Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)

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Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition) Page 7

by Engel, Kathinka


  »Ich bin müde«, sage ich.

  »Hasst du mich?«

  »Nein. Ich bin einfach nur müde, und mir ist kalt.«

  »Oh.« Er streckt seine Hand nach meinen Armen aus und streicht vorsichtig über meine Haut. Sofort kriege ich eine Gänsehaut. »Ist das meine Schuld?«

  »Siehst du hier sonst noch jemanden, der mich aus dem Bett geholt hat?« So unterhaltsam das hier unter normalen Umständen wäre, ein wenig geht er mir doch auf die Nerven.

  Er macht ein unglückliches Gesicht. »Ich wollte nicht … Ich hab versucht …«

  »Ist schon okay«, beruhige ich ihn.

  Er steht jetzt direkt vor mir. Ich rieche seine leichte Fahne. Und den Geruch der Stadt an seinen Klamotten.

  »Du …«, sagt er. »Du bist mir wichtig. Ich will nicht, dass dir meinetwegen kalt ist.« Er sieht mich an. Aus seinen blauen Augen, die in der Dunkelheit grau wirken. Sorge spricht aus seinem Blick. Sorge, dass ich wütend auf ihn sein könnte. Mein Herz sticht leicht.

  »Du schaust mich an«, stellt er fest und verzieht seine Lippen zu einem etwas ungelenken Grinsen.

  »Du hast angefangen.« Ich seufze.

  »Ja, aber du schaust mich an. Und dann weiter. Du bohrst deinen Blick in mich.« Bei diesen Worten drückt er seinen Finger in meinen Oberarm.

  »Lass das«, sage ich und halte seine Hand fest.

  »Kennst du das Spiel, bei dem man sich anschaut und der Erste, der lacht, hat verloren?«

  »Ich will wirklich zurück ins Bett.«

  »Eine Runde«, bettelt er, und ich kann mir nicht helfen, seine Trotteligkeit rührt mich. Beinahe möchte ich ihn in den Arm nehmen. Ihn hin und her wiegen. Ich will für ihn da sein, sein Elend besser machen. Auch wenn es immer nur für einen kurzen Moment reicht.

  »Eine Runde, und dann gehst du ins Bett, ohne einen Mucks zu machen«, sage ich.

  »Ich versprech’s«, flüstert er und überkreuzt zwei Finger.

  Wir sehen uns an. Er in meine Augen, ich in seine. Sein Gesicht ist so nah, dass ich trotz der Dunkelheit, die uns umgibt, die helle Farbe seiner Augen erkennen kann. Darüber seine leicht geschwungenen Augenbrauen. Die linke wird von einer Narbe unterbrochen. Seine etwas schiefe, gebogene Nase, die bereits mehrfach gebrochen war und seinem Gesicht etwas Wildes, Gefährliches verleiht. Etwas, das mit Sicherheit der Untergang vieler Frauen vor und nach mir war. Und vielleicht auch während mir. Wer weiß. Wir haben nie darüber gesprochen.

  Sein Mundwinkel zuckt schon nach mehreren Sekunden. Es sieht beinahe niedlich aus, wie er versucht, sich gegen das aufkeimende Lachen zu wehren. Ein wundersamer Kontrast zu seiner Wüstheit. Und es gelingt ihm sogar. In seinem Blick sehe ich, wie stolz er auf sich selbst ist. In seinem Zustand zählt das vermutlich bereits als Errungenschaft.

  »Du hast schöne Augen«, flüstert er plötzlich viel zu laut.

  Fast entweicht mir ein Lachen, doch im letzten Moment halte ich es zurück. »Netter Versuch, Curtis. Darauf falle ich nicht rein.«

  Auf einmal beugt er sich noch näher zu mir. Ich höre seinen Atem, der nun beinahe ein Schnaufen ist, sehe im Zwielicht seine Bartstoppeln. Ich löse meine Arme und lege eine Hand auf seine Brust, um ihn am Näherkommen zu hindern. Seine Muskeln sind angespannt, sein Herz schlägt schnell. Und meins tut es auch. Er löst den Blick von meinen Augen und lässt ihn tiefer wandern.

  »Du hast verloren«, sage ich leise. »Jetzt musst du ins Bett.«

  »Und du musst zu Richard zurück«, erwidert er ebenso leise.

