»Wie könnte ich den vergessen? Mein rechter kleiner Zeh ist immer noch taub.«
Chloes Lippen zucken. »Weißt du, dagegen habe ich vermutlich eine Pille …«
Ich werfe ihr ein Kissen an den Kopf.
14. KAPITEL
»Gurkensandwiches, Eure Königliche Hoheit?«
Ich presse die Lippen zusammen, um mir ein Lachen zu verkneifen, und schüttle den Kopf in Richtung des Kellners. Chloe schaut mich an, und ich sehe, dass ihre Lippen ebenfalls zucken, während sie so gut wie erfolglos versucht, sich ein Grinsen zu verkneifen.
Wie sich herausgestellt hat, lagen wir in Bezug auf Octavias Motive beide falsch. Bei unserem Ausflug nach Westgate drei Tage später geht es nicht darum, für mich eine Verabredung mit Alden zu arrangieren. Stattdessen besuchen wir eine Teegesellschaft, die seine Mutter, Naomi Sterling, die Baronin von Westgate, gibt. Ich lasse den Blick durch den großen Salon wandern, in dem sich zwei Dutzend Frauen befinden. Sie zählen zu denjenigen in Caerleon, die die besten Verbindungen haben (also am wohlhabendsten sind), und sie schweben in der angesagtesten Designermode durch den Raum. Die Gesamtkosten all der Kleider, Schuhe und Accessoires in diesem Salon sind höher als das Bruttoinlandsprodukt der meisten Entwicklungsländer. Und bei dieser Schätzung habe ich noch nicht einmal die königlichen Juwelen miteingerechnet.
»Achtung«, warnt mich Chloe leise.
Ich drehe mich gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie Ava auf uns zusteuert. Sie trägt ein marineblaues Cocktailkleid, das einen starken Kontrast zu ihren langen platinblonden Haaren bildet. Sie hat ein unbewegliches Lächeln im Gesicht, aber mir fällt sofort auf, dass in ihren durchdringenden grünbraunen Augen nicht der leiseste Anflug von Wärme liegt.
»Prinzessin Emilia! Wie schön, dass Sie gekommen sind.«
Ich erwidere das unterkühlte Lächeln. »Oh, Sie kennen mich ja – ich lasse mir nie die Gelegenheit für ein gutes Gurkensandwich entgehen.«
Chloe schnaubt in ihren Mimosa.
»Freut mich, dass wir Ihrem Wunsch entsprechen konnten, Eure Königliche Hoheit.« Avas Augen zucken, was ein verräterisches Anzeichen für die Wut ist, die direkt unter der Oberfläche brodelt. Sie wirft einen Blick auf Chloe. »Und Chloe – es ist immer wieder ein Vergnügen, dich zu sehen. Schade nur, dass dein Bruder heute nicht kommen konnte. Meine Mutter bestand darauf, dass ›nur Damen‹ eingeladen werden. So ein Unsinn.«
»Carter befindet sich mit Alden auf diesem Skiausflug in den Bergen. Sie werden ohnehin erst morgen zurückkommen.« Chloe senkt die Stimme zu einem leisen Murmeln. »Diese egoistischen Mistkerle hätten mich mitnehmen sollen, damit ich eine Entschuldigung für diese Veranstaltung hier gehabt hätte.«
Nun bin ich damit an der Reihe, in meinen Drink zu schnauben.
Avas Gesichtsausdruck verrät, dass sie alles andere als amüsiert ist. »Tja, wenn die Jungs zurückkehren, sollten wir uns mal alle zusammen treffen. Es ist schon viel zu lange her.«
»Ja, in letzter Zeit war einiges los!«, verkündet Chloe mit falscher Fröhlichkeit. »Immerhin wäre dein Verlobter beinahe gestorben und all das. Aber wie du willst, lass uns eine Party veranstalten!«
Ava versteift sich. »Henrys Zustand ist genau der Grund, warum wir unser Leben auch weiterhin voll auskosten sollten. Dieses schreckliche Feuer war eine Tragödie, aber in gewisser Weise auch ein Geschenk – es hat uns klargemacht, wie wertvoll unsere Zeit hier auf Erden ist.«
»Wow, Ava.« Chloe verdreht die Augen. »Dieser Schauspielunterricht, den dir deine Eltern finanziert haben, zahlt sich wirklich aus.«
Oh Mann.
Ich trinke einen großen Schluck von meinem Champagner.
