»Halt die Klappe, Roxy«, zischte Finn und schob sich an ihr vorbei, um mich zur Begrüßung zu umarmen.
Ich hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, doch er hatte sich seit unserem letzten Treffen vor knapp einem Jahr kaum verändert. Sein schwarzes Haar trug er etwas länger und seine Gesichtszüge wirkten rauer, kantiger, aber seine blauen Augen funkelten noch immer genauso frech.
»Ich wusste gar nicht, dass du hier bist«, sagte ich und löste mich von ihm.
»Ja, ich bin allerdings nur auf der Durchreise.« Finn deutete auf die Tasche zu seinen Füßen.
»Willst du uns deine Freundin nicht vorstellen?«, fragte der Typ, der Shaw sein musste.
Finn legte mir einen Arm um die Schultern. »Das ist Cain. Und das sind Shaw und meine Kampfpartnerin, Roxy.«
Ich nickte ihnen zu. »Freut mich, euch kennenzulernen.«
Shaw lächelte mich an, genau wie Roxy, die jedoch etwas angespannt wirkte und ungeduldig auf die Knöpfe des Aufzugs drückte, dessen Tür Finn und ich blockierten.
»Können wir weiter? Ich bin am Verhungern«, sagte sie, wobei ein leichter irischer Akzent in ihrer Stimme mitschwang.
Finn verdrehte die Augen. »Wir wollen in die Cafeteria. Kommst du mit?«
»Oh, gern! Da bin ich mit Jules verabredet.«
»Cool.«
Wir stiegen in den Aufzug und fuhren hoch in die Mensa, welche sich im zweiten Stock befand.
»Was verschlägt euch nach Edinburgh?«, fragte ich und sah von Finn und Shaw zu Roxy, die so breitbeinig dastand, als versuchte sie, sich im Boden zu verankern.
»Wie gesagt, ich leg hier nur einen kurzen Zwischenstopp ein, bevor es für ein paar Tage zu meiner Familie geht. Und Roxy und Shaw sind hier, um sich das Quartier anzuschauen. Shaw trainiert gerade für seine Hunterprüfung.«
»Oh wirklich? Ich unterrichte einen der Grundkurse für angehende Hunter. Du bist zwar etwas älter als meine anderen Schüler, aber wenn du Fragen hast, helfe ich dir gern.«
Shaw grinste. »Cool, danke.«
Mit einem leichten Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Wir stiegen aus und folgten dem breiten Korridor, der von Tageslichtlampen erhellt wurde, die einem das Gefühl gaben, nicht unter der Erde festzustecken.
Wie erwartet war die Mensa um diese Uhrzeit ziemlich voll. Einige der anwesenden Hunter grüßten mich mit einem Nicken, und Evan, ein Junge aus besagtem Grundkurs, winkte mir überschwänglich zu. Ich ließ es mir nicht nehmen, genauso enthusiastisch zurückzuwinken.
»Woher kennt ihr euch?«, fragte Shaw und sah von Finn zu mir.
»Cain war früher unglaublich in mich verliebt und ist mir überallhin nachgelaufen.«
Ich verpasste ihm einen Stoß in die Seite. »Glaubt ihm kein Wort. Finny hat seine Ausbildung im selben Jahr abgelegt wie mein Cousin Jules, der inzwischen mein Kampfpartner ist. Daher kennen wir uns. Und wenn überhaupt war Finn in mich verknallt, nicht andersherum.«
Er schnalzte mit der Zunge. »In deinen Träumen vielleicht.«
»Du meinst wohl eher Albträumen«, gab ich mit einem Lachen zurück.
Wir redeten Unsinn, und das war uns beiden vollkommen klar. Finn und ich waren immer nur Freunde gewesen. Zugegeben, wir hatten uns zwei-, drei-, vier- … okay, ein paarmal geküsst, aber nur um Dampf abzulassen, nicht weil wir romantische Gefühle füreinander hatten.
»Hey!«, erklang eine Stimme.
Ich hob den Kopf und entdeckte Jules, der zielstrebig auf uns zukam. Er trug eine dunkle Jogginghose und einen ärmellosen grauen Hoodie mit Kapuze. Ein überraschend farbloses Outfit für seine Verhältnisse. Nur die bunte Kette an seinem Amulett stach leuchtend hervor.
Jules war ebenso überrascht, Finn zu sehen, wie ich, und nach einer herzlichen Begrüßung stellten wir uns gemeinsam an der Essensausgabe an.
