by Kiefer, Lena
»Sind Sie das erste Mal in der Villa Mare?«, fragte ich also höflich. Stella sah sich um, als hätte sie erst jetzt festgestellt, wo sie war.
»Ja«, sagte sie dann. Wow. Das würde zäh werden.
»Gefällt es Ihnen hier?«, legte ich nach und lächelte.
»Es ist … nett. Etwas zu italopäisch für meinen Geschmack.« Ich hörte einen schwachen Akzent. Dass Stella als Tochter aus gutem Haus kein akzentfreies Englisch sprach, war allerdings nicht Zeichen schlechter Bildung, sondern von sogenanntem Regionalstolz. Er war für Leute reserviert, die nicht über die europäische Vereinigung hinwegkamen. Ich erinnerte mich daran, dass Lucien Stella als Rassistin bezeichnet hatte.
»Ich finde diese traditionellen Malereien sehr hübsch.« Begeistert zeigte ich zur verzierten Decke. »Überhaupt bin ich ein großer Fan der italopäischen Kultur. Es ist so schön, dass wir in Europa alle eine große Familie sind.« Wahrscheinlich hätte ich Stella nicht provozieren sollen. Aber sonst wäre ich geplatzt.
Sie maß mich mit einem Blick, als wäre ich gerade unter einem Stein hervorgekrochen. »Wer sind Sie doch gleich?«, fragte sie.
»Sophie Forestier.«
»Die TransUnit-Forestiers?«, fragte sie weiter.
»Genau die.«
»Ach so.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Getränk und sah demonstrativ woanders hin.
Mein Blick ging an ihr vorbei und traf auf den des Königs, der gerade mit seiner Stabschefin Imogen Lawson sprach. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass er mich direkt ansah, und ich war eine Sekunde wie erstarrt. Dann tat ich etwas, ohne nachzudenken: Ich verdrehte die Augen in Stellas Richtung.
Sofort wusste ich, dass es ein Fehler war. Nicht nur, dass ich über die Tochter einer angesehenen Familie herzog. Man konnte daraus auch schließen, dass ich über Amelies Vorschlag Bescheid wusste. Außerdem war es mehr als respektlos. Was sollte ich jetzt tun? Hingehen und mich entschuldigen? Unmöglich. Wir durften keinen Kontakt zu ihm aufnehmen.
Als ich wieder hochsah, schaute Leopold mich immer noch an. Und dann tat er etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Er lächelte. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, dann widmete er sich wieder dem Präsidenten. Aber er hatte gelächelt. Amüsiert. Als würde er meine Ansicht teilen.
»Stella, ich würde Ihnen gerne jemanden vorstellen.« Amelie de Marais störte mein vergnügliches Zusammensein mit der Spaßbremse. »Sophie, ich darf sie Ihnen doch entführen?« Sie sah mich an, als wäre ich für Stellas schlechte Laune verantwortlich.
»Nur unter Protest«, flötete ich. Als die beiden gingen, atmete ich auf.
»Sieht so aus, als hättest du die zukünftige Königin kennengelernt«, murmelte Troy, als er wieder auftauchte. Na super. Vom Regen um die Traufe herum direkt ins Klo.
»Woher willst du das wissen?«
»Das pfeifen die Spatzen von den Dächern.« Er drückte mir ein Glas in die Hand.
»Wenn Stella Viklund Königin wird, kann Leopold sich auf ein Leben voller Heiterkeit einstellen«, sagte ich leise. »Die Frau ist eine richtige Entertainerin.«
»Nicht jeder kann so voller Witz und Charme sein wie du, Liebling.« Troy sagte es mit einem Unterton, der eindeutig sarkastisch war. Idiot.
»Ach, das ist so reizend von dir, Schatz.« Ich strich ihm verliebt über die Wange. »Du bist immer so gut zu mir. Wenn ich daran denke, wie du damals verhindert hast, dass dieser Kerl mich erwürgt …«
»Ich würde es jederzeit wieder tun.« Er küsste mich beiläufig auf die Stirn. Die Stelle brannte, als hätte man sie mit Säure verätzt. Himmel, ich vermisste Lucien. Wir hätten zwar nicht offen miteinander reden können, aber dieser Abend wäre trotzdem eindeutig erträglicher gewesen. Stattdessen stand ich hier und wusste nicht, wann ich ihn wiedersehen würde. Wie lange dauerte so ein Auftrag? Eine Woche? Einen Monat? Länger? Ich hatte nicht danach gefragt.