»Wie bitte?« Ava umklammert den Stiel ihres Glases so fest, dass ihre Knöchel ganz weiß geworden sind. »Ich weiß nicht, was du damit andeuten willst, Chloe.«
»Und ich weiß nicht, ob es mir gefällt, dass du wieder ein Auge auf meinen Bruder geworfen hast, nun, da der Kronprinz plötzlich außer Gefecht gesetzt ist.«
Ich zucke zusammen. »Wieder?«
Ava wirft mir einen amüsierten Blick zu. »Oh – wussten Sie das nicht? Bevor Henry und ich uns verlobten, war ich mit Carter zusammen.«
Was?!
Ich umfasse mein Glas fester und versuche, die Frage herunterzuschlucken, aber ich kann einfach nicht anders. »Für wie lange?«
»Drei Jahre«, informiert sie mich süffisant.
»Währenddessen waren sie allerdings immer mal wieder getrennt«, wirft Chloe ein. »Eigentlich waren sie die meiste Zeit über getrennt.«
»Trotzdem.« Avas triumphierendes Lächeln ist schmerzhaft – wie ein Dolch, der sich direkt in mein Herz bohrt. Sie lehnt sich vor und schaut mir unmittelbar in die Augen. »Die erste Liebe vergisst man nie. Würden Sie mir da nicht zustimmen, Eure Hoheit?«
Ich blinzle hektisch und suche in meinem Gehirn nach einer angemessenen Erwiderung. Irgendetwas Kesses, das nicht verrät, wie sehr mich diese unerwartete Wendung in der Unterhaltung aufwühlt.
Die erste Liebe vergisst man nie.
Gott, ich hasse sie.
Zum Glück springt Chloe in die Bresche und rettet mich. »Den Prada-Schuhen aus der letzten Saison nach zu urteilen, die du trägst, kann man davon ausgehen, dass du nur zu gern alte Geschichten wieder hervorkramst, Ava – aber findest du nicht, dass es an der Zeit ist, über meinen großen Bruder hinwegzukommen?« Sie zieht ihre schmalen roten Augenbrauen in die Höhe. »Ach, sorry. Ich vergaß. Du hast ja einen Verlobten, der im Krankenhaus liegt. Stimmt’s? Erzähl uns doch mal, wann du ihn zum letzten Mal besucht hast. Hast du ihn überhaupt mal besucht? Denn ich gehe zweimal pro Woche hin und bin dir dort seltsamerweise noch nie über den Weg gelaufen.«
»Er darf keinen Besuch erhalten«, schnauzt Ava, und ihr defensiver Tonfall ist nicht zu überhören. »Er liegt isoliert auf der Station für Verbrennungsopfer.«
»Das werte ich dann mal als ein Nein«, murmelt Chloe.
Ich trinke einen weiteren großen Schluck von meinem Drink. Das Glas ist fast leer.
Es wird definitiv Zeit, einen weiteren Kellner herbeizuwinken …
»Du hast nicht die geringste Ahnung, was ich durchgemacht habe.« Avas Stimme bebt, als wäre sie plötzlich von Trauer übermannt worden, aber in ihr liegt kein bisschen Wahrheit. »Das ist die schwerste Zeit meines Lebens gewesen.«
»Spar dir das Theater, Ava.« Chloe verdreht erneut die Augen. »Für dich ist es doch schlimmer, deine Chance auf den Königstitel zu verlieren, als den Mann zu verlieren, den du lieben solltest.«
»Und was genau weißt du über Liebe, Chloe Thorne? Ich kenne dich seit unserer Kindheit, und in all der Zeit hat dir kein Mensch je länger als nur eine Nacht seine Aufmerksamkeit geschenkt.«
»Schluss jetzt . Alle beide.« Ich gehe dazwischen, bevor Chloe etwas erwidern kann. »Können wir wenigstens versuchen, diese verdammte Teegesellschaft ohne Blutvergießen hinter uns zu bringen? Die Leute starren uns schon an.«
»Oh, wie ich sehe, hast du einen neuen Wachhund, Chloe!« Ava lacht und schaut zu mir. »Wie … niedlich.«
Ich muss mich enorm zusammenreißen, um sie nicht anzuschnauzen. Aber wenn man bedenkt, dass ich hier diejenige bin, die Frieden stiften will, ringe ich mir stattdessen ein gutmütiges Lächeln ab.