»Studierst du immer noch Innenarchitektur?«, erkundigte sich Finn.
Jules nickte. »Ja. Letztes Jahr habe ich die Cafeteria neu eigerichtet. Sie ist mein ganzer Stolz.«
»Das erklärt einiges.« Finn sah sich in dem Raum um, der weit mehr war als eine langweilige Mensa mit wackeligen Tischen und verbogenen Stühlen. Jules hatte das von Grant vorgegebene Budget bis aufs Letzte ausgereizt. Nun spannten sich Holzbalken von Wand zu Wand, von denen künstliche Pflanzen baumelten. Und mit Unterstützung von mir und einigen anderen Huntern hatte er Tische aus einem ähnlich robusten Holz geschreinert, da sie anderenfalls ein Vermögen gekostet hätten. Abgerundet wurde die Einrichtung durch die dazu passenden Stühle, weitere naturfarbene Deko-Elemente und eine cremefarbene Couchlandschaft in einer Ecke des Raumes.
»Du solltest dem Londoner Quartier mal einen Besuch abstatten«, warf Shaw ein.
Jules lachte. »Vielleicht irgendwann.«
»Und was ist mit dir?«, wandte sich Finn nun an mich. »Was treibst du so?«
»Dies und das«, antwortete ich ausweichend, da ich ihm ganz bestimmt nicht von meinem Nebenjob als Party-Prinzessin erzählen würde. Abgesehen von Jules, Ella und meinen Eltern wusste niemand davon, und dabei sollte es bleiben. »Aber jetzt lass uns mal über dich reden. Wie läuft dein Studium?«
»Abgesehen davon, dass ich vermutlich so viele Vorlesungen verpasse wie niemand sonst? Ganz gut.«
»Wenn es nur das ist«, sagte ich mit einem Lachen. Denn dies war nur einer der Gründe, aus denen ich mich gegen ein Studium entschlossen hatte. Ich bewunderte Jules dafür, dass er sein Studium und das Hunterdasein unter einen Hut brachte, ohne eines von beiden zu vernachlässigen. Andererseits hatte er auch weniger Ambitionen als ich, was sein Dasein als Jäger anging. Er war glücklich damit, ein Hunter im aktiven Dienst zu sein. Aber ich wollte mehr. Mein Ziel war es, irgendwann den Posten der Leiterin des Quartiers zu übernehmen, um endlich ein paar Dinge zu ändern. Es war nicht alles schlecht, aber ich sah definitiv Verbesserungspotenzial, vor allem im Hinblick auf die Gleichberechtigung. Grant erledigte als Quartiersleiter einen großartigen Job, und auch mein Großvater, der vor ihm in der Position gewesen war, hatte tolle Arbeit geleistet, aber ob bewusst oder unbewusst wurden die hohen Ränge immer nur an Männer vergeben. Grants rechte Hand war Wayne. Der Anführer der Grim Hunter war mein Dad Andrew. Die wenigen Soul Hunter wurden von Ellas Vater Louis angeführt. Die Magic Hunter waren Jason Stafford unterstellt. Und die Blood Hunter standen unter der Leitung von Xavier Gorman, der nicht einmal ein besonders guter Jäger war. Meine Mum hätte diese Position viel mehr verdient gehabt, aber Grant hatte sie an Xavier vergeben, vermutlich aus Gewohnheit, da er eigentlich wusste, wie fähig meine Mutter war. Und an diesen Gewohnheiten wollte, nein, musste ich etwas ändern.
Wenn ich erst einmal Quartiersleiterin wäre, würde ich alle Stellen fair besetzen und für Ausgleich sorgen. Denn dadurch, dass mein Dad und all die anderen Kerle das Sagen hatten, bekamen wir Frauen häufig die ungefährlichen, manchmal ziemlich langweiligen Routen auf Patrouillen, und bei größeren Missionen wurden wir als Beobachter abgestellt. Natürlich nicht immer, aber nach den Geschichten, die ich von meiner Mum, meiner Tante und all den anderen Frauen gehört hatte, war durchaus ein Muster zu erkennen. Ein Muster, das ich durchbrechen wollte. Deshalb steckte ich meine ganze Kraft und Energie in die Hunter und dieses Quartier und nicht in ein Studium.
Wir rückten an der Essensausgabe weiter vor, bis wir schließlich an der Reihe waren.
