Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition) Page 11

by Kiefer, Lena


  Ich schüttelte den Kopf.

  »Wieso machst du so was?«, fragte ich. »Wieso setzt du dich immer über den Willen von allen hinweg, nur um das zu bekommen, was für dich am besten ist? Hat Grandma dir das beigebracht? Scheiß auf andere, solange es für dich gut läuft ?«

  Sie funkelte mich an. »Und wieso denkst du immer, du wärst der Klügste im Raum? Vielleicht vertraust du einfach mal jemandem, der dich gut kennt und nur das Beste für dich will!«

  »Klar, für mich. Deswegen bin ich um die halbe Welt geflogen – weil das hier für mich das Beste ist. Hast du dir mal überlegt, dass –«

  Ein Klopfen unterbrach unseren Streit und die Tür ging auf. »Ja?«, machten wir beide gleich gereizt.

  Ausgerechnet Kenzie war es, die hereinkam, einen bemüht neutralen Ausdruck auf dem Gesicht. »Man kann euch draußen hören. Vielleicht verlagert ihr das Gespräch irgendwo anders hin.« Mehr sagte sie nicht.

  »Klasse«, murrte ich in die Richtung meiner Mutter, bevor ich mich wappnete und Kenzie ansah. »Ich wusste nicht, dass du hier bist«, erklärte ich ihr. »Sie hat mir nichts davon gesagt.«

  Kenzie nickte nur, als hätte sie das längst vermutet. »Mir auch nicht. Es wäre nett gewesen, mich vorzuwarnen, Dora.«

  Mum sah zwischen uns hin und her, als dämmerte ihr langsam, dass sie keine Ahnung hatte, was Sache war. Aber statt sich zu entschuldigen, wie es jeder normale Mensch getan hätte, wedelte sie nur mit der Hand.

  »Wenn ich eines in meinem Leben gelernt habe, dann, dass alles für etwas gut ist. Ihr werdet noch herausfinden, dass es stimmt, da bin ich sicher.« Damit nahm sie ihr Tablet vom Tisch und war so schnell verschwunden, dass ich nichts mehr sagen konnte. Kenzie und ich blieben zurück, zwischen uns unangenehmes Schweigen. Ich hoffte, dass sie nicht in meinem Blick lesen konnte, was ihre bloße Anwesenheit mit mir anstellte.

  »Sie hat keine Ahnung, dass du über Ada Bescheid weißt«, versuchte ich mich an einer Erklärung. »Sonst würde sie so was Dämliches sicher nicht machen.«

  »Verstehe.« Kenzie schaute mir zum ersten Mal in die Augen, und ich sah, dass ihr unbeteiligter Ausdruck etwas anderem gewichen war: Wut. Und Verletztheit. Aber obwohl ich genau erkennen konnte, dass sie etwas sagen wollte, schwieg sie. Also nahm ich meine Tasche, die in der Ecke stand.

  »Ich verschwinde besser. Meine Mutter wird jemand anderen finden müssen, der für sie einspringt.« Es war das einzig Anständige. Mum hatte ihren Anspruch auf meine Hilfe mit der Nummer eh verspielt – und um nichts in der Welt wollte ich Kenzie zusätzlichen Kummer bereiten, indem wir uns am selben Ort befanden.

  Aber da verschränkte sie die Arme. »Meinetwegen musst du nicht gehen.«

  Ich hielt inne. »Was?«, fragte ich perplex.

  »Du musst nicht gehen«, wiederholte sie. »Deine Mutter scheint dich hier zu brauchen, und auch wenn diese Nummer daneben war, mag ich sie sehr, also will ich nicht der Grund sein, warum sie sich auf den letzten Drücker eine andere Vertretung suchen muss.« Sie straffte ihre Schultern. »Die Anlage ist groß genug, dass wir uns aus dem Weg gehen können. Und wenn sie zurückkommt, bist du wieder weg, richtig?«

  Ich nickte langsam. War sie echt so cool damit? Ich war es nämlich nicht. Kenzie drei Wochen lang jeden Tag über den Weg zu laufen, würde mich fertigmachen, das wusste ich. Aber dennoch … es war Kenzie. Waren drei Wochen in ihrer Nähe nicht besser als sie nicht zu sehen? Auch wenn wir nie wieder mehr sein würden? Alter, ist das dein Ernst? Stehst du so sehr auf Quälerei, dass du das wirklich willst?

  Scheiße, ja.

