Gold - Pirate Latitudes

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Gold - Pirate Latitudes Page 14

by Michael Crichton


  Sanson sah ihn forschend an. Hunter deutete nach hinten auf Lazue, die immer noch stocksteif auf der Erde lag. Sanson begriff prompt. Sie warteten, bis die spanischen Soldaten vorbei waren und weiter den Hang hochstiegen. Dann eilten sie zu Lazue zurück.

  »Wo ist sie jetzt?«, fragte Hunter.

  »Knie«, sagte sie leise.

  »Kriecht sie weiter?«

  »Ja.«

  Don Diego meldete sich zu Wort. »Hohe Bäume«, sagte er und sah sich um. »Wir müssen hohe Bäume finden. Da!« Er stieß den Mauren an. »Komm mit.«

  Die beiden Männer schlichen durchs Gebüsch davon zu einigen Majagua-Bäumen, die ein Stück entfernt standen. Hunter blickte Lazue an und dann nach oben zu den spanischen Soldaten. Die waren deutlich zu sehen, hundert Yards weiter den Hang hoch. Falls einer von ihnen auf die Idee käme, zurückzuschauen, würde er die Gruppe unweigerlich sehen.

  »Die Paarungszeit ist eigentlich schon vorbei«, sagte Sanson und betrachtete Lazue finster. »Aber vielleicht haben wir ja noch mal Glück und wir finden einen jungen Vogel.« Er drehte sich zu dem Mauren um, der gerade einen der Bäume hochkletterte, während Diego von unten zusah.

  »Wo ist sie jetzt?«, fragte Hunter.

  »Am Knie vorbei.«

  »Versuch, ganz ruhig zu bleiben.«

  Sie verdrehte die Augen. »Zur Hölle mit dir und deinem Beutezug«, sagte sie leise. »Zur Hölle mit euch allen.«

  Hunter beobachtete das Hosenbein. Er konnte so eben sehen, wie sich der Stoff leichte bewegte, während die Schlange weiter das Bein hinaufkroch.

  »Barmherzige Mutter Gottes«, murmelte Lazue. Sie schloss die Augen.

  Sanson flüsterte Hunter zu: »Wenn sie keinen jungen Vogel finden, müssen wir sie auf die Beine stellen und durchschütteln.«

  »Dann beißt die Schlange zu.«

  Sie wussten beide, was das für Folgen haben würde.

  Die Freibeuter waren abgebrüht und zäh. Den giftigen Stich eines Skorpions, den Biss einer Schwarzen Witwe oder einer Wassermokassinschlange betrachteten sie lediglich als Unannehmlichkeit. Ja, unter ihnen galt es sogar als lustiger Streich, einem Gefährten einen Skorpion in den Stiefel fallen zu lassen. Doch zwei giftige Geschöpfe flößten allen Respekt und Furcht ein. Mit der Lanzenschlange war schon nicht zu spaßen, aber die kleine Korallenschlange war das Schlimmste überhaupt. Ihren zaghaften Biss überlebte niemand. Hunter konnte sich Lazues Grauen vorstellen, während sie ständig mit dem winzigen Zwicken rechnete, das den tödlichen Biss ins Bein bedeuten würde. Sie wussten alle, was dann unausweichlich geschehen würde: zuerst starkes Schwitzen, dann Zittern, dann eine schleichende Taubheit, die sich über den ganzen Körper ausbreitete. Der Tod würde noch vor Sonnenuntergang eintreten.

  »Wo jetzt?«

  »Hoch, sehr hoch.« Ihre Stimme war so leise, dass er ihre Worte kaum verstand.

  Er blickte auf ihre Hose und sah, wie sich der Stoff im Schritt leicht wellte.

  »Oh Gott«, stöhnte Lazue.

  Und dann hörte er ein leises Piepsen, fast ein Zwitschern. Er drehte sich um und sah Diego und den Mauren zurückkommen. Der Maure hielt etwas in den hohlen Händen. Hunter sah, dass es ein winziges Vögelchen war. Es fiepste und sein flaumiger weicher Körper zitterte.

  »Schnell, eine Schnur«, sagte der Jude. Hunter holte ein Stück Zwirn hervor und band es dem Vögelchen um die Beine. Dann wurde das Vögelchen unten neben der Öffnung von Lazues Hosenbein am Boden festgebunden, wo es sich piepsend gegen seine Fesseln wehrte.

  Sie warteten.

  »Spürst du was?«, fragte Hunter.