»Was … Was ist das?«, fragte Roxy mit fassungslosem Blick auf die Tageskarte, die mit Kreide auf eine Tafel neben der Ausgabe geschrieben war. »Bio-Lachs mit Kartoffelecken und gedünstetem Gemüse? Schafskäse auf Feldsalat vom Bauernmarkt mit Goji-Beeren und Olivenbrot … wahlweise auch mit Falafel? Ist das alles, was es hier gibt? Wo sind die Pommes, die Pizza, die Mac ’n’ Cheese? Bin ich etwa schon in der Hölle gelandet?«
Ich schnappte mir Besteck und einen Teller. »Ja, das ist alles. Hier wird jeden Tag mit frischen Zutaten vom Biomarkt gekocht, daher gibt es immer nur zwei Gerichte – eins mit und eins ohne Fleisch.«
»Okay, und warum sind wir dann hier?«, fra
gte Roxy verständnislos in die Runde, ehe ihr Blick zu Shaw wanderte. »Warum sind wir nicht wieder zu diesem leckeren Italiener von gestern gegangen? Die Cannelloni waren zum Niederknien.«
»Weil Finn gleich nach dem Essen fährt und dafür keine Zeit mehr gewesen wäre«, erwiderte Shaw geduldig.
Roxy funkelte Finn an. »Ich hasse dich.«
Er warf ihr einen Luftkuss zu. »Ich dich auch. Und jetzt such dir was aus.«
Roxy gab ein unglückliches Grummeln von sich. »Wer hat sich so einen gesunden Mist ausgedacht?«
»Wayne«, antwortete Jules mit einem Schulterzucken.
»Wer ist dieser Wayne, und wo finde ich ihn?«
»Er sitzt dahinten.« Ich hatte ihn beim Reinkommen entdeckt und deutete in seine Richtung.
Die Blicke der anderen folgten meiner Handbewegung.
Wayne saß allein an einem Tisch. Vor ihm stand ein Tablet, und er schmunzelte über etwas, das sich auf dem Display abspielte. Er hatte dichtes schwarzes Haar, die drahtig-muskulöse Figur eines Blood Hunters und die eindrucksvollen, hellgrauen Augen eines Soul Hunters. Beides zusammen machte ihn zu etwas ganz Besonderem, denn er besaß sowohl das Blood- als auch das Soul-Hunter-Gen. Somit konnte er Vampire riechen und Geister sehen. Weltweit waren laut unseren Aufzeichnungen in den letzten hundert Jahren nur vier Jäger dieser außergewöhnlichen Art geboren worden.
»Oha«, entwich es Roxy, als sie Wayne erblickte. Die Unzufriedenheit über die Essensauswahl wich aus ihrem Gesicht und machte Platz für einen entzückten Ausdruck. »Vielleicht sollte ich ihm doch eine Chance geben.«
»Wem, dem Essen oder Wayne?«, fragte Shaw in einem Tonfall, der ein wenig zu betont gleichgültig klang.
Roxy sah zu ihm auf, ein amüsiertes Funkeln in den Augen. »Dem Essen natürlich.«
Shaw erwiderte ihren Blick und hielt ihn fest.
Zwei, drei Sekunden sahen die beiden einander einfach nur an, und obwohl ich sie kaum kannte, konnte ich förmlich spüren, wie sich die Luft zwischen ihnen veränderte.
Finn stupste Roxy an. Er hatte seinen Teller bereits in der Hand. »Du bist dran.«
»Kann ich den Feldsalat auch mit einem Berg Kartoffelecken bekommen?«
Maureen, Xaviers Ehefrau, die erst durch ihn von den Huntern erfahren hatte und seitdem für die Kantine verantwortlich war, schüttelte den Kopf.
Roxy entwich ein enttäuschtes Seufzen. »Dann nehme ich den Salat mit Käse«, sagte sie so gequält, als wäre sie tatsächlich in ihrer persönlichen Hölle gelandet. Sichtlich widerwillig nahm sie den Teller an, der ihr gereicht wurde.
Als Letztes war Shaw an der Reihe, und nachdem wir alle unser Essen hatten, suchten wir uns einen Tisch.
Lustlos stocherte Roxy auf ihrem Teller herum. »Oh Mann, ich habe mich so auf das Essen gefreut.«
»Du hast noch nicht mal probiert«, sagte Finn.
