Gold - Pirate Latitudes

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Gold - Pirate Latitudes Page 21

by Michael Crichton


  »Bis dahin hat das andere Schiff seine Position verändert.«

  »Ja«, sagte Hunter. »Es wird näher gekommen sein, etwas näher an meinen Zielpunkt. Die Treffer fallen dann zwar verstreuter aus, müssten aber immer noch recht dicht beieinanderliegen. Seht Ihr?«

  »Und nach der zweiten Salve?«

  Hunter seufzte. »Ich bezweifle, dass wir mehr als zwei Chancen bekommen werden. Wenn ich das Kriegsschiff nicht mit zwei Salven versenkt oder außer Gefecht gesetzt habe, werden wir den Kampf mit Sicherheit verlieren.«

  »Tja«, sagte der Jude schließlich, »es ist besser als nichts.« Sein Tonfall klang nicht optimistisch. In einer Seeschlacht fiel die Entscheidung für gewöhnlich erst nach fünfzig Breitseiten oder mehr. Zwei gleich starke Schiffe mit disziplinierten Besatzungen kämpften mitunter gut einen Tag lang, wobei sie über hundert Breitseiten aufeinander abschossen. Zwei Salven wirkten dagegen belanglos.

  »Richtig«, sagte Hunter, »es sei denn, wir treffen das Heckkastell oder den Pulverraum.«

  Das waren die einzigen wirklich verwundbaren Punkte eines Kriegsschiffs. Im Heckkastell befanden sich sämtliche Schiffsoffiziere, der Steuermann und das Ruder. Würde es schwer getroffen, wäre das Schiff ohne Führung. Ein Treffer im Pulverraum am Bug würde das Kriegsschiff in die Luft jagen.

  Keines der Ziele war leicht zu treffen. Eine auf Bug oder Heck ausgerichtete Salve erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass alle Kugeln verfehlten.

  »Das Problem ist unsere Treffsicherheit«, sagte der Jude. »Ihr wollt die Kanonen mithilfe von Schießübungen ausrichten, hier in der Bucht?«

  Hunter nickte.

  »Aber wie wollt Ihr draußen auf See zielen?«

  »Genau dafür habe ich Euch kommen lassen. Ich brauche ein Instrument zum Anvisieren, um das Schiff auf den Feind auszurichten. Das ist eine Frage der Geometrie, und ich habe alles auf dem Gebiet vergessen.«

  Mit seiner fast fingerlosen linken Hand kratzte der Jude sich die Nase. »Lasst mich nachdenken«, sagte er und verließ die Kajüte.

  Enders, der unerschütterliche Meereskünstler, verlor, was selten bei ihm vorkam, die Fassung. »Ihr wollt was?«, sagte er.

  »Ich will alle zweiunddreißig Kanonen auf der Backbordseite aufstellen«, wiederholte Hunter.

  »Die Galeone wird Schlagseite kriegen wie eine trächtige Sau«, sagte Enders. Schon allein der Gedanke schien sein Gefühl für Anstand und gute Seemannskunst zu beleidigen.

  »Sie wird ganz sicher plump und ungelenk«, sagte Hunter. »Könnt Ihr sie trotzdem noch segeln?«

  »Mehr schlecht als recht«, sagte Enders. »Ich könnte den Sarg des Papstes mit der Serviette von Mylady segeln. Mehr schlecht als recht«, seufzte er. »Natürlich«, fügte er hinzu, »versetzt Ihr die Kanonen erst, wenn wir auf offenem Wasser sind.«

  »Nein«, sagte Hunter. »Ich versetze sie hier, in der Bucht.«

  Enders seufzte erneut. »Ihr wollt mit Eurer trächtigen Sau durch das Riff?«

  »Ja.«

  »Das heißt, die Ladung muss an Deck«, sagte Enders, der ins Leere blickte. »Wir schaffen die Kisten nach oben und zurren sie an der Steuerbordreling fest. Das wird eine kleine Hilfe sein, aber dann sind wir kopflastig und noch dazu aus dem Trimm. Sie wird wie ein Korken auf den Wellen hüpfen. Wir nehmen dem Teufel die Arbeit ab, um diese Kanonen abzufeuern.«

  »Ich frage Euch nur, ob Ihr die Galeone segeln könnt.«

  Langes Schweigen trat ein. »Ich kann sie segeln«, sagte Enders schließlich. »Ich kann sie so anständig segeln, wie Ihr das wünscht. Aber ich rate Euch, sie wieder in Trimm zu bringen, bevor der Sturm kommt. Bei schlechtem Wetter wird sie keine zehn Minuten durchhalten.«

  »Das weiß ich«, sagte Hunter.

