Wir legen los, und schon während die ersten Takte von Frenzy erklingen, weiß ich, dass das heute gigantisch wird. Ich höre uns mit anderen Ohren, höre uns mit den Ohren des Publikums. Und wir sind gewaltig. Bombastisch. Unser Sound reißt von der ersten Sekunde an mit. Wir sind so vollkommen in synch und dennoch überraschend. Seit Jahren spielen wir schon miteinander, und gleichzeitig ist es, als lernten wir uns gerade erst kennen – so ehrfürchtig, wie wir aufeinander eingehen.
Link singt mit heiserer Stimme die Strophe. Und dann – die Lichter wandern einmal über das Publikum, wieder zurück zu uns, eine Sekunde halten wir inne, ziehen den Refrain hinaus – explodieren wir.
Wir spielen uns in eine Trance. Spielen uns in Ekstase. Ich kriege kaum mit, wie das Publikum abgeht, so sehr bin ich bei mir – bei uns. Vergessen ist die Wut, vergessen ist der Alltag. Nur manchmal nehme ich wahr, wie die Menge wogt, wie alle beim letzten Refrain mitsingen. Wie sie zwischen den Songs johlen und jubeln. Uns anpeitschen, während wir sie durch unsere Musik vereinen. Zu einem großen Ganzen werden, das ebenso im Einklang ist wie wir. Das mit uns im Einklang ist. Das tobt und wogt.
»Der nächste Song wird eine Premiere«, sagt Link, und ich spüre, wie mein Körper sich etwas verkrampft, weil mir bewusst wird, dass das hier zu Ende gehen muss. Dass wir nur noch ein paar Songs haben. »Er heißt Yearning. Viel Spaß, y’all! «
Mein Rhythmus ist eine Mischung aus Zurückhaltung und Zärtlichkeit. Die Melodie, die erst nur von Jasper gespielt wird, dann von ihm und Link und beim dritten Mal auch von Sal, berührt uns alle. Jaspers Stimme ist reiner, gefälliger als Links, wenn auch nicht so machtvoll. Und in dem Moment, da Bonnie einsetzt, kriege ich eine Gänsehaut, obwohl meine Arme vor Schweiß glänzen. Beinahe habe ich das Gefühl, die Menge hält die Luft an, mein Rhythmus gibt den allgemeinen Herzschlag vor und Jaspers und Bonnies Stimmen das kollektive Gefühl. Es ist bewegend und ergreifend, und fast fühle ich mich klein im Angesicht dieses vollkommenen Sounds.
Nachdem der letzte Ton verklungen ist, sehe ich die Erleichterung in Bonnies Gesicht. Doch nicht nur das – da ist Liebe für Jasper. Und Liebe für die Musik. Und Stolz. Es ist alles da. So reich, so schön.
Ebendieser Stolz überkommt mich während unseres vorletzten Songs, als ich realisiere, was wir hier geleistet haben. Wie wir alle Erwartungen, inklusive unserer eigenen, übertroffen haben. Ich nehme mir einen Moment, um uns als Band zu betrachten. Links perfekt gespielte Flirtyness, den Sex, den er allen nur durch seine Stimme zu versprechen scheint, Jaspers Eleganz. Bonnies Stärke und ihre Willenskraft, Sals gewaltiger Klang. Und ganz hinten ich. Der heute einfach nur sein darf. Dessen innere Krämpfe sich für den Augenblick gelöst haben. Der atmen kann.
Das Finale bildet Blythe’s Song, der uns als Band zusammengeschweißt hat wie nichts anderes. In dem die Worte von Jaspers verstorbener Frau und gleichzeitig Links Schwester wieder zum Leben erwacht sind.
»Love is me, love is you.
Love is here, love is soon.
Love is real, love is true«, singen Link und Bonnie, und ich spüre, was sie spüren, spüre, was wir alle spüren.
»Love is fair, love is bright, love is gold.
Love is wild, love is loud, love is bold.«
Die letzten Takte ziehen wir in die Länge, wiederholen die Melodie, spielen spontan einfach weiter. Doch dann endet der Gig. Er endet, und wir sind vollkommen ausgelaugt.
»Danke, Palace. Danke, y’all. Es war uns ein Fest, eine Ehre. Ihr seid großartig. Ihr seid die Besten.« Link holt einmal tief Luft, so atemlos ist er. »Und jetzt kommt der Mann, auf den ihr alle gewartet habt. Bis zum nächsten Mal!«
Wir gehen von der Bühne ab, treten durch die schwere Eisentür. Und dann brechen alle Dämme. Wir kreischen, lachen, johlen. Wir liegen uns in den Armen.
