»Was ist das?« Ich nehme es nicht.
»Alraunenwurzel.«
»Und was soll ich damit?«
»Häng sie über deine Haustür.«
»Warum?«
»Für Schutz und Wohlstand.«
Ich schließe genervt die Augen und schüttle kaum merklich den Kopf. Was für ein ausgemachter Schwachsinn! Und trotzdem strecke ich die Hand aus und nehme ihr die bescheuerte Alraune aus der Hand.
»Danke. Für den Kaffee. Und die Dusche. Und die Alraune«, sage ich. Dann nehme ich den kleinen Korb vom Tisch. »Und den hier.«
»Jederzeit, Curtis«, sagt sie. »Ich grüße deine Großmutter von dir.«
»Tu, was du nicht lassen kannst.«
41
Amory
Die Klingel reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Ich hatte eine ziemlich bescheidene Nacht und war froh, in den frühen Morgenstunden endlich wegzudämmern. Ein Blick auf mein Handy verrät mir nun, dass noch nicht einmal Mittag ist.
Dennoch bin ich sofort hellwach. Ist Curtis zurückgekommen? Hat er was vergessen? Die Aussicht, sein Gesicht zu sehen, ihm noch einmal zu sagen, wie viel er mir bedeutet, lässt mich aus dem Bett springen. Ich wickle mich in meinen Bademantel und öffne die Tür.
»Du!«, sage ich, und mein Herz sackt ein ganz schönes Stück nach unten.
»Sorry, dass ich … so unangekündigt …« Esmé blickt zu Boden. Es sieht ihr gar nicht ähnlich, kleinlaut, beinahe demütig zu sein. Normalerweise fordert sie. Nimmt sich. Ob es ihr nun zusteht oder nicht.
»Was willst du hier?«, frage ich barsch. Denn nicht nur bin ich enttäuscht, dass sie nicht Curtis ist, ich finde es auch ziemlich dreist von ihr, hier aufzutauchen.
»Ist … ist Curtis da?«
Das war ja klar. »Nein.«
»Oh. Hm.«
Erst jetzt fällt mir auf, wie müde sie aussieht. Blass.
»Bist du krank?«, frage ich.
»Wie kommst du darauf?« Nun klingt sie ein bisschen mehr wie sie selbst. Die vertraute Giftigkeit ist in Ansätzen zurück. Fast erleichtert es mich. »Du siehst auch nicht gerade frisch aus.«
Dass es sich bei mir für einen Moment um echte Sorge gehandelt hat, erwähne ich nicht. Schnaube nur. »Ebenfalls danke.«
Kurz stehen wir einander gegenüber, blicken uns an. Zwei ehemalige beste Freundinnen, die zu Feindinnen wurden.
»Weißt du, wann er wiederkommt?«, fragt Esmé dann und spielt am Saum ihrer großen Jacke.
»Er kommt nicht wieder. Er ist ausgezogen.« Meine Stimme wird zum Ende hin dünner.
»Oh«, macht sie und fährt sich durch die dunklen Haare. »Shit.« Ihr Gesichtsausdruck wechselt von überrascht zu verzweifelt.
Und ich weiß auch nicht, was mich reitet, vielleicht ist es die Einsamkeit, vielleicht bin ich einfach ein zu guter Mensch. Auf einmal sage ich: »Willst du vielleicht einen Tee?«
Einen Augenblick lang wägt sie ab. »Okay«, erwidert sie dann.
Sie tritt über die Schwelle der Wohnung, aus der ich sie vor Jahren rausgeschmissen habe. Nestelt nervös an ihrem Reißverschluss. Was ist mit ihr? Was ist aus der Frau geworden, die auf Freundschaften geschissen hat, die immer nur sich selbst am nächsten war und diese Einstellung mit geschwellter Brust vor sich hergetragen hat?
Sie schält sich aus der Jacke und hält sie unsicher fest. Als ich sie ihr abnehmen will, zuckt sie erst zurück, dann gibt sie sie mir widerstrebend. Und als sie auf einmal vollkommen schutzlos vor mir steht, sehe ich es.
»Du … du bist schwanger!«, sage ich.
»Ach«, erwidert sie, »ist mir gar nicht aufgefallen.«
Sie ist schwanger. Tauchte nach Monaten plötzlich wieder im Cat’s Cradle auf. Auf der Suche nach Curtis. Er verließ mit ihr die Bar. Sie ist schwanger. Von Curtis.
