Der junge Aleneshi sprach diese Worte mit ausgesprochenem Wohlgefallen, als wenn es ihm große Freude bereiten würde, ihr auf diese unverhohlene Weise zu schmeicheln. Auch dass er sie immer wie eine vornehme Frau anredete, gefiel ihr. Deswegen, selbst wenn sie wusste, dass er ein furchtbarer, unverbesserlicher Schmeichler war, errötete Ohnfeder wie ein junger Backfisch, dem man gesagt hatte, dass ihr Kopfflaum der zarteste sei, der jemals auf dem Kopf eines jungen Mädchens erblüht war.
Immer noch rot im Gesicht machte sie einen Schritt zurück und ließ den Aleneshi eintreten.
„Und wie darf ich dich diesmal nennen?” Mit einer Geschwindigkeit, die nicht gut für die Knochen sein konnte, hatte sich der junge Aleneshi bereits auf einen der Stühle gesetzt, bevor Ohnfeder ihre Frage beendet hatte.
„Nennt mich doch diesmal Shaljel.”
„Oh, welch ungewöhnlicher Name. Mir ist jedoch so, als hätte ich ihn bereits schon einmal gehört.”
„Das kann wohl sein, meine liebe Frouwe, das kann wohl sein. Lasst euch aber nicht davon abschrecken, denn ich kann ja nicht jedes Mal meinen Namen ändern.”
Ohnfeder stand immer noch lachend an der Tür. Da der kalte Nachtwind jedoch langsam ihre Füße erreichte, wollte sie die Tür schließen.
„Halt liebe Frouwe! Heute bin ich nicht allein. Ich wollte euch nur erst einmal persönlich erschrecken, bevor es mein Weggefährte tun konnte.” Dabei blickte Shaljel auf die Tür. Ohnfeder folgte seinem Blick und drehte sich um. Die Röte wich aus ihrem Gesicht, um der Blässe Platz zu machen. Ihr Blick war zuerst nur auf einen Lendenschurz gefallen, da dieser etwa in der Höhe ihrer Augen hing. Die Behaarung, die darum herum zum Vorschein kam, ließ sie bereits Böses ahnen. Ihre Augen folgten dem Körper nach oben, um schließlich beim Gesicht anzugelangen, welches jedoch viel tiefer gehalten wurde als es wohl für das Wesen üblich war. Das haarige Ungetüm, das vor Ohnfeder stand, musste sich tief bücken, um durch die Tür sehen zu können. Es war einer der Großen. Das Gesicht war das eines Wolfes. Also ein Chuor, soviel hatte Ohnfeder aus den alten Erzählungen gelernt.
„Darf ich euch Streiter vorstellen? Es ist nicht sein richtiger Name. Aber irgendwie muss ich ihn ja rufen. Er ist mein Schüler.”
Zögernd und sehr vorsichtig machte Ohnfeder einige Schritte rückwärts in den Raum, um Streiter hereinzulassen. Ihren Speer hielt sie Kraftlos vor ihre Brust. Der Chuor fletschte leicht seine Zähne, was, wie sie später erfuhr, seine Art zu lächeln war. In diesem Moment erinnerte es Ohnfeder jedoch nur an ein wildes Tier, dass sie gleich anspringen wollte. Ihr Gesicht wurde noch bleicher, wenn das überhaupt noch möglich war.
Streiter versuchte durch die Tür zu gelangen, blieb jedoch mit der großen Waffe, die er auf dem Rücken trug, am Türrahmen hängen. Er versuchte es ein weiteres Mal, hatte aber erneut keinen Erfolg, grummelte etwas Unverständliches und ging ein paar Schritte zurück, um die Waffe vom Rücken zu schnallen. Schließlich gelang es ihm, sich durch die Tür zu drängeln und auf einem der Stühle Platz zu nehmen, nicht ohne sich jedoch zweimal an der Decke den Kopf gestoßen zu haben.
In der Zwischenzeit hatte Shaljel das Feuer wieder aufflackern lassen und auch eine Kerze entzündet, ohne dass Ohnfeder eine Bewegung bemerkt hätte. Als sie das zweifache Feuer sah, kam Shaljel ihren Fragen zuvor, so, als wenn er ihre Gedanken gelesen hätte: „Irgendwann wirst du mich wohl noch dabei erwischen, wie ich einen meiner dämonischen Zauber wirke.” Ohnfeder blickte schnell zu ihm hinüber und ließ damit endgültig ihrem Blick vom Chuor wegstreifen.