»Das war unglaublich«, ruft jemand.
»Wie geil waren wir?«, jemand anderes. Vielleicht bin ich es, aber ich kriege nichts mit. Nichts außer meinem wummernden Herzschlag, meinem rauschenden Blut, dem Adrenalin.
Wir stehen immer noch selig grinsend und benommen im Gang, als Ruff Kenzos Band an uns vorbeikommt. Und ein paar Minuten später, als Ruff selbst durch die Tür tritt. Er nickt uns zu.
»Glückwunsch«, sagt er. »Das war überraschend.«
Ich schätze, das soll ein Lob sein, und mein Grinsen wird noch breiter.
»Und du!« Ruff zeigt auf Sal. »Ich würde dich für ein Duett auf die Bühne holen.«
Sals Miene ist wie versteinert. Sein Kopf wippt mechanisch auf und ab, als könne er nicht fassen, was soeben geschehen ist. Und so geht es uns allen. Wir können es nicht fassen. Was auch immer als Nächstes passiert, denke ich, wir sind unbesiegbar.
Wir machen uns backstage kurz frisch, dann gehen wir erneut durch den Gang, der zur Bühne führt, doch diesmal nehmen wir die Tür zum Club.
Ruffs Band spielt bereits, und dem Jubel nach zu urteilen, betritt Ruff selbst in diesem Moment die Bühne. Wir drängen uns durch die Menschenmenge, die uns vor wenigen Minuten noch zugejubelt hat. Die meisten von ihnen erkennen uns, nicken anerkennend, berühren uns. Es ist ein unwirkliches Gefühl, ein vollkommen surrealer Augenblick. Das Zwielicht des Clubs verschluckt uns jedoch schnell, und sobald wir etwas weiter von der Bühnenbeleuchtung entfernt sind, reagieren die Menschen eher genervt davon, dass vier Leute – denn Sal ist hinten geblieben, um sich auf seinen zweiten Auftritt vorzubereiten – sich einen Weg durchs Gedränge bahnen.
Hinten rechts stehen sie. Und ich sehe, dass Maya, die auf den Schultern eines bärtigen Mannes sitzt, anfängt zu zappeln, als sie ihren Dad erblickt. Und dann kommt Leben in die Gruppe. Link umarmt seine Mom Charlie, die im Rollstuhl sitzt, seinen Dad Con. Dann küsst er Franzi leidenschaftlich. Bonnies Zwillingsschwester Lula fällt ihr um den Hals, ebenso ihre Mom. Jasper wird sofort von Weston und Maya in Beschlag genommen, doch sein Großvater Hugo, dessen Ex-Schwiegertochter Faye, Mayas Tagesmutter Phoenix und der Bärtige erheben auch Anspruch auf ihn. Es kommt mir vor wie ein großes Fest.
Ich positioniere mich etwas abseits am Rand, betrachte die fröhliche Menge, blicke auf die Bühne zu Ruff und seiner Band. Es ist komisch, wie man im einen Moment so sehr Teil von etwas sein kann und im nächsten völlig unbeteiligt daneben steht. Wie alles Negative verschwunden sein kann und dann mit geballter Macht wieder über einen hereinbricht. Doch auf einmal sehe ich sie. Amory. Sie löst sich von Richard und kommt auf mich zu.
»Ihr wart fantastisch!«, ruft sie und zieht mich in eine feste Umarmung. Ich spüre ihren Herzschlag, der sich mit dem Wummern der Bässe von der Bühne vermischt. Ich rieche sie, vergrabe meine Nase in ihrem Haar. Ich weiß, dass es dumm ist. Weiß außerdem, dass Saint Richard uns beobachtet und ich wie immer als Verlierer aus diesem Spiel herausgehen werde. Aber es ist mir egal. In diesem Moment gebe ich mich dem Gefühl hin, auch irgendwo dazuzugehören. Scheiß auf die anderen.
»Du warst fantastisch«, sagt Amory in mein Ohr.
»Na ja.« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung.
»Doch, das warst du.«
Ich kann nichts dagegen tun, dass sich meine Mundwinkel heben. Noch einmal zieht sie mich an sich.