»Bisher ist alles ruhig«, sagte Troy.
»Bisher ja.« Ich war froh, dass er mich nicht mehr berührte. »Der Abend wurde gut geplant. Wahrscheinlich geht alles reibungslos über die Bühne.« Ein Ziehen in meinem Bauch nannte mich eine Lügnerin. Lucien hatte nicht umsonst ein mieses Gefühl gehabt. Immer wenn ich den König ansah, dachte ich daran, dass er diesen Abend vielleicht nicht überleben würde.
»Sophie!« Eine unbekannte Frau mittleren Alters kam mit offenen Armen auf mich zu. Sie hatte dunkle Haut und eine aufwendige Frisur, die wie ein schwarzer Helm aussah. Ihr voluminöses Kleid aus goldenem Stoff nahm den halben Raum ein. »Ich habe dich ja ewig nicht gesehen. Bei unserem letzten Treffen warst du höchstens zehn Jahre alt und hast mit den Jungs vor dem Haus herumgetobt.«
»Ja, die Zeit vergeht, nicht wahr?« Ich lächelte. Wer zur Hölle war das? Meine EyeLinks suchten nach dem Namen. Normalerweise ging das schneller.
»Ich werde nie vergessen, wie du dich mit Kuchen vollgestopft und beim Spielen dein Kleid ruiniert hast. Alles war voller Matsch.«
»Das mache ich heute nicht mehr, versprochen«, scherzte ich. Die Frau brach in Gelächter aus.
»Dein Humor war schon immer dein Markenzeichen, Schätzchen.«
»Ja, das sagt man mir oft.«
»Möchtest du mir nicht deinen charmanten Begleiter vorstellen?«
»Oh, ja, natürlich. Das ist Sebastian Temple, mein Verlobter. Sebastian, das ist …« Jetzt war ich aufgeschmissen. Wenn Sophie bei der letzten Begegnung zehn gewesen war, musste sie sich erinnern. Ich begann zu schwitzen. Was war mit den EyeLinks los?
»Verlobt?« Die Frau quiekte begeistert und rettete mich vor einer Blamage. Sie ergriff Troys Hände. »Ich bin Viola Lehair, eine Freundin von Sophies Eltern. Es freut mich sehr.« Sie sah mich an. »Eine gute Wahl, Sophie, wirklich. So ein adretter junger Mann.«
Sagte heute noch jemand adrett?
»Ja, nicht wahr? Mein Sebastian hier ist der Beste. Er passt immer auf mich auf, liest mir jeden Wunsch von den Augen ab …« Ich berührte Troy liebevoll am Arm.
Endlich zeigten meine EyeLinks etwas an. Viola Lehair, Entwicklerin des Verfahrens zur Löschung kontraproduktiver Gesinnungsparameter (VLKG).
Ich starrte sie an. Wie bitte? Vor mir stand die Person, die das Clearing erfunden hatte? Sie war sympathisch und freundlich. Wie konnte so eine Frau etwas derart Grausames entwickeln?
Meine EarLinks unterbrachen meine Gedanken. Es war Dufort.
»Der König geht in den Garten. Erhöhte Aufmerksamkeit.«
Troy und ich wechselten einen Blick. Der Garten war zur Sperrzone erklärt worden. Was wollte Leopold dort?
»Der Präsident möchte ein vertrauliches Gespräch mit seiner Majestät führen«, sagte Haslocks Stimme in meinem Ohr. Ich sah, wie Montoya einen Arm um Leopolds Schultern legte und ihn aus dem Raum führte. Das Ziehen in meinem Bauch wurde stärker.
»Wir haben vier Gardisten draußen. Die Umgebung ist abgesichert. Keine Gefahren erkennbar. Wir geben grünes Licht für den Garten.«
Troy entspannte sich. Ich nicht. Was war der Plan? Hatte ReVerse jemanden eingeschleust?
Mein Blick fiel auf die drei Leibwächter von Präsident Montoya, die an der Tür zum Garten stehen geblieben waren. Nein, die nicht. Aber wer –
Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung. Montoyas Sohn war an der Treppe und ging mit eiligem Schritt nach oben. Auf dem Absatz sah er sich um, als wolle er prüfen, ob ihm jemand folgt. Ich schaute schnell weg.
»Sophie, Liebes, wie hast du denn dieses Prachtexemplar kennengelernt?« Viola Lehair legte Troy vertraulich eine Hand auf den Oberarm.