  Die beiden Männer sahen einander an. Plötzlich hörten sie ein hallendes Rumpeln über ihren Köpfen. Die erste Steuerbordkanone wurde auf die Backbordseite geschafft.

  »Unsere Chancen stehen schlecht«, sagte Enders.

  »Besser schlechte Chancen als gar keine«, erwiderte Hunter.

  Das Schießen begann am frühen Nachmittag. Ein Stück weißes Segeltuch war in fünfhundert Yards Entfernung an Land aufgespannt worden, und die Kanonen wurden einzeln abgefeuert, bis sie das Ziel trafen. Die Positionen wurden mit einem Messer auf den Planken eingeritzt. Es war ein langer, schwieriger und mühevoller Vorgang, und als es zu dunkel wurde, ersetzten sie das weiße Segeltuch durch ein kleines Feuer. Doch gegen Mitternacht waren alle zweiunddreißig Kanonen exakt ausgerichtet, geladen und ausgefahren. Die Ladung war an Deck geschafft und an der Steuerbordreling festgezurrt worden, was die Neigung nach backbord teilweise ausglich. Enders erklärte sich zufrieden mit der Trimmlage des Schiffs, zog aber dennoch ein unglückliches Gesicht.

  Hunter befahl allen Männern, sich für ein paar Stunden aufs Ohr zu legen, und erklärte, dass sie mit der Flut am Morgen auslaufen würden. Kurz bevor er selbst in den Schlaf sank, fragte er sich, was Bosquet sich wohl für einen Reim auf das bis tief in die Nacht anhaltende Kanonenfeuer in der Bucht gemacht hatte. Würde er sich denken können, was es mit den Schüssen auf sich hatte? Und wenn ja, was würde er tun?

  Hunter grübelte nicht weiter über die Frage nach. Die Antwort würde er noch früh genug erfahren, dachte er, und schloss die Augen.

  KAPITEL 30

  Im Morgengrauen war er an Deck, schritt auf und ab und überwachte die Vorbereitungen seiner Besatzung auf die Schlacht. Leinen und Streben wurden verdoppelt, damit das Schiff, wenn einige von Kugeln zerfetzt wurden, manövrierfähig blieb. Schlafmatten und Decken wurden mit Wasser getränkt und zum Schutz gegen umherfliegende Splitter an Relings und Schotten festgebunden. Das gesamte Deck wurde wiederholt mit Wasser begossen, um das trockene Holz zu durchfeuchten, damit es nicht so schnell Feuer fing.

  Inmitten des ganzen Getriebes kam Enders herüber. »Meldung vom Ausguck, Captain. Das Kriegsschiff ist verschwunden.«

  Hunter war verblüfft. »Verschwunden?«

  »Aye, Captain. Irgendwann in der Nacht.«

  »Überhaupt nicht mehr in Sicht?«

  »Aye, Captain.«

  »Er kann nicht aufgegeben haben«, sagte Hunter. Er dachte über die Möglichkeiten nach. Vielleicht war Bosquet nördlich oder südlich von der Insel in Lauerstellung gegangen. Vielleicht verfolgte er irgendeinen anderen Plan oder vielleicht hatte der Beschuss mit dem Falkonett ja doch mehr Schaden angerichtet, als die Freibeuter vermuteten. »Also schön, weitermachen«, sagte Hunter.

  Das Verschwinden des Kriegsschiffes hatte für ihn zunächst einmal erfreuliche Auswirkungen. So würde er mit seinem schwerfällig gewordenen Schiff die Monkey Bay zumindest ungestört verlassen können.

  Die Durchfahrt durch die enge Passage hatte ihm Sorgen bereitet.

  Er sah, dass Sanson auf der ein Stück entfernt liegenden Cassandra die Vorbereitungen zur Abfahrt leitete. Die Schaluppe lag heute tiefer im Wasser. Im Laufe der Nacht hatte Hunter die Hälfte des Schatzes aus seinem Frachtraum in den Bauch der Cassandra schaffen lassen. Es war durchaus damit zu rechnen, dass wenigstens eines der beiden Schiffe versenkt wurde, und er wollte zumindest einen Teil des Schatzes retten.

