Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 13

by Julie Johnson


  Wir können wohl mit Sicherheit sagen, dass keiner von uns das erwartet hat. Nicht mal ansatzweise.

  Als mein Teil endet, schaue ich einfach zu, wie er die letzte Strophe alleine singt.

  »I’m not the one you want, babe«, singt er und schaut mir dabei unablässig in die Augen. »I’ll only let you down.«

  Vielleicht bilde ich es mir nur ein, vielleicht hat mich das Lied so sehr in seinen Bann gezogen … Aber ich könnte auf einen ganzen Stapel Bibeln schwören, dass er versucht, mir etwas mitzuteilen, das nichts mit dem Text zu tun hat. Er spielt die letzten Noten, und Stille senkt sich über den Raum. Und … ein Moment entsteht. Nur ein schmerzhafter, herzzerreißender Moment, bevor der Applaus losbrandet, bevor die Jubelrufe und Pfiffe von unserem kleinen Publikum ertönen … bevor die Magie wie Glas zersplittert …

  Ich schwanke in seine Richtung …

  Er lehnt sich näher an mich heran, und zwischen uns liegt nur noch der kleinste Hauch von Abstand …

  Meine Augen sind auf seine Lippen gerichtet, seine Hand liegt auf meinem Knie … und diese Kilometer, die uns normalerweise trennen, scheinen zu einem Nichts zu schrumpfen …

  Ein Moment.

  Ein hauchzarter, funkelnder Moment, in dem es tatsächlich möglich erscheint.

  Er und ich.

  Zusammen.

  Doch dann ertönt der Applaus wie ein Schuss, und sofort erinnern wir uns daran, wo wir sind. Wer wir sind.

  Wir ziehen uns beide im gleichen Augenblick zurück und wenden die Blicke ab. Und ich bemerke, dass er mir für den Rest der Zeit, die wir in Elmwood verbringen – selbst als wir meine Großmutter zurück in ihr Zimmer begleiten und ihr eine gute Nacht wünschen –, nicht mehr in die Augen schaut. Nicht ein einziges Mal.

  Die Fahrt zurück nach Nashville verläuft unheimlich still.

  Nach einem Tag voller Gelächter und tiefgründiger Lebensgespräche fühlt es sich seltsam an, sich in unsere jeweiligen Ecken zurückzuziehen. Seltsam … aber definitiv sicherer.

  Ryder fährt über die Nebenstraßen und öffnet die Fenster ein wenig, um etwas von der Nachtluft hereinzulassen. Er zündet sich eine Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug und bläst den Rauch durch das Fenster hinaus, damit ich ihn nicht einatmen muss. Ich beiße mir auf die Zunge, um mich davon abzuhalten, ihm zu sagen, dass er mit dem Rauchen aufhören sollte.

  Ich bin nicht mit ihm zusammen. Ich habe kein Recht, mich in sein Leben einzumischen.

  Als wir auf den Mitarbeiterparkplatz hinter dem Nightingale fahren, ist es schon nach zwanzig Uhr, und der Offene-Mikro-Abend ist in vollem Gange. Bevor ich auch nur aus dem Transporter gestiegen bin, kann ich bereits hören, wie die Musik die Wände zum Wackeln bringt. Ich werde auf keinen Fall schlafen können, bis die Bar zumacht.

  »Sieht so aus, als könnte ich meinen Plan, heute mal früher ins Bett zu gehen, vergessen.« Ich lächle zaghaft.

  Er nickt nur. Seine Miene ist ausdruckslos.

  »Wie dem auch sei …« Ich schlucke schwer und starre auf meine Hände. »Vielen Dank für den heutigen Tag, Ryder. Es war … Es hat mir eine Menge bedeutet. Und meiner Oma ebenfalls. Auch wenn sie es nicht weiß …« Ich lege meine Hand auf mein Herz.

  »Ich weiß, dass sie es gespürt hat.«

  Er gibt tief in seiner Kehle einen leisen Laut von sich. Ein Stöhnen. Es klingt beinahe … gequält.

  Ich schaue in seine Augen und hoffe, dass er endlich etwas sagen wird. Irgendetwas.

  Ich fand es auch toll, Felicity.

  Danke, dass du mit mir gesungen hast.

  Lass uns das irgendwann wiederholen.