  »Okay«, sagte sie. »Dann sollten wir lieber zurück zu den anderen.« Sie ging zur Tür, aber dann blieb sie noch einmal stehen. Ich erkannte die Anspannung in ihrem Körper, während sie versuchte, so zu tun, als wäre das alles kein Ding für sie. Also doch nicht so cool. »Was denkt deine Mutter eigentlich, was zwischen uns passiert ist?«

  »Sie weiß, dass wir kurz zusammen waren. Und glaubt, dass ich es beendet habe, weil die Regeln in Kilmore letzten Sommer mich dazu gezwungen haben.« Ich zog die Schultern hoch. »Wäre sicher klug, dabei zu bleiben. Für uns beide.«

  Kenzie nickte, dann trat sie aus der Tür und war wieder auf dem Weg zum Tisch. Ich gab mir einen Ruck und folgte ihr – versuchte, sie nicht anzustarren. Trotzdem bemerkte ich, wie sie ausatmete und die Spannung aus ihr wich, sobald sie nicht mehr mit mir im selben Raum sein musste. Mein Magen zog sich zusammen. Es tat mir fast körperlich weh, zu sehen, dass ich solche Gefühle in ihr auslöste. Vor allem, wenn ich mich daran erinnerte, wie es einmal für eine kurze Zeit zwischen uns gewesen war. Wie sie mich während dieses Trips in die Highlands angesehen, wie sie nicht genug davon bekommen hatte, von mir berührt zu werden. Es kam mir vor, als wäre das keine zwei Tage her.

  Und gleichzeitig wie aus einem anderen Leben.

  »Lyall?«, rief meine Mutter da von draußen. »Kommst du?«

  »Klar«, murmelte ich, stellte meine Tasche wieder ab und ging hinaus. Als ich mich an den Tisch setzte, direkt gegenüber von Kenzie, wusste ich genau – das hier war ein Fehler. Ein riesiger, gewaltiger Fehler.

  Aber ich wusste auch, ein Teil von mir würde ihn genießen.

  14

  Kenzie

  Meinetwegen musst du nicht gehen.

  Dieser Satz kreiste in meinem Kopf, während ich mit den anderen am Tisch saß und das Moussaka plötzlich nach Pappe schmeckte. Wieso hatte ich das getan? Ich hatte keine Ahnung. Irgendetwas in mir hatte diesen Satz sagen wollen. Ein trotziger Teil von mir hatte den Wunsch gehabt, Lyall zu demonstrieren, dass ich über ihn hinweg war. Dass seine Anwesenheit mich nicht mehr aus der Fassung bringen konnte. Was für ein Schwachsinn.

  Jetzt saß er mir gegenüber, lobte Dionys’ Kochkünste und tat so, als wäre alles in bester Ordnung. Für einen kurzen Moment nahm ich ihm das sogar ab … aber ich hatte ihn vollkommen entspannt erlebt und wusste, jetzt war er es nicht. Seine Finger hielten das Besteck etwas zu fest, er mied meinen Blick mit eiserner Disziplin und sein Lachen, wenn jemand einen Witz machte, klang angestrengt. Ja, ich hatte ihm gesagt, er könne bleiben, aber warum war er nicht trotzdem gegangen? Wegen der Loyalität zu seiner Mutter? Oder gab es noch einen anderen Grund?

  Ganz egal, was ihn dazu gebracht hatte, jetzt musste ich damit leben, dass er hier war. Vielleicht würde es ja wirklich einen Abschluss bedeuten, zumindest nahm ich mir das in diesem Moment fest vor. Wenn Lyall in ein paar Wochen wieder abreiste, würde ich über ihn hinweg sein. Das war das oberste Ziel. Und davon würde ich mich nicht abbringen lassen.

  »Dann wäre alles Wichtige ja erst einmal geklärt«, drang Theodoras Stimme an mein Ohr. Sie waren fertig mit der Besprechung und ich hatte nichts mitbekommen? Verdammt. Ich gab mir Mühe, nicht allzu unbeteiligt auszusehen, und in der nächsten Sekunde fiel Lyalls Blick auf mich. Es dauerte nur einen Augenblick und sein schönes Gesicht verzog keine Miene. Aber mein verräterisches Herz hatte trotzdem ein paar Schläge zugelegt.

  Er ist ein Lügner. Vergiss das nicht.

  Das würde ich sicher nicht.

