Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 9

by Julie Johnson


  »Es ist drei Uhr früh. Ich bin seit neun Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Ich bin erschöpft. Ich will nur in mein Bett steigen und vergessen, dass dieser Abend je stattgefunden hat. Gute Nacht, Ryder.«

  Ich drehe ihm den Rücken zu, um davonzumarschieren, doch er hält mich so schell auf, dass ich nicht mal zwei Schritte weit komme. Ich schaue auf seine Hand an meinem Arm, als bestünde sie aus giftigem schwarzem Schimmel, und bemühe mich, die plötzliche Panik, die durch meinen Körper rauscht, unter Kontrolle zu halten. Er hält mich nicht mit Gewalt fest, aber die Berührung löst in mir trotzdem eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus, die ich kaum unterdrücken kann.

  »Lass mich los.«

  »In einer Minute. Ich will nur mit dir reden …«

  »Sofort.«

  Er muss so etwas wie Verzweiflung in meiner Stimme hören, denn er lässt mich umgehend los. Ich sehe, wie Gedanken in seinen Augen aufsteigen. Fragen über meine Vergangenheit, die wieder an die Oberfläche kommen. Er will wissen, warum mein Puls mit doppelter Geschwindigkeit rast, nur weil mich ein Mann ohne Erlaubnis angefasst hat.

  »Hey. Ich wollte dich nicht erschrecken …«

  »Ist schon gut.« Ich falle ihm ins Wort und versuche, meinen hektischen Herzschlag zu beruhigen. »Wirklich.«

  Sein Blick ist durchdringend. In seinen Augen braut sich ein Sturm zusammen, und ich weiß nicht genau, ob es einen Ort gibt, an dem ich mich in Sicherheit bringen kann, wenn er schließlich losbricht.

  »Ryder …« Ich verstumme, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich fühle mich vollkommen entblößt. Erst das Lied und jetzt das hier … Vermutlich kann er mich mühelos durchschauen und alles sehen. All meine Geheimnisse. All meinen Schmerz. Ich will weglaufen, weil ich Angst habe, dass er das in einem Krieg, den ich nicht gewinnen kann, als Munition gegen mich einsetzen wird.

  »Es tut mir leid, dass ich heute so ein Arschloch war«, murmelt er mit leiser Stimme. Diesen Tonfall habe ich zuvor noch nie bei ihm gehört. Von all dem aufgesetzten Charme und dem falschen Selbstbewusstsein ist nichts mehr übrig. Er reibt über seine Bartstoppeln. Es ist eine nervöse Geste, die ich liebenswert finden würde, wenn ich nicht immer noch so nervös wäre. »Diese Sache mit Lincoln war nicht in Ordnung. Ich … ich wollte nur nicht, dass du verletzt wirst, okay? Du hast etwas Besseres verdient.«

  Ich starre ihn an und spüre, wie meine Wut ein wenig nachlässt. Das alles war in Wahrheit seine verkorkste Art … mich zu beschützen?

  Ich will lachen. Ich will weinen. Das Konzept ist mir so fremd, dass ich kaum weiß, wie ich es verarbeiten soll. Ich hatte nie zuvor jemanden, der meine Kämpfe für mich austrägt. Ich hatte nicht mal jemanden, der bereit war, es zu versuchen.

  »In Ordnung«, sage ich nach einer langen angespannten Pause. »Entschuldigung angenommen.«

  Erleichterung macht sich auf seinem Gesicht breit. Er hält sorgsam Abstand zu mir. Vielleicht ist ihm klar geworden, dass hinter meiner nervösen Haltung mehr steckt als bloße Schüchternheit. Doch als er spricht, spüre ich seine Worte wie eine Hand, die sich um mein Herz gelegt hat.

  »Du hast gesagt, dass ich deinen Namen nicht wissen will. Das stimmt nicht. Ich will ihn wissen, seit wir uns letztens genau hier an dieser Stelle zum ersten Mal begegnet sind. Eigentlich wollte ich ihn sogar schon vorher wissen. Seit dem Moment, in dem ich dich während meines Auftritts zum ersten Mal in der Menge sah. Du hattest einfach etwas an dir …«

  Mein Mund fühlt sich plötzlich ganz trocken an. Ich lecke mir über die Lippen, atme ein bisschen zu schwer und beobachte, wie er die Bewegungen meiner Zunge mit aufmerksamen Blicken verfolgt.

