium, Arbeit und Familie. Loan hingegen schweigt und beobachtet, wie es seine Art ist. Und ich – nun, ich beteilige mich dann und wann am Gespräch, trinke ziemlich viel und pendle zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her. Clément nutzt eine kurze Unaufmerksamkeit meines Vaters, um mir ins Ohr zu flüstern:

  »Was hat Loan hier zu suchen?«

  »Er wusste nicht, wohin.«

  Clément wirft mir einen schiefen Blick zu, als wolle er sagen: »Von dem lasse ich mich doch nicht verarschen.« Das nehme ich ihm übel. Er hat nicht den richtigen Zeitpunkt für eine solche Feststellung gewählt.

  »Er wohnt hier, Clément. Wenn er bleiben will, bleibt er.«

  Er seufzt irritiert, belässt es aber dabei. Bis jetzt klappt noch alles reibungslos. Erst beim Nachtisch kippt die Stimmung …

  Ich komme mit dem Kuchen aus der Küche. Der Alkohol hat meine Reflexe verlangsamt. Beinahe lasse ich das Dessert fallen, doch Loan stabilisiert mich mit einer Hand am Ellbogen.

  »Mmmh, eine Himbeercremetorte!«, ruft mein Vater.

  »Ja, ich habe sie gestern Nachmittag gekauft.«

  »Beim Bäcker?«, fragt Clément.

  Ich will gerade antworten, als ich den spöttischen Blick bemerke, den Loan und mein Vater wechseln. Ich fixiere Loan, doch er achtet nicht auf mich. Mein Vater kommt mir zuvor und antwortet lachend:

  »Nein, in der Reinigung.«

  Loan lacht auf, sieht aber weg, um meinem bitterbösen Blick nicht zu begegnen. Clément, der nicht weiß, was er davon halten soll, schaut sie abwechselnd an.

  »Ich meinte: beim Bäcker oder beim Konditor?«

  Ich lege ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen.

  »Ja, beim Bäcker.«

  Von diesem Moment an beginnt die Volksbelustigung. Loan und mein Vater kennen sich schon eine Weile und verstehen sich ausgezeichnet. Ihre subtilen Scherze werden auf ganz natürliche Weise immer häufiger. Manchmal merkt Clément etwas, manchmal nicht. Nach einer Weile trete ich Loan gereizt gegen das Schienbein, um ihn zum Schweigen zu bringen.

  »Autsch!«, ruft mein Vater zu meiner Rechten und sieht mich mit großen Augen an.

  »Oh, pardon, das war nicht für dich gedacht«, entschuldige ich mich hastig. »Also, ich meine, es war für niemanden gedacht, ich habe nur gerade meine Füße bewegt und es hat dich getroffen, es tut mir wirklich leid, Papa, ich habe nicht gesehen, dass wir so wenig Platz unter dem Tisch haben; außerdem, wie hätte ich es wissen sollen? Ich verbringe schließlich mein Leben nicht unter dem …«

  »Vio, ich glaube, wir haben es verstanden«, unterbricht mich Loan amüsiert.

  Ich nicke und bin ganz froh, dass er mich in meinem Wortschwall unterbrochen hat. Er konfisziert mein Glas und trinkt es leer. So ist es also, Geheimnisse zu haben … Man trinkt und trinkt und merkt es nicht mal. Plötzlich bekomme ich Schluckauf. Die drei Männer blicken mich erstaunt an.

  Dieses Essen ist eine Katastrophe.

  »Alles in … HICKS! … Ordnung. Loan: Ab in die … HICKS! … Küche. Sofort!«

  »Die ›HICKS! Küche‹? Kenne ich nicht.«

  Der Blick, den ich ihm zuwerfe, beschleunigt seinen Entschluss. Er entschuldigt sich bei unseren Gästen, steht auf und folgt mir hinter den Küchentresen. Mein Schluckauf lässt nicht nach, doch ich verschränke die Arme vor der Brust, um ihm meine Unzufriedenheit zu zeigen. Loan hebt eine Augenbraue und nimmt die gleiche Haltung ein.

