Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition) Page 8

by Kiefer, Lena


  Ich musste ebenfalls lachen. »Wenn du wüsstest, wie langweilig mein wildes Leben ist, würdest du das nicht sagen.«

  »Also liegt es an einer vergangenen Beziehung, die dir noch nachhängt? Einer schlimmen Kindheit, die dich daran hindert, wahrhaftig zu lieben? Komm schon, enttäusch mich nicht. Eins der Klischees muss doch stimmen.«

  Ich schob die Hände in meine Taschen und hatte sofort Kenzies Bild vor Augen. »Wenn du es unbedingt wissen willst … mir spukt noch jemand im Kopf herum. Und es wäre nicht fair, mich auf jemand anderen einzulassen, solange das so ist.«

  »Verstehe.« Sie nickte. Wir waren an unserem Haus angekommen, und ich öffnete ihr die Tür, bevor ich beim Portier meinen Rucksack entgegennahm, ihm dankte und mit Sophia zum Fahrstuhl ging. Wir hielten in ihrem Stockwerk, aber sie blieb im Durchgang stehen. »Sag mal, willst du vielleicht einen Kaffee? Oder was Stärkeres? Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt, dass du mich vor Patrick gerettet hast.«

  Ich wollte sagen, dass das nicht nötig war, aber ich wusste, sobald ich in meiner Wohnung war, würde ich entweder an Kenzie denken – oder an diesen Typen, der mich verfolgt hatte. Und wenn ich ehrlich war, hatte ich die letzte Viertelstunde genossen. Der Spaziergang mit Sophia hatte dazu geführt, dass ich mich entspannter fühlte als an jedem anderen Tag in den vergangenen Wochen.

  »Kaffee klingt gut.« Ich nickte und folgte ihr. Sie öffnete ihre Tür und schaltete das Licht ein.

  Verwundert blieb ich im Wohnzimmer stehen, während Sophia sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. Die Wohnung war extrem edel eingerichtet, stylishe Möbel, teure Dekoration. Ich erkannte mindestens vier Designklassiker allein in diesem Raum, so als hätte jemand unbedingt zeigen wollen, dass er Geld hatte. Natürlich war das hier ein exklusives Wohnhaus, aber ich war davon ausgegangen, dass Sophia sich trotzdem nichts aus Luxus machte – so, wie sie immer herumlief mit ihren No-Name-Klamotten und dem alten Rucksack, der halb auseinanderfiel.

  »Hier«, sie drückte mir einen Becher in die Hand, der von einer Marke stammte, die Moira auch im Kilmore Grand verwendete. »Hast du was dagegen, wenn ich mir etwas anderes anziehe? Das Kleid ist echt unbequem.«

  »Nein, mach ruhig.«

  Sie ging zu einer Tür, hinter der ich ein komplett ausgestattetes Ankleidezimmer sah. Klamotten, Schuhe, alles in Hülle und Fülle und teuer. Aber als Sophia zurückkam, trug sie eine Yoga-Hose und ein locker fallendes schwarzes Top – und ein Lächeln, das mir sagte, dass sie Pläne gemacht hatte, während sie weg gewesen war.

  »Und, was fangen wir jetzt mit dem Rest der Nacht an?«, fragte sie mich.

  Ich grinste. »Keine Ahnung. Hast du Ideen?«

  Sie kam zu mir, sah mir prüfend in die Augen und ließ ihre Hand in meinen Nacken gleiten. »Jede Menge.« Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste mich, nicht zu forsch, aber trotzdem selbstbewusst – genau, wie ich es mochte. Mein Körper reagierte darauf und ich ließ Sophia gewähren, zu fertig, um zu hinterfragen, ob das eine gute Idee war. Eine Nacht ohne die quälenden Gedanken in meinem Kopf, eine Nacht ohne die nagende Verzweiflung, weil ich Kenzie verloren hatte. Nur eine Nacht.

  Also küsste ich Sophia, obwohl ich es besser wusste, und sie stieg voll darauf ein, obwohl sie es auch besser hätte wissen müssen. Ihre Finger strichen unter dem Pullover über meinen Rücken und ich schauderte, weil sie eiskalt waren.

  »Sorry«, murmelte sie und zog die Hände zurück.

  »Kein Ding«, versicherte ich und küsste sie wieder, versuchte das Denken abzuschalten. Ich hob sie auf ihren Schreibtisch und schob ein Modell zur Seite, als mir auffiel, dass mir der Stil bekannt vorkam. Na, du bist ja echt bei der Sache, Alter. Ich unterbrach den Kuss. »Ist das dein Entwurf?«

  Sophia zog mich wieder zu sich. »Das ist doch jetzt nicht wichtig, oder?«, hauchte sie leise.

