[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen

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[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen Page 20

by Kiefer, Lena


  Am Ufer war Chaos ausgebrochen. Rekruten rannten über den Rasen oder kamen aus dem Wasser gestürzt, Zivilisten riefen panisch um Hilfe. Der Grund waren mehrere schwarz vermummte Personen mit Waffen, die von der Landseite aus wild in die Menge feuerten. Am Ufer war jemand zu Boden gegangen, da war Blut, eine Menge Blut. Schockiert starrte ich auf die Stelle. Dann versuchte ich, die Situation zu erfassen.

  Eins, zwei, drei … habe ich den Angreifer da vorne schon mitgezählt?

  Fünf Zivilisten hinter uns, nein, sechs …?

  Im See auch noch welche, Anwärter oder …?

  Ich konnte nicht klar denken. Mein Gehirn versuchte es, war aber wie gelähmt, vor Schreck oder weil ich einfach zu fertig war.

  Zwei Meter von mir entfernt duckte sich Emile unter einem Schuss hinweg. Das Projektil streifte ihn und versengte ihm das Shirt am Rücken. Hastig griff ich nach seiner Hand und zog ihn hinter die Wand.

  »Was ist hier los?! Wer sind die?« In seinen Augen stand nackte Angst.

  Ich hatte keine Antwort darauf. Die Sicherheitsvorkehrungen hier waren absurd hoch, niemand schaffte es einfach so in die Stadt. Vielleicht waren es ausländische Soldaten? Oder eine Spezialeinheit? Als einer der Angreifer in unsere Richtung kam, sah ich genauer hin.

  Für eine Sekunde hatte ich vermutet, es wäre ReVerse, aber so gingen wir nicht vor. Was hätte es gebracht, mich einzuschleusen, wenn Ferro einen Weg gefunden hatte, Maraisville zu überrennen? Aber diese Leute wirkten auch nicht wie Militärs. Sie bewegten sich keineswegs exakt oder schienen eingespielt zu sein. Waren es etwa …?

  »Radicals«, murmelte ich tonlos.

  »Was?«, fragte Emile.

  »Es sind Radicals«, wiederholte ich lauter. »Sieh dir ihre Klamotten an.« Am Saum, eine Handbreit über der Hüfte, war eine durchkreuzte Lilie zu sehen.

  »Scheiße! Was machen wir jetzt?« Emile sah mich an.

  Ich war noch nie in einem Gefecht gewesen, aber im Training hatte ich gelernt, worauf es ankam: Wir mussten uns formieren und die Gefahr ausschalten. Aber wie machte man das, mit vier Runden Zirkeltraining in den Knochen, ohne Waffen, gegen einen Haufen schießwütiger Radicals?

  »Wir müssen die Zivilisten hier wegbringen«, rief ich Emile zu. In unserer Nähe kauerten mehrere Leute hinter den Büschen. Zwei von ihnen heulten so laut, dass wir es hören konnten.

  »Aber wohin?«, fragte er.

  »Zum Bootshaus.« Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

  »Geh du vor, ich gebe dir Deckung.«

  »Womit denn?«

  Er grinste schief und riss eine Holzlatte von der Kletterwand.

  »Na, dann viel Glück.« Ich verließ die Deckung der Wand und lief los. Der Schmutz unter meiner nassen Kleidung rieb schmerzhaft an den Armen, meine Haut schien in der prallen Sonne zu verbrennen. Ich erreichte das Grüppchen am Ufer und ging neben ihnen in die Hocke.

  »Seid ihr okay?«

  Die zwei Jungs und ein Mädchen im Teenageralter waren blass und verschreckt, nickten aber.

  »Passt auf. Wenn ich ›jetzt‹ sage, rennt ihr zu meinem Freund da drüben. Keine Angst, euch passiert nichts.« Glaubt eigentlich irgendjemand den Scheiß, den Leute in solchen Situationen von sich geben?

  »Jetzt!«

  Wir sprinteten in vollem Tempo los. Zu spät sah ich, dass einer der vermummten Kerle in unsere Richtung kam.

  »Ophelia, zurück!«, brüllte Emile, aber der Radical hatte uns längst entdeckt. Ich legte noch einen Zahn zu, stieß die beiden Jungs hinter die Kletterwand und hechtete mit dem Mädchen hinterher. Mehrere Projektile schlugen donnernd in das Holz ein. Wir warteten nicht darauf, ob die Wand hielt.