Mein Herz war bei ihrem Anblick schon irgendwo in meine Bauchgegend gesackt. Aber jetzt – ich bin mir beinahe sicher, fällt es mit einem schmatzenden Geräusch auf den Boden.
»Ich brauche keinen Vortrag von dir«, sagt sie. »Oder Schadenfreude.«
»Nur Tee«, murmle ich, denn ich hatte ihr einen Tee versprochen.
Mit seltsam dröhnenden Schritten gehe ich in die Küche.
»Ist das Hilbert?«, fragt sie, als mein Kater uns von seinem Fressnapf aus ansieht.
»Ja. Und wenn du irgendwo eine kleine schwarze Katze siehst, dann ist das Lovelace.«
»Glaubst du, er kennt mich noch?«, fragt sie.
Doch ehe ich antworten kann, streicht er ihr schon um die Beine. Der alte Verräter.
»Hi! Hallooo«, gurrt Esmé, bückt sich und krault ihn am Hals, so wie er es am liebsten mag.
Währenddessen kümmere ich mich um den Tee. Jede meiner Bewegungen fühlt sich mechanisch an. Wasserhahn, Wasserkocher, Tassen, Teebeutel. Ich kann nicht glauben, dass sie hier ist. Schwanger. Von dem Mann, den ich eigentlich liebe.
»Die Flecken sieht man immer noch«, sagt sie und zeigt auf die Wand. »Das war witzig, als wir uns so viel Mühe gegeben hatten und man danach nur noch deutlicher gesehen hat, wie siffig die Wand ist.«
»Mhm«, mache ich und stelle eine Tasse vor sie auf den Tisch.
»Danke für den Tee«, sagt sie. »Es gibt nicht viele Leute, die nett zu mir sind.«
»Wundert dich das?«, frage ich und wünschte im selben Moment, ich hätte es nicht laut gesagt.
Sie zuckt mit den Schultern. Plötzlich kommt sie mir so zerbrechlich vor. Gar nicht wie jemand, der alle ständig nur ausnutzt. Eher wie jemand, der aufpassen muss. Sie umfasst mit ihren Händen die Tasse, inhaliert den warmen Duft des Tees.
»Und … ähm … Curtis?«, frage ich, weil ich verstehen will. Wissen will.
»Ich hab ihn um Hilfe gebeten«, sagt sie. Natürlich hat sie das. »Aber er … also wir haben lange geredet, und er hat mir irgendwas erklärt von wegen ›ein besserer Mensch werden‹. Jedenfalls hat er mich weggeschickt.«
»Er hat was?« Ich bin wie vom Donner gerührt. Er will ein besserer Mensch werden, indem er die Mutter seines ungeborenen Kindes wegschickt? Ich bin fassungslos.
»Ja. Na ja. Ich dachte, ich versuche es noch mal bei Tageslicht. Aber … ich finde sicher eine andere Lösung.«
»Eine andere Lösung? Wie meinst du das? Willst du das Kind jemand anderem unterjubeln?«
Sie lacht vorsichtig. Als wäre sie sich nicht sicher, ob sie das hier darf. »Das wird wohl nicht gehen. Dazu bin ich schon zu weit. Sechster Monat«, sagt sie und zeigt auf ihren Bauch.
Sechster Monat. Mir wird schlecht. Vor sechs Monaten fing ich gerade an, Richard zu daten. Wir waren nicht zusammen, noch kein Paar. Ein- oder zweimal waren Curtis und ich sicher noch … Ich gebe ein ersticktes Gurgeln von mir. Auch wenn es nur Spaß war zwischen uns. Dass er mit Esmé und mir gleichzeitig … Die Vorstellung treibt mir erneut Tränen in die Augen.
»Ist nicht so schlimm«, sagt Esmé. »Ehrlich. Es gibt immer Möglichkeiten. Ich muss nur … hm … irgendwo eine Couch finden, auf der ich ein paar Wochen bleiben kann.«
»Was ist mit deinem Zimmer?«
»Kann ich mir nicht mehr leisten. Mein Chef hat mich rausgeworfen, als man angefangen hat, das hier zu sehen.« Wieder zeigt sie auf ihren Bauch.
»Fuck«, sage ich und kann nicht glauben, dass Curtis seelenruhig dabei zusieht, wie Esmé und sein Kind obdachlos sind.
»Karma’s only a bitch if you are. Heißt es nicht so?« Sie lacht leise.