  »Doch, ist es.« Ich ließ sie los, ein unangenehmes Ziehen im Bauch. »Das sieht so ähnlich aus wie das Wilson Building in Dallas. Es ist genau derselbe Stil. Hast du etwas mit den Wilsons zu tun?« Das war eine Familie, die in Sachen Immobilien ziemlich auf dem Vormarsch war, nicht nur in Texas oder den USA, sondern mittlerweile auch im Rest der Welt. Allerdings war ihr Stil eher pragmatisch und kosteneffizient, sie setzten auf gerade Formen ohne jede Finesse. Keine junge, ambitionierte Architektin suchte sich so ein Gebäude als Vorbild aus, schon gar nicht, wenn sie angeblich Hightech-Pioniere wie Norman Foster und Renzo Piano vergötterte. »Sophia?«, hakte ich nach.

  Plötzlich machte sie den Eindruck, als hätte ich sie bei etwas Verbotenem erwischt. »Joseph Wilson ist mein Vater«, sagte sie dann. »Ihm gehört das Unternehmen.«

  Langsam lichtete sich der Nebel in meinem Kopf, und mir wurde klar, was hier los war. Ich hatte schon seit Wochen ein komisches Gefühl bei Sophia – so als wäre etwas an ihr nicht echt, nicht stimmig. Und jetzt die ganzen Klamotten, die Wohnung, die Familie, die in einer ähnlichen Branche arbeitete wie meine … das war kein Zufall. Aber war sie einfach nur eine von denen, die sich an jemanden von uns heranmachten, um zu profitieren? Oder war dieses Spiel noch viel perfider – weil ein Mitspieler auf dem Feld war, an den ich bisher nicht gedacht hatte?

  »Bist du zufällig hier eingezogen?«, fragte ich ganz direkt.

  »Lyall –«, fing sie an, aber ich ließ sie nicht ausreden.

  »Bist du oder bist du nicht?«

  »Was spielt das für eine Rolle?« Sie schob sich vom Tisch. »Ich mag dich, du magst mich. Wen interessiert es, welchen Familien wir angehören?«

  »Es spielt eine riesengroße Rolle, wenn meine Großmutter dich hier einschleust, um mich rumzukriegen.« Denn genau danach roch das hier alles.

  »So war das überhaupt nicht!«, wehrte sie sich und verriet sich damit.

  »Wie war es dann?«

  »Wir haben nur … ich habe deine Tante und Großmutter im Oktober bei einem Empfang in Dallas getroffen, wir haben uns unterhalten und dabei kamen wir auf dich. Agatha meinte, du würdest auch hier studieren.«

  »Das soll alles sein? Willst du mich verarschen?« Ich starrte sie wütend an. »Sie haben dich gebrieft, oder? Dir gesagt, welche Architekten ich mag, dir erklärt, dass ich auf bodenständige Mädchen stehe, die normales Zeug anziehen. Wahrscheinlich haben sie dir auch geraten, schwimmen zu gehen, richtig? Gott, wie dämlich ich war!« Vielleicht war sogar dieser Patrick Teil des Plans gewesen. Weil meine Familie wusste, ich würde nicht stillhalten, wenn jemand eine Frau so behandelte. Wieso hatte ich das alles nicht bemerkt? Weil du damit beschäftigt warst, Kenzie zu vermissen.

  Sophia hob die Hände. »Ja, vielleicht haben sie das eine oder andere über dich gesagt, aber das hat nur dazu geführt, dass ich dich interessant fand und –«

  »Lüg mich nicht an, verflucht!«, fuhr ich sie an. »Du wolltest bei uns einen Fuß in die Tür kriegen, damit unsere Familien Geschäfte miteinander machen. Da war es dir doch völlig egal, mit wem du dafür ins Bett gehen musst!«

  Sie sagte nichts mehr, sondern presste die Lippen aufeinander, und ich vermutete, dass sie gleich anfangen würde, zu heulen. Aber ich spürte kein Mitgefühl. Nur Wut.