»Also, Eure Hoheit … « Seltsam, wie mein Titel aus Avas Mund wie eine Beleidigung klingt. »Wie ist es Ihnen ergangen? Ich habe Sie seit der Krönungszeremonie nicht mehr gesehen. Das war solch ein traumatisches Erlebnis, dass ich schon befürchtete, Sie würden vor lauter Kummer vergehen!« Sie mustert mich von oben bis unten und begutachtet jede Kurve meines nicht gerade mit Modelmaßen gesegneten Körpers in dem figurbetonten grünen Wickelkleid, das ich trage. »Ich bin froh zu sehen, dass Sie nicht nur Haut und Knochen sind. Tatsächlich sehen Sie in letzter Zeit äußerst gesund aus.«
Obwohl ich mir Mühe gebe, es zu verbergen, zucke ich zusammen.
Miststück.
Ava bemerkt meine Reaktion, und ihr Lächeln wird breiter – ein Hai, der Blut im Wasser wittert. Ihre Stimme ist voll falscher Freundlichkeit. »Ich hoffe, dass ich Sie nicht beleidigt ha
be, Prinzessin! Ich beneide Sie einfach nur um Ihre Fähigkeit, eine solch vollschlanke Figur zu bewahren. Egal wie viel ich esse, ich scheine einfach nicht zunehmen zu können. Sie müssen mir Ihr Geheimnis verraten.«
»Oh, geh und schäl dir eine Weintraube, Ava«, zischt Chloe und beugt sich zu ihr vor. »Du ernährst dich doch schon seit unserem zwölften Lebensjahr ausschließlich von Luft.«
Avas Blick wird messerscharf. »Dich muss ich nicht nach deinem Geheimnis für eine dauerhaft schlanke Figur fragen, Chloe. Jeder in diesem Raum weiß, dass du dich von Alkohol und Tabletten ernährst. Tatsächlich weiß das mittlerweile so ziemlich jeder in diesem Land, nachdem die letzten beiden Male, als du dir eine Überdosis verpasst hast, in allen Zeitungen breitgetreten wurden.« Sie hält inne. »Vielleicht kannst du der Prinzessin des Volkes ein paar Tipps geben, bevor man zusätzliche Gewichtsstützen für ihren Thron bauen muss.«
Chloe macht einen Schritt nach vorn, voll und ganz bereit, für mich in den Kampf zu ziehen. »Jetzt hör mir mal gut zu, du eiskaltes kleines Biest …«
»Chloe! Sie ist es nicht wert«, murmle ich, strecke eine Hand aus und packe ihren Arm, um sie aufzuhalten, bevor sie eine gewaltige Szene macht. Ich kann bereits spüren, wie mehrere neugierige Augenpaare auf uns gerichtet sind – die anderen Damen im Raum lugen über ihre Teetassen, um das neueste Drama mitzubekommen.
»Seid ihr zwei nicht einfach bezaubernd?« Ava lässt den kühlen Blick zwischen Chloe und mir hin- und herwandern. »Ihr habt eindeutig eine ganz besondere Verbindung. Ihr seid euch näher als Schwestern!« Sie beugt sich vor, um uns etwas zuzuflüstern. »Andererseits hattest du schon immer ein Faible für enge Freundinnen , nicht wahr, Chloe? Eine Schande, dass diese Tatsache letztes Jahr für Gerüchte in der Klatschpresse gesorgt hat! Ich würde mir darüber jedoch nicht zu viele Gedanken machen. Ich bin mir sicher, dass deine wundervolle Mutter irgendwann einen Ehemann für dich finden wird, dem deine … unziemlichen Neigungen nichts ausmachen.«
Ich werde blass.
Meine Stiefschwester gibt einen Laut von sich, den man nur als Knurren bezeichnen kann. Ich packe ihren Arm fester und halte sie zurück, doch wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich nichts lieber tun, als ihr dabei zu helfen, diese arrogante Schlampe in ihre Schranken zu verweisen.
»Ava, ich schlage vor, dass Sie sich jetzt einfach vom Acker machen«, warne ich sie durch zusammengebissene Zähne. »Denn Sie mögen hier in dieser kleinen Blase aus Teegesellschaften und feiner Gesellschaft aufgewachsen sein … aber ich bin in der echten Welt aufgewachsen. Und ich denke, dass wir beide wissen, dass ich Ihnen trotz der wirklich beeindruckenden Ausmaße Ihrer Zickigkeit mit meiner ›gesunden, vollschlanken Figur‹ so heftig in Ihren dürren Hintern treten könnte, dass Sie über die Landesgrenzen fliegen, wenn es hart auf hart kommt.« Ich lächle kühl und setze einen Blick auf, den ich oft bei Octavia gesehen habe, wenn sie sich in meiner Nähe befindet. »Ganz zu schweigen davon, dass ich einen königlichen Erlass unterschreiben könnte, um Ihre Rückkehr zu verbieten.«
»So viel Macht haben Sie nicht!« Ihr empörtes Schnauben ist Musik in meinen Ohren.