»Oh, das kann er viel besser erzählen als ich«, sagte ich. »Entschuldigt mich kurz. Ich muss mein Make-up auffrischen.« Eilig trat ich den Weg Richtung Treppe an.
»Du verlässt deinen Bereich, Ophelia«, mahnte Dufort über die EarLinks. Ich stoppte. Daran hatte ich gar nicht gedacht.
»Ich muss auf die Toilette«, presste ich zwischen den Zähnen hervor. »Wenn du nicht willst, dass ich eines der Blumengestecke dafür benutze, muss ich meinen Bereich verlassen.«
Ich sah sein Nicken, er stand in der Nähe der Tür. »Gut. Aber beeil dich.«
Es gab Toile
tten im Erdgeschoss, also ging ich in diese Richtung. Dann suchte ich an der Wand nach einem der Geheimgänge, die nach oben führten. Aufmerksam sah ich mich um, als ich die nahtlos in die Wand eingefügte Tür öffnete. Niemand war da, als ich sie hinter mir schloss.
Der erste Stock war wie ausgestorben. Ich zog meine Waffe aus der Halterung an meinem Oberschenkel und aktivierte den Betäubungsmodus. Dann ging ich langsam vorwärts.
Vielleicht war meine Vorsicht total lächerlich. Vielleicht hatte Montoyas Sohn nur genug vom Verhalten seines Vaters und wartete oben, bis er nach Hause durfte. In dem Fall würde die angehende Agentin, die ihn mit einer Waffe bedrohte, als paranoide Irre in die Geschichte eingehen. Natürlich erst, nachdem man all ihre Erinnerungen mit einem Clearing auf null gesetzt hatte.
Nur sagte mein Gefühl etwas anderes. Lucien hatte mir erklärt, dass es wichtig war, auf die eigene Intuition zu vertrauen. Das tat ich jetzt. Mit Montoyas Sohn stimmte etwas nicht. Ich musste herausfinden, was es war.
Es gab Dutzende Räume auf der Etage, aber ich ging zielstrebig Richtung Westen, wo der Garten lag. Zwei der Zimmer mit Blick ins Grüne lagen verlassen da, die Türen standen offen, die Betten waren gemacht. Die dritte Tür war zu. Ich drückte leise die Klinke herunter und schob sie auf.
Gabrio Montoya stand am geöffneten Fenster, reglos, mit etwas in der Hand. Eine Pistole? Ich konnte es nicht sehen, der Vorhang verdeckte seinen Arm. Kräftig stieß ich die Tür ganz auf und hob meine Waffe.
»Hey! Weg vom Fenster«, sagte ich laut.
Er erschrak und drehte sich zu mir um. In seiner Hand hielt er einen länglichen dunklen Gegenstand. Mit meinen EyeLinks markierte ich das Ziel. Dann schoss ich.
Ich hatte nie vorher eine Betäubungskapsel abgefeuert und war beeindruckt, wie schnell sie wirkte. Montoyas Sohn brach nach wenigen Augenblicken zusammen und fiel mit einem dumpfen Laut auf den Teppich. Ich behielt meine Waffe im Anschlag und näherte mich, drehte ihn auf die Seite, damit er nicht erstickte.
Dann sah ich nach der Waffe. Nur war es keine. Auf dem Teppich, fast in den langen Fasern versunken, lag eine Taschenlampe. Scheiße.
Wie sollte ich das erklären? Ich hatte den Sohn eines hochrangigen Staatschefs ausgeschaltet, weil er eine Taschenlampe in der Hand gehalten hatte! Wahrscheinlich löste so etwas Krieg aus. Ganz sicher sogar.
Aber dann kam mir ein anderer Gedanke: Was hatte der Typ hier oben mit einer Taschenlampe gemacht?
Ich stand auf und ging zum geöffneten Fenster. Draußen war es dunkel. Milde Luft und der Duft von Blumen stiegen mir in die Nase, unter dem Fenster lag der Garten der Villa. Ich konnte Stimmen hören und erkannte Leopold und den Präsidenten auf dem Rasen zwischen Terrasse und Wasser. Mehrere Bäume verdeckten die Schusslinie. Mit einer Taschenlampe hätte Gabrio auch kaum schießen können.