  »Da rüber!«

  Das Bootslager war vierzig Meter entfernt, eine weite Strecke ohne Deckung. Emile rannte vorweg, das Holzbrett noch in der Hand. Ich hielt mich dicht bei den Teenagern.

  Plötzlich wurde ich seitlich von den Füßen gerissen. Was zur …? Blitzschnell richtete ich mich auf. Wenn mein Gehirn schon nicht funktionierte, dann immerhin meine Reflexe.

  »Hilf mir!« Ein fremdes Mädchen klammerte sich an mich. Ihre dunklen Augen waren aufgerissen, ihr Blick flehend.

  »Bist du verletzt?« Ich konnte nichts erkennen.

  »Ja, nein … ich weiß es nicht!« Sie heulte auf, als ich sie am Arm berührte.

  »Wir müssen hier weg!« Mitten auf freier Fläche standen wir auf dem Präsentierteller des Jahrtausends. Projektile flogen, Rasenstücke spritzten auf, Holz und Ziegel regneten auf uns herunter. Es war ein Wunder, dass uns noch nichts getroffen ha–

  Ein markerschütternder Schrei ließ mich taumeln. Ich umklammerte den Arm des Mädchens, rutschte aber ab. Meine Hand war rot vor Blut.

  Plötzlich war Echo neben mir und stieß mich zur Seite.

  »Ich kümmere mich um sie. Bring dich in Sicherheit!«

  »Aber da sind noch mehr Leute!« Überall waren Anwärter und Stadtbewohner schutzlos ausgeliefert, während die Front aus Radicals näher rückte. Niemand von uns war bewaffnet. Das würde eine einzige große Hinrichtung werden.

  »Tot bringst du denen gar nichts! Die Soldaten werden gleich hier sein.«

  »Was, wenn nicht?!«, rief ich.

  »Das ist ein Befehl, Scale!« Sie packte das ohnmächtige Mädchen unter den Achseln und zog sie mit sich weg. Ich wollte ihr folgen, aber dann entdeckte ich etwas: schwarze Haare hinter einem Boot.

  Gaia.

  Sie kauerte am Ufer, hundert Meter von mir entfernt. Und sie konnte nicht sehen, dass einer der Radicals direkt auf sie angelegt hatte. Ich zögerte nur eine Sekunde. Dann rannte ich los.

  Es war eine furchtbar dumme Idee, aber die einzige, die mir kam. Ich hielt auf den Typen zu, sprang ab und riss ihn aus vollem Lauf von den Füßen. Mit Wucht schlugen wir auf den Boden. Seine Waffe flog davon.

  Ich war gut im Nahkampf, aber dieser Radical war nicht wie die Typen in Brighton. Er wehrte meinen ersten Schlag ab und erwischte mich so hart, dass mir schwindelig wurde. Eine Sekunde drehte sich alles, dann holte ich aus und trat ihm zwischen die Beine. Er keuchte auf und ging halb in die Knie. Mit einem Schlag ins Gesicht setzte ich nach, mitten auf die vermummte Nase. Er stöhnte und fiel zu Boden. Ich beugte mich vor und wollte ihm die Maske wegreißen. Da packte er meinen Arm und zog mich herunter.

  Es ging rasend schnell. Der Kerl drückte mich auf den Rasen, nagelte mich mit seinen Knien fest, hielt meine Hände über meinen Kopf. Ich strampelte und keuchte, aber er wog sicher hundert Kilo und war komplett in Schutzkleidung. Eisern presste er mir die andere Hand auf Mund und Nase, meine Lunge brannte binnen Sekunden, verlangte nach Sauerstoff, bekam keinen. Mit letzter Kraft zog ich mein Knie nach oben …

  Plötzlich war er weg. Jemand hatte ihn von mir heruntergerissen wie eine Puppe. Ich verlor keine Zeit. Schnell sprang ich auf die Füße, schwankte, Schwärze machte sich breit. Blind tastete ich nach der Waffe, die er verloren hatte. Ich fand sie auf dem Boden. Der Radical lag ein paar Meter weiter, reglos. Neben ihm stand Troy.

  »Weg hier«, sagte er und packte mich am Arm. Ich wollte mich bedanken, aber es blieb mir im Hals stecken.

  »Gaia«, brachte ich stattdessen hervor. »Sie ist da … da hinter …«

  Ich suchte nach ihr, richtete die Waffe auf die Angreifer, drückte ab. Nichts passierte. Ich drückte wieder den Abzug. Nichts. Ohne gekoppelte EyeLinks war die Waffe wirkungslos.