  »Ich möchte, dass ihr Lyall als Schnittstelle zu mir betrachtet«, sagte Theodora da. »Es bleibt alles wie bei mir auch. Nach wie vor sollt ihr Probleme im Team besprechen, aber er verteilt Ressourcen und behält das letzte Wort, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt. Er hat allerdings ebenso wie ich keine Verwendung für das Wort Feierabend, also dürft ihr Befehle nach Sonnenuntergang ruhig ignorieren.«

  Elliott und Bella lachten, während Lyall schuldbewusst die Hände hob, aber Martha murmelte neben mir: »Der darf mir gerne was nach Sonnenuntergang befehlen.« Dann fiel ihr Blick auf mich. »Sorry, das war nur ein blöder Witz, ich wollte nicht –«

  »Hast du nicht«, sagte ich schnell.

  Theodora war schon beim nächsten Thema. »Außerdem habe ich noch eine Aufgabe für meine glorreichen Vier.« Sie sah uns Studenten an. »Ich möchte, dass ihr mir ein Konzept für eine der Villen erstellt. Stoffe, Möbel, das ganze Programm. Wenn ich wieder da bin, werde ich den besten Entwurf umsetzen.«

  Ein Wettbewerb? Für eine Villa, die am Ende nach dem eigenen Konzept ausge
stattet wurde? Mein Ehrgeiz war sofort geweckt, aber da war ich nicht die Einzige. Elliotts Augen leuchteten und Bella schien längst in Gedanken mögliche Gestaltungsoptionen durchzugehen.

  »Ihr seid frei in der Wahl des Stils, aber natürlich sollte es zu Korfu und der Optik im Hauptgebäude passen. Und bitte, bleibt kollegial. Wer auf die Idee kommt, die anderen zu sabotieren, ist sofort raus.« Sie sah auf die Uhr. »Ich fliege morgen früh, also gehen wir heute Abend noch mal alle Listen durch. Jetzt zeige ich Lyall die Anlage und dann kümmere ich mich um die Lieferung der Strandliegen, die im Zoll steckt. Hat jeder noch zu tun?«

  Martha nickte. »Bella und ich kümmern uns um die Waschtische im Haupthaus, damit du nachher eine Auswahl treffen kannst. Die ursprünglich geplanten Becken verlieren sich durch die Erweiterung der Badezimmer, deswegen brauchen wir ein größeres Modell.«

  »In Ordnung. Aber das kann Bella auch allein machen, dann kannst du dich um die Strandbar kümmern. Wir müssen noch diese Woche wissen, was wir dort an Mobiliar brauchen. Kenzie, wo bist du gerade dran?«

  »Oben im Haupthaus. Ich fürchte, wir haben vielleicht einen Materialfehler bei den Natursteinfliesen, die für die Balkone der Suiten vorgesehen sind.« Ich verzog das Gesicht. »Sie hatten bei der Anlieferung merkwürdige Flecken, aber ich kläre ab, ob sie nur verschmutzt sind.«

  Theodora seufzte. »Okay, dann mach das und sag mir Bescheid. Wir können es uns nicht leisten, dass sie verlegt werden und es dann so aussieht, als hätten wir nicht renoviert. In den Suiten schon gar nicht.«

  Ich nickte.

  Elliott stellte sein Glas ab. »Ich mache mit der Abnahme der Bodenbeläge im dritten Stock weiter. Clea, meinst du, du könntest für mich übersetzen? Die Jungs tun immer so, als würden sie mein Englisch nur zur Hälfte verstehen.«

  Clea hob eine Augenbraue. »Sie tun so? Du redest derartig schnell, da komme ja nicht einmal ich mit.«

  Die beiden kabbelten sich kurz, und als klar war, was jeder zu tun hatte, erhob ich mich und verließ die Terrasse in Richtung Werkstatt. Noch während ich die vielen Stufen hinunterging, um meine Suche nach einem Reinigungsmittel fortzusetzen, spürte ich ein Kribbeln im Nacken, aber ich drehte mich nicht um. Ich würde Lyall ignorieren, solange er hier war. Ich würde professionell arbeiten und mich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Mein Kopf war völlig davon überzeugt, dass das funktionierte. Abstand halten, möglichst wenig Berührungspunkte, ansonsten in die Arbeit stürzen. Kinderspiel.

  Nur dass mein Herz dagegenhielt. Mein dämliches Herz, das immer noch in Aufruhr geriet, wenn Lyall auftauchte. Ich konnte mir unendlich oft sagen, dass dieser Mann nicht eine Sekunde meiner Gedanken verdient hatte und dass er meine Gefühle nie verdient hatte. Es half nichts. Aber zum Glück war ich die Herrin über mein Herz.