  Sanson winkte ihm zu. Hunter winkte zurück und dachte, dass er Sanson an diesem Morgen nicht beneidete. Ihren Plänen nach würde das kleinere Schiff im Falle eines Angriffs Kurs auf den nächsten sicheren Hafen nehmen, während Hunter den Kampf mit dem spanischen Kriegsschiff aufnahm. Das war nicht ohne Risiko für Sanson, der Mühe haben könnte, unbehelligt zu entkommen. Falls die Spanier nämlich beschlossen, zuerst Sanson aufs Korn zu nehmen, würde Hunters Schiff nicht angreifen können. Die Kanonen der El Trinidad waren nur für zwei Verteidigungssalven vorbereitet.

  Aber falls Sanson diese Möglichkeit befürchtete, so ließ er es sich nicht anmerken; sein Winken wirkte durchaus fröhlich. Einige Minuten später lichteten die beiden Schiffe den Anker und steuerten unter leichten Segeln auf das offene Meer zu.

  Die See war rau. Nachdem sie die Korallenriffe und das flache Wasser hinter sich hatten, blies ein Vierzig-Knoten-Wind die Dünung zwölf Fuß hoch. Die Cassandra tanzte und hüpfte auf dem Wasser, währe
nd Hunters Schiff träge wankte wie ein krankes Tier.

  Enders jammerte kläglich und bat Hunter dann, für einen Augenblick das Ruder zu übernehmen. Hunter sah zu, wie der Meereskünstler zu einer Stelle am Bug ging, wo keine Segel über ihm waren.

  Enders stellte sich mit dem Rücken zum Wind und breitete die Arme aus. So blieb er einen Augenblick stehen, drehte sich dann ein wenig, die Arme noch immer ausgebreitet.

  Hunter erkannte den alten Seemannstrick, um das Auge eines Hurrikans zu orten. Wenn man sich mit ausgebreiteten Armen und mit dem Rücken zum Wind stellte, lag das Auge des Sturms stets zwei Kompassstriche vor der Richtung, in die die linke Hand zeigte.

  Enders kam grummelnd und fluchend zurück zum Ruder. »Er ist süd-südwest«, sagte er, »und ich will verflucht sein, wenn wir ihn nicht noch vor Einbruch der Dunkelheit zu spüren bekommen.«

  Und tatsächlich, der Himmel bezog sich bereits dunkelgrau, und der Wind schien mit jeder Minute stärker zu werden. Die El Trinidad krängte bedenklich, als sie Cat Island hinter sich ließ und die Rauheit der offenen See voll zu spüren bekam.

  »Verdammt«, sagte Enders. »Ich trau diesen vielen Kanonen nicht, Captain. Können wir nicht wenigstens zwei oder drei wieder nach steuerbord schaffen?«

  »Nein«, sagte Hunter.

  »Dann wird sie flinker«, sagte Enders. »Das würde Euch gefallen, Captain.«

  »Bosquet auch«, sagte Hunter.

  »Zeigt mir Bosquet«, sagte Enders, »und ich sag kein Wort mehr über Eure Kanonen.«

  »Da ist er«, sagte Hunter und deutete nach achtern. Enders blickte in die Richtung und sah, wie das spanische Kriegsschiff am Nordufer von Cat Island auftauchte und ihnen dicht auf den Fersen war.

  »Der küsst uns ja schon fast den Hintern«, sagte Enders. »Schockschwerenot, er ist gut auf Kurs.«

  Das Kriegsschiff hielt auf den verwundbarsten Teil der Galeone zu, das Achterdeck. Achtern war jedes Schiff schwach – weshalb Schätze stets im Bug verstaut wurden und die geräumigsten Kajüten immer achtern lagen. Der Kapitän eines Schiffes mochte zwar eine große Kajüte haben, aber man ging auch davon aus, dass er während einer Schlacht nicht darin sein würde.

  Hunter hatte achtern keine einzige Kanone; sie zeigten alle nach backbord. Und die Schlagseite des Schiffes machte es Enders unmöglich, die traditionelle Verteidigungstaktik bei einem Angriff von hinten anzuwenden, nämlich einen Zickzackkurs zu fahren, um ein schlechtes Ziel abzugeben. Enders hatte schon Mühe genug, das Schiff halbwegs gerade zu halten, damit kein Wasser über Bord schwappte, was ihn todunglücklich machte.