  »Echo hat Gaia geholt, sie ist in Sicherheit. Komm, wir müs–«

  Ich erstarrte. Was Troy noch sagte, ging in dem Rauschen meiner Ohren unter.

  Die Radicals hatten sich neu formiert und kamen von der Straße auf uns zu. Alle trugen immer noch ihre Masken, alle bis auf einen. Auf dem Weg zu uns drehte er sich ins Profil und ich konnte sein Gesicht erkennen. Stumm keuchte ich auf.

  Es war Knox.

  »Scale, komm jetzt!« Troy zerrte an meinem Arm. Ich schüttelte ihn ab.

  »Nein, ich kann nicht«, sagte ich. »Das ist mein Freund …« Knox war hier. Was bedeutete das? War er zurück? Waren seine Erinnerungen zurück?

  In meinem Kopf setzte etwas aus. Wie benebelt wankte ich auf die Gruppe zu, i
gnorierte die Waffen. Ich konnte nur Knox sehen – sein Gesicht, das jetzt wieder hinter der Maske verschwunden war. Aber er war es. Ich hätte ihn unter Hunderttausenden Menschen wiedererkannt.

  Sie teilten sich auf, zwei kamen auf mich zu. Knox war nicht dabei. Ich änderte den Kurs, steuerte in seine Richtung. Er war hier, ich konnte mit ihm sprechen, ich konnte ihn berühren. Ich musste ihn berühren. Ich brauchte Gewissheit.

  Die beiden anderen Typen waren mir im Weg und ich hatte keine Zeit zu verlieren. Mit brutaler Härte hieb ich dem einen meine Faust ins Gesicht, sodass er zurücktaumelte. Der andere griff mich an. Sein Fehler.

  Ein harter Schlag mit der Handkante, ein gezielter Kick in den Unterleib – ich funktionierte wie auf Autopilot. Einer der Typen traf mich direkt im Gesicht, aber ich machte weiter, als wäre nichts. Ich spürte keinen Schmerz, keine Schwäche, nur rasende Entschlossenheit. Ich teilte aus, steckte ein, schlug, kämpfte, erledigte den Ersten. Der Zweite verdrehte mir die Arme auf dem Rücken, ich duckte mich heraus und trat ihm die Beine weg. Nachdem ich sie los war, lief ich Richtung Ufer. Drei von den Radicals waren auf dem Weg zum Wasser.

  »Hey!«, rief ich mit letzter Kraft. Knox war nur wenige Meter vor mir, drehte sich um. Aber auf einmal war da ein brennender Schmerz, erst in meinem Arm, dann in meinem Bauch. Er war so heftig, dass mir die Luft zum Schreien fehlte. Dann erkannte ich, wieso.

  Knox hielt eine Waffe, hatte sie auf mich gerichtet. Ich sah an mir herunter. Mein nasses Shirt war rot vom Blut anderer – doch jetzt kam meines dazu.

  Ich war getroffen. Er hatte auf mich geschossen. Knox hatte auf mich geschossen.

  Wieso?

  Ich taumelte und fiel zu Boden. Dunkelheit fraß sich rasend schnell in mein Blickfeld. Jemand schrie etwas, die Stimme kam mir bekannt vor.

  Dann verlor ich das Bewusstsein.

  22

  Ein monotones Brummen weckte mich, unterbrochen von einem leisen Fiepen. Mein Kopf war leer und fühlte sich wie Watte an. Ich hatte von irgendetwas Schönem geträumt, einer Party am Strand oder einem Ausflug in die Berge. Es roch nach Blumen und Sommer. Ich hätte ewig so daliegen und an nichts denken können.

  »Sie ist wach.«

  Mühsam zwang ich meine Augen auf.

  Eine Frau stand neben mir. Sie trug weiße Kleidung und einen straff gebundenen Pferdeschwanz, dazu eine ernste Miene, die nicht zu ihrem hübschen Gesicht passte. Ich wollte ihr sagen, dass alles bestens war. Aber es kam nur undeutliches Gebrabbel aus meinem Mund.

  »Wir fahren das Piksi runter«, sagte eine andere Stimme.

  Piksi? Was soll das denn sein?

  Eine Minute später wusste ich es. Das Licht wurde härter, die Konturen klarer. Der Geruch nach Sommer wurde durch kühle, sterile Luft ersetzt.

  »Aua«, jammerte ich. Plötzlich schmerzte mein Bauch, genau wie mein Arm. Außerdem fühlte sich mein Kopf an, als wolle er explodieren.