„Aber diesmal hast du es wohl wieder verpasst. Keine Angst, Streiter beißt nur, wenn er dazu aufgelegt ist. Und ich habe ihm so viel über dich erzählt, dass er schon ganz begierig auf dich war.” Meist empfand Ohnfeder Shaljels Flachserei als sehr witzig und angenehm. Doch in Momenten wie diesen, wäre ein wenig mehr Ernsthaftigkeit angebracht gewesen, fand zumindest Ohnfeder. Deshalb brachen die nächsten Sätze einfach aus ihr heraus.
„Was denkst du dir eigentlich dabei, einfach einen Großen mit hierher zu bringen? Findest du das etwa komisch?” Sie versuchte ihre Angst durch ein wenig gerechten Zorn Luft zu bekämpfen. Es war auch wirklich ungehörig und unter Androhung der furchtbarsten Strafen verboten, fremde mit in die von Emaofhia geheiligten Gebiete zu bringen. Das musste Shaljel doch wissen. Sogar er.
„Oh, ich dachte, dass ich mal meine liebe, gute Freundin Ohnfeder besuchen könnte, und dass ich dabei doch nicht meinen lieben, guten Freund Streiter zurücklassen dürfte.” Wenn es möglich gewesen wäre, Shaljel hätte noch mehr gegrinst. Er wusste genau, wie er Ohnfeder den Wind aus den Segeln nehmen konnte, wenn er mal wieder etwas getan hatte, womit sie nicht einverstanden sein konnte.
„Du warst und bist ein Lümmel, schlimmer als jedes Kind, dass ich kenne.”
„Aber ich bin doch immer noch dein Lieblingslümmel, oder?”
Jetzt musste Ohnfeder doch trotz ihrer Angst vor dem Chuor wieder lachen. Fast hatte sie schon das große, haarige Wesen an ihrem Tisch vergessen. Aber leider konnte sie ihn nicht übersehen, wenn sie mit Shaljel sprach. Und schließlich war er doch der Freund eines Freundes, den man nicht ignorieren durfte. Deswegen nahm sie all ihren Mut zusammen und wandte sich dem Chuor zu, der sie unverwandt angesehen hatte.
„Verzeiht mir meine Kleingeistigkeit, sehr geehrter Herr Streiter. Ihr seid natürlich willkommen in meinem Haus, selbst wenn es nur sehr klein und einfach ist. Wahrscheinlich habt ihr auch eine lange und beschwerliche Reise hinter euch und seid hungrig und müde. Wenn ihr also etwas zu euch nehmen wollt oder eine Ruhestätte sucht, so müsst ihr es mir nur sagen.”
Zu ihrer Überraschung stand Streiter auf, richtete sich soweit er konnte unter der niedrigen Decke auf und deutete eine Verbeugung an.
„Irr saitt suu goutig, Fraouue Oohnfäder.” Offensichtlich fiel es ihm überaus schwer die Sprache der Aleneshi zu sprechen. Die Laute klangen ein wenig nach dem Japsen und Bellen eines Wolfes. Dazu war seine Stimme tief und knurrend. Ohnfeder blieb wie angewurzelt stehen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, was sie auf diese unerwartete Höflichkeit angemessenes hätte antworten könne. Shaljel hingegen lachte.
„Das hast du sehr gut gemacht, Streiter. Sieh nur, es hat der lieben Frouwe die Sprache verschlagen.”
„Habb ioch ettuas falls gemaurrt.” „Nein, nein, das war sogar sehr gut. Ich wusste nicht, dass du schon so gut die Sprache der Aleneshi erlernt hast.” „Uenn dou nirrt maina Sparre spriorrst, dann spriorrst dou irre.” „Was hat er gesagt?” „Ich habe schon mal Aleneshi-sprak mit dir gesprochen?” „Japp, aouss verrssenn. Ound imm slaff.”
„Was, ich rede im Schlaf? Kann gar nicht sein. Das weißt du.”
„Nirrt wänn dou ainn Aougenparr aouff hasst ...”
„Still! Das ist nicht für Ohnfeders Ohren bestimmt.”
„Was ist nicht für meine Ohren bestimmt? Ich habe zwar nicht wirklich alles verstanden, tut mir leid Streiter”, und dabei machte sie ihrerseits eine leichte Verbeugung der Entschuldigung in Richtung des Chuor, „aber irgendetwas ist mit deinen Augen.”
„Meine Augen sind groß und klar und sehen alles, was es zu sehen gibt, Ohnfeder. Ich weiß zwar, dass ihr alles wissen wollt, doch manchmal ist es besser nicht jede Einzelheit zu kennen.”
