Exodus
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»Wir haben die Sache durchgesprochen«, fuhr Jakob fort, »und wir sind zu folgender Überzeugung gekommen: wenn wir imstande sind, eine unserer Siedlungen zu verteidigen, dann können wir alle verteidigen. Wir haben beschlossen, eine Wachmannschaft aufzustellen, die die ganze Gegend abpatrouilliert, und wir wollen, daß du die Leitung einer der Gruppen dieser Wachmannschaft übernimmst.«
Eine jüdische Wachmannschaft! Was für eine erstaunliche Idee! Yossi fand es sehr aufregend, doch er antwortete in seiner zurückhaltenden Art: »Das muß ich mir noch überlegen.«
»Was gibt es dabei denn zu überlegen?«
»So einfach ist die Sache nicht. Zunächst einmal werden die Beduinen auf diese wichtige Einnahmequelle nicht kampflos verzichten. Und außerdem sind noch die Türken da. Sie werden es uns kaum erlauben, Waffen zu tragen.«
»Ich will ganz offen sein«, sagte Jakob. »Wir wollten dich gern dabeihaben, weil du das Land besser als irgendein anderer kennst, und weil niemand soviel Erfahrung im Umgang mit den Arabern und Türken hat wie du.«
»Sieh mal an«, sagte Yossi ironisch. »Auf einmal wird es meinem lieben Bruder klar, daß mein jahrelanger freundschaftlicher Umgang mit den Arabern doch keine reine Zeitverschwendung gewesen ist.«
»Nun sag schon, Yossi — was ist deine Antwort?«
»Ich sagte schon, daß ich es mir überlegen muß. Es dürfte ziemlich viel Überredungskraft erfordern, unsere Farmer dazu zu bewegen, daß sie sich von uns bewachen lassen. Und das eine dabei gefällt mir wirklich gar nicht: Wenn wir geladene Schußwaffen tragen, dann könnte man das so auslegen, als ob wir Streit suchten.«
Jakob warf die Hände in die Luft. »Wenn man seinen eigenen Grund und Boden verteidigen will, sucht man also Streit! Nach zwanzig Jahren in Palästina redest du noch immer wie ein GhettoJude.«
»Wir sind in friedlicher Absicht hierhergekommen«, sagte Yossi, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Wir haben das Land rechtmäßig erworben. Wir haben unsere Siedlungen errichtet, ohne jemanden zu stören. Wenn wir jetzt anfangen, uns zu bewaffnen, ist das ein Bruch mit den friedlichen Zielen des Zionismus. Mach mir und dir bitte nicht vor, daß das etwa keine riskante Sache wäre.«
»Du machst mich krank«, sagte Jakob heftig. »Also gut, Yossi, mach nur so weiter und erschließe das Land unter der großmütigen Protektion dieser Halsabschneider, der Beduinen. Bitte sehr. Ich werde unsern Leuten sagen, mein Bruder befände sich in tiefer Meditation. Jedenfalls, ob mit dir oder ohne dich, die Wachmannschaften werden aufgestellt. Der Trupp, den du übernehmen solltest, begibt sich nächste Woche zu unserem Stützpunkt.«
»Und wo ist der?«
»Auf dem Berge Kanaan.«
Yossi schlug das Herz. Auf dem Berge Kanaan! Seine Lippen zitterten, aber er versuchte, seine Erregung zu verbergen. »Ich werde es mir überlegen«, sagte er.
Yossi überlegte es sich. Er war es leid, Land für die SchumannStiftung aufzukaufen und weitere Siedlungen zu errichten, die von Spenden leben mußten.
Ein Dutzend bewaffneter Juden, die ebensolche Hitzköpfe waren wie Jakob, konnten allerhand Ärger und Schwierigkeiten machen. Für eine bewaffnete Wachmannschaft benötigte man Klugheit und Zurückhaltung. Doch der Gedanke, in der Umgebung des Berges Kanaan zu leben und die Möglichkeit zu haben, von Zeit zu Zeit in das Hule-Tal zu kommen, war allzu verlockend.
Yossi trennte sich von der Schumann-Stiftung und stieß zu der neuen Gruppe, als diese am Berge Kanaan anlangte. Sie nannten sich Haschomer: die Wächter.
