Feel Again

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Feel Again Page 39

by Mona Kasten


  »Wir sind für Deborah Grant hier«, sagte ich, weil ich wusste, dass Isaac kein Wort herausbekommen würde.

  Sie erklärte uns kurz den Weg zu den Fahrstühlen und wo genau wir im dritten Stock hinmussten. Isaacs Atem ging immer schneller, je näher wir dem Zimmer kamen, und am liebsten hätte ich wieder nach seiner Hand gegriffen, aber ich wagte es nicht. Ich wusste nicht, was er in diesem Moment brauchte.

  »Hier ist es«, sagte ich, als wir vor Debbies Zimmertür standen.

  Isaac starrte die hellblaue Tür an, als würde sich dahinter sein Todesurteil verbergen. Er schluckte hart und starrte auf seine Schuhspitzen.

  »Verfluchte Scheiße«, murmelte er.

  »Wir können auch auf deine Großeltern warten, wenn dir das lieber ist«, sagte ich ruhig.

  Er schüttelte bloß den Kopf. »Ich habe nur Angst, dass ich anfange, zu heulen wie ein kleiner Junge. Das kann momentan niemand gebrauchen.«

  »Daran ist nichts schlimm, Isaac.«

  »Ich will aber stark für sie sein«, sagte er leise.

  »Das bist du so oder so«, erwiderte ich sanft. »Und wenn nicht, dann hast du immer noch mich. Ich bin gerne stark für dich.«

  Isaac sah mich eine Weile lang an. Ich hatte den Eindruck, als wollte er noch etwas sagen, aber dann nickte er nur. Er schloss die Augen, holte tief Luft und klopfte an der Tür.

  Ich hörte einen Stuhl über den Boden schaben und leise Schritte – dann wurde die Tür aufgezogen und Isaacs Dad erschien. Als er seinen Sohn erblickte, wirkte er unschlüssig, ob er ihn umarmen sollte oder nicht. Letztendlich trat er beiseite, um uns reinzulassen.

  »Die Visite ist gerade durch«, sagte er. Ich zögerte kurz, weil ich mir nicht sicher war, ob ich mich überhaupt in dem Zimmer aufhalten durfte, aber Jeff nickte mir zu.

  Ich trat neben Isaac und hörte, wie sein Atem stockte.

  Und auch mir blieb die Luft weg, als ich Debbie zum ersten Mal sah.

  Ihr Gesicht war rot und lila verfärbt und eines ihrer Augen so geschwollen, dass man es kaum noch als solches ausmachen konnte. An der Lippe hatte sie eine Platzwunde, über der sich bereits eine dicke Blutkruste gebildet hatte. Um ihr Bein war ein riesiger weißer Gips, der in einer Schlaufe hing, und in ihrem Arm steckte eine Infusion. An der Seite des Bettes hing ein Urinbeutel, und es sah aus, als würde sich darin verdünntes Blut sammeln. Das regelmäßige Piepen der Überwachungsmaschine war in dem sonst stillen Raum ohrenbetäubend laut.

  Ich merkte erst, dass Isaac sich in meinen Arm krallte, als es anfing wehzutun. Doch ich sagte nichts. Ich hatte ihm versprochen, stark zu sein. Für ihn.

  »Sie hat alles so weit gut überstanden«, sagte Jeff leise. »Die Ärzte meinen, dass ihre Verletzungen alle innerhalb von vier bis sechs Wochen verheilen sollten. Allerdings …« Seine Stimme versagte, und er musste sich räuspern.

  Neben mir erstarrte Isaac. »Was, allerdings?«

  Jeff rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Vielleicht solltest du dich kurz setzen.«

  »Was, allerdings, Dad?«

  Jeff atmete hörbar aus. Man konnte ihm deutlich ansehen, wie sehr er darum kämpfte, die Fassung zu bewahren. »Sie haben heute Morgen ein Paar Tests gemacht. Und … anscheinend besteht die Möglichkeit, dass ihr Gehirn Schäden davongetragen hat.«

  Isaac ließ abrupt meinen Arm los. »Was?«

  »Das kann man erst mit Sicherheit wissen, wenn sie aufwacht.«

  »Was heißt das?«, fragte Isaac mit bebender Stimme. »Kann es sein, dass sie … dass sie nicht mehr wie früher ist?«

  Jeff zögerte einen Moment, aber dann nickte er. »Es ist unwahrscheinlich, aber die Gefahr besteht.«

  Ich sah, wie Isaac die Hände zu Fäusten ballte, damit nicht auffiel, wie sehr sie zitterten.