  Doch er sagt kein Wort. Er starrt einfach nur stur geradeaus und hält das Lenkrad mit beiden Händen so fest umklammert, dass seine Knöchel ganz weiß geworden sind. In seinem Kiefer zuckt rhythmisch ein Muskel.

  Ich schätze, das bedeutet, dass der Abend offiziell vorbei ist. Dass dieses – was auch immer das zwischen uns ist – ebenfalls vorbei ist.

  Meine Augen füllen sich mit demütigenden Tränen, also drehe ich mich um und strecke eine Hand nach dem Türgriff aus, bevor er es bemerkt.

  »Wie dem auch sei, tausend Dank!«, rufe ich mit aufgesetzt fröhlicher Stimme und springe auf den Bordstein. »Wir sehen uns, Ryder.«

  Die Tür schlägt mit erschreckender Endgültigkeit hinter mir zu, während ich zur Treppe laufe und meinen Schlüsselbund aus meiner Tasche zerre, bevor ich die oberste Stufe erreicht habe. Ich schaue nicht zurück, während ich an dem Schloss herumhantiere. Nicht ein einziges Mal.

  Ich verkrieche mich in meinem Zimmer und höre, wie sein Motor aufheult wie ein wildes Tier, als er in die Nacht davonfährt. Langsam lasse ich mich auf die Knie sinken und kauere mich zu einem Knäuel aus Elend zusammen, während die Musik von unten die Fußbodenbretter unter mir zum Vibrieren bringt.

  11. KAPITEL

  Ryder

  Ich fahre den Transporter so schnell zurück zur Lagerhalle, dass ich zweimal beinahe einen Telefonmast ramme. Ich rauche eine halbe Schachtel Zigaretten weg, weil ich hoffe, dass mich das irgendwie beruhigen wird. Doch es hilft ganz und gar nicht, die brodelnde Frustration in mir aufzulösen. Ich umklammere das Lenkrad so fest, dass ich Angst habe, dass ich es zerbrechen könnte.

  Lacey.

  Ich schwöre, dass diese Frau eins der sieben Vorzeichen der Apokalypse ist. Eine Plage, die schlimmer als Heuschrecken, Hunger und Pestilenz zusammen ist. Als sie mich in Elmwood anrief, hätte ich nicht drangehen sollen. Ich hätte den verdammten Anruf auf die Mailbox gehen lassen sollen. Stattdessen presste ich mir das Handy ans Ohr und durfte fünf Minuten damit verbringen, meine Wut hinunterzuschlucken, während ich ihrem Geplapper über die Abmachungen lauschte, die sie mit Clay getroffen hatte, natürlich ohne sich die Mühe zu machen, mich hinzuzuziehen.

  »Sie lassen uns am vierten Juli für eine Vorführung nach L. A. einfliegen – ist das nicht toll? All die wichtigen Vorstandsmitglieder von Red Machine werden wegen des Feiertags in L. A. sein. Wir reisen am Samstagmorgen ab. Sie veranstalten an diesem Abend für all ihre Künstler eine riesige Poolparty auf dem Dach … Das wird eine unglaubliche Einführung in die Musikszene von L. A. sein!«

  Als ich sie daran erinnerte, dass wir am vierten Juli nicht in L. A. sein könnten, da wir zugestimmt hätten, auf dem »Let Freedom Sing«-Festival zu spielen, schnaubte sie einfach nur abfällig.

  »Ich rede hier von einem Plattenvertrag, Ryder. Hier geht es um den Rest deines Lebens, nicht um irgendein kleines Festival am Flussufer.«

  Ich versuchte, sie hinzuhalten und ihr zu erklären, dass ich mehr Zeit bräuchte, um mit Aiden und Linc zu reden. Tief im Inneren hoffte ich immer noch, dass es eine Chance geben könnte, den Vertrag auf sie auszuweiten. Dass wir uns zusammen vielleicht einen Plan überlegen könnten, um Clay umzustimmen. Doch Lacey hatte kein Interesse daran – sie hat ihre emotionalen Bindungen zu allem, was sie hier noch hält, bereits gekappt.