  Doch er macht keine Anstalten, mir Platz zu machen. Er steht einfach vor mir. Auf einmal kippt er leicht nach vorne und lehnt seinen Kopf etwas oberhalb von meinem an die Wand. Sein Atem ist noch näher. Er legt einen Arm um mich, und ich lasse es geschehen. Lasse ihn gewähren. Ich weiß nicht einmal, ob ich es für ihn tue oder für mich. Ich spüre nur seine wohltuende Wärme auf meiner kalten Haut. Rieche den vertrauten Geruch seiner Klamotten. Nach herbem Männerdeo, Zigaretten und Leben. Er erinnert mich an die Nähe, die wir hatten. An das, was zwischen uns war. Und kurz habe ich das Bedürfnis, ihm den Halt zu geben, den er braucht. Ich schlinge meine Arme um ihn und streiche an seinem Rücken auf und ab. Ich spüre seine Muskeln, seine Atemzüge.

  »Du musst zu Richard zurück«, sagt er erneut, diesmal noch leiser. Er löst sich von mir und betrachtet einen Augenblick lang mein Gesicht, meine Lippen, meinen Hals, mein Dekolleté. Und da weiß ich, dass er recht hat. Gerade will ich wieder meine Arme vor der Brust verschränken und mich an ihm vorbeidrängen, da beginnt er mit dem Zeigefinger ganz sanft den Saum meines Tops entlangzufahren. Ich schlucke. Ich … bin kurz wie erstarrt. Spüre einfach nur seinen Finger, der die feine Linie auf meinen Brüsten entlangzeichnet. Wieder bekomme ich eine Gänsehaut.

  »Was machst du da?«, frage ich und sehe ihn an.

  »Ich fasse dich an.« Ich höre, wie er schluckt.

  »Curtis«, sage ich und bin mir für einen Augenblick unsicher, ob ich ihn ermahne oder ansporne. Ich wollte Ersteres. So viel steht fest.

  »Deine Haut ist so … weich«, raunt er, während seine Finger ganz vorsichtig über mein Dekolleté streichen. Nun bin ich diejenige, die schluckt. Und mit einer forschen Handbewegung schiebe ich ihn von mir.

  »Lass das, Curtis.«

  »Aber …«

  »Mein Freund liegt in meinem Bett, du Arsch«, fauche ich. »Ich dachte, wir hätten das geklärt.«

  »Ich …«

  »Geh jetzt ins Bett, und schlaf deinen Rausch aus.«

  »Okay«, sagt er kleinlaut.

  Nachdem seine Zimmertür hinter ihm zugegangen ist, stehe ich noch eine Weile im Flur. Seine Finger haben ein prickelndes Gefühl auf meiner Haut hinterlassen, und ich reibe mir einmal vehement über genau die Stelle, um sie zum Schweigen zu bringen. Was zur Hölle? Was ist los mit mir, verdammt noch mal? Was ist los mit Curtis? Ich straffe meine Schultern. Er ist betrunken. Ich bin schlaftrunken. Anziehung geht nicht von einem Tag auf den anderen weg. Aber ich will dieser Sache mit Richard eine Chance geben. Ich will, dass mein Vertrauen in ihn nicht umsonst gewesen ist. Will, dass es verflucht noch mal funktioniert mit uns und der Zweisamkeit.

  So leise wie irgend möglich schleiche ich mich zurück in mein Zimmer. Ich lasse mich ganz vorsichtig auf mein Bett sinken. Richards Körper ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen, doch es reicht zu wissen, dass er da ist. Sein regelmäßiger Atem beruhigt mich, und ich robbe ganz nah an ihn, lege meinen Arm um ihn und entspanne mich wieder.

  »Mmmm«, brummt Richard und zieht meinen Arm fester um sich. »Wo warst du?«

  »Im Badezimmer«, flüstere ich.

  Einen kurzen Moment sagt niemand etwas. Ich spüre Richards Brust, die sich hebt und senkt, meinen eigenen Herzschlag.

  »Richard?«, frage ich dann. »Ich will mit dir schlafen.«

  »Jetzt?« Er rollt sich zu mir.

  »Ja, jetzt.«

  Und dann tun wir es. Langsam. Vorsichtig. Als müssten wir uns erst aneinander herantasten. Als wären wir zwei unsichere Teenager, die noch nicht so recht wissen, was sie tun. Es dauert nicht lange, und unsere Bewegungen sind etwas steif und unbeholfen, aber es ist trotzdem schön. Und vor allem überwinden wir endlich die letzte Distanz. Heben das, was zwischen uns ist, auf die Stufe einer richtigen Beziehung. Und auch wenn Richard mich in diesem Augenblick noch nicht so erfüllt, wie ich es brauche, um auf meine Kosten zu kommen, gibt mir diese Tatsache mehr, als zwangloser Sex es je könnte.