»Ich glaub das alles nicht«, entfährt es mir. »Das ist …«
»Ich hab’s auch lange nicht wahrhaben wollen«, sagt Esmé. »Aber irgendwann kann man es nicht mehr ignorieren. Weil’s einfach in einem drin wächst.«
Ich atme tief ein. Es kostet mich einiges an Überwindung. Doch das hier ist wichtiger. Wichtiger als ein Verrat, der Jahre zurückliegt. Wichtiger als meine Gefühle für Curtis. Wichtiger als Curtis’ Verkorkstheit. »Ich rede noch mal mit ihm«, sage ich.
»Ach was, das musst du nicht. Ist ja nicht deine Sache. Und ich weiß, dass ich bei dir nicht unbedingt hoch im Kurs stehe.«
»Aus offensichtlichen Gründen.«
»Ja.« Sie nimmt noch ein
en Schluck aus ihrer Tasse. Dann steht sie auf. »Ich glaube, ich sollte mal wieder …« Ihre Hände legt sie schützend auf ihren Bauch. »Danke für den Tee. Und die Wärme.«
Sie läuft aus der Küche und den Flur entlang. Ich gehe zögerlich hinterher. Das ist alles zu viel für mich. »Äh, schon okay«, sage ich.
»Ich glaub, ich hab mich nie bei dir entschuldigt«, sagt sie, während sie mit dem Reißverschluss ihrer Jacke kämpft. »Für die Sache damals.«
Ich winke ab, obwohl das vermutlich nichts ist, was man abwinkt. »Ist ewig her.«
»Nein, ernsthaft, Amory. Ich weiß, dass ich mich wie die letzte Kuh verhalten habe. Es gehören zwar immer zwei dazu, aber ich war deine Freundin. Ich hätte mich im Griff haben müssen. Und es tut mir wirklich leid.«
Ich schlucke. »Danke«, sage ich heiser.
»Ach, dann lass ich sie eben offen.« Sie gibt es auf, die Jacke schließen zu wollen, öffnet die Wohnungstür und tritt nach draußen.
»Hey, Esmé«, sage ich, als sie die Tür fast hinter sich zugezogen hat. »Kann sein, dass ich das bereuen werde, aber ich hab da zufällig eine Couch. Und sogar ein leeres Zimmer mit Bett. Dein altes Zimmer.«
Sie lässt den Türknauf los, und die Tür schwingt langsam wieder auf. Sie steht da, mit offener Jacke, herabhängenden Armen. Ihr Mund ist offen, ihre Augen blicken ungläubig.
»Ist das dein Ernst?«, fragt sie.
»Ja. Na klar. Komm wieder rein.«
»Danke«, quietscht sie und fällt mir im nächsten Moment um den Hals. Ihr Körper ist vertraut, auch wenn er jetzt eine andere Form hat. »Danke, danke, danke!«
»Ist doch Schwachsinn, ein leeres Zimmer zu haben, wenn jemand anderes eins braucht.«
»Das wirst du nicht bereuen, Am.« Seit Jahren hat sie mich nicht so genannt. »Ich revanchier mich. Du wirst mich gar nicht merken. Und sobald ich was anderes habe, bist du mich wieder los.«
»Bleib, solange du willst«, sage ich. »Mach dir keinen Stress. Ihr braucht ein Zuhause.«
»Nur für ein paar Tage. Ich versprech’s.«
»Oder auch länger«, biete ich an. »Und um den vertrottelten Kindsvater kümmern wir uns auch.« Ich seufze beim Gedanken an Curtis und daran, dass es wohl keine Obergrenze für den Scheiß gibt, den er baut.
»Hast du eine Idee?«, fragt Esmé, die hinter mir her in ihr neues altes Zimmer kommt.
»Zur Not schütteln wir ihn, bis er zur Vernunft kommt.«
»Ja, das war auch mein Plan. Aber ich kenne abgesehen von Curtis niemanden, der so was kann.«
»Was?«
»Was?«
»Was hast du gesagt?«
»Dass das auch mein Plan war?«
»Nein, das andere.«
»Dass ich außer Curtis keine Schlägertypen in meinem Bekanntenkreis habe?«
Ich lasse mich aufs Bett sinken. »Curtis ist nicht …?«
»Ich versteh nicht, was du sagst.« Sie setzt sich neben mich.
»Ich versteh nicht, was du sagst.« Ich sehe sie entgeistert an.