„Na, da hast du mich jetzt aber erst richtig neugierig gemacht.” Damit setzte sie sich Shaljel gegenüber. Das bedeutete aber auch, dass sie fast neben Streiter zu sitzen kam. Sie empfand jedoch eine gewisse Scham ihm gegenüber, nachdem sie so unhöflich, er hingegen so höflich gewesen war. Deswegen wollte sie ihre Angst aushalten und ihm ihr Vertrauen beweisen.
„Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen.” Shaljel versuchte unschuldig im Zimmer herumzusehen. „Habt ihr etwa einen neuen Topf.”
„Shaljel, ablenken gilt nicht.” Ohnfeder versuchte ihren Gegenübern so eindringlich anzusehen, wie sie nur konnte, ihre Blicke hatten jedoch keinen Erfolg – was sie, wenn sie ehrlich war, auch nicht erwartet hatte. „Dann befrage ich eben deinen Schüler.”
„Irr braurrt nirrt pfraggen. Irr soollt ss nirrt erfarren.”
Damit schien für Streiter
die Diskussion beendet zu sein. Nicht jedoch für Ohnfeder.
„Glaubt ihr etwa, dass ein Geheimnis nicht gut aufgehoben wäre bei mir? Habe ich nicht all die Jahre die Besuche geheim gehalten? Vertraust du mir etwa nicht mehr?”
„Liebe Ohnfeder, mit Vertrauen hat das leider überhaupt nichts zu tun. Wenn ich euch nicht mehr vertrauen würde, dann käme ich nicht mehr zu euch. Nur will ich euch vor Fragern schützen. Und je weniger ihr wisst, desto weniger kann euch bei Fragen herausrutschen.”
Jetzt war Ohnfeder endgültig richtig wütend geworden.
„Herausrutschen? Du sagst herausrutschen? Mir rutscht nicht einfach so etwas heraus! Mir ist noch nie etwas über dich herausgerutscht. Ich bin doch keine Onre! Und wer sollte auch fragen? Du kommst doch sowieso nur nachts und bist morgens wieder verschwunden!”
„Ab morgen werden wohl viele Fragen.”
„Wa ... warum?” Ihre beiden Gäste schwiegen und sahen sie nur still an.
„Oh. Ihr wollt nicht morgen früh schon wieder weg sein. Ihr wollt länger bleiben.” Ohnfeder sah zuerst Shaljel an, der ihren Blick erwiderte, dann Streiter, der jetzt jedoch zu Shaljel hinübersah.
„Ich hoffe, wir machen dir damit nicht zu viele Umstände. Ich dachte nur, dass du vielleicht zu dieser Jahreszeit ein paar kräftige Hände brauchen könntest.”
„Oh du schamloser Lügner. Ich zweifle nicht, dass ihr beide kräftige Hände habt.” Dabei dachte sie besonders an den Chuor. „Doch findest du es nicht überaus gewagt, mit einem der Großen hierher zu kommen und ihn dann auch noch allen zeigen zu wollen?”
„Ihr seid wie immer scharfsinnig, was meine Ehrlichkeit angeht. Es ist jedoch genau die Absicht unseres Besuchs, ein bisschen Unruhe zu stiften und ein paar Chuors hier einzuschleusen.” Dies verschlug Ohnfeder für einen kleinen Augenblick die Sprache. Aber nur für einen ganz kleinen.
„Ich sage da nichts mehr zu. Du weißt selber, was mein Volk von den Großen hält. Aber dass du auch noch mehrere hierher bringen willst!?” Beide, Shaljel und Streiter, hörten deutlich, dass sie von ‚ihrem‘ Volk sprach, Shaljel also schon nicht mehr einschloss.
„Diesmal warst du allerdings nicht so scharfsinnig. Natürlich will ich nicht noch mehr Chuor hierher bringen. Und ich weiß auch sehr gut, was die Aleneshi von den Großen halten. Aber ich weiß auch, dass die Aleneshi lernen müssen, zwischen den Völkern zu unterscheiden, vor denen sie Angst haben müssen, und denen, die ihnen wohlgesonnen sind. Es wird wirklich Zeit, dass ich das tue, und du bist einfach die beste Wahl dafür, denn deine Nachbarn vertrauen dir.”