»Ich bin verschwitzt, sorry«, sage ich. Aber dann atmet sie ein. Atmet tief ein. So als würde sie mich ebenfalls riechen wollen. Ich schlucke, sehe wieder zu Richard und – lasse sie gehen.
Für den Rest des Abends konzentriere ich mich auf Ruff Kenzo und seine Musik. Auf den Klang seiner Trompete, seiner Stimme. Immer wieder taucht jemand aus meiner Band neben mir auf. Wir freuen uns, tanzen. Wir sind unbeschwert. Sie sind unbeschwert. Die anderen. Es sind jedes Mal die anderen.
Als Sal auf die Bühne geholt wird, kreischen und jubeln wir. Er ist einer von uns. Und das gemeinsame Duett mit Ruff Kenzo würde mir Tränen in die Augen treiben, wäre ich ein emotionaler Mensch.
19
Amory
Wir fahren in mehreren Taxis zu Jasper, bei dem noch eine Afterparty stattfindet. Ich sitze eingequetscht zwischen Richard und Faye auf der Rückbank, Hugo neben dem Fahrer.
»Habt ihr meinen Enkel gesehen? Das war mei
n Enkel!«, sagt er zum wiederholten Mal.
»Und dieser Ruff Dingsbums ist eine richtige Legende?«, fragt Richard neben mir.
Ich bin mir nicht sicher, ob ihm der Gig gefallen hat. Er hat zwar nichts gesagt, aber so ausgerastet wie wir anderen ist er nicht. Vielleicht lag es allerdings auch daran, dass er abgesehen von Curtis niemanden aus der Band kennt.
»Junger Mann«, sagt Hugo von vorne, »Sie sind nicht von hier, nehme ich an?« Ich habe Jaspers Großvater noch nie so förmlich erlebt und muss mir ein Lachen verkneifen.
»Ich wohne seit ein paar Jahren hier, wenn Sie das meinen, Sir«, sagt Richard. »Aber es ist nicht unbedingt meine Musik, wissen Sie?«
»Traurig«, sagt Hugo. »Wirklich traurig.«
»Hugo!«, ermahnt ihn Faye, doch er hat anscheinend ohnehin beschlossen, dass eine Diskussion mit Richard zu nichts führen würde.
Während wir durch die nächtlichen Straßen von New Orleans fahren, die leuchten und glitzern und ganz und gar lebendig sind, schweife ich ab, denke an Curtis’ Geruch. Seinen schweißnassen Körper, den ich vielleicht hätte eklig finden sollen, der aber ein einziges großes Verlangen in mir ausgelöst hat. Der Erinnerungen an unserer beider Körper heraufbeschworen hat, an unser beider Schweiß. Der mich betört, der meine Gedanken benebelt.
Ich bin froh, endlich auszusteigen und frische, reinigende Nachtluft einzuatmen. In dem Haus, in dem Jasper und Bonnie mit Weston und Maya leben, brennt Licht. Und als Hugo das leicht zickige Gartentor aufbekommen hat, öffnet sich die Tür.
»Kommt rein, kommt rein«, sagt Phoenix. »Wir sind hinten im Garten.« Sie ist eine beeindruckende Erscheinung. So selbstbewusst, selbstverständlich.
»Sag mal«, flüstert Richard in mein Ohr, »ist Phoenix eigentlich …«
Ich weiß, was er fragen will: Ist sie eigentlich ein Mann? »Phoenix ist Phoenix«, sage ich. »Aber wenn du mich fragst, mit welchem biologischen Geschlecht sie auf die Welt kam, dann ja. Sie hat bis vor ein paar Jahren als Mann gelebt.«
»Weißt du, warum er sich umentschieden hat?«, fragt Richard.
»Äh.« Ich beginne mich zu fragen, ob es eine blöde Idee war, Richard mitzunehmen. In unsere universitäre Welt passt er. Aber hier, in Tremé, wo jeder das Recht hat, er oder sie selbst zu sein, wirkt er verloren und verwirrt. Deswegen will ich ihm seine Frage eigentlich nicht übel nehmen, aber ich kann nicht anders, meine Antwort klingt säuerlich.
»Sie. Sie hat Entscheidungen getroffen. Und ich glaube nicht, dass man es ›umentscheiden‹ nennt. Sie hat sich dazu entschieden, als Frau zu leben, weil sie eine Frau ist. «
»Okay«, sagt Richard, klingt aber nicht überzeugt.
