Midnight Chronicles 02 - Blutmagie

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Midnight Chronicles 02 - Blutmagie Page 11

by Bianca Iosivoni u . Laura Kneidl


  Ich wirbelte herum und entdeckte Wayne. Der Blick aus seinen blassen Soul-Hunter-Augen war stürmisch, und er trug seine Uniform, was vermuten ließ, dass er von einer Patrouille kam und Grant ihn zurückgerufen hatte. Was nicht verwunderlich war, denn irgendwie hing Wayne in dieser ganzen Sache mit drin. Er war nicht nur Grants rechte Hand, sondern auch derjenige gewesen, der Wardens Mum gefunden und dabei geholfen hatte, das Chaos zu beseitigen, dass Isaac und seine Vampire hinterlassen hatten.

  Wayne blieb neben mir stehen. »Hey.«

  »Hey«, erwiderte ich mit kratziger Stimme.

  »Wie geht es dir?«

  Ich zuckte mit den Schultern, weil ich es selbst nicht wusste. Ich fühlte mich schuldig, obwohl ich das Richtige getan hatte. Ich trauerte mit Warden und war gleichzeitig wütend auf ihn, weil er mich in diese Situation gebracht hatte. Und all diese Gefühle lagen unter einer Decke der Ungewissheit, weil ich keine Ahnung hatte, was zum Teufel da drinnen so lange dauerte!

  Wayne nickte und nahm meine vage Antwort hin. Ich erwartete, dass er in Grants Büro gehen würde, doch stattdessen nahm er auf einem der Stühle im Vorraum Platz, faltete die Hände im Schoß und leistete mir schweigend Gesellschaft.

  Fünf Minuten später wurde die Tür zum Büro von Warden aufgestoßen. Sein Haar war zerzaust, Blut klebte an seiner Wange. Offenbar hatte er eine Kreatur gefunden, an der er seine Wut hatte auslassen können, bevor die anderen Hunter ihn gefunden hatten. Was mich jedoch noch mehr beunruhigte als das Blut, waren die Schatten, die sich über sein Gesicht gelegt hatten, und der Hass in seinen Augen. Bisher hatte ich nur erlebt, wie er Vampiren, Werwölfen und anderen Kreaturen mit einer solchen Feindseligkeit begegnet war. Doch heute galt die Abscheu in seinem Blick mir. Mir ganz allein.

  Ich schluckte schwer und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, was das mit mir anstellte, auch wenn es mir die Kehle zuschnürte, so von meinem Kampfpartner angesehen zu werden. Als würde er mir am liebsten einen Dolch zwischen die Rippen stoßen.

  »Wayne, würdest du Warden bitte in eine unserer Arrestzellen bringen«, sagte Grant, der hinter Warden aus seinem Büro trat. Anders als Warden wirkte er nicht wütend und aufgebracht, sondern erschöpft und enttäuscht – und vor allem müde. »Er hat vier Wochen Hausarrest. Außerdem wird ihm seine Hunterprüfung aberkannt. Streich ihn aus allen Einsätzen, bis er die Prüfung wiederholt hat.«

  Ich riss die Augen auf. »Was?!«

  Grant blickte zu mir. »Warden hat gegen eine unserer wichtigsten Regeln verstoßen: Gehe niemals allein auf die Jagd. Und dann auch noch, nachdem ich ihn ausdrücklich beurlaubt hatte. Sein Verhalten muss Konsequenzen haben, ich weiß nicht, wo die ganze Sache sonst noch enden soll. Die Regeln dienen eurer Sicherheit.«

  »Aber …« Plötzlich verstand ich den ungezügelten Hass in Wardens Augen.

  »Strafe muss sein. Wir können nicht zulassen, dass andere junge Hunter und Anwärter einem solchen Verhalten nacheifern. Warden kann die Prüfung nach seinem Arrest wiederholen, um sich noch einmal auf die Werte unseres Quartiers zu besinnen. Sicherheit geht vor.«

  »Und mit wem soll ich auf die Jagd gehen?« Es war nicht das, was ich eigentlich sagen wollte. Eigentlich wollte ich Grant anflehen, Warden seine Lizenz nicht zu entziehen, aber in diesem Moment konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Das hatte ich nicht gewollt. Auf keinen Fall! Ich hatte Warden beschützen wollen, anstatt ihm das Einzige zu nehmen, was ihm als Konstante in seinem Leben noch geblieben war.