Das Gebiet, das Yossi mit seinem Trupp zu sichern hatte, erstreckte sich vom Berg Kanaan in einem kreisförmigen Bogen, der von Rösch Pina aus bis nach Safed und Meron führte. Yossi war sich darüber klar, daß es über kurz oder lang Ärger geben mußte. Die Beduinen würden zweifellos zurückschlagen, wenn sie erfuhren, daß sie ihren einträglichen Posten verloren hatten.
Yossi ersann einen Plan, der die Absicht verfolgte, die zu erwartenden Schwierigkeiten zu verhüten. Der bedrohlichste der Beduinenstämme in diesem Gebiet wurde von einem alten Renegaten und Schmuggler namens Suleiman angeführt, der sein Lager meist in den Bergen oberhalb von Abu Yesha aufschlug. Suleiman erpreßte als Lohn für seinen »Schutz« den vierten Teil dessen, was in Rösch Pina geerntet wurde. Am Tag nach seiner Ankunft, noch ehe die Araber etwas von der Anwesenheit der Wachmannschaften wußten, ritt Yossi allein und unbewaffnet los, um Suleimans Lager zu suchen.
Spät am Abend fand er es, jenseits von Abu Yesha, in der Nähe von Tel Chaj an der Grenze zum Libanon. Die mit Ziegenfell bespannten Zelte des Lagers standen unregelmäßig verstreut auf dem braunverwitterten Erdreich der Hügel. Diese ewigen Nomaden betrachteten sich als die reinsten und freiesten aller Araber und sahen mit Verachtung auf die ärmlichen Fellachen und auf die Bewohner der Städte herab. Das Leben des Beduinen war hart, doch er war ein freier Mann. Er war ein Kämpfer, der alle anderen Araber an Wildheit, und ein Händler, der alle anderen Araber an Gerissenheit übertraf.
Das Erscheinen des riesenhaften Fremden mit dem roten Bart verursachte allgemeinen Alarm. Die Frauen, in den schwarzen Gewändern der Beduinen, die Gesichter verhängt durch Ketten aus Münzen, brachten sich eilig in Sicherheit, als Yossi herangeritten kam.
Als er in der Mitte des Lagers angekommen war, kam ein negroider Araber auf ihn zu, offensichtlich ein Mann aus dem Sudan. Der Sudanese stellte sich als Suleimans Leibsklave vor und führte Yossi zu dem größten der Zelte, in dessen Nähe eine große Ziegenherde weidete.
Der alte Brigant kam aus seinem Zelt heraus. Er trug ein schwarzes Gewand und ein schwarzes Kopftuch. An seinem Gürtel hingen zwei reichverzierte silberne Dolche. Er war auf einem Auge blind, und sein Gesicht war von den Narben vieler Kämpfe bedeckt, zerfetzt von den Krallen der Frauen und den Messern der Männer.
Suleiman und Yossi musterten einander mit raschen Blicken, und der Besucher wurde in das Zelt geführt. Die Erde am Boden des Zeltes war mit Matten und Kissen bedeckt. Die beiden Männer ließen sich nieder. Suleiman befahl seinem Sklaven, Obst und Kaffee für den Gast zu bringen. Die beiden Männer rauchten gemeinsam aus einer langstieligen Wasserpfeife und tauschten eine halbe Stunde lang inhaltslose Höflichkeiten aus. Der Sklave brachte Reis mit Lammfleisch, und als Nachtisch gab es Melonen, während sie eine weitere Stunde lang Konversation machten. Suleiman war sich darüber klar, daß Yossi kein gewöhnlicher Jude sei und auch nicht in einer gewöhnlichen Mission gekommen war.
Schließlich fragte er Yossi nach dem Grund seines Besuches, und Yossi teilte ihm mit, daß Haschomer den Wachdienst übernommen haben, den bisher Suleiman versehen hatte. Er dankte ihm für seine treuen Dienste. Suleiman nahm diese Neuigkeit zur Kenntnis, ohne mit der Wimper zu zucken. Yossi bat ihn um einen Handschlag, zur Besiegelung eines Freundschaftspaktes. Suleiman lächelte und gab ihm seine Hand.