»Ja, aber es ist Salat, Finny, S-a-l-a-t. Der ist gesund«, fügte sie hinzu und schüttelte sich.
Shaw schob Roxy seinen Teller hin. »Hier, du kannst ein paar von meinen Kartoffelecken haben.«
»Wirklich?« Er nickte, und sie bediente sich mit einem Lächeln. »Danke, du bist ein wahrer Freund, anders als andere Menschen an diesem Tisch.« Vielsagend schaute sie Finn an, der von ihrem tadelnden Blick allerdings wenig beeindruckt schien.
»Wie seid ihr beide Kampfpartner geworden?«, fragte ich mit einem Schmunzeln, denn trotz ihrer Sticheleien war offensichtlich, dass Roxy und Finn einander mochten.
»Ganz unspektakulär. Ich habe Roxy gefragt, und meine einnehmende Persönlichkeit hat ihr keine andere Wahl gelassen, als Ja zu sagen. Und natürlich die Tatsache, dass niemand anderes ihr Partner sein wollte«, antwortete Finn grinsend, aber ich kannte ihn und wusste, dass mehr hinter seinen lockeren Worten steckte. Er hätte Roxy niemals gefragt, ob sie seine Partnerin werden wollte, wäre er nicht fest von ihrem Können überzeugt.
»Und wie war das bei euch beiden?«, erkundigte sich Shaw und sah zwischen Jules und mir hin und her. Keine ungefährliche Frage – vor allem nicht nach den jüngsten Ereignissen.
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete ich ausweichend. Es war eine Geschichte, die ich nicht erzählen konnte, ohne Warden zu erwähnen, und ich wollte jetzt nicht an ihn denken. Schlimm genug, dass ich in ein paar Stunden gemeinsam mit ihm Dienst in der Waffenkammer würde ableisten müssen.
Doch offenbar verstand Shaw den Wink mit dem Zaunpfahl nicht. »Ich habe Zeit.«
»Eigentlich ist sie gar nicht so lang«, eilte Jules mir zu Hilfe. »Mein damaliger Kampfpartner Eliott ist für sein Studium und seine Freundin umgezogen, und zwischen Warden und Cain gab es ein paar Meinungsverschiedenheiten. Da lag es einfach nahe, dass wir uns zusammentun.«
Roxys Augen wurden groß. »Du warst die Kampfpartnerin von Warden?«
Bei der Erinnerung legte sich ein bitterer Geschmack auf meine Zunge. Ich nickte.
Sie stieß einen leisen Pfiff aus. »Was ist passiert?«
Ich schnaubte. »Warden ist passiert.«
Shaw hob die Brauen. »Was soll das heißen?«
»Lass es dir von ihm erklären«, erwiderte ich trocken, denn ich wollte wirklich nicht darüber reden.
Warden würde mich in seiner Version der Geschichte als die Böse darstellen, aber das war mir egal. Ich stand nach wie vor hinter meiner Entscheidung von damals. Ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte. Warden riskierte noch immer Kopf und Kragen auf seiner Suche nach Isaac, doch inzwischen war er ein besserer Jäger. Hätte ich damals zugelassen, dass er loszog, um Isaac zu finden, wäre er seinem Dad ins Grab gefolgt. Und so zerrüttet unsere Beziehung seither auch war, ein Teil von mir würde sich immer um Warden sorgen und sich wünschen, dass es ihm gut ging. Auch wenn er es mir mit seinem Verhalten verdammt schwer machte.
Warden
»Er spürte den Wind auf seiner Haut und den Rauch in seiner Lunge. Die Stadt vor seinen Augen brannte, und das erste Mal in seinem Leben war er wirklich glücklich. Er lächelte und wischte sich das Blut aus dem Mundwinkel, das bereits dabei war zu verkrusten …«
Ich blickte von dem Buch auf, aus dem ich meiner Mum vorlas, und wie jedes Mal, wenn ich den Kopf hob, hoffte ich auf eine Veränderung – doch nichts veränderte sich. Meine Mum lag noch immer bewusstlos in einem Bett auf der Krankenstation des Quartiers, angeschlossen an eine Maschine, die ihren Herzschlag in piepsende Töne übersetzte.
Ich klappte das Buch zu und legte es auf den Nachttisch zu all ihren anderen Lieblingsbüchern, die ich ihr immer wieder vorlas in der Hoffnung, dass sie mich hörte. Ich stützte die Ellenbogen auf die Knie und betrachtete ihr Gesicht und ihre ergrauten Schläfen, die es mir schwer machten, nicht an all die Jahre zu denken, die sie in diesem Bett bereits verloren hatte.