  »Ich musste dich kennenlernen«, sagt er einfach. »Und ich wollte nicht, dass es sozusagen aus zweiter Hand durch meinen Bandkollegen geschieht. Ich wollte deinen Namen von deinen Lippen hören, während du mir in die Augen schaust.«

  »Ich …« Meine Stimme ist so hauchig, dass ich sie fast nicht wiedererkenne. Ich halte seinem Blick stand und versuche, mich zusammenzureißen, damit er nicht sieht, wie sehr mich seine Worte innerlich Stück für Stück zerreißen.

  Tatsächlich gibt es jetzt nur noch eins zu sagen.

  »Ich bin Felicity.«

  7. KAPITEL

  Ryder

  Ich bin Felicity.

  Natürlich ist sie das.

  Es ergibt absolut Sinn, dass ihr Name reine Freude bedeutet. Ich will lachen, als sie ihn mir nennt, aber ich bin immer noch zu wütend. Ich schaffe es, meine Wut unter der Oberfläche zu halten und vor ihr zu verbergen. Aber ich kann spüren, wie sie durch meinen Körper rauscht wie ein bösartiger Angriff.

  Als ich ihren Arm packte, wusste ich es. Sie bemühte sich, es zu verbergen, aber ich sah, wie ihr Gesicht blass wurde, und spürte die plötzliche Anspannung in ihrem Körper. Diese Art von Reaktion kommt nicht von ungefähr.

  Jemand hat sie geschlagen. Und es kann noch nicht allzu lange her sein, wenn sie immer noch zusammenzuckt, wann immer sich ein Mann in ihrer Gegenwart zu schnell bewegt. Wenn man das mit dem Liedtext kombiniert, den sie vorhin gesungen hat – die qualvollste, herzzerreißendste Melodie, die ich je gehört habe –, sehe ich rot.

  Wer ist der Mistkerl, der durch ihr Leben gefegt ist wie ein Tornado?

  Ihr Vater?

  Ein Freund?

  Ein Exfreund?

  Ich will sie fragen, wer er ist – verdammt, ich will ihn aufspüren und ihm zeigen, wie sich ein echter Schlag anfühlt. Aber ich sehe den wilden Blick in ihren Augen und weiß, dass sie sich bereits darauf vorbereitet, davonzulaufen. Wenn ich sie jetzt noch mehr bedränge, wird sie vielleicht nie wieder mit mir reden.

  Also beiße ich mir auf die Zunge und warte ab.

  Nicht jetzt. Nicht hier.

  Aber irgendwann – irgendwann bald – wird sie mir erzählen, wer sie ist, woher sie kommt und was sie zurückgelassen hat.

  Ich starre sie an und atme kaum. »Felicity.«

  Ein Teil der Angst weicht aus ihren Augen, als ich ihren Namen ausspreche. Ich mache einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. »Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Offiziell.«

  Sie erwidert nichts, doch auf ihrem Gesicht blüht ein kleines Lächeln auf. Es ist so ein süßer Anblick, dass ich fast vergesse, wie ätzend mein Abend bis zu diesem Zeitpunkt verlaufen ist.

  »Es wird spät. Du solltest dich auf den Weg machen.« Ich schaue mich auf dem Parkplatz um, aber er ist leer. »Ist dein Auto hier?«

  »Ich habe kein Auto.«

  »Du gehst um diese Uhrzeit nicht allein nach Hause.« Ich runzle angesichts dieser Vorstellung die Stirn und greife, ohne nachzudenken, nach ihrer Hand. »Lass uns gehen.«

  Dieses Mal zuckt sie nicht zusammen, als ich sie berühre. Tatsächlich lässt sie sich von mir ein halbes Dutzend Schritte weit mitziehen, bevor sie die Füße in den Boden stemmt. »Wo genau willst du mit mir hin?«

  »Ich werde dich nach Hause begleiten. Oder mir wenigstens eine Uber-Fahrt mit dir teilen. Ich habe ein Loft direkt am Fluss, das ich mir mit Linc und Aiden teile, aber es macht mir nichts aus, dich nach Hause zu bringen.«

  Sie reißt die Augen auf. »Ich hätte nie gedacht, dass Ryder Woods der ritterliche Typ ist.«

  »Ich bin kein bisschen ritterlich«, versichere ich ihr. »Meine Motive sind rein egoistisch.«

  »Inwiefern?«

  So darf ich noch mehr Zeit mit dir verbringen, denke ich, spreche es aber nicht aus.