  »Nein.«

  Sie betrachteten den jungen Vogel. Das kleine Geschöpf, das mitleiderregend flatterte, war schon am Ende seiner Kräfte.

  Hunter sah wieder Lazue an.

  »Nichts«, sagte sie. Und dann weiteten sich plötzlich ihre Augen.

  »Rollt sich zusammen …«

  Sie sahen auf ihre Hose und bemerkten eine Bewegung. Unter dem Stoff malte sich eine gekrümmte Linie ab, die sich dann wieder verlor.

  »Sie kriecht nach unten«, sagte Lazue.

  Sie warteten. Plötzlich wurde das Vögelchen ganz aufgeregt und piepste noch lauter als zuvor. Es hatte die Korallenschlange gewittert.

  Der Jude nahm seine Pistole, schüttelte Kugel und Pulver heraus und umfasste den Lauf, den Knauf nach oben.

  Sie warteten. Sie konnten sehen, wie die Schlange am Knie vorbeikroch, dann an der Wade entlang, ganz langsam. Es dauerte eine Ewigkeit.

  Und dann tauchte plötzlich der Kopf im Licht auf und die Zunge schnellte hervor. Das Vögelchen fiepste vor blankem Entsetzen. Die Korallenschlange kroch ein Stück weiter heraus, und dann war Don Diego zur Stelle und schlug den Kopf des Tieres mit dem Pistolengriff in den Boden, während Lazue im selben Augenblick aufsprang und mit einem Aufschrei zurückwich.

  Don Diego schlug mehrmals auf die Schlange ein, bis ihr Körper regelrecht in die weiche Erde eingegraben war. Lazue wandte sich ab und erbrach sich heftig. Doch Hunter achtete nicht darauf. Auf ihren Schrei hin hatte er sich blitzschnell umgedreht und den Hang hinaufgeblickt, zu den spanischen Soldaten.

  Sanson und der Maure hatten das Gleiche getan.

  »Haben sie was gehört?«, fragte Hunter.

  »Wir können das Risiko nicht eingehen«, sagte Sanson. Es trat langes Schweigen ein, das nur von Lazues Würgen unterbrochen wurde. »Ihr habt doch die Vorräte und die Schlafdecken gesehen, die sie dabeihatten.«

  Hunter nickte. Was das bedeutete, lag auf der Hand. Cazalla hatte sie als Beobachtungsposten auf den Berg geschickt, um nach Piraten an Land Ausschau zu halten und überdies den Horizont nach der Cassandra abzusuchen. Mit einem einzigen Musketenschuss würden sie die Festung im Hafen alarmieren. Und von ihrem Aussichtspunkt aus würden sie die Cassandra in meilenweiter Entfernung sehen.

  »Ich erledige das«, sagte Sanson mit einem leisen Lächeln.

  »Nehmt den Mauren mit«, sagte Hunter.

  Die beiden Männer verschwanden, folgten den spanischen Soldaten den Hang hinauf. Hunter wandte sich wieder zu Lazue um, die kalkweiß im Gesicht war und sich den Mund abwischte.

  »Von mir aus können wir aufbrechen«, sagte sie.

  Hunter, Don Diego und Lazue schulterten die Ausrüstung und gingen weiter den Hügel hinab.

  Schon bald folgten sie dem Fluss, der Richtung Hafen floss. Zunächst war er kaum mehr als ein Rinnsal, das sich mühelos mit einem Schritt überqueren ließ. Aber der Wasserlauf verbreiterte sich rasch und der grüne Dschungel an seinen Ufern wurde dichter und tiefer.

  Die erste richtige Patrouille sahen sie am späten Nachmittag – acht Spanier, alle bewaffnet, die lautlos in einem Boot den Fluss hinaufruderten. Es waren ernste und grimmige Männer, kampfbereite Krieger. Als es dunkel wurde, nahmen die hohen Bäume am Flussufer eine blaugrüne Färbung an und die Wasseroberfläche wurde schwarz und spiegelglatt, nur dann und wann von kleinen Wellen gekräuselt, wenn ein Krokodil ins Wasser glitt. Aber die Patrouillen waren jetzt allgegenwärtig, kündigten sich in regelmäßigen Abständen mit Fackelschein an. Drei weitere Boote brachten Soldaten flussaufwärts, und ihre Fackeln warfen schimmernde Lichtpunkte aufs Wasser.