»Okay, bis wohin verstehst du mich?« Das war schon früher unsere Art. Wenn wir beide aufgeregt nach Hause kamen, gleichzeitig rasend schnell von unseren Erlebnissen berichteten, bis wir keine Ahnung mehr hatten, wer wann was gesagt hatte und zu welcher Geschichte es nun genau gehörte. Zurückspulen bis zu dem Moment, als wir den Faden verloren hatten.
»Ich verstehe, dass du schwanger bist, es Curtis gesagt hast, aber er sich weigert, euch zu unterstützen … danach habe ich den Faden verloren.«
»Ja. Das stimmt alles. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn er dem Pisser mit dem löchrigen Kondom ein bisschen Angst einjagt. Aber er hat gesagt, es müsse eine andere Möglichkeit geben. Dass er das nicht mehr machen will. Leute verprügeln.«
»Curtis ist nicht der Vater?«, frage ich.
»Was?«
»Bis wohin verstehst du mich nicht?« Ich lache, denn auf einmal bin ich so unendlich erleichtert.
»Du dachtest … Curtis? O Gott! Nein! Doch nicht Curtis! Ich habe nie … hätte nie …«
»Alter«, sage ich und lasse mich nach hinten auf die Matratze fallen, »deinetwegen hätte ich fast einen Herzinfarkt gekriegt.«
42
Curtis
»Du hast gesagt, vielleicht sollte ich mal mit jemandem sprechen.« Ich bin ganz außer Atem. Schweiß läuft mir die Schläfen hinunter.
»Hallo, Curtis.« Jacob kratzt sich ein bisschen verwirrt den Kopf.
Mein Herz rast. Nicht nur, weil ich beinahe den gesamten Weg von Marigny nach Tremé gerannt bin, sondern auch, weil ich nervös bin. Angespannt. Aber auch – hoffnungsvoll?
Die Tür schwingt etwas weiter auf. Aus dem Haus dringt Wärme zu mir heraus, und ich erhasche einen Blick auf das Wohnzimmer. Ich sehe eine Spielecke für die Kinder, auf die Phoenix tagsüber aufpasst, einen runden Tisch mit Stühlen drum herum. Es ist gemütlich, heimelig. Auf eine sehr bunte, knallige Art.
»Na, das ist ja mal eine Überraschung«, sagt Phoenix, als sie mich erblickt. Sie sitzt auf einem Sofa, links und rechts von ihr zwei kleine Kinder, die ich nicht kenne. Sie liest ihnen anscheinend gerade aus einem Bilderbuch vor.
Ich hebe die Hand zu einem schnellen Gruß. Auf einmal ist es mir unangenehm, hier zu sein. Erkannt zu werden.
»Sollen wir nach oben gehen?«, fragt Jacob und schiebt hinterher: »Meine Praxis ist im ersten Stock.«
»Okay«, sage ich und nicke. Nicke als Reaktion auf Jacobs Frage, aber genauso sehr, um mir selbst zu beweisen, dass ich das Richtige tue. Ich blende Phoenix aus, die Kinder, mein Unwohlsein.
Jacob schlüpft in Lederslippers und zieht die Tür hinter sich zu. Ich folge ihm um das kreolische Cottage herum. An der Seite führt eine Außentreppe nach oben. Ein Messingschild verkündet, dass es dort zur Praxis von Dr. Jacob Hobinck geht. Oben schließt er die Tür auf, und wir betreten einen kleinen Vorraum mit zwei Stühlen, einigen Grünpflanzen und einem Wasserspender.
»Heute ist mein freier Vormittag, deswegen ist hier nichts los«, sagt er.
»Oh«, mache ich und merke, dass mein spontaner Besuch hier vielleicht doch keine so gute Idee war.
»Aber keine Sorge, du bist immer willkommen.« Jacob dreht sich zu mir um und lächelt. Aus irgendeinem Grund nehme ich es ihm ab, obwohl es ein seltsames Gefühl ist.
»Wie geht es denn deinem Hals?«, fragt er, während er die Vorhänge zur Seite schiebt.
»Mal so, mal so«, erwidere ich.
»Warst du beim Arzt?«
»Bin noch nicht dazu gekommen«, gestehe ich.
Jacob nickt. »Geh doch schon mal vor in den Behandlungsraum.« Er zeigt durch eine Tür. »Ich hole noch schnell was zu trinken.«
»Ein Schnaps wäre gut«, sage ich, und Jacob lacht. Natürlich war es als Witz gemeint, aber einen wahren Kern hat die Sache.