  Ich würde es schon überzeugen.

  Die Fliesen für die Balkone waren zum Glück tatsächlich nur verschmutzt und nicht verfärbt, was meine Stimmung deutlich besserte. Ich schaffte es sogar, den Rest des Tages und Abends nicht auf Lyall zu treffen, von der Besprechung mit Theodora abgesehen. Allerdings hielt meine Laune nur bis zum übernächsten Tag. Denn kaum war seine Mutter in Dubai und wir längst wieder an unseren jeweiligen Aufgaben, meldete sich Lyall kurz vor Mittag auf den Funkgeräten und bat alle zum Pool für eine Krisensitzung.

  »Was ist denn los?« Martha traf, die Klamotten von einer dicken Staubschicht überzogen, auf uns, als wir in Richtung Poolbar gingen. Ich war mit Elliott aus dem Stockwerk mit den Suiten gekommen und zupfte meiner Kollegin ein paar Spinnweben aus den Haaren.

  »Keine Ahnung. Aber es klingt nicht so, als hätten wir etwas zu feiern.«

  Clea war schon da, ebenso wie ihr Bruder, der mit Lyall einen Stapel Papiere durchging. Wie gewohnt beschleunigte mein Puls für ein paar Sekunden, als ich ihn sah, bevor er sich wieder beruhigte und ich mir sagen konnte, dass mein Plan funktionierte. Ich stellte mich an die Seite, so weit wie möglich von Lyall entfernt, und betrachtete interessiert die gesprungenen Steinfliesen unter meinen Füßen. Nur zwei Minuten später war auch Bella endlich da.

  »Es gibt schlechte Nachrichten.« Lyall stützte sich auf die alte Poolbar. »Hendersons größter Konkurrent Davidge Resorts baut im Norden der Insel eine neue Ferienanlage und hat uns gestern fast alle Arbeiter vor der Nase weggekauft. Es sind nur noch ein paar wenige übrig, die uns die Treue halten.«

  Mir war schon aufgefallen, dass heute weniger auf der Anlage los war als gewohnt, hatte mir darüber aber keine Gedanken gemacht.

  Martha runzelte die Stirn. »Wie kann das sein? Für so etwas gibt es doch Verträge. Warum können die einfach woanders hingehen?«

  »Ganz einfach«, sagte Clea unglücklich. »Davidge hat sie mit Bonus-Zahlungen geködert, wenn sie zu einem bestimmten Termin fertig werden.«

  »Elendige Verräter«, murrte Elliott.

  »Sag das nicht.« Dionys sah ihn an. »Die Wirtschaft in Griechenland ist wirklich nah am Abgrund und den Handwerkern auf der Insel geht es schon seit Jahren nicht gut. Wenn sie einen gut bezahlten Auftrag bekommen, haben sie wenig Wahlmöglichkeiten.«

  Clea hob die Schultern. »Ich habe mit allen gesprochen, und es tut ihnen wirklich leid, gerade weil sie meinen Vater sehr mögen und uns deswegen nicht enttäuschen wollen. Aber wie Dio sagt, können sie da nicht ablehnen.«

  »Und was, wenn Dora ihnen auch einen Bonus anbietet?«, fragte Bella.

  Lyall schüttelte den Kopf. »Das Budget für dieses Projekt ist beschränkt, da das Vermögen meiner Mutter zu einem großen Teil in der Henderson Group steckt oder angelegt ist. Selbst wenn sie ebenfalls Sonderzahlungen vereinbart, kann Davidge sie einfach überbieten. Das schafft er bei unseren Großprojekten nie, deswegen wird er es hier ausreizen.«

  Elliott sah ratlos aus. »Was werden wir dann tun?«

  »Clea versucht, jemanden auf der Insel oder vom Festland zu bekommen, der einspringen kann«, sagte Lyall. »Außerdem schaut Mum, dass sie Handwerker von ihren sonstigen Projekten herholen kann, aber das ist ebenfalls teuer und wahrscheinlich nicht so kurzfristig möglich, wie wir es uns wünschen. So oder so werden wir hier eine oder zwei Wochen Stillstand haben – und dann können wir es vergessen, rechtzeitig fertig zu werden.«

  Stille breitete sich aus, die mich dazu brachte, etwas vorzuschlagen, das in meinen Augen total auf der Hand lag.

  »Wieso helfen wir den verbliebenen Arbeitern nicht?«, fragte ich.