  »Jules wird vorübergehend dein Partner«, antwortete Grant. »Sobald Warden seine Prüfung nachgeholt hat, könnt ihr euch gern wieder zusammentun.«

  »Nur über meine Leiche.« Wardens Worte fühlten sich an wie ein Schlag in die Magengrube.

  »Warden …«

  Ich trat einen Schritt auf ihn zu, doch er wich zurück, nicht nur einen oder zwei Schritte, sondern mehrere, als könnte er gar nicht genug Distanz zwischen uns bringen. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich an Wayne, der ihn aufforderte, die Arme auszustrecken. Wie ein Verbrecher wurde Warden von ihm abgetastet und sämtlicher Waffen entledigt. Dabei starrte ich unentwegt auf das Tattoo auf seinem rechten Unterarm, das nicht nur ihn, sondern auch mich zu verspotten schien. Es war dasselbe Symbol, mit demselben Datum und demselben Ortskürzel, das auch auf meiner Haut prangte.

  Wayne überreichte Grant die Waffen, die er von Warden einkassiert hatte, dann führte er ihn ohne ein weiteres Wort aus dem Vorraum und den Gang entlang zu den Arrestzellen, die sich ebenfalls auf der untersten Ebene des Quartiers befanden.

  Mit wild pochendem Herzen blickte ich Warden nach. Hoffte. Betete. Flehte innerlich, dass er sich noch einmal zu mir umdrehte. Um mich wissen zu lassen, dass ich unsere Freundschaft nicht zerstört hatte. Dass es noch Hoffnung gab.

  Doch Warden sah sich nicht um, sondern marschierte schnurstracks davon, als könnte er mich nicht schnell genug hinter sich lassen. Was hatte ich nur angerichtet?

  12. KAPITEL

  Cain

  Mit gestrafften Schultern und hoffentlich den Anschein von Normalität erweckend, marschierte ich durch das Quartier der Hunter, auf dem Weg in mein Zimmer. Meine Schritte hallten von den unterirdischen Gängen wieder, und meine Finger krallten sich fest um die Sporttasche in meiner Hand. Darin steckte mein Cinderella-Kostüm. Lieber wäre ich unbewaffnet gegen eine Horde Vampire in den Kampf gezogen, als dass einer der anderen Hunter es zu Gesicht bekam.

  Aber Warden hat dich gesehen.

  Warden hat dich gesehen.

  Warden. Hat. Dich. Gesehen.

  Die Worte rauschten in Endlosschleife durch meinen Verstand und ließen meinen Puls höherschlagen. Im einen Moment hatte ich noch unbeschwert mit den Kindern geredet, ganz in meine Rolle versunken, und im nächsten war da Warden gewesen, mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht. Mir war das Herz stehen geblieben; ich wusste ganz genau, dass dieser Gesichtsausdruck nichts Gutes für mich bedeutete. Doch Warden war aus dem Café verschwunden, bevor ich ihm die Situation hatte erklären und ihn darum bitten konnte, mein Geheimnis für sich zu behalten. Hoffentlich würde er mit sich reden lassen …

  Ich verstaute mein Kostüm wie immer im hintersten Teil meines Kleiderschranks und machte mich anschließend auf den Weg in die Waffenkammer.

  Wie auch die Tage zuvor war Warden noch nicht da. Ich schickte Hugo in den Feierabend, bevor er bemerken konnte, dass etwas mit mir nicht stimmte.

  Ein paar Hunter kamen vorbei, um sich mit Waffen auszustatten. Sie grüßten mich wie gewohnt, was bedeutete, dass Warden mein Geheimnis offenbar noch nicht lauthals herumerzählt hatte. Dennoch wurde das nervöse Ziehen in meinem Magen mit jeder Sekunde, die ich nicht mit ihm reden konnte, schlimmer.