»Ach, Ava.« Meine Augen funkeln. »Wetten, dass? Lassen Sie es ruhig darauf ankommen.
Damit wirbele ich herum, stolziere davon und zerre Chloe hinter mir her. Ich bleibe erst stehen, als wir den Salon verlassen haben und uns in dem beheizten gläsernen Lichthof befinden, von dem aus man einen Ausblick auf die weitläufigen schneebedeckten Außenanlagen des Herrenhauses hat. Ich lasse Chloe los, starre auf die tanzenden Schneeflocken und atme sehr viel angestrengter als normal. Als ich meine zu Fäusten geballten Hände öffne, stelle ich fest, dass meine Fingernägel fein säuberliche halbmondförmige Abdrücke in meinen Handflächen hinterlassen haben.
»Oh Mann!«, haucht Chloe leise. »Hast du ihr Gesicht gesehen? Du warst echt krass.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Jetzt mal im Ernst. Was hat dich dazu getrieben?«
»Sie hat mich wütend gemacht.«
»Dann sollten dich die Leute öfter wütend machen, E.«
»Ehrlich, wenn es einen Preis für das ›Miststück des Jahres‹ gäbe, könnte Ava Octavia ernsthaft Konkurrenz machen.«
Chloe schnaubt.
»Das ist kein Scherz!«, beharre ich. »Sie ist ein unerträgliches Biest.«
»Das ist allgemein bekannt.«
»Ist sie schon immer so gewesen?«
»Mehr oder weniger. Ich glaube, dass sie schon mit diesem überheblichen Gesichtsausdruck auf die Welt gekommen ist.«
»Wie in aller Welt konnte Carter nur mit ihr gehen?« Ich schüttle den Kopf, als müsste ich die bloße Vorstellung der beiden als Paar aus meinen Gedanken verdrängen.
»Das ist sehr lange her. Beinahe ein Jahrzehnt. Wir waren Teenager. Und …«
»Was?«, hake ich nach.
»Ava ist ein elendes Miststück, aber selbst ich muss zugeben, dass sie ziemlich heiß ist.«
Ich starre aus dem Fenster und versuche, meinen Puls zu beruhigen. Es ist ein sinnloses Unterfangen. Die Gedanken wirbeln nur so durch meinen Kopf – über Ava und Henry und Carter. Über die seltsame Dreiecksbeziehung, von der ich bis gerade eben nicht mal wusste.
»Wie ging die Beziehung zu Ende?«
Chloe seufzt. »Es war nie etwas Ernstes – zumindest nicht von Carters Seite. Er war ein triebgesteuerter Siebzehnjähriger, und sie war leicht zu haben.«
»Aber für sie war es etwas Ernstes?«
»Ich glaube wirklich nicht, dass jemand wie Ava zu Liebe fähig ist, doch ich denke, dass sie etwas für ihn empfand. Jedenfalls wurden jegliche Gefühle für meinen Bruder umgehend ausgelöscht, als ihr klar wurde, dass sie Henry heiraten und Königin von Caerleon werden könnte. Schon erstaunlich, wie schnell ihr Herz vom einen zum anderen wechselte.«
»Wie reagierte Carter darauf?«
»Nicht gut, wie du dir sicher vorstellen kannst. Zu sehen, wie sich eine Frau, die ihn angeblich liebte, für Macht entschied, sobald sich ihr die Gelegenheit bot, und das, was sie füreinander empfunden hatten, einfach aufgab, sorgte nur dafür, dass seine ohnehin schon zynische Einstellung zu Beziehungen nur noch schlimmer wurde.«
Ich werde blass, während ich diese Information verarbeite. Plötzlich verspüre ich das dringende Bedürfnis, zu weinen.
Er wurde zweimal von einer potenziellen Königin abgewiesen.
Gott, er wird mich auf ewig hassen.