  Als wir wenig später wieder nebeneinanderliegen, nehme ich mir vor, erneut mit Curtis zu sprechen. Denn diese Sache lasse ich mir nicht kaputt machen. Sie ist zu wertvoll, und es hat mich zu viel gekostet, mich endlich wieder richtig auf jemanden einzulassen.

  10

  Curtis

  Mein Wecker klingelt viel zu früh. Ich fühle mich, als wäre ich von einem Laster überrollt worden. Und dann hat er den Rückwärtsgang eingelegt und ist noch mal eine Extrarunde über meinen Kopf gefahren. Mein Mund ist trocken und schmeckt scheußlich. Als ich mich mühsam auf die Seite drehe, schmerzt meine Schulter. Nach eingehender Untersuchung stelle ich fest, dass ich einen fetten blau
en Fleck habe. Weil ich mich am Regal gestoßen habe. Richtig. Fuck, ich muss ziemlich laut gewesen sein. Und dann fällt es mir ein. Ich habe Amory geweckt. Weil ich so was von besoffen war.

  Ich schäle mich aus dem Bett, stütze einen Moment meinen schweren Kopf in die Hände, da er sich noch nicht so recht von allein halten will.

  Vor der Tür wartet Hilbert auf mich und streicht maunzend um meine Beine. Ich bin so fertig, dass ich beinahe über ihn stolpere. Also nehme ich ihn hoch. Sein Fell ist weich an meiner nackten Brust.

  Ich gebe mir Mühe, leise zu sein. Amory und Richard schlafen sicher noch. Und ich will sie auf keinen Fall noch mal wecken. Mein erster Weg führt mich ins Badezimmer, wo ich mir ausgiebig die Zähne schrubbe, um mich wieder ein bisschen menschlich zu fühlen. Dann gehe ich in die Küche. Ein starker Kaffee kann Leben retten.

  »Morgen.«

  Ich erstarre in der Tür. Amory ist bereits wach. Sie schenkt Kaffee in eine Tasse und reicht sie mir. Jedoch ohne mich anzusehen.

  »Setz dich«, sagt sie. Sie klingt nicht wirklich sauer, eher frustriert. Hat Richard es letzte Nacht nicht gebracht? Normalerweise würde ich den Witz laut aussprechen, aber ich habe ein bisschen Schiss vor Amorys Reaktion und tue, wie mir geheißen.

  »Danke für den Kaffee«, murmle ich. Immer noch sieht sie mich nicht an. Verdammt. Ich bin gestern zu weit gegangen.

  »Curtis.« Endlich blickt sie auf. Ihre Augen sehen müde aus. Das ist meine Schuld, und ich fühle mich mies.

  »Sorry wegen gestern«, sage ich.

  »Wegen was genau?«

  »Dass ich … dich geweckt hab. Ich war echt drüber. Tut mir leid.«

  »Das ist alles?«, fragt sie.

  Äh. Ist es nicht alles? Habe ich Mist gebaut? Ich krame in meinem Kopf. Aber die Anstrengung jagt pochenden Schmerz zwischen meinen Schläfen hin und her. Die Dunkelheit, das Schuhregal. Amory. Amory in ihrem dünnen Oberteil. Amorys Brüste. Meine Hand auf … Scheiße.

  »Fuck, Am«, sage ich. Mein Magen sackt nach unten. Mir ist auf einmal schlecht. Was bin ich für ein blöder Penner. O Gott. »Ich … das …«

  »Sprich dich aus, Curtis.« Ihre Stimme ist eiskalt. Zu Recht. Ich habe es verdient, dass sie mich so behandelt. Mehr als das. Ich wünschte, sie würde mich anschreien. Oder Dinge nach mir werfen.

  »O Mann, Amory. Ich war ein richtiger Scheißkerl.«

  »Warum so bescheiden?«, fragt sie. »Warum die Vergangenheitsform?«

  »Ich bin ein richtiger Scheißkerl«, korrigiere ich, weil ich weiß, dass es stimmt. Ich bin das Letzte. »Ich hätte dich nie … Ich wusste nicht mehr … Ich kann mich ja kaum daran erinnern.«

  »Und das ist deine Entschuldigung?«

  »Nein, nein, das ist keine Entschuldigung.« Verflucht noch mal, reiß dich zusammen. Krieg dich in den Griff. »Ich … es tut mir leid. Das ist die Entschuldigung. Ich habe keine Ahnung, was gestern los war.«