  Jules behauptete immer, ich würde übertreiben, aber er hatte keine Ahnung, wie es war, eine Frau unter Blood Huntern zu sein. Vampire zu jagen war keine leichte Aufgabe, diese Monster waren schneller, stärker und tödlicher als die meisten Kreaturen. Die Vampirjagd war seit Jahrhunderten eine Männerdomäne. Viele Jägerinnen wurden lieber an der Seite von Magic und Soul Huntern eingesetzt, um diese bei der Suche nach Hexern und Waldgeistern zu unterstützen. Um mein Ziel, irgendwann an der Spitze des Quartiers in Edinburgh zu sitzen, zu erreichen, musste ich ernst genommen werden – und selbst dann gab es keine Garantie. Meine Mum nahmen alle ernst, sie war eine ausgezeichnete Jägerin, und dennoch hatte Grant nicht sie, sondern Xavier zum Anführer der Blood Hunter gemacht. Trällernd in einem Rüschenkleid herumzutänzeln, würde meine Position innerhalb des Quartiers also bestimmt nicht stärken.

  Mit einer halben Stunde Verspätung spazierte Warden schließlich in die Waffenkammer.

  Ich hätte mich gern cool gegeben, gleichgültig, doch meine Nerven lagen blank. Ich ließ die Pistole, die ich gerade reinigte, sinken. »Wo warst du?«

  »Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, erwiderte er trocken und schlenderte an mir vorbei, um sich eine Schrotflinte aus dem Container mit den Waffen zu schnappen, die gereinigt und gewartet werden mussten. Mit nur wenigen geübten H
andgriffen zerlegte er sie in ihre Einzelteile.

  Ich seufzte. »Ich muss mit dir reden.«

  »Worüber?« Die Frage klang unschuldig, aber mir konnte Warden nichts vormachen. Ich sah das spöttische Funkeln in seinen Augen, auch wenn er es vor mir zu verbergen versuchte.

  In den Jahren, die wir zusammen trainiert hatten, hatte ich gelernt, ihn zu lesen wie ein offenes Buch. Er hatte sich zwar verändert, aber er war noch immer derselbe Mensch, und ich kannte seine Ticks. Ich wusste, dass er zu lachen begann, wenn er nervös war. Dass er nur gut schlafen konnte, wenn er mit dem Rücken zur Wand lag. Und dass er den Kopf immer leicht nach rechts neigte, wenn er eine Lüge erzählte. Es war eine kleine, kaum sichtbare Bewegung, der sich Warden vermutlich nicht einmal selbst bewusst war.

  »Über das, was du heute gesehen hast.«

  Ein Grinsen trat auf Wardens Lippen. »Stimmt, da war ja was …«

  Ich umklammerte die Tischplatte. »Könntest du die Sache für dich behalten?«

  Das ließ ihn von der Schrotflinte aufblicken. »Wieso sollte ich?«

  »Weil ich dich darum bitte. Ich weiß, dir ist es vermutlich ein dringendes Bedürfnis, mir das Leben schwer zu machen, aber wenn die anderen davon erfahren, könnte das meinem Ruf im Quartier wirklich schaden«, erklärte ich und hoffte, dass Warden erkannte, wie ernst es mir war. »Ich habe hart dafür gearbeitet, als Blood Huntress respektiert zu werden.«

  »Wieso machst du den Job dann?«

  »Er ist gut bezahlt, und die Arbeitszeiten sind flexibel. Du weißt, wie schwer es ist, einen Job zu finden, der sich mit unserer Arbeit hier im Quartier vereinbaren lässt, also bitte mach mir das nicht kaputt.«

  Warden musterte mich, wobei noch immer ein kleines Lächeln auf seinen Lippen ruhte. Er genoss es sichtlich, mich zappeln zu sehen. Als wäre ich ein Fisch, den er aus dem Wasser gezogen hatte. Mein Leben lag in seiner Hand. Er konnte mich zurück ins Meer entlassen oder mich elendig am Ufer verenden lassen.

  Angespannt hielt ich die Luft an, als plötzlich die Tür zur Waffenkammer aufflog.

  Fantastisches Timing.

  Ich wandte mich den Neuankömmlingen zu und musste mich davon abhalten, eine Grimasse zu ziehen, als ich Harper entdeckte. Offenbar hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur Jules das Leben schwer zu machen, sondern auch mir. Das schwarze Haar hatte sie heute zu einem Zopf gebunden, und um ihren Hals baumelte ein Amulett der Stufe 1.