Im Garten leuchten bunte Lampions und tauchen die Terrasse in ein sanftes Zwielicht. Link zupft auf seiner Gitarre, und Bonnie und er singen dazu. Maya sitzt auf Bonnies Schoß. Dafür, dass es schon bald Mitternacht ist, sind ihre Augen erstaunlich wach. Aber heute war ein großer Abend für sie. Lula, Jasper und Annabella sitzen auf einer Bank, in der Hand Weingläser. Faye geht zielstrebig auf Charlie und Con zu. Franzi hat mir erzählt, dass sie zu einer richtig großen Familie zusammenwachsen. Curtis sitzt mit Franzi, Sal, Weston, Phoenix und deren Lebensgefährten Jacob am Tisch. Die Menschen reden und lachen, sie freuen sich über diesen gelungenen Abend, genießen – jeder auf seine Weise – den Erfolg und das Leben.
»Eines Tages, Phoenix, musst du mir verraten, wie du deinen Lidstrich so perfekt hinbekommst.« Hugo ist einen Schritt vorgetreten und setzt sich neben sie. »Es ist nicht so, als hätte ich das nicht auch mal versucht. Aber so sah das bei mir nie aus.«
Weston lacht. »Du hast dich geschminkt, Grampa? Warum?«
»Um schöner zu sein.« Hugo zuckt mit den Schultern.
Ich blicke zu Richard, dessen Stirn so gerunzelt ist, dass man sie als Notizhalter verwenden könnte. Er fühlt sich sichtlich unwohl.
»Magst du dich hier hinsetzen?«, frage ich und ziehe den Stuhl neben Jacob unter dem Tisch hervor. »Ich hole uns was zu trinken.«
Er nickt dankbar.
»Findest du Männer mit Schminke schöner?«, höre ich Weston fragen, während ich zwei Bierflaschen aus dem Kühlschrank hole.
»Ich finde, wenn man die positiven Merkmale von Gesichtern unterstreicht, kann das schöner sein«, sagt Hugo.
»Wenn du willst, zeig ich es dir«, schlägt Phoenix vor.
Als ich wieder nach draußen komme, ist Phoenix dabei, Hugos faltige Augenlider zu schminken. Richard sieht immer verwirrter aus.
»Danke«, flüstert er und nimmt mir eine der Bierflaschen ab.
Ich setze mich neben ihn.
»Läuft das bei euch immer so ab?«, fragt Richard.
»Was meinst du?«
»Na, das hier …« Er macht eine umfassende Geste.
»Ich habe noch nie gesehen, dass Hugo sich schminken lässt«, mischt Jacob sich ein. »Aber gut zu wissen, dass er sich in seiner Männlichkeit nicht verunsichert fühlt neben Phoenix.«
»Passiert das manchmal?«, frage ich.
»Dauernd. Was denkst du denn? Es gibt einfach viele Leute, die in ihrer eigenen Identität nicht gefestigt genug sind, um ihre begrenzte Weltvorstellung zu erweitern.«
»Wie meinst du das?«, fragt Richard, dessen Interesse nun anscheinend glücklicherweise doch entfacht ist.
»Na ja, Phoenix stellt durch ihre bloße Anwesenheit Dinge infrage. Und diese Fragen kann man nur zulassen, wenn man sich seiner selbst auch unabhängig von der Relation zu anderen Menschen sicher ist. Brauche ich eine Gruppe Frauen um mich herum, um mich wie ein Mann zu fühlen? Muss ich andere Männer in ihrem Verhalten nachahmen? Oder bin ich einfach ich selbst, egal, was um mich herum passiert?«
Richard nickt zögerlich. »Das klingt, als hättest du dir fundierte Gedanken zu dem Thema gemacht.«
»Ich bin Therapeut«, sagt Jacob. »Ich mache mir zu den meisten Problemen, die meine Mitmenschen mit ihrer Identität haben, Gedanken.«
»Wie interessant!«
Richard beginnt eine Unterhaltung mit Jacob, und ich entspanne mich. Beobachte, wie Phoenix sich Hugos zweitem Auge zuwendet. Wie Weston Curtis darüber ausfragt, wie er irgendeinem Bully aus seiner Klasse das Maul stopfen kann. Mein Blick flackert zu Curtis, meine Erinnerung zurück zu unserer Umarmung.