  »Ich kann ins Bett gehen, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass du von einem Serienmörder entführt worden sein könntest. Damit kann ich mein Gewissen nicht belasten, Süße. Das stört meinen Schönheitsschlaf.«

  »Oh, und davon brauchst du so viel.«

  »Gute acht Stunden. Neun, wenn ich am nächsten Abend einen Auftritt habe.«

  Sie verdreht die Augen. »Tja, ich kann dich beruhigen, denn ich werde nirgendwohin gehen. Also besteht nicht die geringste Gefahr, dass ich entführt werden könnte.«

  Ich muss wohl skeptisch wirken,
denn sie hält einen Schlüsselbund hoch und schüttelt ihn vor mir wie eine Rassel. »Siehst du die?«

  Ich nicke.

  Sie nickt in Richtung der Treppe, die in die Wohnung im ersten Stock direkt über der Bar führt, und verzieht die Lippen. »Ich wohne da oben.«

  »Verdammt. Wirklich?«

  »Ja.«

  Ich reibe über meine Bartstoppeln und komme mir wie ein totaler Idiot vor. Ich befinde mich so weit außerhalb meiner Wohlfühlzone, dass es fast lächerlich ist. Mit Flirten und Vögeln kann ich problemlos umgehen. Aber das hier – dieses Zeug, das anständige Kerle machen – bringt mich ins Straucheln. Vermutlich weil ich nie Übung darin hatte.

  »Ich schätze, dann sollten wir uns jetzt Gute Nacht sagen.« Ich schaue nach unten und bemerke, dass ich immer noch ihre Hand halte. Sie sieht so klein in meiner aus. Zerbrechlich. Ich sage mir, dass ich sie loslassen sollte, aber meine Finger spielen nicht mit. »Tut mir leid, dass ich dich heute Nacht mit meinem betrunkenen Schwachsinn belästigt habe. Das war nicht meine beste Stunde.«

  »Ich bin mir sicher, dass der Kater Strafe genug sein wird. Und eigentlich war es ziemlich amüsant.«

  »Ich freue mich immer, wenn ich anderen eine Freude machen kann.« Mit Mühe lasse ich ihre Hand los. Dann balle ich meine zur Faust, damit sie sich nicht so leer anfühlt. »Gute Nacht, Felicity.«

  »Gute Nacht, Ryder«, murmelt sie und geht auf die Treppe zu. Ich schaue ihr hinterher und stehe wie angewurzelt da. Ich komme mir wie eine erbärmliche Version von Romeo vor, der zu Julias Balkon hinaufstarrt und etwas will, das er niemals haben kann. Etwas, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

  Sie schließt die Tür auf, dreht sich aber noch mal um, um ein letztes Mal über das Geländer zu mir nach unten zu schauen, bevor sie im Gebäude verschwindet.

  »Spielt ihr bald wieder hier?«

  Bin ich verrückt, oder höre ich da Hoffnung in ihrer Stimme?

  »Erst mal nicht«, sage ich und verspüre einen Anflug von Bedauern. »Wir haben nächsten Freitag einen Auftritt im Tootsie’s auf dem Broadway. Und danach sind wir eine der Vorgruppen auf dem ›Let Freedom Sing‹-Festival.«

  Sie schaut mich verständnislos an.

  »Mist, ich habe vergessen, dass du hier neu bist.« Ich grinse. »Jedes Jahr am vierten Juli werden die Straßen gesperrt, und unten am Fluss wird eine Bühne aufgebaut. Den ganzen Tag über gibt es Livemusik und nach Sonnenuntergang natürlich ein großes Feuerwerk. Unser Auftritt ist dieses Jahr zeitlich ziemlich gut platziert, also sollte die Band genug Aufmerksamkeit bekommen.«

  Vorausgesetzt, dass wir noch zusammen spielen.

  Vorausgesetzt, dass ich dann nicht schon in L. A. bin.

  »Oh«, sagt Felicity und zieht die Augenbrauen hoch. »Das klingt toll.«

  Ich nicke und beiße die Zähne zusammen, um mich davon abzuhalten, etwas Idiotisches zu tun – wie zum Beispiel, sie zu fragen, ob sie mit mir auf das Festival gehen will. Ich kann mich auf niemanden einlassen und schon gar nicht auf jemanden wie sie. Sie braucht Stabilität. Sicherheit. Im Grunde genommen das genaue Gegenteil von dem, was ich zu bieten habe. Ich kann ihr lediglich bedingungslosen Sex anbieten. Und selbst wenn ich versuchen würde, mich zu ändern … für sie anders zu sein …

  Wie lange würde es dauern, bis ich gehe?