Das Zimmer ist hell und freundlich. Alter Holzfußboden, ein bunter Teppich. Ein massiver Schreibtisch steht am einen Ende des Raums, in der Mitte befinden sich zwei riesige Sessel. Grünpflanzen auf den Fensterbrettern, abstrakte Kunst an der Wand. Das Zimmer ist lebendig, ohne überladen zu sein. Beruhigend irgendwie.
»Setz dich«, sagt Jacob, in der Hand zwei Gläser und eine Wasserkaraffe. Er deutet auf den Sessel, auf dessen Beistelltisch eine Taschentuchbox steht, und ich tue wie mir geheißen.
Der Sessel ist gemütlich. Man versinkt gerade genug darin, um sich wohlzufühlen. Jacob schenkt mir ein Glas Wasser ein und stellt es neben die Taschentücher, die ich sicher nicht brauchen werde. Dann geht er zu seinem Schreibtisch, setzt sich eine Brille auf, nimmt einen Stift und ein Notizbuch und legt beides auf den Tisch neben seinem Sessel.
»Schreibst du mit?«, frage ich.
»Das kommt darauf an«, erwidert er.
»Worauf?«
»Auf den Grund deines Besuchs.«
»Oh«, mache ich. »Okay?« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist alles so neu. So seltsam. Mit dem Fingernagel fahre ich das Blumenmuster der Taschentuchbox nach.
»Willst du mir erzählen, warum du heute hierhergekommen bist?«, fragt Jacob. Seine Stimme ist ganz ruhig.
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nbsp; Ich nicke. Schlucke. »Ich … ähm.« Ich sehe auf, keine Ahnung, was ich suche. Irgendetwas, das macht, dass ich mich weniger dämlich fühle. Mein Blick trifft auf Jacobs. Er schaut mich an. Offen, interessiert. Aber nicht neugierig. »Ich will ein besserer Mensch werden.« Ich räuspere mich, um zu überspielen, wie bescheuert das klingt. »Ich will ein Mensch werden, mit dem ein anderer Mensch zusammen sein kann, ohne dass es gefährlich ist.«
»Gefährlich?«, fragt Jacob. Sein Tonfall ist vollkommen vorurteilsfrei. Urteilsfrei.
»Also. Hm. Ich bin nicht so gut darin, nicht auszurasten.«
Ich erwarte eine Reaktion. Irgendeine. Tadel, Spott, Unverständnis. Aber es kommt nichts.
»Ich hatte was mit dieser Frau. Amory. Du kennst sie. Und ich hab’s verkackt. So sehr verkackt, dass ich ausziehen musste und wir uns nicht mehr sehen können.«
»Was ist passiert?«
Die Erinnerung an meinen letzten Ausraster jagt mir einen Schauer über den Rücken. »Sie hat sich mit ihrem Ex getroffen. Ein absoluter Pisser. Und ich hab mich abgeschossen und im Restaurant eine Szene gemacht. Hab ihm eine verpasst.«
Wieder sehe ich auf, suche in Jacobs Blick nach Ablehnung, Entsetzen. Wie kannst du nur, was stimmt nicht mit dir? Doch er macht nur »Mhm«.
»Im Nachhinein weiß ich, dass das scheiße war. Im Nachhinein weiß ich es immer. Da ist es völlig klar. Aber währenddessen, ich schwöre, musste ich …« Ich breche ab, weil ich nicht einmal so richtig weiß, wie der Satz weitergehen soll.
Jacob nickt, nimmt die Brille ab und putzt sie langsam mit seinem Hemd. Es irritiert mich, dass er nichts sagt.
»Jedenfalls …« Meine Kehle wird eng. »… ich brauche Hilfe. Schätze ich. Amory ist der einzige Mensch auf der Welt, mit dem ich glücklich sein kann. Und ich will glücklich sein. So sehr.« Auf einmal spreche ich nur noch ganz leise. »Aber ich kann ihr mich nicht antun, da hat sie schon recht. Ich bin eine tickende Zeitbombe, hat sie gesagt. Und genauso fühlt es sich an.«
Einen Moment sagt keiner etwas. Ich weiß nicht, wie es weitergeht, und warte einfach darauf, dass Jacob reagiert. Schließlich ist er derjenige von uns beiden mit Ahnung.
»Möchtest du therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen?«, fragt er nach einer gefühlten Ewigkeit.
Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition) Page 27