  »Noch ein letztes Konzert mit ihnen zu spielen wird nichts an der Sache ändern«, fauchte sie durchs Telefon. »Versau uns nicht unsere einzige Chance, nur wegen ein paar kleiner Schuldgefühle. Gelegenheiten wie diese erhält man nicht jeden Tag, Ryder. Willst du wirklich für immer in dieser Stadt festsitzen, weil du Angst hattest, die Gefühle von zwei Kerlen zu verletzen, an deren Namen du dich in zehn Jahren nicht mal mehr erinnern wirst?«

  Ich legte voll blinder Wut einfach auf. Ich habe schon immer gewusst, dass Lacey in etwa so loyal wie eine Büroklammer in einem Zimmer voller Magneten ist – da muss man nur Adam und jeden anderen Kerl fragen, den sie je hintergangen hat. Von daher überrascht es mich nicht, dass sie so teilnahmslos reagiert, wenn es um die Auflösung der Band geht, mit der wir jetzt schon seit gut zwei Jahren Musik machen. Da ist allerdings noch etwas, das mich tief im Inneren wirklich wurmt, auch wenn ich es nicht zugeben will …

  Ich weiß, dass sie recht hat.

  Noch ein letztes Konzert mit den Jungs zu spielen wird nicht das Geringste ändern. Wenn ich Clay nicht davon überzeugen
kann, uns alle vier mit nach L. A. zu nehmen … ist unsere Freundschaft vorbei. Ich kann das Loft meiden, so viel ich will. Ich kann die Sache vor mir herschieben und ihnen erst in allerletzter Minute davon erzählen, wenn ich mich bereits auf den Weg zum Flughafen mache … Aber damit zögere ich den unvermeidlichen Moment, in dem ihnen klar werden wird, was für ein mieser Typ ich bin, weil ich meine Träume über ihre gestellt habe, nur hinaus.

  Nach diesem Telefonat hätte ich meinen Kummer normalerweise in einer Flasche Alkohol ertränkt. Da ich mich zu jenem Zeitpunkt jedoch in einem Altenpflegeheim befand, war das keine Option. Ich gab mir große Mühe, all die Schuldgefühle und die Wut, die in mir ihr Unwesen trieben, zu verdrängen. Doch als ich zurück zu Felicity ging und sah, wie sie mich mit reinem Vertrauen in den Augen anschaute, dachte ich, dass ich vollkommen ausrasten würde.

  Schenk mir nicht dein Vertrauen, wollte ich sie warnen. Ich verdiene es nicht.

  Leg dein Herz nicht in meine Hände, wollte ich sie anschreien. Ich werde es nur brechen.

  Stattdessen versuchte ich, es ihr auf die einzige mir mögliche Weise mitzuteilen.

  It ain’t me, babe, sang ich für sie und flehte sie an, mich zu verstehen. It ain’t me you’re looking for.

  Doch mit ihr zusammen zu singen war mein größter Fehler von allen. Dort zu sitzen, zu hören, wie unsere Stimmen perfekt miteinander harmonierten, in ihre Augen zu schauen … diese Anziehungskraft zwischen uns zu spüren … das veränderte alles. Denn aus dem Nichts, wie ein Blitzschlag, traf mich die erschreckende Erkenntnis: Wenn mich diese Frau – diese umwerfende, geheimnisvolle, witzige, gebrochene Frau – bitten würde, hier bei ihr zu bleiben … Wenn sie mich bitten würde, Lacey, Red Machine und die gottverdammten Träume, die ich schon so lange verfolge, wie ich mich zurückerinnern kann, hinter mir zu lassen …

  Dann würde ich das vielleicht tun.

  Das jagte mir sehr viel mehr Angst ein, als jede Konfrontation mit meinen Mitbewohnern oder Diskussion mit meinem Dad über meine bevorstehende Kündigung es je könnte. Meine Träume sind das Einzige, was ich habe. Meine Träume, meine Stimme, und diese beiden Hände, mit denen ich Gitarre spiele.

  Wenn man mir das nimmt …

  Habe ich gar nichts.

  Ich fahre den Transporter in die Lagerhalle und drücke auf einen Knopf, um das Garagentor hinter mir zu schließen. Ich lade die Ausrüstung aus dem Wagen und zucke zusammen, als ich sehe, dass Felicitys Gitarre immer noch darin liegt. Sie hatte es so eilig, von mir wegzukommen, dass sie sie vergessen hat. Ich mache ihr keinen Vorwurf. Ich habe mich wie ein totales Arschloch verhalten.

  Ich bin ein totales Arschloch.

  Wenigstens begreift sie das jetzt. Nun wird sie sich von mir fernhalten.

  Nun wird sie sicher vor mir sein.