  »Richte meiner Großmutter aus, dass ihr Plan gescheitert ist«, sagte ich scharf. Meine Intrigen gegen unser Familienoberhaupt durften zwar nicht auffliegen, aber ich ließ mir trotzdem keine Freundin aufdiktieren. »Und wehe, du sprichst mich noch einmal an.«

  Ich warf ihr einen letzten Blick zu, dann verließ ich die Wohnung und schlug die Tür zu. Aber erst, als ich in meinen eigenen vier Wänden war, wurde mir bewusst, was gerade passiert war. Dass meine Familie tatsächlich hinter meinem Rücken jemanden auf mich angesetzt hatte, weil sie genau wussten, dass ich diese Verbandeleien auf irgendwelchen Veranstaltungen hasste. Und weil sie ahnten, dass das mit Kenzie mir ernst gewesen war, auch wenn sie es nicht beweisen konnten. Erst dieser Verfolger und dann so etwas? Was hatte das alles zu bedeuten? Hing es etwa zusammen?

  Mein Handy lag auf dem Schreibtisch. Ich nahm es und wählte eine Nummer.

  »Lye?«, meldete sich Finlay verschlafen. »Verdammt, es ist mitten in der Nacht. Gibt es was Wichtiges?«

  �
�Allerdings.« Ich holte Luft. »Du musst mir bei etwas helfen.«

  10

  Kenzie

  Meine Güte, ist das wunderbar warm hier.

  Das war mein erster Gedanke, als sich die Schiebetüren öffneten und ich das Flughafengebäude verließ. Zwar hatten wir erst Ende März, trotzdem konnte ich die Sweatshirt-Jacke ausziehen, bevor ich meine Sonnenbrille aufsetzte und mich auf die Suche nach meiner Mitfahrgelegenheit machte. 20 Grad zeigte mir das digitale Thermometer am Vordach, es fühlte sich aber wärmer an.

  Man merkte, dass noch keine Saison auf Korfu war, denn es war relativ leer – keine Heerscharen an Touristen, die sonst sicher die Insel bevölkerten. Ich war bisher nie hier gewesen, nur vor vielen Jahren auf dem griechischen Festland mit meiner Familie. Aber ich war sofort überzeugt davon, dass ich es lieben würde. Die Luft war angenehm mild und die Sonne eine Wohltat nach dem langen Winter. Ich schloss die Augen und öffnete sie erst wieder, als mich jemand ansprach.

  »Kenzie, pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk«, strahlte mich Theodora Henderson an und lachte, als sie meine Überraschung bemerkte. »Ich dachte, ich hole dich gleich selbst ab, dann kann ich dir auf dem Weg schon ein bisschen was erzählen.«

  Sie sah aus, als wäre sie im Urlaub: Mit den offenen roten Haaren, ausgeblichenen Jeans, einer weißen Seidenbluse und der riesigen Sonnenbrille eines exklusiven Labels hätte sie direkt auf eine Jacht gehen können, nicht auf eine Baustelle.

  Ich begrüßte sie und wir gingen zum Parkplatz, steuerten aber nicht eins der Cabrios an, die ein Autovermieter reihenweise hier abgestellt hatte, sondern einen Pick-up, auf dessen Türen ein verblasstes Logo zu erkennen war und der auch sonst nicht mehr brandneu wirkte.

  »Kefi Palace?«, las ich den Namen des Hotels auf dem Logo. »Kefi habe ich noch nie gehört. Was bedeutet das?«

  »Dafür gibt es keine genaue Übersetzung, wenn ich das richtig verstanden habe.« Theodora nahm mir meine Tasche ab und schnallte sie auf der Ladefläche fest, dann stiegen wir ein. »Kefi ist ein Wort, das offenbar das griechische Lebensgefühl beschreibt und die Mentalität der Leute hier. Man hat mir gesagt, es kann von Lebensfreude über Glück bis Spaß alles bedeuten. Und da mir das gut gefällt, werde ich den Namen behalten.«

  Das hätte ich wohl auch getan. »Und das Auto behältst du auch?«, fragte ich belustigt, weil man merkte, wie alt das Gefährt war.

  »Der Wagen gehört zum Hotel«, erklärte sie mir, während sie den Gang so ruppig einlegte wie jemand, der sonst nur Automatik fuhr. »Und wie alles, was von dort stammt, ist er … vintage.«

  Das Getriebe gab ein hässliches Geräusch von sich, als sie schaltete, und mein Autoherz schmerzte so sehr, dass ich beinahe gefragt hätte, ob lieber ich fahren sollte. Dann aber bogen wir auf die Straße ab und Theodora schien sich mit dem Wagen zu arrangieren.

  »Ich hoffe, mit den Flugunterlagen hat alles geklappt?« Sie warf mir einen Blick zu.