  »Cazalla ist kein Dummkopf«, sagte Sanson. »Wir werden erwartet.«

  Sie waren jetzt nur noch wenige Hundert Yards von der Festung entfernt. Die Steinmauern von Matanceros ragten hoch über ihnen auf. Es herrschte reges Treiben, innerhalb und außerhalb der Mauern, vor denen bewaffnete Trupps von je zwanzig Soldaten auf und ab schritten.

  »Ob wir erwartet werden oder nicht«, sagte Hunter, »wir müssen uns an unseren Plan halten. Heute Nacht greifen wir an.«

  KAPITEL 23

  Enders, der Bader und Meereskünstler, stand am Ruder der Cassandra und beobachtete, wie die sanften Brecher silbern aufschäumten, wenn sie gut hundert Yards backbord über das Riff von Barton’s Cay brandeten. Weit vor ihm am Horizont erhob sich Matanceros bedrohlich wie ein schwarzer Klotz.

  Ein Mann trat hinter ihn. »Das Glas wurde gewendet«, sagte er.

  Enders nickte. Fünfzehn Glasen waren seit Einbruch der Dunkelh
eit vergangen, also war es jetzt kurz vor zwei Uhr morgens. Der Wind aus östlicher Richtung blies frisch mit zehn Knoten, und das Schiff machte gute Fahrt, sodass es die Insel in einer Stunde erreichen würde.

  Er kniff die Augen zusammen und betrachtete die Umrisse von Mount Leres. Den Hafen von Matanceros konnte Enders noch nicht sehen. Erst wenn er um die Südspitze der Insel herum war, würde die Festung in Sicht kommen und hoffentlich auch die Galeone, vorausgesetzt, sie lag noch im Hafen verankert.

  Allerdings war er dann auch in Reichweite der Kanonen von Matanceros, es sei denn, Hunter und sein Trupp hatten sie unschädlich gemacht.

  Enders blickte zu der Besatzung hinüber, die auf dem offenen Deck der Cassandra stand. Keiner sprach ein Wort. Alle schauten schweigend zu, wie die Insel vor ihnen größer wurde. Sie wussten, was auf dem Spiel stand, und sie kannten die Risiken: Binnen einer Stunde würde jeder von ihnen entweder unvorstellbar reich sein oder – und das war weit wahrscheinlicher – tot.

  Zum hundertsten Mal in dieser Nacht fragte Enders sich, was wohl aus Hunter und den anderen geworden war und wo sie sich befanden.

  Im Schatten der Mauern von Matanceros biss Sanson auf die Golddublone und gab sie Lazue. Lazue biss darauf, reichte sie dann an den Mauren weiter. Hunter beobachtete das lautlose Ritual, von dem sich alle Freibeuter vor einem Raubzug Glück versprachen. Als er schließlich selbst an der Reihe war und auf die Dublone biss, spürte er, wie weich das Metall war. Dann warf er die Münze vor den Augen der anderen über seine rechte Schulter.

  Ohne ein Wort strebten die fünf in verschiedene Richtungen.

  Hunter und Don Diego schlichen mit Seilen und Enterhaken ausgestattet in nördlicher Richtung an der Festung entlang. Sie mussten sich immer wieder verstecken, um patrouillierende Wachen passieren zu lassen. Hunter blickte an der hohen Steinmauer von Matanceros hoch. Im oberen Bereich war sie besonders glatt gemauert und mit einem abgerundeten Rand ausgestattet worden, um den Einsatz von Enterhaken zu erschweren. Aber das Maurergeschick der Spanier war gegen diese Sonderanfertigung machtlos. Hunter war sicher, dass seine Haken Halt finden würden.

  An der nördlichen Festungsmauer, die am weitesten vom Meer entfernt lag, verharrten sie. Nach zehn Minuten kam eine Patrouille vorbei, deren Rüstungen und Waffen in der stillen Nachtluft klirrten. Sie warteten, bis die Soldaten außer Sicht waren.

  Dann nahm Hunter Anlauf und schleuderte den Enterhaken über die Mauer. Er hörte ein schwaches metallisches Klirren, als das Eisen auf der Innenseite landete. Er zog an dem Seil, und das Eisen kam zurück und landete polternd neben ihm auf der Erde. Er fluchte und wartete lauschend.

  Es war kein Laut zu vernehmen, nichts, was darauf hindeutete, dass irgendwer ihn gehört hatte. Er warf den Haken erneut, sah zu, wie er hoch über die Mauer segelte. Wieder zog er am Seil. Und musste zur Seite springen, als das Eisen herunterfiel.