Und dann sah ich es. Nur eine Sekunde, das kurze Aufflammen von Licht in der Ferne. Das Boot an der Boje. Es war etwa 500 Meter von der Villa entfernt. Nah genug, um jemanden mit einer schlichten Projektilwaffe plus Zielvorrichtung zu treffen – wenn man den richtigen Zeitpunkt erwischte. Ich sah auf die Taschenlampe in meiner Hand und wusste plötzlich, wofür sie gut war: Montoyas Sohn hatte jemandem Lichtzeichen gegeben.
»An alle Schakale, der König ist in Gefahr«, sagte ich laut und wartete auf Antwort. Es kam keine. Ich war nicht verbunden, die InterLinks wurden irgendwie blockiert, wahrscheinlich alle. Mir war nicht aufgefallen, dass meine EyeLinks nichts mehr anzeigten, seit ich Montoyas Sohn betäubt hatte.
Aus dieser Distanz ohne technische Unterstützung konnte ich nicht schießen. Aber bis ich nach unten gelaufen wäre und Bescheid gegeben hätte, würde die Waffe auf dem Boot längst ausgerichtet sein. Eigentlich ein Wunder, dass bisher noch niemand geschossen hatte. Worauf warteten die?
Ich verlor keine Zeit. Hastig schüttelte ich meine Schuhe von den Füßen und stieg auf das Fenstersims. Leider war der Rock meines Kleides zu eng für eine Kletterpartie. Ich fluchte und griff kurzerhand nach dem Stoff am Saum. Es gab ein hässliches Geräusch, als der Rock bis zum Oberschenkel aufriss.
Was tust du da?
Die Stimme ließ mich innehalten, obwohl sie nur in meinem Kopf existierte. Sie war sanft und schmerzhaft vertraut, obwohl ich sie lange nicht mehr gehört hatte. Knox.
Das ist der Moment, auf den wir so lange gewartet haben. Du musst nur stillhalten und abwarten.
Er hatte recht. Ich konnte hier stehen bleiben und es passieren lassen. Ich musste nur warten, bis die Kugel kam und direkt in Leopolds Herz traf. Es war einfach. Ein Kinderspiel.
Aber dann drängten sich mir Bilder meines Traumes in den Kopf. Und eine zweite Stimme. Versprich mir, dass du auf Leopold aufpasst. Sie war tiefer und rauer und voller Sorge. Einen Moment wurde ich zwischen beiden zerrissen. Dann traf ich eine Entscheidung.
Die Natursteinmauer zerfetzte mein Kleid, als ich aus dem Fenster kletterte und mich vom Sims hängen ließ. Es schien Jahre her, seit ich so etwas zuletzt getan hatte.
Der Balkon war zwei Meter unter mir. Mein Knöchel knackste beim Aufkommen schmerzhaft. Ich ignorierte es. Ein weiterer Mauervorsprung, ich kletterte und ließ mich fallen. Die Landung auf dem Rasen war weicher. Ich hörte Leopolds Stimme und erkannte seinen Anzug durch die Büsche hindurch. Das Lachen von Montoya war laut und dröhnend.
In der Ferne sah ich das Boot an der Boje. Jemand gab ein Lichtzeichen. Ich rannte los.
»Leopold, Achtung!«, brüllte ich aus vollem Hals. Wie in Zeitlupe drehte er sich zu mir um. Seine Gardisten gingen zu Boden, getroffen von Projektilen. Ein weiteres verfehlte mich um Haaresbreite. Ich stieß mich vom Boden ab, hechtete durch die Luft und knallte mit voller Wucht gegen den König. Ein harter Schlag erschütterte meinen Brustkorb, als wir auf dem Rasen landeten.
Einen Moment war alles still. Dann hörte man ein Zischen, ein trockenes Würgen, das Aufschlagen einer schweren Person. Wieder Stille.
Ich lag bäuchlings auf dem Rasen, einen Arm schützend über den König gelegt. Die Sekunden verstrichen. Ich konnte nicht atmen.
Plötzlich wurde es laut. Schritte, Schüsse, Schreie. Und mein Name.
»Ophelia!« Jemand drehte mich auf den Rücken, jemand mit einem hübschen Gesicht und einem Smoking. Dufort.
»Kriegkeineluft«, keuchte ich hervor. Es war, als hätte mich ein Amboss getroffen.
»Das wird wieder«, sagte er und nahm mich hoch, als würde ich nichts wiegen. Um uns herum rannten Menschen, Gardisten, Schakale. »Versuch, ruhig zu atmen.«
Ich versuchte es. Es klappte nicht. Panisch krallte ich mich in Duforts Ärmel.