Ohnfeder schwieg. Sie versuchte den Sinn von Shaljels Worten zu ergründen. Genaugenommen wusste sie nicht viel von ihm, und schon gar nicht, warum sie ihm so bedingungslos traute. Mehr als das er seltsam war, hatte sie über ihn noch nicht herausbekommen. Er ging wann und wohin er wollte, er schien dabei immer seinen Spaß zu haben und auf den ersten Blick schien es das einzige zu sein, um was es ihm dabei ging. Aber bisher war es immer so gewesen, dass am Ende alles, was sie von und über ihn gehört hatte, schließlich irgendeinen Sinn ergeben hatte. Ohnfeder kannte ihn schon sehr lange. Und manchmal war sie sich nicht sicher, ob er nicht mit den Propheten unter einer Decke steckte. Denn immer wenn er von Emaofhia sprach, war es, als wenn er ihm viel vertrauter war, als irgendein anderer Aleneshi. Aber dann war er wieder so profan, dass man meinen mochte, er würde einen Reshan ausschließlich für einen großen, roten Stein halten, wenn er denn jemals einen gesehen hatte. Glücklicherweise war es heute Abend noch nicht so weit gekommen, dass sie sich über eine Respektlosigkeit gegenüber Emaofhia hatte ärgern müssen.
„Ich kann dich wohl nicht davon abbringen, auch wenn wir beide wissen, dass es eine große Dummheit ist.”
„Ob es eine Dummheit ist, werden wir sehen, wenn uns jemand wirklich intelligentes dies beweisen kann.” Und damit war das Thema erledigt, denn Shaljel hatte immer das letzte Wort.
Am nächsten Morgen wachte Ohnfeder sehr spät auf. Obwohl sie am Abend das eine unleidliche Thema doch recht schnell verlassen hatten, waren sie noch sehr lange aufgeblieben. Shaljel hatte ihr einiges von dem erzählt, was er seit ihrem letzten Treffen erlebt hatte. Ohnfeder glaubte zwar nur die Hälfte davon, konnte sich aber der Faszination nicht erwehren. Vor allem hatte er von seinem Treffen mit Streiter und der Zeit danach berichtet. Sie waren sich irgendwo in der Nähe von irgendwelchen Steppen begegnet, von denen Ohnfeder nie etwas gehört hatte. So wie es aussah, war Streiter von seinem Stamm ausgestoßen worden und hatte deshalb seinen Namen und eine Menge Haare auf der Stirn verloren. Ohnfeder wäre diese Stelle nie im Leben aufgefallen, aber sie hatte ja auch nie zuvor einen Chuor gesehen, um wissen zu können, worauf sie hätte achten sollen. Außerdem konnte sie die Stelle auch nur sehen, wenn Streiter sich zu ihr hinunterbeugte.
Auf jeden Fall waren die beiden sich begegnet, als der junge Krieger halb verhungert von einem Rudel Gleitkatzen angefallen worden war. Die kleinen Biester, die ihn aus den Bäumen angesprungen hatten, hatten ihm bereits einige Wunden geschlagen, bevor Shaljel hinzukam. Mehr brauchte Ohnfeder nicht zu hören, denn sie hatte von anderen Aleneshi, die bei dem Tod ihres Mannes dabei gewesen waren, erfahren, wie er kämpfte. Shaljel hatte darüber gescherzt, dass Streiter sich ihm als Diener hatte verpflichten wollen. Nur weil er, Shaljel, ihm das Leben gerettet hatte. Für den jungen Aleneshi, von dem Ohnfeder nie sicher war, wie alt er denn nun wirklich sein musste, schien dieser Gedanke eher ekelhaft zu sein. Er behauptete zumindest, dass das ja schon Sklaverei gleichgekommen wäre, was auch Ohnfeder nicht unterstützen konnte.
Da er aber den Chuor nicht davon hatte überzeugen können, dass es keiner Dankbarkeit bedurfte, hatte der kleine Shaljel den großen Streiter als Kampfschüler angenommen. Seitdem waren sie zusammen. Irgendwie nahm Shaljel den Chuor überall mit hin, auch dorthin, wo er eigentlich nicht hin sollte. Und Streiter bedankte sich bei ihm dafür, indem er so gut lernte wie er nur konnte. Außerdem schienen sie langsam so etwas wie Freunde zu werden. Ohnfeder war sich sicher, dass der kleine Aleneshi nicht viele Freunde hatte, auch wenn er überall willkommen war. Er war zu unstet und fremdartig, um tatsächlich in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Nun war sie also wach und konnte sich nicht erklären, warum sie nicht schon früher erwacht war. Das Licht, dass sie sah, wenn sie aus ihrer Kammer hervorschaute, machte den Eindruck, als wenn es wenigstens Vormittag sein musste. Und ein schöner noch dazu. Aber die Onren hätten sie schon bei Sonnenaufgang wecken müssen. Mit zerzausten Haaren und verschlafenen Augen ging sie aus ihrer Kammer in den Wohnraum. Zuerst kniff sie noch die Lider zusammen, weil sie von dem Licht, das durch die geöffneten Fenster viel, geblendet wurde. Erst als sie noch einmal kräftig ihre Augen gerieben hatte, konnte sie sich nach ihren Gästen umsehen. Sie hatte allerdings nicht erwartet, dass sie noch da waren. Denn, egal was Shaljel sagte, er war bisher immer am nächsten Morgen fort gewesen, damit sein Besuch nicht die Ursache von Klatsch und Tratsch wurde. Allerdings machte er zuvor immer noch bei ihr sauber. Ohnfeder konnte danach zwar für lange Zeit einige Sachen nicht wiederfinden, aber sie wollte nicht undankbar sein, denn so sauber wie nach Shaljels Besuchen bekam sie es selbst nie hin. Sie meinte dann sogar vom Boden essen zu können und schämte sich auch nicht, in den nächsten Tagen heruntergefallenes Essen einfach aufzuheben und in den Mund zu stecken, ohne es vorher abzuwischen.