  »Helfen?« Elliott sah mich irritiert an.

  »Ja, klar. Oder kannst du etwa keinen Boden verlegen oder Räume tapezieren?« Ich sah Lyalls Lächeln aus dem Augenwinkel, aber ich widerstand dem Drang, ihn anzusehen. »Ich kann es. Und ich bin bereit, es zu machen, wenn wir keine andere Alternative haben. Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, ich weiß, aber so können wir vielleicht ein bisschen was auffangen. Dora verlässt sich schließlich auf uns.«

  Martha neben mir machte ihren Rücken gerade. »Ich bin dabei. Ich habe bei der Renovierung des Hauses meiner Tante im letzten Jahr geholfen.«

  »Und ich musste in meinem Praktikum zwei Wochen lang nur Boden verlegen. Fragt nicht, was das für ein Laden war.« Bella schnaubte.

  Lyall lächelte mich erneut an, und diesmal war ich nicht diszipliniert genug, ihm auszuweichen. »Das ist eine echt gute Idee«, sagte er, und ich schluckte, als mich der vertraute Blick aus seinen tiefbraunen Augen traf. Aber dann sah er die anderen an und ich fing mich sofort wieder. Das waren nur Erinnerungen, sonst nichts. Davon würde ich mich sicher nicht beeindrucken lassen.

  »Im Ernst jetzt?« Elliott schaute etwas pikiert drein. »Wir sind Innendesigner, keine Handwerker. Das ist kein Job für uns.«

  »Im Gegenteil – das ist genau unser Job«, widersprach ich. »Was bist du für ein Innendesigner, wenn du nicht einmal selbst Tapete an die Wand kleben kannst?« Herausfordernd sah ich ihn an und registrierte zufrieden, wie seine blasierte Miene einem Funkeln wich, das mir sagte, ich hatte ihn bei den Eiern … und seiner Ehre.

  »Natürlich kann ich das«, antwortete er. »Niemand tapeziert so exakte Bahnen wie ich. Meine Eltern sind früher einmal im Jahr umgezogen, und glaub
mir, sie stehen auf Mustertapeten.«

  »Sehr schön«, sagte Lyall. »Dann fang doch gleich in den Zimmern 100 bis 125 damit an. Hier ist der Plan, den Rest können dir die Experten erklären. Das Material ist schon oben auf den Fluren verteilt und Clea übersetzt bestimmt für dich, wenn die Handwerker dich korrigieren wollen. Viel Spaß.«

  Elliott wirkte überrumpelt, aber er nahm die Skizze entgegen und studierte sie, während er zum hinteren Eingang des Haupthauses lief. Auch Bella und Martha bekamen ein paar Zimmer zugewiesen, und Dionys ging mit ihnen, um sicherzugehen, dass sie alles verstanden, wenn sie instruiert wurden. Lyall und ich blieben zurück.

  »Danke, dass du sie überzeugt hast«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob sie die Idee so gut angenommen hätten, wenn sie von mir gekommen wäre.«

  Ich runzelte die Stirn. Konnte er bitte damit aufhören, mich so anzusehen, als wäre alles in Ordnung? Als hätte er das zwischen uns nicht auf einen Schlag zerstört? Und als gäbe es nur diese Seite – die freundliche, warmherzige Version von ihm? Eine fast schon vertraute Wut fraß sich in mein Inneres, infizierte mich, und die Worte kamen einfach aus meinem Mund.

  »Natürlich hätten sie die Idee auch von dir angenommen«, sagte ich kühl. »Du bist schließlich gut darin, Leute darüber zu täuschen, wie du wirklich bist.«

  Die Worte trafen ihr Ziel: Lyalls Miene verschloss sich, seine Züge wurden hart sich und er wich meinem Blick aus, als er mir ebenfalls eine der Skizzen in die Hand drückte.

  »Zimmer 205–230«, sagte er dann. »Sag Bescheid, wenn etwas fehlt.«

  »Sicher.«

  Damit ließ ich ihn stehen und machte mich so schnell wie möglich auf den Weg in den zweiten Stock.

  15

  Lyall

  Tapezieren war eine seltsam befriedigende Angelegenheit. Die Bahnen auszubreiten, mit Kleister zu bepinseln, sie zusammenzufalten und schließlich auf die Leiter zu steigen, um sie an die Wand zu bringen – das war ein beruhigender, gleichförmiger Rhythmus. Gerade dann, wenn es spät war, man gute Musik auf den Ohren und seine Ruhe hatte.

 

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