  »Ich habe vor ein paar Stunden mein Katana bei Hugo abgegeben«, sagte sie ohne jede Begrüßung, wobei mich der liebliche, sanfte Klang ihrer Stimme wie immer überraschte – er passte so überhaupt nicht zu ihrem Auftreten. »Er wollte es mir bis zu meiner Patrouille fertig machen.«

  Warden rührte sich nicht, und auch ich bewegte mich nicht vom Fleck. Ich warf ihm einen Blick zu, der sagte: Schau du nach. Was er mit einem Nein, mach du das-Blick erwiderte, bei dem seine Augenbrauen leicht in die Höhe zuckten.

  Unter anderen Umständen wäre ich nicht eingeknickt, aber immerhin war er mir noch immer eine Antwort auf meine Bitte schuldig. Genervt ging ich zu dem Regal mit den persönlichen Waffen, die zur Pflege abgegeben worden waren. Harpers Katana war unter »I« wie Iwanow einsortiert.

  »Danke«, erwiderte sie und begutachtete die Klinge. Sie schien mit Hugos Arbeit zufrieden, denn kurz darauf wandte sie sich mit einem Nicken um, ließ das Katana in einer fließenden Bewegung in die Halterung auf ihrem Rücken gleiten und verschwand ohne ein weiteres Wort. Zurück blieb nur ein leichter Duft nach Jasmin.

  Ich verstand wirklich nicht, was Jules an ihr fand. Ja, sie war hübsch, aber das waren alle Magic Hunter und Huntresses. In dieser Hinsicht war sie nun wirklich nichts Besonderes, und ich hielt Jules eigentlich für intelligent genug, um sich nicht allein von einem attraktiven Gesicht einnehmen zu lassen.

  »Was hat Harper dir getan?«, unterbrach Warden meine Gedanken.

  »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

  »Wirklich? Dafür ist dein Blick aber ziemlich mordlustig.«

  »Du bist mir noch immer eine Antwort schuldig«, sagte ich, und wich damit dem Thema Harper aus. Ich würde Jules’ Gefühle garantiert nicht mit Warden besprechen. Zwar hasste er ihn nicht so sehr wie mich, aber was Jules für Harper empfand, ging Warden nichts an.

  »Okay, ich behalte dein kleines Geheimnis für mich. Unter einer Bedingung.«

  Erneut entwich mir ein schweres Seufzen. Warum überraschte mich das nicht?

  »Die da wäre?«

  »Du bist mir einen Gefallen schuldig.«

  Ich hob die Augenbrauen und versuchte die aufkommende Wut auf Warden zu zügeln. Er schaffte es immer wieder aufs Neue, die Knöpfe zu drücken, die mich auf die Palme brachten. Ich konnte es gar nicht abwarten, bis wir wieder getrennte Wege gingen.

  »Was für einen Gefallen?«

  Warden zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, das wird sich noch zeigen. Irgendwann werde ich dich um etwas bitten, und du wirst es tun, ohne Wenn und Aber, weil ich heute meine Klappe gehalten habe.«

  »Das gefällt mir nicht.«

  »Akzeptier es oder nicht. Deine Entscheidung.«

  Shit. Ich wusste, dass ich mich nicht darauf einlassen sollte. Das war Erpressung, aber wenn irgendetwas von dem, was Warden heute gesehen hatte, die Runde machte, war der Ruf, den ich mir in den letzten Jahren erarbeitet hatte, dahin. Auch wenn die beiden Dinge eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollten. Ich sollte als Frau rosa Kleider und pinken Nagellack tragen können, ohne an Respekt einzubüßen, solange ich meinen Job gut erledigte, aber so weit waren viele der Kerle in diesem Quartier noch nicht. Und genau aus diesem Grund war es so wichtig, dass ich alles in meiner Macht Stehende tat, um Quartiersleiterin zu werden; nur so konnte ich mit den alten Verhaltensmustern und -regeln der Hunter brechen.

  »Okay, ein Gefallen. Aber es darf nichts Illegales oder Sexuelles sein.«

  Warden schnaubte und bedachte mich mit einem abwertenden Blick. »Glaub mir, Cain, du bist die letzte Person auf dieser Welt, von der ich einen sexuellen Gefallen einfordern würde. Also keine Sorge, du kannst deine Jungfräulichkeit gern noch eine Weile behalten.«

  »Ich bin keine …«, setzte ich an, ohne den Satz zu beenden. Warden wollte mich nur provozieren, und darauf würde ich mich nicht einlassen. Schlimm genug, dass ich einen Deal mit ihm einging. Denn was immer er von mir verlangen würde, es würde mir garantiert nicht gefallen. »Okay, dann sind wir uns einig?«

  »Sieht ganz so aus.«

  »Gut«, erwiderte ich und griff nach der Pistole und dem Reinigungszeug, um meine Arbeit wieder aufzunehmen. Es war zwar nur eine Strafarbeit, aber am Ende des Tages wollte ich, dass Hugo und Grant zufrieden mit meiner Leistung waren.