»Isaacs Spur nach London hat sich ins Nichts verlaufen«, sagte ich, die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, damit mich niemand belauschen konnte. Früher hatte sie in einem von fünf Einzelzimmern gelegen, aber inzwischen war sie in einem Gemeinschaftsraum untergebracht, in dem sie nur ein paar dünne Vorhänge vor neugierigen Blicken schützten. »Ich dachte wirklich, ich bin da an was dran, aber anscheinend war es eine Finte. Mal wieder. Trotzdem, ich werde nicht aufgeben. Ich werde Isaac finden. Ich bin sogar schon an einem neuen Hinweis dran. Na ja, Hinweis ist vielleicht etwas übertrieben … Ich hab in Frankreich eine durchgeknallte Magic Huntress gejagt und …«
Ich brach ab, denn die Erinnerung an Amelia brachte unweigerlich auch Erinnerungen an Dominique mit sich. Ich kniff die Augen zusammen, um die Bilder zu vertreiben, um nicht an die Frau mit den schwarzen Haaren und violetten Augen zu denken, aber ich kämpfte auf verlorenem Posten.
Fuck!
Bilder von unserer gemeinsamen Zeit und ihren letzten Augenblicken stiegen in mir auf. Ich hatte nicht viel über Dominique gewusst. Weder was ihr Lieblingsessen gewesen war, noch welchen Film sie sich bis in die Unendlichkeit hätte ansehen können, aber ich hatte mich mit ihr auf andere Art und Weise verbunden gefühlt. Sie hatte ihr
en Bruder an einen Werwolf verloren, so wie ich meine Familie an die Vampire. Wenn wir zusammen gewesen waren, hatten wir nicht nur Lust und Leidenschaft miteinander geteilt, sondern auch Schmerz und Trauer, wie nur wenige andere es taten. Ich vermisste sie, obwohl sie erst seit ein paar Wochen tot war und wir uns sonst manchmal monatelang nicht gesehen hatten. Aber mit Dominique hatte es sich immer so angefühlt, als wäre keine Zeit vergangen. Sie war ein so offener Mensch gewesen und hatte sich nicht von ihrer Wut leiten lassen. Anders als ich. Wenn einer von uns beiden es verdient gehabt hatte, in diesem Kampf zu sterben, dann ich. Doch es war mir nicht gelungen, sie zu retten, obwohl ich bereit gewesen wäre, mein eigenes Leben dafür zu geben. Ich hatte versagt.
Zitternd holte ich Luft und wandte mich wieder meiner Mum zu. Sie, mein Dad, Dominique. Cain. Warum war ich verflucht, alle Menschen, die mir nahestanden, auf die eine oder andere Art zu verlieren? Aber wenn ich sie schon nicht hatte halten können, würde ich sie zumindest rächen. Amelia war bereits tot, aber Isaac trieb noch immer sein Unwesen auf dieser Welt.
Ich räusperte mich und nahm den Faden wieder auf, um meiner Mum von meinen Plänen zu erzählen. »Jedenfalls hat diese Magic Huntress – Amelia – kurz vor ihrem Tod etwas davon gefaselt, dass der Vampirkönig Baldur töten würde. Keine Ahnung, warum er das tun sollte, aber ich werde dem nachgehen und mit Harper reden. Denn wenn es wirklich Stress zwischen Hexen und Vampiren gibt, sollten wir das wissen.«
Die Stille, die meinen Worten folgte, erzeugte bei mir nicht zum ersten Mal eine Gänsehaut, und ein Gefühl der Ungeduld nistete sich tief in meinem Inneren ein. Ich wartete und wartete und wartete darauf, dass sich etwas veränderte, dass sich der Zustand meiner Mum besserte, sie aufwachte und mir sagte, was ich tun sollte, damit ich mich vielleicht ein klein bisschen weniger verloren fühlte. Es war, als würde ich mich seit drei Jahren allein und blind durch diese Welt tasten. Ein beschissenes Gefühl, das wie eine tickende Zeitbombe in meinem Magen saß, und ich wusste einfach nicht, wie ich sie entschärfen konnte. Genauso wenig wie ich wusste, was passieren würde, wenn der Timer die Null erreichte.
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