  Jeff sah es auch. »Sie schafft das schon«, sagte er heiser, und als Isaac nicht reagierte, machte er einen Schritt auf ihn zu.

  »Es tut mir leid, Dad«, krächzte Isaac unvermittelt und riss den Blick von seiner Mom. »Es tut mir so leid.«

  Jeff schüttelte den Kopf. »Dir braucht nichts leidtun, Isaac.«

  »Ich … Wenn es … Wenn es so kommt«, sagte Isaac unaufhaltsam, und sein Atem ging schnell und unregelmäßig. »Wenn sie nicht ganz gesund wird, übernehme ich den Hof. Ich würde alles für euch machen, Dad, bitte sei nicht mehr wütend auf mich, bitte sei nicht mehr …«

  Das Gesicht von Isaacs Dad war schmerzverzerrt, und im nächsten Moment schloss er seinen Sohn in die Arme und drückte ihn fest. Isaac sprach weiter, aber die Worte wurden an der Schulter seines Vaters gedämpft.

  »Du wirst den Hof nicht übernehmen, wenn das nicht das ist, was du willst, Isaac«, sagte Jeff behutsam. »Und ich bin deswegen nicht wütend auf dich.«

  Ich hätte auch nicht gewollt, dass jemand bei Rileys und meiner Aussprache gelauscht hätte, also öffnete ich vorsichtig die Zimmertür und schob mich durch den Spalt nach draußen. Dort setzte ich mich auf den nächstbesten Stuhl und versuchte, die Panik zu bekämpfen, die langsam in mir aufzusteigen drohte.

  Was, wenn Isaacs Mom nicht ganz gesund werden würde? Was, wenn sie für den Rest ihres Lebens Pflege brauchte? Wie sollten die Grants das schaffen? Nicht nur personell, sondern auch finanziell? Wie sollten Ariel, Ivy und Levi das überstehen?

  Oder Isaac?

  Nach einiger Zeit ging die Tür auf und Jeff trat hinaus in den Flur. Er blickte sich suchend um. Sofort erhob ich mich und ging auf ihn zu. »Ist alles in Ordnung?«

  Er nickte knapp und rieb sich über das Gesicht. »Ich bin nur ziemlich müde und würde mir gerne einen Kaffee holen.«

  »Das kann ich machen«, bot ich an.

  Er schüttelte den Kopf und deutete mit dem Kinn in Richtung des Zimmers. »Ich mache das schon. Ich glaube … er braucht dich.«

  »Natürlich«, sagte ich schnell.

  Als ich wieder ins Zimmer trat und die Tür leise hinter mir schloss, sah Isaac mich mit geröteten Augen an. Er saß inzwischen auf einem Stuhl neben dem Bett und hatte seine Hand vorsichtig über die seiner Mutter gelegt.

  Ohne ein Wort zu sagen, ging ich zu ihm. Er blickte zu mir hoch, verzweifelt und traurig und völlig am Boden zerstört. Dann ließ er seinen Kopf gegen meine Hüfte sinken. Und während ich einen Arm um seine Schulter schlang und mit der anderen Hand seinen Kopf streichelte, begann ich, Versprechen zu flüstern, von denen ich inständig hoffte, dass sie sich bewahrheiten würden.

  Die kommenden Tage waren kräftezehrend. Ich versuchte, für meine Prüfungen zu büffeln, weiter in der Galerie auszuhelfen und gleichzeitig für Isaac da zu sein, der mit seinen Gedanken rund um die Uhr bei seiner Mutter war. Auch nach sechs Tagen war sie noch nicht aufgewacht, und ich wusste, dass er kurz davor war, durchzudrehen.

  Dawn und Gian halfen mir dabei, Isaac zumindest zeitweise abzulenken. Dawn, indem sie ihn zu seinen Vorlesungen schleifte, und Gian, indem er ihn mit Essen versorgte und Gaming-Marathons in ihrer Wohnung veranstaltete.

  Genau eine Woche nach Debbies Unfall rief mich Al an, um zu fragen, ob ich kurzfristig die Abendschicht im Steakhouse übernehmen konnte. Isaacs Vertretung war ausgefallen, und er konnte so schnell niemand anderen auftreiben. Ich willigte ein, weil ich noch immer ein schlechtes Gewissen hatte, dass ich ihn damals von heute auf morgen im Stich gelassen hatte.

  Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich die Schicht ausgerechnet mit Als Nichte machen musste. Egal, was Isaac mir damals vor dem Club gesagt hatte – ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie mit ihm geflirtet hatte. Hier im Steakhouse und auch im Club, und allein dieser Gedanke sorgte dafür, dass meine Nackenhaare sich aufstellten. Nichtsdestotrotz würde ich den Abend hinter mich bringen. Ich hatte schon Schlimmeres geschafft.

  Sie stand bereits hinter dem Tresen, als ich zum Steakhouse kam, und war gerade dabei, die Servietten zu Fächern zu falten.

  »Hi«, sagte ich und hob die Hand steif zur Begrüßung.

  »Oh, hallo! Du bist Sawyer, richtig?«, fragte das Mädchen interessier
t und legte die Servietten beiseite, um mit ausgestreckter Hand auf mich zuzukommen. »Ich bin Alice.«

  »Hi«, sagte ich und bemühte mich darum, ihre Hand nicht zu zerquetschen.

  »Mein Onkel hat mir schon gesagt, dass du für Isaac einspringst. Irgendetwas ist bei ihm passiert, oder? Al meinte, es wäre was Familiäres«, plapperte sie los, ohne sich von dem skeptischen Ausdruck auf meinem Gesicht abschrecken zu lassen. »Ach Mensch, ich hoffe es geht ihm gut.«

  »Den Umständen entsprechend«, murmelte ich vage. Erleichterung breitete sich in mir aus. Sie wusste nicht, was geschehen war und warum Isaac nicht zur Arbeit kam. Isaac hatte ihr nichts erzählt.

  »Naja, aber wir bekommen die Schicht bestimmt auch ohne Isaac hin.« Alice zwinkerte mir zu. »Und natürlich mit Roger, der hinten ist und mir gerade ein Steak macht. Aber psst, sag es bitte nicht Onkel Al. Ich meine, natürlich kannst du es ihm sagen, aber das musst du nicht, also … Du weißt schon, wie ich meine. Auf jeden Fall hat Isaac erzählt, dass du Fotografie studierst? Finde ich ja total interessant. Ich stand mal Modell für einen Fotografen, total witzige Sache, die kann ich dir ja gleich erzählen, ich meine, wir haben ja total viel Zeit und …« Ihre Worte waren wie ein Wasserfall. Sie strömten ungebremst aus ihrem Mund, und ich hatte Schwierigkeiten, ihr zu folgen, weil sie so schnell redete und die Themen so abrupt wechselte. Und sie hörte den gesamten Abend nicht auf. Nicht, als Kunden reinkamen, nicht, während sie bediente, nicht, während sie mir dabei zusah, wie ich Getränke vorbereitete oder Gläser polierte.

  Sie. Hörte. Nicht. Auf.

  Ich fragte mich, wie Isaac es ausgehalten hatte, mit ihr zu arbeiten. Es war die längste Schicht, die ich jemals im Steakhouse verbracht hatte. Als sie sich endlich von mir verabschiedete und ich die Schürze auszog und zurück in Isaacs Spind hing, war ich fix und fertig. Ich stellte mir schon vor, wie ich mich in mein Bett im Wohnheim fallen ließ und einfach nur die Stille genoss, aber dann warf ich einen Blick auf mein Handy und erschrak.

  Ich hatte drei verpasste Nachrichten. Und einen Anruf. Alle von Isaac.

  Das Herz sank mir in die Hose, und mit bebenden Fingern öffnete ich die Nachrichten.

  Wieso gehst du nicht ran?

  Oh, das klingt, als wäre es etwas Schlimmes – aber das ist es nicht! Gute Nachrichten!

  Und dann die dritte Nachricht.

  Okay, ich halte es nicht mehr aus: Mom ist aufgewacht. Alles ist okay.

  Ich las die Nachricht noch mal. Und noch mal. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, und plötzlich verspürte ich nur einen Wunsch: Ich musste Isaac sehen.

  So schnell ich konnte, tippte ich:

  Wo bist du?

  Seine Antwort kam innerhalb einer halben Minute.

  In der Wohnung. Gerade aus dem Krankenhaus zurückgekommen.

  Bleib, wo du bist.