  »Soll ich dir helfen?«, fragt sie bissig, und ich nicke. »Du warst wütend auf die Welt. Du fühlst dich unverstanden und allein. Also wolltest du dich abschießen, um zu vergessen.«

  Das fasst es ganz gut zusammen, ja. Bis auf die Tatsache, dass ich saufe, um zu vergessen. Das ist es nicht. Aber auch das spielt gerade keine Rolle. »Ja«, sage ich deswegen kleinlaut. »Ich bin ein Arsch, Am.«

  »Ja, das bist du.«

  »Es tut mir so leid. Ich hätte dich nie anfassen dürfen. Hätte nie …« Der Kloß in meinem Hals ist zurück. »Du hast einen Freund. Ich respektiere das.« Auch wenn ich ihn nicht respektiere. »Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne.«

  »Ich weiß das alles.« Sie schluckt.

  »Ich bin nicht ich selbst, wenn ich getrunken habe.«

  Sie lacht leise auf. »Weißt du, was, Curtis? Das glaube ich nicht. Ich glaube, du bist absolut du selbst, wenn du betrunken bist. Vielleicht bist du dann sogar mehr du selbst.«

  Ihre Worte tun mir weh, obwohl ich es nur ungern zugebe. Aber wieder weiß ich, dass sie recht hat. Sie ist zu schlau, als dass ich sie täuschen könnte. Ich reibe mir mit den Händen über das Gesicht. Nichts, was ich sagen oder tun kann, ändert etwas an der Scheiße, die ich abgezogen habe.

  »Ich bin eine absolute Vollkatastrophe, Am. Ich bin ein seelisches Wrack. Ich … Fuck.« Mit der Faust schlage ich gegen die Wand.

  »Du musst dich in den Griff kriegen«, sagt sie.

  »Ja«, erwidere ich zerknirscht. »Ja, das muss ich.«

  »Hör zu«, sagt sie und greift über den Tisch nach meiner Hand. Es fühlt sich gut an. Ihre Finger auf meinen. »Ich versuche mir mit Richard etwas aufzubauen. Ob dir das passt oder nicht.«

  Es passt mir nicht. Natürlich passt es mir nicht. Weil er mir nicht passt. Doch das sage ich nicht. Ich habe kein Recht dazu. Es ist ihre Entscheidung. »Ich weiß«, sage ich.

  »Und der Einzige, der dieser Sache im Weg steht, bist du.«

  »Das ist scheiße«, sage ich. »Das ist richtig beschissen von mir. Das will ich nicht.« Und ich meine es ernst. Ich kann nicht der Wichser sein, der Amorys Glück ruiniert. Es reicht, wenn ich mich selbst ruiniere. »Ich verspreche dir, dass ich dich mit meinem Scheiß in Ruhe lasse. Ab jetzt.«

  Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee, spüre, wie er sich den Weg an meinem Geschwür vorbeibahnt. Vielleicht hat sich das Problem – habe ich mich – ohnehin bald erledigt.

  »Aber das kannst du nicht, oder?«, fragt sie und lässt meine Hand wieder los.

  Ich fühle mich auf einmal richtig verloren. Absolut scheißallein. »Ich kann es versuchen«, sage ich leise. Für Amory kann ich es versuchen.

  Hilbert scheint zu merken, dass die Stimmung zwischen uns angespannt ist. Er maunzt und reibt sich an meinen nackten Beinen. Dann springt er auf Amorys Schoß. Und kurz wünschte ich, ich wäre er. Einfach nur, weil Katzen keine Sorgen haben. Weil Katzen sind, wie sie sind. Ohne dass sie sich rechtfertigen müssen. Amory drückt ihm einen Kuss auf seinen Katzenkopf, und er beginnt zu schnurren. Relatable.

  »Weißt du, mir ist es egal, ob du dich betrinkst. Ob du abstürzt. Ob du herumhurst. Es ist dein Leben, du kannst machen, was du willst.« Sie blickt konzentriert auf den Tisch. Und mein Herz sticht. Bei jedem ihrer Worte sticht es. Es zieht sich zusammen. Vermutlich bin ich auch noch herzkrank. Kein Wunder bei meinem Lebensstil. »Aber du musst Richard und mich in Ruhe lassen.«

  »Ja.« Ich kann nun überhaupt nicht mehr schlucken und beschließe, ein paar Tage lang nicht zu rauchen. Vielleicht hilft es. »Ich lasse euch in Ruhe.«

  »Wenn nicht …«

  Sie sieht auf und mir direkt in die Augen. Fährt sich mit der Hand durch die Haare. Schüttelt kaum merklich den Kopf. Als könnte sie nicht aussprechen, was sie zu sagen hat. Mir fallen ihre langen Wimpern auf. Das tiefe Blau um ihre Pupillen. Ihre rosigen Wangen. Ich schließe die Augen, atme tief ein in Erwartung dessen, was jetzt kommt.