  »Immer mit der Ruhe«, sagte Hunter, »und Land auf steuerbord halten.«

  Er ging nach vorne zur Seitenreling, wo Don Diego durch ein seltsames Instrument spähte, das er gebaut hatte. Es war eine Holzvorrichtung, knapp drei Fuß lang und am Hauptmast befestigt. An beiden Enden befand sich ein kleiner viereckiger Holzrahmen mit einem x-förmigen Fadenkreuz darin.

  »Es ist ganz einfach«, sagte der Jude. »Das Ziel wird von hier anvisiert«, sagte er und stellte sich an ein Ende. »Wenn die beiden Fadenkreuze sich decken, ist die Position richtig. Genau der Teil des Ziels, der sich im Schnittpunkt der Fäden befindet, wird getroffen.«

  »Was ist mit der Reichweite?«

  »Dafür braucht Ihr Lazue.«

  Hunter nickte. Mit ihren scharfen Augen konnte Lazue Entfernungen erstaunlich präzise einschätzen.

  »Die Reichweite ist nicht das Problem«, sagte der Jude. »Das Problem ist die zeitliche Berücksichtigung der Dünung. Hier, seht selbst.«

  Hunter trat hinter die Vorrichtung.

  Er schloss ein Auge und spähte so lange, bis die zwei X sich deckten. Und dann sah er, wie stark das Schiff schaukelte.

  Zeigte das Fadenkreuz eben noch zum leeren Himmel, war es im nächsten Augenblick auf das wogende Meer gerichtet.

  Er stellte sich vor, wie er eine Salve abfeuern ließ. Zwischen seinem Feuerbefehl und dem Augenblick, an dem die Kanonen gezündet wurden, gäbe es eine Verzögerung, das wusste er. Er musste das mit einberechnen. Und die Kugeln selbst flogen langsam: Eine weitere halbe Sekunde würde vergehen, ehe sie das Ziel trafen. Alles zusammen über eine Sekunde zwischen Feuerbefehl und Einschlag.

  In dieser Sekunde würde das Schiff wie verrückt auf dem Ozean tanzen. Kalte Angst erfasste ihn. Sein verzweifelter Plan war bei schwerem Seegang unmöglich durchzuführen. Sie würden es niemals schaffen, zwei zielsichere Salven abzufeuern.

  »Wo es vor allen Dingen auf die zeitliche Abstimmung ankommt«, sagte der Jude, »könnte das Duell ein nützliches Beispiel sein.«

  »Gut«, sagte Hunter. Der Gedanke war hilfreich. »Verständigt die Geschützbesatzungen. Die Signale lauten: klar zum Feuern, drei, zwei, eins, Feuer. Verstanden?«

  »Ich werde es ihnen sagen«, nickte der Jude. »Aber beim Schlachtenlärm …«

  Hunter nickte. Der Jude war heute sehr scharfsinnig und dachte um einiges klarer als Hunter selbst. Sobald die ersten Schüsse fielen, würden gerufene Kommandos übertönt oder missverstanden werden. »Ich gebe die Kommandos. Ihr steht neben mir und gebt Handzeichen.«

  Der Jude nickte und ging, um die Männer zu unterrichten. Hunter rief Lazue und erklärte ihr, wie wichtig die präzise Einschätzung der Entfernung war. Die Kanonen waren auf fünfhundert Yards ausgerichtet. Lazue würde äußerst genaue Angaben machen müssen. Sie sagte, sie traue sich das zu.

  Er ging zurück zu Enders, der unablässig vor sich hin schimpfte. »Dauert nicht mehr lang, und der Sauhund rammt uns den Arsch«, sagte er. »Ich kann ihn schon an der Rosette spüren.«

  Im selben Augenblick eröffnete das spanische Kriegsschiff mit seinen Bugkanonen das Feuer. Kleine Kugeln sausten pfeifend durch die Luft.

  »Ein echter Heißsporn«, sagte Enders und schüttelte die Faust in der Luft.

  Eine zweite Salve ließ Holz am Heckkastell zersplittern, richtete aber keinen ernsthaften Schaden an.

  »Ruhig bleiben«, sagte Hunter. »Lasst ihn aufholen.«

  »Ihn aufholen lassen! Mir bleibt ja wohl kaum was anderes übrig.«

  »Kühlen Kopf bewahren«, sagte Hunter.

  »Um meinen Kopf mach ich mir keine Sorgen«, sagte Enders, »aber um meinen teuren Hintern.«

  Eine dritte Salve zischte mittschiffs durch die Luft und landete harmlos im Wasser. Darauf hatte Hunter gewartet.