»Echo!«, hörte ich ihn rufen, »hilf mir!«
Ich wurde abgelegt, mein Rücken traf auf harten Holzboden. Über mir waren goldene Verzierungen, von der Wand sah ein altes Gemälde auf mich herab. Jemand drückte einen SubDerm-Injektor an meinen Hals und eine Maske auf mein Gesicht. Etwas Kühles strömte in meine Lungen und vertrieb die Panik.
Dann hörte ich das Getuschel.
»… der Präsident … tot …«
»… Scharfschütze … Boot … der Sohn …«
»… hat ihn im Alleingang gerettet …«
Und da wurde es mir klar.
Ich hatte den König gerettet.
Gerettet.
Den König.
Ich.
Wie zur Hölle sollte ich das erklären?
30
Was dem Attentat folgte, war großes Chaos. Die Schakale nahmen Montoyas Sohn und den Rest seines Gefolges fest. Zwei Gardisten schafften die Leichen weg. Die anderen Gäste wurden so schnell aus dem Haus geschleust, dass ich glaubte, man hätte sie weggebeamt. Zurück blieben nur Gardisten und Schakale. Sie alle waren um eine schnelle Abreise bemüht.
Ich hatte gerade die Maske vom Gesicht genommen, als ich eine Explosion hörte. Ein Feuerball stieg über dem Meer auf. Das Boot. Wen auch immer Ferro geschickt hatte, war jetzt tot. Genau wie zwei Gardisten und der südamerikanische Präsident. Vier Tote im Dienste des Widerstandes. War es das wert?
Der Schmerz in meiner Brust war heftig, würde mich aber laut Dufort nicht umbringen. Deswegen lief ich
selbst, auf Emile gestützt, als wir zur FlightUnit gingen. Der König war längst zurück nach Maraisville gebracht worden, Gabrio Montoya auf dem Weg in das Militärgefängnis außerhalb der Stadt. Wir waren der letzte Trupp Schakale, der die Villa verließ. Den Rest würde die Garde erledigen.
»Woher hast du es gewusst?«, fragte mich Emile, als ich auf meinem Sitz schon beinahe eingeschlafen war.
»Intuition«, murmelte ich undeutlich und öffnete die Augen nicht. Kurz darauf fiel ich ins Reich der Träume.
Es dauerte drei Tage, bis man sich bei mir meldete. Drei Tage, an denen kein Unterricht stattfand, weil alle Schakale damit beschäftigt waren, den Villa-Mare-Fall zu klären. Alle bis auf einen. Obwohl ich darauf gehofft hatte, war Lucien nicht zurückgekehrt.
Die medizinische Untersuchung brachte mir die Diagnose: drei gebrochene Rippen und ein verstauchter Knöchel. Zweimal am Tag musste ich ins Medical Department zu einer Runde NanoHealing. Den Rest der Zeit saß ich in meinem Zimmer und lernte. Ich hatte keine Lust, vor den anderen Anwärtern die Heldin zu spielen. Mein Tipp hatte dieses Attentat erst möglich gemacht. Wie verlogen wäre es gewesen, sich dafür feiern zu lassen?
Statt also mit der Rettung des Königs zu prahlen, wälzte ich Gedanken. Was bedeutete diese Entscheidung für mich? War ich jetzt kein Teil des Widerstandes mehr? Und was sollte ich dann tun? Ein Schakal werden, ein Verteidiger der Abkehr? Das wäre absurd. Ich hatte Leopold vor dem Tod bewahrt, aber deswegen war ich noch lange nicht seiner Meinung.
Kurz überlegte ich, Eneas zu schreiben – oder meinem Vater. Aber keinem von ihnen durfte ich verraten, was mich wirklich beschäftigte, es wäre einfach zu riskant, selbst, wenn der Brief nicht abgefangen wurde.
Mein Terminal meldete sich mit einem Signalton.
»Nachricht annehmen«, sagte ich.
»Hallo, Ophelia.« Fiore war auf dem Screen zu sehen. Er wirkte müde, hatte dunkle Ränder unter den Augen und blasse Wangen. Keiner der Schakale schlief zurzeit viel. »Wir würden dich gerne zu dem Attentat befragen. Kannst du in zehn Minuten in der Festung sein?« Ich nickte, dann wurde die Verbindung getrennt. Schnell machte ich mich fertig und verließ meine Wohneinheit. Kurz darauf kam ich in der Festung an.