  Es war so kalt draußen, dass ich völlig durchgefroren war, als ich an seiner Wohnung ankam. Ich hechtete die Treppe hoch, wobei ich mich mehr am Geländer hochzog, als tatsächlich zu springen.

  Ich musste nur zweimal gegen die Tür klopfen, da zog er sie auf und lächelte mich an. Im nächsten Moment schloss er mich in seine Arme und hob mich hoch.

  »Die Ärzte sagen, sie ist auf einem guten Weg. Und sie darf schon in eineinhalb Wochen nach Hause. Sie darf nach Hause, Sawyer!«, sagte er aufgeregt, und er wirkte so viel lebendiger als in den letzten Tagen, dass mir ganz leicht ums Herz wurde. Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals und sog seinen vertrauten Geruch tief in mich auf.

  »Das ist toll, Isaac. So toll«, murmelte ich und genoss das Gefühl seiner Arme um meinen Körper.

  »Oder?« Er ließ mich wieder runter. Dann runzelte er die Stirn. Im nächsten Moment beugte er sich vor und roch an meinen Haaren. »Du riechst nach Steak.«

  Ich nickte. »Ich habe heute eine Schicht übernommen.«

  Er schloss die Tür. »Du hast eine Schicht übernommen? Bei allem, was du sonst noch zu tun hast?«

  Ich nickte und rieb mir die Augen mit meinen kalten Händen.

  Isaac sah mich an, als würde er gerade erst realisieren, wer da eigentlich vor ihm stand. »Wieso hast du das gemacht?«

  »Weil ich dich …«

  Oh, fuck.

  Kein guter Moment.

  Gar kein guter Moment, ihm meine Gefühle zu offenbaren. Eigentlich war es sogar der denkbar schlechteste Moment, den ich mir dafür hätte aussuchen können. Beinahe wäre es mir rausgerutscht, mitten im Flur, dick eingepackt in meine Wintersachen, mit triefender Nase und vor Kälte tauben Händen.

  Isaacs Blick war dunkel geworden. »Weil du was?«

  »Nichts. Ich bin müde. Habt ihr noch Essen? Ist Gian da?«, fragte ich schnell und schälte mich erst aus meiner Jacke und dann aus einem Stiefel. Bevor ich den zweiten aufmachen konnte, fasste Isaac mich am Arm und zog mich zu sich. Ganz nah, bis mein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Ich sah das unsichere Flackern in seinen Augen, als er seine andere Hand auf meinem Rücken ablegte.

  »Weil du mich was, Sawyer?«, fragte er heiser.

  Ich stieß leise den Atem aus. »Weil du meine Hilfe brauchst und ich will, dass es dir besser geht.«

  »Aber wieso?«, fragte er weiter, als würde er sich eine andere Antwort erhoffen.

  »Weil ich Lust auf Folter hatte. Mal ehrlich, ein anderer Begriff fällt mir für Alice’ Gequatsche echt nicht ein.« Ich wich seinem Blick aus, aber als er leise lachte, wurde es mir ganz leicht ums Herz. »Wie konntest du mit der nur auf ein Date gehen?«

  »Ich hab dir schon mal gesagt, dass das kein Date war. Sie ist neu in der Stadt und hat mir leidgetan, weil sie keine Freunde hat. Außerdem schien sie mir nett genug, um sie mit Gian zu verkuppeln. Im Ernst, hast du wirklich gedacht, dass ich so leicht mit uns abschließen kann und mir, ohne mit der Wimper zu zucken, jemand anders suche?«

  Ich zuckte unbeholfen mit den Schultern. »Ihr habt geflirtet.«

  »Was?«, fragte er ungläubig. »Wann habe ich bitte mit irgendjemandem geflirtet?«

  »Als ich das letzte Mal im Steakhouse war, hast du ihre Schürze zugemacht.«

  Er hob einen Mundwinkel. »Du hast Rogers Schürze auch öfters zugemacht.«

  »Und du hast ihr von der Leiter runtergeholfen.« Ich merkte selbst, wie bescheuert das klang, aber irgendwie konnte ich nicht anders.

  Ich konnte nicht anders, weil ich so sehr in ihn verliebt war, dass es mich verrückt machte.

  »Ich schwöre dir, dass da nichts läuft. Oder lief. Ich könnte niemals …« Er schüttelte den Kopf.