  »Wenn nicht … musst du vielleicht ausziehen.«

  Da ist es. Keine große Überraschung. Natürlich muss der Penner, der Amory das Leben schwer macht, verschwinden. Sie hat vollkommen recht. Würde Bonnie mir erzählen, dass ein Kerl sie betrunken bedrängt, ich würde ihn vermutlich windelweich prügeln. Ich nicke.

  »Hör zu, Curtis. Ich weiß, dass du kein schlechter Kerl bist. Dass du nichts von all dem Quatsch, den du machst, böse meinst. Irgendwo tief drin bist du einer von den Guten.«

  Fast will ich laut auflachen. Einer von den Guten. Von wegen. »Du musst das nicht sagen.«

  »Aber ich will. Und ich will auch, dass du mich nicht falsch verstehst. Ich versuche nicht, dich loszuwerden. Ich wohne gern mit dir zusammen.«

  Wieder nicke ich, obwohl ich weiß, dass sie diesmal lügt. Trotzdem ist es nett, dass sie das sagt. »Ich geh mich mal duschen«, nuschle ich. »Es tut mir wirklich leid, wie ich mich benommen habe.«

  Mit fahrigen Bewegungen stehe ich auf und trolle mich zurück ins Badezimmer. Die kalte Dusche spült etwas von der Scham, die ich empfinde, weg. Ich ziehe mir meine Baustellenklamotten an – ein löchriges graues T-Shirt und eine alte Jeans. Als ich wenig später an der Küche vorbeigehe, höre ich, wie Richard sich für letzte Nacht beda
nkt. So schnell ich kann, schlüpfe ich in meine ausgelatschten Turnschuhe und mache mich auf den Weg nach Marigny.

  Mithilfe eines kleinen Flaschenzugkrans am Gerüst ziehen wir die einzelnen Balken nach oben. Sie sind schwer, und die körperliche Arbeit bewirkt, dass ich auch den letzten Rest Alkohol aus meinem Körper schwitze. Abgesehen von Hugos wirren Anweisungen arbeiten wir schweigend. Es ist ein Knochenjob, die schweren Bauteile hochzuziehen und an Ort und Stelle zu bugsieren. Gleichzeitig ist höchste Präzision vonnöten. Es tut gut, sich zu verausgaben. Richtig zu schuften. Mein Kopf hat keine Zeit, sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen, und das ist der größte Luxus, den ich mir gerade vorstellen kann.

  Die waagrechten Balken sind glücklicherweise noch intakt, sodass wir lediglich die paar kaputten Sparren ersetzen müssen, die von der Hauskante zum First führen. Die Sonne brennt warm auf uns herab, und nach kurzer Zeit tue ich es Link nach und entledige mich meines Shirts.

  Als am Nachmittag das Grundgerüst steht, glänzt mein gesamter Oberkörper feucht. Erschöpft lassen wir uns auf dem Gerüst nieder und stoßen mit einem Bier auf unsere getane Arbeit an.

  »Das ist ein feines Haus, das du da hast, Curtis«, sagt Hugo. »Erinnert mich an meine alte Bude. Willst du’s verkaufen?«

  »Ich werd’s behalten«, erwidere ich und denke daran, dass ich vielleicht tatsächlich bald einen neuen Ort zum Leben brauche.

  »Wäre ja auch groß genug für eine Familie.« Er wackelt mit den Augenbrauen.

  Ich nicke. »Kann schon sein. Ich will’s nur für mich.«

  »Bisschen egoistisch, meinst du nicht?«, fragt Hugo und mustert mich von oben bis unten. »Sowohl was dich als auch was das Haus anbelangt.«

  »Vergiss es«, sage ich grinsend. Denn das will ich niemandem antun. »Stell dir das mal vor, Link. Ich mit Familie …« Mir entfährt ein bitteres Lachen. »Was für ein Bullshit.« Ich lege mich auf den Rücken, lasse die Beine vom Gerüst baumeln.

  »Findest du?«, fragt Link.

  »Ernsthaft, Alter«, sage ich. »Ich bin sogar für mich eine Zumutung.«

  »Was bist du denn so negativ?«, fragt Hugo und wedelt mit seinem Finger vor meiner Nase herum. »Link hier war auch nicht immer der Vorzeige-Adoptivschwiegerenkel, der er heute ist.«

 

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