  Es kamen noch ein paar Hunter vorbei, um sich ihre Waffen für die Nachtschicht abzuholen, aber kaum hatte diese begonnen, wurde es ruhig in der Kammer und Warden und ich waren allein.

  Ich tat mein Bestes, um ihn auszublenden. Doch seine Anwesenheit war wie der Wind auf der Spitze des Arthur’s Seat – immer da und nur schwer zu ignorieren, wenn er einem das Haar ins Gesicht peitschte. Dennoch versuchte ich, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, und mit der Zeit fand ich einen Rhythmus, der dem von Warden glich, bis das Auseinandernehmen, Reinigen und Zusammenbauen der Waffen zu einer Art stillem Wettbewerb wurde; zumindest in meinem Kopf. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wann Warden sich eine neue Schusswaffe nahm, und versuchte dann, meine vor ihm fertig zu bekommen. Es motivierte mich, und wenn ich schneller war als er, verschaffte mir das eine gewisse Genugtuung, auch wenn er nichts von meinem Sieg mitbekam.

  Irgendwann fiel mir jedoch auf, dass Warden immer wieder den Kopf hob und gedankenverloren in eine leere Ecke des Raumes schaute. Hin und wieder zuckten dabei seine Mundwinkel, als würde sich in seinem Kopf ein Witz abspielen. Zuerst versuchte ich es zu ignorieren, aber das wollte mir nicht gelingen, vor allem als Warden überraschend ein Grunzen von sich gab, als müsste er ein Lachen unterdrücken. Unsicherheit keimte in mir auf. Machte er sich über
mich lustig?

  Ich legte die Waffe ab, an der ich gerade arbeitete. »Was ist so witzig?«

  Wardens amüsierte Gesichtszüge glätteten sich. »Nichts.«

  »Ach ja? Und warum schmunzelst du die ganze Zeit?«

  »Die viel wichtigere Frage ist doch: Warum beobachtest du mich die ganze Zeit?«

  »Tue ich nicht!«, blockte ich instinktiv ab und bereute es, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben. Wenn Warden in seinem Kopf lustige Selbstgespräche führen wollte, war das seine Angelegenheit.

  »Und woher weißt du dann, dass ich die ganze Zeit schmunzle?«

  »Das … Das sagt man nur so. Mir ist es eben aufgefallen«, stammelte ich. Lieber hätte ich mir den kleinen Zeh abgehackt, als zuzugeben, dass ich mehr auf ihn als auf die Waffen in meinen Händen achtete; die konnte ich auch blind zusammenbauen.

  Er hob die Brauen. »Du streitest also nicht ab, dass du mich beobachtet hast.«

  »Als hättest du mich nicht beobachtet.«

  »Hab ich nicht. Ich habe Kevin zugehört.«

  Ich runzelte die Stirn. »Wer ist Kev–«

  Ich kam nicht dazu, meine Frage zu Ende zu stellen, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür zur Waffenkammer und Grant betrat den Raum. Ich setzte zu einer Begrüßung an, stockte jedoch, als ich sein schmerzverzerrtes Gesicht bemerkte und realisierte, dass er nicht allein war. Meine Mum befand sich direkt hinter ihm. Zwischen ihre Augenbrauen hatte sich eine tiefe Falte gegraben, und sie hatte die Lippen fest aufeinandergepresst, als würde sie versuchen, ihre Gefühle zu verbergen. Doch ihr glasiger Blick verriet mir mehr, als ich wissen wollte – und doch viel zu wenig. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

  »Was ist los?«, fragte Warden und trat damit eine Erinnerung los, die ich lieber vergessen hätte. Nur hatte damals Wayne anstelle meiner Mum an Grants Seite gestanden. Warden schien in diesem Moment das Gleiche bewusst geworden zu sein, denn nun legte er die Pistole weg, an der er bis eben gearbeitet hatte. »Ist etwas mit meiner Mum?«

 

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