  Er warf ein drittes Mal, und diesmal packte der Haken – doch fast im selben Augenblick hörte er wieder Metall klirren. Rasch kletterte Hunter hechelnd und keuchend die Mauer hoch, angetrieben durch die Geräusche nahender Soldaten. Er erreichte die Brüstung, warf sich hinüber und zog das Seil hoch. Don Diego hatte sich im Gebüsch versteckt.

  Die Wache marschierte unter ihm vorbei.

  Hunter warf das Seil hinunter, und Don Diego kam heraufgeklettert, auf Spanisch knurrend und fluchend. Don Diego war nicht stark, und er schien endlos lange zu brauchen. Doch schließlich tauchte er oben auf, und Hunter half ihm in Sicherheit. Er zog das Seil hoch. Die beiden Männer duckten sich gegen den kalten Stein und sahen sich um.

  Matanceros lag still in der Dunkelheit. In den aufgereihten Zelten schlummerten Hunderte von Männern. Es war ein seltsamer Kitzel, einer so großen feindlichen Überzahl so nahe zu sein.

  »Wachen?«, flüsterte der Jude.

  »Ich sehe keine«, sagte Hunter, »bis auf die da hinten.« Auf der anderen Seite der Festung standen zwei Gestalten bei den Kanonen. Aber sie blickten aufs Meer, sollten von ihrem Posten aus den Horizont nach nahenden Schiffen absuchen.

  Don Diego nickte. »Die Pulverkammer wird bewacht sein.«

  »Vermutlich.«

  Die beiden Männer waren fast unmittelbar über dem Holzgebäude, in dem Lazue die Pulverkammer vermutete. Von ihrer geduckten Position aus war die Tür zu dem Gebäude nicht zu sehen.

  »Da müssen wir als Erstes hin«, sagte der Jude.

  Sie hatten keinen Sprengstoff mitgenommen, nur Zündschnüre. Den Sprengstoff wollten sie sich aus der Pulverkammer der Festung holen.

  Lautlos schlich Hunter im Dunkeln nach unten, gefolgt von Don Diego, der heftig blinzelte, um in dem schwachen Licht sehen zu können. Sie näherten sich der Pulverkammer.

  Es stand keine Wache am Eingang.

  »Vielleicht drinnen?«, flüsterte der Jude.

  Hunter zuckte die Achseln, huschte zu der Tür, lauschte, streifte seine Stiefel ab und schob behutsam die Tür auf. Mit einem Blick nach hinten vergewisserte er sich, dass auch Don Diego seine Stiefel auszog. Dann schlüpfte Hunter hinein.

  Wände, Decke und Boden der Pulverkammer waren mit Kupferplatten ausgekleidet, und die wenigen sorgfältig geschützten Kerzen tauchten den Raum in ein warmes rötliches Licht, sodass er seltsam behaglich wirkte, trotz der aufgereihten Schießpulverfässer und gestapelten Säcke mit Kanonenladung, die sämtlich in angemessenem Rot beschriftet waren. Hunter bewegte sich lautlos über den Kupferboden. Er sah niemanden, hörte aber irgendwo das Schnarchen eines Mannes.

  Er suchte zwischen den Fässern nach dem Mann und wurde schließlich fündig: Ein Soldat schlief gegen ein Pulverfass gelehnt. Hunter verpasste dem Mann einen harten Schlag auf den Kopf. Der Soldat stieß ein Grunzen aus und blieb dann reglos liegen.

  Der Jude kam herein, ließ den Blick durch den Raum schweifen und sagte: »Ausgezeichnet.« Dann machten sie sich augenblicklich an die Arbeit.

  Anders als in der still schlafenden Festung tobte in der schäbigen Barackensiedlung, in der die Besatzung der Galeone untergebracht war, lautes und lärmendes Leben. Sanson, der Maure und Lazue schlichen an Fenstern vorbei, hinter denen Soldaten bei gelbem Laternenlicht tranken und Karten spielten. Ein betrunkener Soldat kam herausgestolpert, stieß mit Sanson zusammen, lallte entschuldigend und erbrach sich gegen eine Holzwand. Die drei eilten weiter, auf die Anlegestelle am Flussufer zu.

  Tagsüber war die Anlegestelle nicht bewacht gewesen, jetzt jedoch saßen ganz am Ende des Stegs drei Soldaten. Sie ließen die Füße ins Wasser baumeln, während sie sich leise unterhielten und tranken, und das Murmeln ihrer Stimmen verschmolz mit dem Plätschern des Wassers gegen die Stützpfähle. Sie hatten den Freibeutern den Rücken zugewandt, aber die Holzbretter des Stegs machten ein lautloses Anschleichen unmöglich.