  Ein paar Tage?

  Ein paar Wochen?

  Die simple Wahrheit ist, dass ich diese Stadt verlassen werde. Je mehr Verbindungen ich habe, wenn dieser Tag kommt, desto schwerer wird es werden, diesem Leben den Rücken zuzukehren. Sosehr ich mich auch dafür treten will … Ich halte den Mund und lasse die Gelegenheit verstreichen, ohne sie um eine Verabredung zu bitten oder irgendwelche Pläne zu schmieden, sie wiederzusehen.

  Sie gähnt ausgiebig und lenkt meine Aufmerksamkeit damit auf ihren Mund.

  »’tschuldigung.« Sie lächelt und lehnt sich müde gegen das Geländer. Ihr Pferdeschwanz löst sich, und mehrere lange Strähnen umrahmen ihr Gesicht. Der Drang, sie zu berühren, wird beinahe unerträglich.

  »Geh schlafen, bevor du umkippst, Kleine!«, zwinge ich mich zu rufen. Es klingt selbst in meinen Ohren blasiert. »Nashville ist ein Nest. Ich bin mir sicher, dass ich dich irgendwann wiedersehen werde.«

  Überraschung – oder ist es Enttäuschung? – huscht über ihr Gesicht, doch sie nickt lediglich.

  »Oh. Ja. Wir sehen uns«, sagt sie tonlos und dreht sich um.

  Es könnte Einbildung sein, aber ich glaube, dass sie ihre Tür ein wenig fester als nötig zuschlägt. Ich rede mir ein, dass es so langfristig am besten ist, aber es ist nicht wirklich überzeugend. Ich bin so versucht, die Treppe mit drei schnellen Schritten zu erklimmen, an ihre Tür zu klopfen und sie in meine Arme zu ziehen. Ich will meine Hände in ihr Haar schieben, meine Lippen auf ihre pressen und sie küssen, bis ihr Körper mit meinem verschmilzt. Bis ihr egal ist, dass ich ein verkorkstes Arschloch bin, das ihr nicht guttut. Bis ich mich nicht länger daran erinnere, dass ich sie nur verletzt zurücklassen würde, wenn ich irgendwann unweigerlich davongehen werde.

  Die Versuchung ist stark genug, dass ich es bis zur unteren Stufe schaffe, bis ich mich schließlich am Riemen reiße.

  Romeo ist auf diesen Balkon geklettert, und am Ende waren sie beide tot.

  Ich zünde mir eine Zigarette an, nehme einen tiefen Zug und genieße das Gefühl des Rauchs, der durch meine Lunge wirbelt. Der Rausch des Nikotins ist wie beruhigender Balsam auf den scharfen Klingen, die mich immer noch innerlich zerschneiden. Es ist nur ein Pflaster, ein vorübergehendes Betäubungsmittel, aber es ist besser als nichts.

  Ich nehme ein paar Seitenstraßen und mache mich dann auf den zwanzigminütigen Fußweg in Richtung Fluss. Es ist spät – fast schon vier Uhr –, und die Stadt ist, so weit von der Hauptvergnügungsmeile entfernt, still, was mir nur recht ist. Es ist immer leichter, allein in der Dunkelheit zu grübeln.

  Ich bin jetzt halbwegs nüchtern, was beachtlich ist, wenn man bedenkt, wie viel Alkohol ich im Laufe des Abends in mich hineingekippt habe. Nachdem ich Lacey nach dem Treffen mit den Leuten von Red Machine stehen ließ, machte ich mich daran, die Flasche Whiskey zu leeren, die wir für unseren Tisch bestellt hatten. Lincoln und Aiden versuchten, mich zum Gehen zu bewegen, als sie sich auf den Heimweg machten – jeder mit einem Groupie im Schlepptau –, aber ich weigerte mich. Verdammt, ich fühlte mich so verflucht schuldig, weil ich ihnen nichts von dem potenziellen Plattenvertrag erzählt hatte, dass ich ihnen kaum in die Augen schauen konnte.

  Es wäre vollkommen idiotisch von mir, diese Gelegenheit nicht in Betracht zu ziehen. Das ist mein Traum. Alles, worauf ich hingearbeitet habe, seit ich als schlaksiger Sechzehnjähriger anfing, in dieser Stadt Musik zu machen. Damals hatte ich keine Ahnung, was ich auf einer Bühne machte, und noch weniger Ahnung davon, wie das Leben abseits der Bühne verlief.