  »Gibt es ein Problem?«

  »Ein Problem? Du hörst sofort auf, dich über … HICKS! … ihn lustig zu machen, okay? Du und mein Vater! Das ist wirklich … HICKS! … nicht nett von euch.«

  »Schon gut, Violette, wir machen doch nur Spaß.«

  »Ich weiß, Loan. Aber das jetzt war zu viel. Stell dir doch mal vor: Er kommt … HICKS! … und muss feststellen, dass mein bester Freund zum Abendessen bleibt. Dann merkt er, dass du und Papa … HICKS! … unter einer Decke steckt! Das ist stressig und nicht gerade nett.«

  Plötzlich habe ich das Gefühl, dass Loan beleidigt ist. Er runzelt die Stirn, beißt die Zähne zusammen und wirft mir einen unfreundlichen Blick zu, der mich sofort einschüchtert.

  »Du willst also, dass ich nett zu ihm bin?«, knurrt er.

  »Ja. Du bist mein bester Freund«, sage ich leiser. »Obwohl ich nach allem, was passiert ist, vorh…«

  »Schon kapiert«, unterbricht er mich in einem trockenen Ton, der mich überrascht. »Aber wenn du willst, dass ich nett zu deinem ›HICKS! … Freund‹ bin, solltest
du vielleicht aufhören, ihn zu betrügen.«

  Mir ist, als bekäme ich einen harten Schlag ins Gesicht. Erstaunt und ohne zu blinzeln starre ich Loan an. Wie kann er es wagen, so etwas zu sagen. Sogar mein Schluckauf verschwindet angesichts solcher Grausamkeit. Ich weiß, dass ich für das, was ich Clément antue, Strafe verdient habe, aber die Kälte in Loans Stimme bringt mich zum Verstummen. Ich wollte ihm gerade sagen, dass ich beschlossen habe, mit Clément Schluss zu machen, doch jetzt lässt Loan mich wie eine Idiotin dastehen.

  »Das stimmt«, hauche ich und bemühe mich, nicht zu weinen.

  Er hat recht. Es macht mich krank, es zuzugeben, aber er hat recht. Und plötzlich verspüre ich einen solchen Drang, mich zu verteidigen und ihm alles zu erklären, dass mein Herz rast. Ich sollte ihn ein für alle Mal fragen: Liebt er mich? Will er mit mir zusammen sein? Ich weiß, dass er immer noch an Lucie denkt. Und was würde passieren, wenn wir es versuchen und scheitern würden? Was würde aus unserer Freundschaft? Sie ist alles, was in meinem Leben zählt; unsere Komplizenschaft, seine Unterstützung, seine Anwesenheit. Dennoch will ich es wissen.

  Ich glaube, er ahnt, was ich sagen will, denn sein Blick wird heiß und ungeduldig.

  »Loan«, flüstere ich und nehme meinen ganzen Mut zusammen. »Glaubst du, dass …?«

  Sein Telefon unterbricht mich. Na toll. Super Timing, Leute! Ich reiße mich so gut es geht zusammen und räuspere mich. Loan entschuldigt sich und wirft einen Blick auf sein Handy auf dem Tresen. Ich ebenfalls. Und es ist wie eine kalte Dusche.

  LUCIE.

  Mit baumelnden Armen stehe ich da und starre den Namen auf dem Display an. Lucie ruft an. Scheiße. Eigentlich erwarte ich, dass Loan das Gespräch zumindest aus Höflichkeit nicht annimmt, aber er greift mit bestürzter Miene nach dem Telefon. Mir verschlägt es die Sprache.

  »Tut mir leid, Vio, ich muss da rangehen. Wir reden später weiter, okay?«, sagt er und verschwindet eilig Richtung Tür.

  Zutiefst entsetzt von dem, was gerade passiert ist, bleibe ich wie versteinert stehen. Ich war drauf und dran, ihn zu fragen, ob er mich liebt, und habe meine Antwort bekommen. Ja, es brauchte nur eine Sekunde mit Lucies Namen vor Augen, und schon gibt es mich nicht mehr.

 

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