  Das Licht im Büro ist an, was bedeutet, dass mein Vater noch hier ist. Ich nähere mich der Tür und fürchte mich bereits vor der Begegnung. Im Durchgang bleibe ich stehen. Er sitzt an seinem Schreibtisch, hat den Kopf über ein Bestandsbuch gebeugt und hält mit der rechten Hand einen halb leeren Tumbler mit Scotch umklammert, während er mit der linken die Seiten umblättert. Ich hole tief Luft, um mich zu sammeln, und klopfe mit den Knöcheln an den Türrahmen.

  »Dad.«

  Kip Woods schaut auf. Seine enttäuschte Miene ist ein ebenso vertrauter Anblick wie das Glas in seiner Hand. »Wo zum Teufel bist du den ganzen Tag gewesen?«

  »Ich habe einer Freundin bei etwas geholfen.«

  »Ich habe dich vor Stunden zurückerwartet. Wo in aller Welt liegen deine Prioritäten?«

  Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, ruhig zu bleiben. Ich weiß, dass es nichts bringt, sich auf einen Streit mit ihm einzulassen, wenn er getrunken hat. »Ich hatte meine Termine für den Tag bereits erledigt …«

  »Spar dir das. Ich will deine Ausreden nicht hören.« Er steht auf. Trotz seines Alters gibt er mit seinen knapp eins neunzig immer noch eine einschüchternde Gestalt ab. Als ich ein Kind war, dachte ich, dass seine Hände so groß wie Schinkenkeulen wären. Um die Wahrheit zu sagen, sehen sie auch jetzt nicht viel kleiner aus. »Ich hätte dich hier im Büro gebraucht. Einer unserer Kunden benötigte dringend Hilfe, und du warst nicht hier.«

  »Du hättest mich anrufen können. Ich hatte mein Handy dabei.«

  »Darum geht es nicht. Es geht darum, dass du in der Lage sein musst, sofort zu reagieren, wenn es einen Notfall gibt – nicht erst nach der einen Stunde, die du brauchst, um von der Spritztour zurückzukehren, die du unternommen hast.«

  »Gab es denn einen Notfall?«

  Er beißt die Zähne zusammen. »Nein.«

  »Tja, ich kann keine Probleme lösen, die du nicht hast. Ich bin weder allwissend noch allmächtig.«

  Er ballt die Hände zu Fäusten – eine Warnung. »Pass auf, was du sagst.«

  Ich hebe abwehrend die Hände. »Tut mir leid.«

  »Wie war das?«

  »Tut mir leid, Sir«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und verkneife mir den weniger schmeichelnden Ausdruck, den ich ihm gerne an den Kopf werfen würde.

  Seine Augen sind glasig und ein wenig unfokussiert, als er um seinen Schreibtisch herumkommt. Sein schwerfälliger Gang verrät mir, dass das heute Abend nicht sein erstes Glas Scotch war.

  Ich weigere mich, vor ihm zurückzuweichen, selbst als er sich direkt vor mir aufbaut und mir viel zu nah kommt. Er mag wie ein Truck gebaut sein, aber ich bin jetzt größer als er. Und selbst ohne diese zusätzlichen paar Zentimeter habe ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr zugelassen, dass er rohe Gewalt anwendet, um mich einzuschüchtern.

  »Wann wirst du aufhören, mit Musik herumzualbern, und endlich anfangen, dich um die Dinge zu kümmern, die wirklich wichtig sind?«

  »Musik ist wichtig«, widerspreche ich, bevor ich mich zurückhalten kann. »Vielleicht nicht für dich, aber sie ist wichtig.«

  »Diese Firma ist das Einzige, was wichtig ist. Sie ist deine Zukunft.«

  »Nein. Sie ist nicht meine Zukunft.«

  »Was zum Teufel soll das bedeuten?«, knurrt er.

  »Das bedeutet, dass ich eine ernst zu nehmende Chance auf einen Plattenvertrag habe.« Meine Stimme ist emotionslos. Mein Herz fühlt sich in meiner Brust wie Stein an. »Ich fliege am Samstag nach L. A., um die Sache unter Dach und Fach zu bringen.«

  »Das ist es also.« Seine Brust schwillt an, während sich die Wut in ihm aufbaut. »Das ist der Dank, den ich bekomme, nachdem ich alles für dich getan habe. Ich habe für deine Collegeausbildung bezahlt, dir einen Platz am Firmentisch gegeben, dir den Weg zum Erfolg bereitet …«