  Ein Plattenvertrag.

  Los Angeles.

  Freiheit.

  Das sind schon so lange meine Ziele gewesen, dass ich mich kaum noch an eine Zeit erinnere, in der ich etwas anderes wollte. Also ja, natürlich ziehe ich das Angebot in Betracht. Ich wäre verrückt, es nicht zu tun … selbst wenn ich der schlechteste Freund aller Zeiten wäre, wenn ich es annehmen würde.

  Wenn man sich auf der Titanic befindet, nachdem sie den Eisberg gerammt hat, und es nur noch einen freien Platz im Rettungsboot gibt …

  Schnappt man ihn sich?

  Lässt man seine Freunde zurück, damit sie mit dem Schiff untergehen, während man sich selbst in Sicherheit bringt?

  Ich stellte mir diese Fragen, während ich mir ein Glas des bernsteinfarbenen Alkohols nach dem anderen in den Rachen kippte, als könnten sich auf dem Boden der Flasche Antworten verstecken.

  Ich fand jedoch keine.

  Ich erinnere mich nicht daran, wie ich in der Sitznische weggedämmert bin … Aber ich werde niemals vergessen, wie ich zum Klang der verdammt noch mal schönsten Stimme aufwachte, die ich in meinem ganzen Leben je gehört hatte. Sie war nicht so d�
�nn und übermäßig schrill, wie Laceys Sopranstimme manchmal klingt. Diese Stimme hallte in meinen Sinnen nach, sank in mein Nervensystem und übernahm die Kontrolle über mich. Es war eine beeindruckende, volltönende Altstimme, die dafür sorgte, dass ich die Augen weit aufriss, noch bevor ich ihre Besitzerin erkannte.

  Felicity.

  Ich sagte ihr, dass das Lied gut sei. Es war nicht gut. Es war verdammt noch mal unglaublich. Es war Poesie und Schmerz, die Art von Musik, die Fremde beim Herzen packt, sobald sie sie im Radio hören, und zudrückt, bis sie innere Blutungen erleiden und um Gnade flehen.

  Sie singen zu hören, zu wissen, dass sie Lieder schreibt … Das alles macht diese unerklärliche Anziehung, die ich empfinde, nur noch stärker. Unbekannte Gefühle zerren an mir, als ich am Cumberland River entlanglaufe und durch meine Nasenlöcher Zigarettenrauch in den Nachthimmel hinausblase.

  Die Gedanken, die unaufhörlich in meinem Kopf kreisen, haben nur mit ihr zu tun - Musik, die sie nicht singen wird, Versprechen, die ich nicht halten kann, Liebe, die nicht von Dauer sein wird.

  Ich will Erinnerungen mit ihr schaffen.

  Ich will sie kennenlernen. Ihre Geheimnisse Schicht für Schicht enthüllen. Sie entblößen.

  Nicht ihren Körper. Ihre gottverdammte Seele.

  Ich drücke meine Zigarette aus und greife sofort nach einer weiteren. Ich weiß nur zu gut, dass keine noch so große Menge an Nikotin ausreichen wird, um diesen Schmerz in mir zu lindern.

  Als ich schließlich die Tür zu unserem Loft aufschließe, höre ich ein Schnarchkonzert durch die dünnen Wände von Aidens und Lincolns Zimmern. Ich krieche allein in mein Bett, starre zur Decke hoch und denke über Plattenproduzenten mit Roboterlächeln und Freunde, die zu Feinden werden, nach. Über Feiglinge, die Frauen schlagen, und Singvögel, die nur dann singen, wenn niemand in der Nähe ist, der sie hören könnte.

  Ich wälze mich immer noch von einer Seite auf die andere, als die Sonne aufgeht.

  8. KAPITEL

  Felicity

  Es ist glühend heiß – das Thermometer zeigt jetzt schon über dreißig Grad an, und es ist noch nicht mal Mittag. Die Sonne brennt auf mich herab wie eine Heizlampe auf einen Tag alte Fritten. Ich fühle mich knusprig und ausgetrocknet, während ich auf der Bank sitze und auf meinen Bus warte. Nun, da Dotty wieder in Teilzeit im Nightingale arbeitet, habe ich tatsächlich mal einen ganzen Tag frei – zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Nashville. Ich habe nicht vor, ihn zu vergeuden.

 

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