Ich sehe Curtis gerne an. So wie ich allgemein interessante Gesichter gerne ansehe. Ich lese gern in ihnen. Und in Curtis’ Gesicht lese ich von Anfang an Schmerz, Wut und unterdrückte Gefühle. Doch heute Abend lese ich noch etwas anderes. Und das ist Traurigkeit. Er lacht zwar, scherzt mit Weston, spricht mit seinen Bandkollegen, doch die emotionale Erschöpfung sehe ich ganz deutlich.
Als er sich erhebt, um sich aus der Küche ein neues Bier zu holen, trinke ich meine Flasche ebenfalls schnell leer und gehe ihm nach.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, frage ich, und Curtis’ Kopf taucht hinter der geöffneten Kühlschranktür auf.
»Na klar, was soll sein? Ist doch ein geiler Abend.« Er grinst, aber es sieht aus wie aufgemalt.
»Weiß nicht. Ich hatte das Gefühl, dass du vielleicht traurig bist.«
»Ach was.« Er macht eine wegwerfende Handbewegung und reicht mir ein neues Bier. »Mach dir um mich keine Sorgen.«
Ich berühre ihn leicht an der Schulter, spüre seine Muskeln durch das T-Shirt. Seine Wärme.
»Du musst das nicht tun.« Vorsichtig schiebt er meine Hand weg.
»Ich weiß, aber …«
»Ernsthaft, Amory, es ist alles wunderbar. Könnte nicht besser sein.« Sein Lächeln ist so bemüht, dass es tief in mir drin sticht.
Curtis schiebt sich an mir vorbei zurück nach draußen. Für einen Moment bleibe ich, wo ich bin. Atme durch. Das ist genau der Grund, warum das mit Curtis und mir nie emotional werden durfte. Er kann mir noch so viel bedeuten, Tatsache ist, dass ich nicht zu ihm durchdringe. Nichts von seinen Schmerzen besser machen kann. Niemand kann das. Es zu versuchen würde bedeuten, einer Wunschvorstellung hinterherzurennen. Der Illusion, dass die Liebe alles heilen kann.
Als Link draußen die ersten Takte von einem neuen Song zupft, erwache ich aus meinen Gedanken. Der ruhig
e Rhythmus passt perfekt zur verträumten Herbstnacht draußen, und durch die offene Hintertür sehe ich, dass Bonnie und Franzi auf den Rasen laufen und sich in der Dunkelheit langsam dazu bewegen. Es sieht vollkommen unwirklich aus, beinahe magisch.
Sofort verlasse ich meinen geschützten Ort neben dem Kühlschrank und schließe mich ihnen an. Die Welt um uns herum duftet nach Herbst. Es ist noch nicht kalt, aber die feuchte Hitze des Sommers ist angenehmen Temperaturen knapp unter zwanzig Grad gewichen. Wir wiegen uns zu Links Musik, genießen den Augenblick. Die leisen Gespräche von der Terrasse vermischen sich mit den Geräuschen der Nacht. Alles scheint so sanft, so weich. So friedlich.
Nach und nach schließen sich weitere Partygäste an. Erst Phoenix, dann Lula und schließlich Hugo. Er lässt sich von Phoenix führen, im Kreis drehen. Es ist ein Bild für die Götter – der alte Mann mit den geschminkten Lidern und die große, elegante Phoenix.
Als Nächstes löst sich Hugo von ihr und nimmt meine Hände. Er wiegt uns hin und her, wirbelt mich herum. Und ich lache. Lache so sehr, weil das Leben in diesem Moment so schön ist, dass es ein bisschen wehtut. Dass man jetzt schon traurig ist, weil dieser Augenblick endet.
20
Curtis
»Sie ist ganz schön laut«, sagt Richard und dreht sich mit gerunzelter Stirn zu den Tanzenden um.
Amorys Lachen schallt durch den Garten. Ihr fröhliches, warmes, lautes Lachen. Ein Geräusch, von dem ich in meinem Leben nicht genug kriegen kann. Das nicht laut, nicht ausgelassen genug sein kann. Und hier sitzt ihr dämlicher Freund und fühlt sich unwohl dabei.
»Sie ist Amory«, sage ich und nehme einen Schluck von meinem Bier. Denn solange ich meine Finger um die Flasche schließe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Richard die Fresse poliere, geringer. Schon den ganzen Abend geht mir sein Gesicht auf die Nerven. Aber ich halte mich zurück. Reiße mich am Riemen. Diesen Abend will ich für niemanden ruinieren – nicht einmal für mich selbst.
Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition) Page 13