Vorsichtshalber warf Ohnfeder erst einmal einen Blick in die Truhe und die Klappschränke, um zu sehen, ob sie das meiste auf Anhieb finden konnte. Dabei hörte sie von draußen ein Geräusch, als wenn jemand Holz hacken würde. Beziehungsweise, als wenn jemand sehr ungeschickt Holz hacken würde. Vorsichtig ging sie zum Fenster und schaute zu ihrem Hackblock. Wenige Augenblicke später war sie auf dem Hof, immer noch in ihrem Nachthemd. Voller Freude, dass ihre beiden späten Gäste doch noch nicht gegangen waren, rief sie ihnen zu: „Shaljel, du Lümmel. Ihr seid ja doch noch da. Auf nichts ist mehr Verlass!”
„Oh doch Frouwe Ohnfeder. Ich habe es euch doch gesagt, dass wir dableiben würden. Habe ich je mein Wort gebrochen?”
„Ich weiß nicht. Du hast mir
bisher noch nie dein Wort gegeben.”
„Dann will ich das jetzt mal nachholen: Ich gebe dir mein Wort, dass wir mindestens zwei Wochen hier bleiben werden.”
Darüber war Ohnfeder dann doch erstaunt. Mit zwei Wochen hatte sie beim besten Willen nicht gerechnet.
„Zwei Wochen ... Das ist wirklich eine ziemlich lange Zeit ...”
„... In der wir viel Spaß haben werden und Streiter und ich dir bestimmt nicht zur Last fallen.”
„So meine ich das doch gar nicht ...”
„Ich weiß schon, wie du das meinst, ich wollte dich nur ein wenig foppen.” Leise meldete sich Streiter zu Wort. Er hatte bisher mit seiner großen Waffe versucht, auf dem Hackklotz ein kleines Stückchen Holz noch kleiner zu hacken.
„Shaljel! Darrv irch oufhouren?”
Shaljel wandte sich um und warf einen kurzen Blick auf das kleine Stückchen Holz.
„Nein, nein, nein. Du weißt, warum wir das üben. Deine Schläge sind viel zu unkontrolliert. Und du weißt, dass ich immer gegen diese unförmige Waffe, die du da mit dir rumschleppst, gewesen bin. Aber du bestehst ja auf diesem schweren, langsamen und vor allem hässlichen Ding. Und ich habe mich schließlich gebeugt.” Dazu kam ein leises Knurren von dem Chuor und Ohnfeder meinte für einen kurzen Augenblick dieses seltsame Zähnefletschen zu sehen, welches sein Lächeln war.
„Aber”, und dabei schien jetzt Shaljel eine stille Freude zu empfinden, „du wirst gefälligst anständig damit Zielen lernen.” Streiter gab wieder ein ganz leises Knurren von sich, und sein Körper zitterte leicht von Kopf bis hinunter zum Schwanz. Eine Bewegung, die einem Schulterzucken Ohnfeders verdächtig ähnelte, obwohl sie doch so anders war. Streiter setzte seine Schwertübung fort.
„So kleines Holz brauche ich aber gar nicht.” Aus einem unbestimmten Gefühl heraus meinte Ohnfeder Partei für den Chuor ergreifen zu müssen.
„Du hast doch immer Verwendung für etwas Reisig.” Shaljel sah Streiter zu, wie er sich die größte Mühe gab, das kleinste Stück Holz noch zu spalten. „Mach dir keine Sorge, dass wir deine Holzvorräte verschwenden würden. Streiter hat heute auch noch ein paar Kraftübungen vor sich. Da werden wir einfach in den Wald gehen und dir ein, zwei umgestürzte Bäume herschleppen.”
Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 8