  »Ophelia, weißt du noch, was passiert ist?« Das war die Frau. Plötzlich sah sie nicht mehr so hübsch aus.

  »Das will ich gar nicht wissen«, murmelte ich undeutlich und schloss die Augen wieder. Nur noch fünf Minuten Ruhe …

  Die beiden redeten wieder miteinander und verwendeten weitere Buchstabenkombinationen. Dann packte mich jemand an der Schulter.

  »Du musst aufwachen. Sofort.«

  Mit einem Mal war ich wach. Keine Ahnung, was sie mir statt des Piksi gegeben hatten, aber es brachte alles zurück: die Radicals, den Überfall, Leute in Panik, Schreie. Meine eigene Angst. Und Knox. Er hatte auf mich geschossen. Auf. Mich. Geschossen. Ich keuchte.

  Die Frau drückte mich zurück in die Kissen.

  »Beruhige dich, es ist alles in Ordnung«, sagte sie. Wenn sie gewusst hätte, wie falsch sie damit lag. Panisch umfasste ich meine Kehle. Merkten die nicht, dass ich keine Luft bekam?

  Jemand hielt mir einen SubDerm-Injektor an den Hals und die Panik verschwand. Der Schmerz verblasste zu einem dumpfen Pochen. Das Licht blieb jedoch kalt.

  »Du wurdest getroffen«, informierte mich die andere Person, ein Mann. Er war dicklich und hatte ein freundliches Lächeln. »Aber wir haben dich behandelt und alles kommt wieder in Ordnung. Spätestens übermorgen bist du ganz die Alte.«

  Übermorgen. Das hieß, ich würde mein Treffen mit Ferro verpassen. Na ja, egal, sagte mein benebeltes Hirn. Vielleicht hätte der auch auf mich geschossen.

  »Du solltest jetzt schlafen«, sagte die Frau. »Wenn etwas ist, sag Bescheid. Das System registriert das.« Sie nickte, dann gingen beide aus dem Raum.

  Das »System« war ein großes Display am Fußende meines Bettes. Ophelia Scale stand in einer Zeile ganz oben, darunter war das Schema eines Körpers zu sehen, mit roten Markierungen an Arm und Bauch, beschriftet mit Fachausdrücken, Zahlen und Buchstaben. Laien hätten nichts davon verstanden, aber mein Vater hatte Systeme wie dieses früher für MedSol mitentwickelt. Wenn ich das richtig sah, dann war das an meinem Bauch keine Schusswunde, sondern … nein, das konnte nicht sein!

  Müde lehnte ich mich wieder zurück.

  Die Tür öffnete sich erneut und ich sah hoch. Es war jedoch niemand vom medizinischen Personal.

  Es war Lucien.

  Er schlich vorsichtig ins Zimmer und schloss die Tür ohne ein Geräusch hinter sich. Dann drückte er ein paar Schaltflächen auf dem Panel daneben.

  »Langsam fühle ich mich verfolgt«, murmelte ich träge.

  »Das solltest du auch.« Er kam zu mir. »Schließlich kann man dich keine fünf Minuten allein lassen. Wie geht es dir?« Er sah ernsthaft besorgt aus. Ich stand ausreichend unter Drogen, um das gut zu finden.

  »Mein Arm und mein Bauch tun weh. Mein Kopf dröhnt. Mit dem Piksi war alles besser. Jetzt ist es doof.« Ich schluckte. Mein Hals war total ausgetrocknet.

  »Piksi?« Lucien nahm ein Glas von dem Tisch neben meinem Bett und gab es mir. »Du meinst wahrscheinlich PXI. Ja, das ist guter Stoff. Leider macht er einen auf Dauer ziemlich gaga.« Er grinste.

  »Sprichst du aus Erfahrung?« Das Lächeln war anstrengend. Ich trank einen Schluck Wasser.

  »Vielleicht?« Sein Grinsen verschwand. »Hör zu, wir müssen uns beeilen.«

  »Beeilen? Was ist denn los?«

  Lucien zog sich einen Stuhl heran. »Erinnerst du dich an das, was passiert ist?«

  »Du meinst den Angriff? Jaaah.« Meine Aussprache war ein bisschen verwaschen. »Es war laut und chaotisch, außerdem hat man auf mich geschossen. Habe ich etwas vergessen?«

  Lucien warf mir einen langen Blick zu, dann nahm er einen SubDerm-Injektor vom Tisch. Schnell tippte er eine Dosierung ein und hielt ihn mir an den Hals.