Chloe seufzt erneut. »Rückblickend betrachtet zerstörte das Drama mit Ava unseren kompletten Freundeskreis. Die Jungs verbrachten natürlich immer noch Zeit miteinander … aber danach war nichts mehr wie zuvor. Das Vertrauen war zerstört. Wir konnten nicht mehr so weitermachen wie bisher.«
Auf einmal muss ich daran denken, wie wir letzten Monat zusammen mit den Sterlings in der Limousine saßen und auf dem Weg zu König Leopolds und Königin Abigails Beerdigung waren. Nun, da ich diese Erinnerung noch einmal mit neuen Augen betrachte, bekommen gewisse Details eine neue Bedeutung.
Aldens angespanntes Schweigen.
Chloes spitze Kommentare.
Avas raubtierartige Blicke, als sie mich neben Carter sitzen sah.
Jetzt ergibt alles Sinn.
Ich schaue zu Chloe. »Ist irgendetwas auf dieser Welt jemals unkompliziert?«
»Nein! Und nun lass uns zurückgehen, bevor wir alles verpassen.«
»Tut mir leid, aber in diesem Haus gibt es nicht genug Mimosas, um mich zu überreden, in diesen Salon zurückzukehren und mich von diesen … diesen Schreckschrauben auseinandernehmen zu lassen. Und seit wann ist es dir so wichtig, an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen?«
»Vertrau mir einfach, okay? Das willst du nicht verpassen.«
»Gott bewahre, dass wir uns auch nur eine Minute dieser Teegesellschaft entgehen lassen!«, schnaube ich. »Etwas so immens Wichtiges …«
»Wer redet hier von Tee? Hast du etwa immer noch nicht begriffen, wie das funktioniert? Teetrinkende Frauen haben mehr politische Entscheidungen getroffen als alle Männer in allen prunkvollen Hallen zusammengenommen. Die Frauen in diesem Raum regieren dieses Land. Ihre Eh
emänner mögen die Geschicke des Landes lenken … aber sie lenken ihre Ehemänner.«
Ich schnaube erneut. »Diese Parlamentssitzung wird Ihnen präsentiert von: Prada.«
Sie grinst. »Jetzt hast du es kapiert.«
Widerwillig folge ich ihr zurück in den Salon, wo uns ein Wolfsrudel in Designerkleidern erwartet – ihre Worte sind schärfer als Reißzähne, ihre Blicke schneidender als Klauen.
Lasst die Spiele beginnen.
15. KAPITEL
Die Erde knirscht unter Gingers Hufen, als wir um eine besonders schöne Wegbiegung traben. Ihr karamellfarbenes Fell glänzt strahlend in der blassen, von Weiß überzogenen Landschaft, die uns umgibt. Die immergrünen Bäume auf beiden Seiten sind voller Schnee und ganz steif gefroren. Eiszapfen hängen von ihren schweren Ästen und funkeln im frühen Abendlicht wie Diamanten.
Normalerweise reite ich um diese Tageszeit nicht aus, aber nach unserer Rückkehr von der Teegesellschaft an diesem Nachmittag musste ich unbedingt den Kopf freibekommen.
Mit einer Sache hatte Chloe jedenfalls recht – die Frauen, die in diesem Raum versammelt waren, treffen wirklich alle Entscheidungen für ihre Ehemänner. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt. Die Art und Weise, wie die Unterhaltung vom jüngsten Tratsch – Haben Sie gehört, dass Baron Levinson in einer kompromittierenden Situation mit dem neuen Kindermädchen erwischt wurde? – nahtlos zu politischen Themen überging – Welche geopolitischen Auswirkungen hat Europas kürzlicher Vorstoß in Richtung erneuerbare Energien auf den Wert von Caerleons Rohstoffen? –, war wirklich ein beeindruckendes Schauspiel.
Über eine Stunde lang diskutierten sie über alles Mögliche – Handel, Tarife und wohltätige Einrichtungen, die sie dieses Jahr in der Weihnachtszeit unterstützen wollen. Ich saß da und hörte voller Ehrfurcht zu – anders kann ich es nicht beschreiben.
Aber meine Ehrfurcht verwandelte sich schon bald in Empörung.
Nicht meinet-, sondern ihretwegen. Wegen aller Frauen in diesem Land. Denn es ist mehr als offensichtlich, dass sich unter diesen perfekt frisierten Haaren und funkelnden Juwelen ein paar der klügsten Köpfe Caerleons verbergen. Und niemand wird das je erfahren, weil irgendein uraltes Gesetz verhindert, dass Frauen Mitglieder des Parlaments werden können.
Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 17