  »Ja, natürlich. Allerdings hätte es nicht die Business Class sein müssen.« Fast war es mir ein bisschen peinlich gewesen, dass man mich zu meinem Platz geführt und mit Namen angesprochen hatte. Ich kannte nichts anderes als Economy-Class, von dem einen Flug mit einem Privatjet mal abgesehen. Nicht dran denken.

  Theodora nahm eine Hand vom Lenkrad und winkte ab. »Ich habe so viele Meilen, es wäre lächerlich gewesen, sie nicht dafür zu verwenden. Ist es für deine Familie denn in Ordnung, dass du herkommst? Ich erinnere mich, dass sie dich im letzten Sommer sehr vermisst haben.«

  Hatte ich ihr das beim Essen damals im Grand erzählt? Ich wusste es nicht mehr. »Ich habe letztes Jahr gemerkt, dass sie ganz gut ohne mich auskommen, also waren sie einverstanden. Außerdem hat mein Vater eine neue Frau kennengelernt, da ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn ich ein Weilchen weg bin und sie sich aneinander gewöhnen können.«

  »Eine neue Frau? Ist sie die erste seit deiner Mutter?«

  Theodoras direkte Art erinnerte mich an Edina. Ich nickte. »Zumindest die erste, die er uns vorstellen wollte, also ist es wohl ernst.«

  »Und, magst du sie?«

  »Sie ist nett.«

  »Also nein«, sagte Theodora trocken.

  Ich musste lachen. »Doch, sie ist wirklich nett. Es ist einfach komisch für mich, schätze ich.« Vor allem, weil Eleni seit dem Abend bei Susanna vollkommen im Glück war und mich in Zukunft vermutlich nicht mehr so sehr brauchen würde. Woran sollte es sonst liegen, dass ihre Verabschiedung heute Morgen so fröhlich ausgefallen war? Kein Vergleich zum letzten Sommer.

  Theodora nickte. »Das glaube ich. Aber immerhin muss ich dann kein schlechtes Gewissen haben, dass ich dich quasi zwangsrekrutiert habe.«

  »Das haben Sie nicht«, widersprach ich. »Um ehrlich zu sein, war Ihr Anruf eines der besten Dinge, die mir in den letzten sechs Monaten passiert sind.«

  »Gut, dass du das sagst, dann verkraftest du alles andere bestimmt wunderbar. Oh, und sag bitte Du. Wir duzen uns alle bei diesem Projekt.«

  »Okay.« Aber wieso sagte sie verkraften ? Das klang nicht gerade gut. »Gibt es denn Probleme auf der Baustelle?«

  Sie zuckte mit den Schultern. »Probleme gibt es immer. Die Besonderheit bei diesem Hotel liegt wohl eher darin, dass ich nicht auf meine üblichen Ressourcen zurückgreifen kann, um es zu renovieren. Das Kefi Palace ist mein Projekt, meins allein. Wir arbeiten unabhängig von der Henderson Group . Und wir machen den kompletten Innenausbau in Eigenregie.«

  »Wolltest du das so oder hat man dir keine Wahl gelassen?«, fragte ich.

  Theodora lachte auf. »Du stellst wirklich die richtigen Fragen. Gloria sollte dich später als Dozentin einstellen, du wärst der Schrecken aller Studenten.«

  »Bloß nicht«, grinste ich, bohrte aber nicht weiter nach. »Du hast gesagt, du brauchst auch meine handwerklichen Fähigkeiten. Was soll ich tun?«

  »Keine Sorge, du musst nicht körperlich schwer arbeiten. Es geht mehr darum, die Handwerker zu überwachen – das kann nur jemand, der weiß, an welchem Ende man eine Säge anfasst.« Sie hob die Schultern. »Ich habe mit diesen Leuten noch nicht zusammengearbeitet, deswegen ist mein Vertrauen etwas … nennen wir es begrenzt. Und da ich Kontrollfreak nicht an allen Orten gleichzeitig sein kann, brauche ich Augen, Ohren und Köpfe, die dafür sorgen, dass alles nach Plan läuft.«

  »Klingt machbar«, sagte ich. Mit Handwerkern hatte ich schon mein ganzes Leben zu tun. Das würde kein Problem sein, wenn sie immerhin ein bisschen Englisch sprachen.