  »Genau das ist es ja, Dad. Hierzubleiben, diese Firma zu übernehmen …« Ich deute um mich in dem verzweifelten Versuch, es ihm begreiflich zu machen. »Das ist deine Vorstellung von Erfolg. Nicht meine. Und ich weiß, dass du das niemals verstehen wirst. Ich weiß, dass du mich niemals verstehen wirst. Aber meine Träume sind immer noch meine Träume, selbst wenn sie dich enttäuschen. Selbst wenn du sie nicht unterstützt.«

  »Du undankbarer kleiner Scheißer.« Sein Kiefer zuckt vor Wut. »Denkst du wirklich, dass du es in L. A. zu etwas bringen wirst? Das wirst du nicht. Dafür hast du nicht den nötigen Mumm. Die Wahrheit ist, dass dich deine Mutter verhätschelt hat. Du bist verweichlicht. Und wenn du dann mit eingekniffenem Schwanz hierher zurückgeschlichen kommst, nachdem dir die echte Welt in die Eier getreten hat, erwarte ja nicht, dass dieser Job dann noch auf dich wartet. Soweit es mich betrifft, haben du und ich einander nichts mehr zu sagen. Niemals wieder.«

  Dieser Schlag trifft mich direkt ins Herz und lässt mich zurücktaumeln. »Dad …«

  »Nenn mich nicht so.« Er ist noch nie ein warmherziger Mann gewesen, aber jetzt gerade wirkt er kälter, als ich ihn je zuvor erlebt habe. »Wenn du durch diese Tür hinausgehst, bist du nicht länger mein Sohn.«

  Die Luft kristallisiert. Die Zeit kriecht nur noch dahin.

  Er hat die blutunterlaufenen Augen zusammengezogen. »Und mach dir ni
cht die Mühe, deine Mutter anzurufen, um sie auf deine Seite zu ziehen. Wir sind uns in diesem Fall einig. Wenn du gehst, verlierst du uns beide.«

  Wie erstarrt schaue ich dem Mann, der mich großgezogen hat, in die Augen. Ich spüre, wie mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmert. Ich will so viel sagen. Ich will schreien, bis er mich hört. Ich will dafür sorgen, dass er versteht, dass ich das einfach tun muss. Dass das nichts mit ihm oder seiner Firma oder der Art, wie er mich erzogen hat, zu tun hat.

  Aber ich kann in seinen leeren Augen sehen, dass nichts, was ich tue, auch nur das Geringste bewirken wird.

  Ich greife in meine Gesäßtasche, ziehe die Schlüssel des Transporters heraus und lege sie mit einem leisen Klimpern auf den Schreibtisch. Ich räuspere mich nur ein einziges Mal.

  »Du und ich sind nicht immer einer Meinung gewesen. Aber du hast mir beigebracht, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, eigenständig zu denken und den richtigen Weg einzuschlagen, selbst wenn andere versuchen, mich in die falsche Richtung zu lenken.« Ich gehe zur Tür und halte auf der Schwelle kurz inne. »Ich habe eine Chance auf das Leben erhalten, das ich immer haben wollte. Ich muss sie ergreifen.«

  Ich schnappe mir Felicitys Gitarre, die ich im Flur abgestellt habe, und lasse meinen Vater, mein Erbe und die einzige Sicherheit, die ich je gekannt habe, hinter mir.

  Ich schaue nicht zurück.

  Das Handy tutet zweimal, bevor sich ihre Mailbox meldet. Schon wieder.

  »Hi, hier ist Lacey! Ich bin gerade nicht da. Offensichtlich. Hinterlasst eine Nachricht nach dem Piepton! Oder, ihr wisst schon, schreibt mir eine Textnachricht, denn wir leben nicht mehr im Jahr 1995.«

  Ich tippe wütend mit dem Finger auf das Display, als ein schriller Piepton aus dem Lautsprecher dringt. Das ist der fünfte Anruf, dem sie ausgewichen ist, seit wir am Dienstagabend miteinander telefoniert haben. Ich habe Chris, Clays Assistenten bei Red Machine, drei Nachrichten hinterlassen, aber er ruft mich auch nicht zurück. Mein Magen ist seit drei Tagen ein einziges Nervenbündel, und es wird nur noch schlimmer, je näher der Samstag rückt. Das Flugticket, das gestern per Kurier geliefert wurde, ist für einen Flug ausgestellt, der um die Mittagszeit geht.

 

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