  »Rauchtöpfe!«, rief er, und die Besatzung lief los, um die an Deck bereitstehenden Fässer mit Pech und Schwefel anzuzünden. Rauchschwaden stiegen auf und trieben nach achtern. Hunter wollte damit einen größeren Schaden vortäuschen. Er konnte sich gut vorstellen, welches Bild die El Trinidad den Spaniern bot: ein krängendes Schiff in Bedrängnis, das jetzt in dunklen Rauch gehüllt war.

  »Er dreht nach Osten«, sagte Enders. »Jetzt bereitet er den Todesstoß vor.«

  »Gut«, sagte Hunter.

  »Gut«, wiederholte Enders kopfschüttelnd. »Beim Henker, unser Captain sagt gut.«

  Hunter beobachtete, wie das spanische Kriegsschiff auf die Backbordseite der Galeone zog. Bosquet hatte den Angriff nach klassischer Manier begonnen und setzte ihn in gleicher Weise fort. Er ging auf Abstand zu seinem Ziel, um knapp außer Reichweite der Kanonen auf einen parallelen Kurs zu kommen.

  Sobald er seine Breitseite zur Galeone hin ausgerichtet hatte, würde er den Abstand allmählich verringern. Und wenn er dann in Reichweite war – ab ungefähr zweitausend Yards –, würde Bosquet das Feuer eröffnen und immer weiter schießen, während er näher und näher kam. Diese Phase würde für Hunter und seine Besatzung am schwierigsten werden. Sie mussten diese Breitseiten über sich ergehen lassen, bis das spanische Schiff in ihrer Reichweite war.

  Hunter sah, dass das feindliche Schiff jetzt genau parallel auf der Backbordseite der El Trinidad fuhr, gut eine Meile entfernt.

  »Ruhig Blut«, sagte Hunter und legte Enders eine Hand auf die Schulter.

  »Ihr macht mich fertig«, knurrte Enders, »noch ehe der Heißsporn von Spanier dazu kommt.«

  Hunter ging nach vorn zu Lazue.

  »Entfernung knapp unter zweitausend Yards«, sagte Lazue,
die mit zusammengekniffenen Augen auf das feindliche Schiff spähte.

  »Wie schnell kommen sie näher?«

  »Schnell. Sie sind ungeduldig.«

  »Umso besser für uns«, sagte Hunter.

  »Entfernung noch achtzehnhundert Yards«, sagte Lazue.

  »Macht euch auf eine Salve gefasst«, sagte Hunter.

  Sekunden später explodierte die erste Breitseite von dem Kriegsschiff, und die Kugeln landeten platschend im Wasser vor der Backbordseite.

  Der Jude zählte. »Eins Madonna, zwei Madonna, drei Madonna, vier Madonna …«

  »Unter siebzehnhundert«, sagte Lazue.

  Der Jude hatte bis fünfundsiebzig gezählt, als die zweite Breitseite abgefeuert wurde. Eisenkugeln zischten rings um sie herum durch die Luft, doch keine traf das Schiff.

  Sogleich fing der Jude wieder an zu zählen. »Eins Madonna, zwei Madonna …«

  »Nicht so flott, wie sie sein könnten«, sagte Hunter. »Das hätten sie in sechzig Sekunden schaffen können.«

  »Fünfzehnhundert Yards«, murmelte Lazue.

  Eine weitere Minute verstrich, dann kam die dritte Breitseite. Und die traf mit Wucht ins Ziel. Um Hunter herum brach plötzlich heilloses Chaos aus – Männer brüllten, Splitter sausten durch die Luft, Spieren und Takelage krachten aufs Deck.

  »Schäden!«, rief er. »Schäden melden!« Er spähte durch den Qualm zum feindlichen Schiff hinüber, das unaufhaltsam näher kam. Er bemerkte nicht einmal den Seemann, der sich vor Schmerzen schreiend zu seinen Füßen wand, die Hände aufs Gesicht gedrückt, während Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll.

  Der Jude blickte nach unten und sah einen riesigen Splitter, der sich dem Seemann durch die Wange in den Gaumen gebohrt hatte. Im nächsten Augenblick beugte Lazue sich ruhig über den Mann und schoss ihm mit ihrer Pistole in den Kopf. Eine blassrosa glitschige Masse spritzte über die Holzplanken. Seltsam gleichgültig erkannte der Jude, dass es das Gehirn des Mannes war. Er sah Hunter an, der gebannt auf den Feind starrte.

 

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