  »Lasst mich das machen«, sagte Lazue und zog ihr Hemd aus. Nackt bis zur Taille, den Dolch auf dem Rücken versteckt, ging sie auf den Steg hinaus und pfiff dabei eine fröhliche Melodie.

  Einer der Soldaten drehte sich um. »¿Qué pasa?«, fragte er und hielt eine Laterne hoch. Seine Augen weiteten sich vor Verblüffung, als er sah, was ihm wie eine Erscheinung vorgekommen sein musste – eine barbusige Frau, die ungeniert auf ihn zukam. »Madre de Dios«, sagte er, und die Frau lächelte ihn an. Er erwiderte das Lächeln genau in dem Augenblick, als der Dolch ihm zwischen die Rippen ins Herz drang.

  Die anderen Soldaten starrten die Frau mit dem blutigen Dolch an. Sie waren dermaßen überrascht, dass sie sich kaum wehrten, ehe Lazue sie erstach und ihr Blut auf Lazues nackte Brust spritzte.

  Sanson und der Maure kamen angelaufen und stiegen über die Leichen der drei Männer. Lazue zog ihr Hemd wieder an. Sanson kletterte in ein Boot und ruderte unverzüglich los, auf das Heck der Galeone zu. Der Maure kappte die Leinen der anderen Boote und stieß sie hinaus in den Hafen, wo sie frei herumtrieben. Dann stieg der Maure mit Lazue in das letzte Boot und hielt auf den Bug der Galeone zu. Niemand sprach ein Wort.

  Lazue zog ihr Hemd enger um sich. Das Blut der Soldaten tränkte den Stoff und sie fröstelte. Sie stand aufrecht im Boot, die Augen auf die näher kommende Galeone gerichtet, während de
r Maure mit raschen, kräftigen Schlägen ruderte.

  Die Galeone war groß, gut einhundertvierzig Fuß lang, und sie lag fast gänzlich im Dunkeln. Nur eine Handvoll Fackeln beleuchtete ihre Umrisse. Lazue blickte nach rechts, wo sie Sanson von ihnen weg auf den Bug zurudern sah. Sansons Silhouette hob sich gegen die Lichter der lautstarken Barackensiedlung am Ufer ab. Sie wandte den Blick nach links, auf die graue Linie der Festungsmauern, und sie fragte sich, ob Hunter und der Jude bereits drin waren.

  Hunter sah zu, wie Don Diego die Opossumdärme vorsichtig mit Schießpulver füllte. Es schien endlos lange zu dauern, doch der Jude ließ sich bewusst Zeit. Er hockte in der Mitte der Kammer, neben sich ein offenes Pulverfass, und summte leise vor sich hin, während er arbeitete.

  »Wie lange noch?«, fragte Hunter.

  »Nicht mehr lange, nicht mehr lange«, erwiderte der Jude. Er wirkte völlig gelassen. »Das wird hübsch werden«, sagte er. »Wartet’s nur ab. Es wird wunderschön werden.«

  Sobald er die Därme gefüllt hatte, zerschnitt er sie in unterschiedlich lange Stücke und steckte sie in eine Tasche.

  »Fertig«, sagte er. »Es kann losgehen.«

  Einen Augenblick später verließen die beiden Männer die Kammer, gebeugt von der Last der Pulverladungen, die sie trugen. Sie überquerten lautlos den Haupthof der Festung und verharrten unterhalb der breiten Brustwehr, auf der die Kanonen standen. Die beiden Beobachtungsposten waren noch da.

  Während der Jude mit dem Schießpulver wartete, kletterte Hunter zur Brustwehr hinauf und tötete die Wachen. Einer starb völlig lautlos, der andere gab nur ein leises Stöhnen von sich, als er zu Boden glitt.

  »Diego!«, zischte Hunter.

  Der Jude erschien auf der Brustwehr, sah sich die Kanonen an und begann, mit einem Ladestock in einem Rohr herumzustochern.

  »Wie erfreulich«, flüsterte er. »Sie sind bereits scharf gemacht, es ist schon Pulver drin. Wir werden für eine besondere Überraschung sorgen. Kommt, helft mir.«

  Der Jude schob einen zweiten Beutel Pulver in die Mündung einer Kanone. »Jetzt die Kugel«, sagte er.

 

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