  »Es bedeutet natürlich nicht, dass du dich nicht als Innendesignerin einbringen sollst. Mein Team besteht zum größten Teil aus Studenten von mir, also werdet ihr Hand in Hand arbeiten. Was sicher kein Problem sein wird, sie sind alle super.«

  Ich war ein bisschen irritiert über ihre Worte. »Du realisierst so ein wichtiges Projekt nicht mit erfahrenen Leuten? Warum?«

  Sie seufzte tief. »Die Familie wollte sich nicht beteiligen. Sie fanden das Ganze nicht lukrativ genug. Im ersten Moment hatte ich es abgeschrieben, aber dann hat mir jemand gesagt, ich könnte es doch auch allein machen und tadaa … da sind wir nun. Allerdings darf ich weder mein gewohntes Team noch eine unserer Bauleitungen engagieren, weil sie bei der Hotelgruppe angestellt sind. Und das Geld sitzt auch nicht gerade locker, weil mein privates Vermögen größtenteils fest angelegt ist. Deswegen diese unkonventionelle Lösung. Das Gute daran ist aber: Wir dürfen machen, was wir wollen.« Sie sah mich so begeistert an, als wäre sie ein Kind, dem man gesagt hatte, dass die Ferien noch vier Wochen länger gingen. Ich lächelte ebenfalls. Diese Frau war einfach ansteckend. Ihre Begeisterung erinnerte mich an Lyall, wenn er über Architektur gesprochen hatte. Er war zwar geradliniger als seine Mutter, aber auch bei ihm hatte ich dieses Feuer gesehen, diese Leidenschaft. Mein Inneres zog sich zusammen, als ich an ihn dachte. Ich war jedoch mittlerweile geübt darin, es mir nicht anmerken zu lassen.

  Wir verließen die Hauptstraße und fuhren auf eine schmalere mit zahlreichen Kurven. Olivenbäume säumten die Straßenränder, und als wir eine steile Wende hinter uns gelassen hatten, tat sich vor mir das Meer auf, azurblau und wunderschön. Ich hatte es schon aus d
em Flugzeug gesehen, aber aus der Nähe wirkte es noch viel paradiesischer. Zusammen mit den weißen Häusern an den Hängen und ihren blassroten Ziegeldächern war es wie auf einer Urlaubspostkarte. Ich atmete aus und spürte, wie ich mich entspannte. Ich hatte recht gehabt – das hier war genau das, was ich jetzt brauchte. Sonne, Meer, Ablenkung durch Arbeit, es war die perfekte Mischung, um endlich wieder ich zu werden.

  Theodoras Hotel lag auf einer Halbinsel im Osten von Korfu, dreißig Minuten vom Flughafen entfernt. Nachdem wir mehrere Ferienhotels passiert hatten, kamen wir an einem staubigen Parkplatz an, der vor allem von Transportern mit den Emblemen verschiedener Handwerksbetriebe bevölkert wurde. Meine neue Chefin parkte den Pick-up direkt neben einem großen Haufen Pflastersteinen und sah mich an.

  »Bereit für das Chaos?«

  »Immer«, grinste ich.

  »Na, dann komm mal mit.«

  Ich nahm meine Sachen und wir betraten das mehrstöckige Hauptgebäude durch einen Seiteneingang. Sofort wurde klar, was Theodora mit Chaos meinte – die Lobby sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall lag Material und Werkzeug herum, dazu hatte man die alten Möbel in den Ecken gestapelt und die Abdeckplanen taugten eher zu abstrakter Kunst als ihrem eigentlichen Zweck. Ich liebte Baustellen, seit ich klein war, aber es war eindeutig, dass auf dieser noch jede Menge zu tun war. Und wer immer hier arbeitete, tat das nicht in der Lobby – denn es war niemand zu sehen.

  »Sie sind sicher in der Anlage.« Theodora lief vor in Richtung hinterer Ausgang, und ich beeilte mich, ihr zu folgen, ohne dabei irgendetwas herunterzuwerfen. Als ich das Minenfeld aus Gipseimern und Paletten hinter mir gelassen hatte, stieg ich eine hübsche Marmortreppe hoch und betrat eine riesige Terrasse, auf der ebenso viel Durcheinander herrschte wie drinnen. Allerdings hatte ich keinen Blick dafür, denn vor mir breitete sich die Bucht aus und mein Atem geriet ins Stocken.

  »Wow«, entfuhr es mir beeindruckt, und ich wusste in diesem Moment, warum Theodora die Anlage gekauft hatte. Die Atmosphäre war einzigartig: Unter uns waren die Dächer einzelner kleinerer Gebäude zu sehen, dann die Poolanlage und schließlich der Strand, der durch Bäume natürlichen Schatten besaß und an kristallklares Meer grenzte. Von den größeren Hotels der Umgebung bekam man hier nichts mit, so zugewachsen waren die Landseiten. Es war, als wäre man durch eine geheime Tür direkt ins Paradies gelangt.

 

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