  »Nein, was … was machst du denn da?« Ich wehrte mich halbherzig, aber er war stärker. Es zischte leise, als der Stoß durch meine Haut ging.

  »Ich sorge dafür, dass du klar im Kopf wirst. Es ist wichtig, dass du verstehst, was ich dir sage.« Er wirkte sehr ernst. So mochte ich ihn gar nicht.

  Moment, mochte ich ihn überhaupt ?

  »Ich verstehe alles, was du sagst«, beschwerte ich mich. »Ich bin doch nicht blöd. Und du bist kein Arzt, also darfst du gar nicht … oh.« Was immer es war, es wirkte. Es war weniger heftig als vorhin, aber die Ereignisse kamen zurück. Ich setzte mich auf. »Was ist mit den anderen, geht es ihnen gut?« Ich dachte an Gaia und Emile, sogar Troy kam mir in den Sinn. Und Knox …

  »Keine Sorge, niemand wurde ernsthaft verletzt.«

  »Wie sind diese Typen denn überhaupt in die Stadt gekommen?«

  »Das sind sie gar nicht.«

  »Nicht? Aber –«

  »Stunt-Girl, ich werde dir jetzt etwas sagen, aber du musst mir versprechen, nicht durchzudrehen.« Lucien nahm meine Hand in seine eigene und drückte sie, beinahe zu fest. »Der Angriff war inszeniert. Die Radicals, die Bedrohung … nichts davon war echt.«

  Ich starrte ihn an, eine Sekunde, zwei, drei. Abrupt zog ich meine Hand aus seiner. »Nein. Nein, das kann nicht sein.«

  Er trat einen Schritt zurück und hob den Saum seines Shirts hoch. Auf dem Stoff war eine durchkreuzte Lilie zu sehen.

  »Du? Du warst einer von denen? Aber w
arum …?«

  »Das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass es ein Fake war.« Erst jetzt fiel mir auf, dass er ziemlich fertig aussah. Seine Haare klebten verschwitzt am Kopf und seine Augen wirkten müde und farblos.

  »Aber … das Blut, dieses ganze Blut, ich wurde angeschossen, was …« Hektisch schob ich die Decke zurück und riss an dem Hemd, das ich trug, tastete meine Haut ab. Nichts. Eine schwach schimmernde Rötung am Bauch, aber keine Wunde. So schnell arbeitete NanoHealing nicht.

  »Es war Übungsmunition«, erklärte Lucien. »Sie simuliert das Gefühl einer Schussverletzung, mit Schmerzen, Blut und allem Drum und Dran. Du bist nicht die Erste, die das ausknockt.«

  Reflexartig griff ich nach meinem Arm. Auch da … nichts. Plötzlich fiel mir das medizinische Kürzel auf dem Bildschirm wieder ein. Es war das für ein Hämatom. Lucien sagte die Wahrheit. Ich sank zurück.

  »Alles okay?« Er nahm die Decke und breitete sie wieder über mir aus.

  »Es geht schon.« Die Tatsachen vertrieben die Panik.

  »Gut, dann hör zu. Dufort will eure Gruppe um ein Drittel verkleinern und wollte sich nicht auf Trainingsresultate verlassen.« Er sprach leise und schnell. »Also musste ein Ernstfall her.«

  Ich hatte keinen Schimmer, wieso Lucien darüber Bescheid wusste. Trotzdem glaubte ich ihm.

  »Worauf haben sie geachtet?«

  »Vor allem auf strategische Kenntnisse und ob ihr einen kühlen Kopf bewahrt.«

  Ich lachte bitter auf. »Na toll. Scale, null Punkte.« Wahrscheinlich war das Clearing-Team schon auf dem Weg zu mir.

  »Das ist nicht wahr. Du hast dich um die Leute gekümmert und dein Bestes getan. Du hast gut gekämpft.«

  »Ja, bis zu dem Punkt, als ich jemanden gesehen habe, den ich kenne.« Was hatte das überhaupt zu bedeuten? Ich konnte mich doch nicht so sehr getäuscht haben. Allerdings war ich müde gewesen, unkonzentriert. Wenn es jemand mit ähnlichen Gesichtszügen gewesen war …

  »Nicholas Odell«, sagte Lucien. Es war keine Frage.

  »Woher weißt du das?« Ich starrte ihn an.

  »Das war Teil des Ganzen. Zu testen, ob es euch aus dem Konzept bringt, wenn bekannte Gesichter auftauchen.«

 

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