  »Ich dachte wirklich … Ich meine. Jemand wie sie wäre einfach so viel besser für dich«, sagte ich hilflos.

  Sein Griff in meinem Rücken wurde fester. »Es gibt niemanden, der besser für mich ist oder den ich mehr will als dich, Sawyer. Niemanden.«

  Es fiel mir noch immer schwer, zu glauben, dass er das tatsächlich dachte. Und dass er das sagte, obwohl doch gerade alles um uns herum total chaotisch war. Aber inzwischen hatte sich etwas verändert. Inzwischen wollte ich ihm glauben. Ich wollte die Richtige für ihn sein. Und wenn mir die letzten Wochen etwas gezeigt hatten, dann, dass ich mir ein Leben ohne ihn einfach nicht mehr vorstellen konnte.

  »Ich liebe dich«, platzte ich heraus.

  Ich steckte noch in einem nassen Stiefel, roch nach fettigem Steak, und auch meine Nase lief, aber das war total egal.

  »Was?«, krächzte Isaac.

  »Ich weiß, dass das nicht der beste Augenblick ist, um dir das zu sagen. Ich sehe nicht gut aus, und in eurem Flur ist es auch nicht sonderlich romantisch … nicht mal für meine Verhältnisse. Aber«, ich zuckte unbeholfen mit den Schultern. »Ich liebe dich, Isaac. Ziemlich heftig sogar.«

  Und dann küsste er mich.

  Sein Mund lag auf meinem und öffnete sich, und als sich unsere Zungen trafen, stieß ich ein verzweifeltes Wimmern aus. Ich hatte ihn so sehr vermisst. Er krallte eine Hand in mein Haar und drückte mich mit der anderen so fest an sich, dass ich
kaum mehr atmen konnte. Aber auch das Atmen war wie meine Stiefel oder die laufende Nase Nebensache, solange er nur weitermachte.

  »Ich liebe dich auch. So sehr«, brachte er atemlos hervor, küsste mich aber sofort weiter.

  Isaac liebte mich.

  Er liebte mich.

  Und ich liebte ihn.

  Wie verrückt war das?

  »Wir müssen reden«, sagte ich zwischen zwei Küssen, doch Isaac schüttelte den Kopf und rieb seine Nase dabei an meiner.

  »Morgen. Übermorgen. Irgendwann«, murmelte er und verteilte zwischen seinen Worten Küsse auf meinem Kiefer und meinem Hals. Er biss in meine Halsbeuge und saugte daran, während ich den zweiten Stiefel von meinem Fuß kickte. Im nächsten Moment hob er mich hoch, und ich schlang beide Beine um ihn. Wir küssten uns so heftig, dass unsere Zähne gegeneinanderstießen und seine Brille verrutschte. Er nahm sie ab und ließ sie achtlos auf den Boden fallen.

  »Ich brauche dringend Kontaktlinsen«, murmelte er und presste seine Lippen an meine Kehle.

  »Kommt überhaupt nicht infrage«, gab ich zurück und strich durch sein widerspenstiges Haar. Ich hatte das Gefühl seiner Locken unter meinen Fingern so sehr vermisst. Genau wie alles andere an ihm.

  Während er mich durch die Wohnung trug, hob er interessiert eine Augenbraue. »Du stehst also auf die Brille.«

  Ich küsste seinen Mundwinkel und eine Spur an seinem Kiefer entlang. »Jetzt tu nicht so, als wüsstest du das nicht.«

  »Deshalb hast du mich damals überhaupt erst geküsst«, sinnierte er grinsend und stieß mit einem Fuß die Zimmertür hinter uns zu.

  Ich hielt seinen Blick fest. Mit meinen Fingern fuhr ich die Linien seines schönen Gesichts nach und fragte mich, ob mein Unterbewusstsein vielleicht schon damals gewusst hatte, dass Isaac und ich zusammengehörten.

  Unser nächster Kuss war langsam und gefühlvoll. Er war wie ein guter Song, bereitete mir eine Gänsehaut und machte mich süchtig nach mehr. So wie alles an Isaac, auch wenn ich einige Zeit gebraucht hatte, das zu akzeptieren. Aber jetzt, wo ich hier war, in seinen Armen, mit seinen geflüsterten Worten in meinem Ohr, die mir versicherten, dass ich genug war, dass ich alles für ihn war, so wie er für mich, fragte ich mich, wie ich jemals daran hatte zweifeln können.

 

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