Am späten Abend kam Yossi nach Rösch Pina und berief eine Versammlung der Farmer ein. Alle waren über das Vorhaben mit den Wachmannschaften entsetzt. Sie waren überzeugt, daß Suleiman ihnen die Kehle durchschneiden würde, wenn er davon hörte. Das Erscheinen von Yossi Rabinski und sein Versprechen, in Rösch Pina zu bleiben, trug sehr dazu bei, sie zu beruhigen.
Im Hintergrund des Versammlungsraums saß ein zwanzigjähriges Mädchen, das Yossi Rabinski nicht aus den Augen ließ und jedem seiner Worte lauschte. Sie hieß Sara und war erst kürzlich aus Polnisch-Oberschlesien nach Palästina gekommen. Sie war ebenso klein und schmal wie Yossi groß und breit war, und ihr Haar war so schwarz wie das seine rot. Sie war begeistert von seinem Anblick und vom Klang seiner Stimme.
»Sie sind neu hier«, sagte er nach der Versammlung zu ihr.
»Ja.«
»Ich bin Yossi Rabinski.«
»Jeder kennt Sie.«
Yossi blieb eine Woche in Rösch Pina. Er rechnete fest damit, daß Suleiman etwas im Schilde führte; doch er wußte, daß der Beduine schlau genug war, um abzuwarten. Yossi war unterdessen außerordentlich von Sara beeindruckt. Doch er hatte als Erwachsener wenig oder gar keinen Umgang mit jüdischen Mädchen gehabt, und in ihrer Gegenwart wurde er stumm und verlegen. Je mehr Sara ihn neckte, desto meh
r zog er sich in sein Schneckenhaus zurück. Allen Leuten in Rösch Pina, mit Ausnahme von Yossi, war klar, daß er verliebt war.
Am neunten Tag kamen mitten in der Nacht ein Dutzend Araber auf leisen Sohlen nach Rösch Pina und machten sich mit mehreren Zentnern Getreide auf und davon. Yossi, der Wache hielt, sah sie kommen und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Er hätte sie mit Leichtigkeit auf frischer Tat ertappen können, doch es war für einen Beduinen nichts Ehrenrühriges, bei einem Diebstahl erwischt zu werden. Yossi hatte eine andere Strategie im Sinn.
Am nächsten Morgen schwang sich Yossi aufs Pferd und ritt ein zweites Mal zu dem Lager Suleimans. Diesmal aber war er mit seinem drei Meter langen ledernen Ochsenziemer bewaffnet. Er sprengte in vollem Galopp in das Lager hinein und auf das Zelt Suleimans zu. Er sprang vom Pferd. Der Sudanese kam heraus, begrüßte Yossi süßlich lächelnd und bat ihn, einzutreten. Yossi schlug ihn mit dem Handrücken zu Boden, so wie man eine Fliege von seinem Ärmel verscheucht.
»Suleiman!« rief er so laut, daß es im ganzen Lager zu hören war. »Komm heraus!«
Ein Dutzend Männer aus Suleimans Sippe standen plötzlich, wie aus dem Boden geschossen, vor ihm; sie hielten Gewehre in den Händen und machten erstaunte Gesichter.
»Komm heraus!« rief Yossi nochmals mit lauter Stimme.
Der alte Brigant ließ sich Zeit. Schließlich erschien er. Er trat vor das Zelt, legte die Hände an die Hüften und lächelte drohend. Die beiden standen sich in einer Entfernung von drei Metern gegenüber. »Wer meckert hier vor meinem Zelt wie eine kranke Ziege?« fragte Suleiman. Die Männer seiner Sippschaft schüttelten sich vor Lachen. Yossi hielt Suleiman unverwandt im Auge.
»Es ist Yossi Rabinski, der wie eine kranke Ziege meckert«, sagte er. »Und er sagt, daß Suleiman ein Dieb und ein Lügner ist!«
Das Lächeln auf Suleimans Gesicht veränderte sich zu einer bösartigen Grimasse. Die Beduinen warteten gespannt auf das Zeichen, sich auf den Juden zu stürzen.
»Nur zu!« sagte Yossi herausfordernd. »Ruf deine ganze Sippschaft zusammen. Deine Ehre ist nicht mehr wert als die eines Schweins, und wie ich höre, ist dein Mut nicht größer als der eines Weibes.« Sein Mut nicht größer als der eines Weibes! Das war die tödlichste Beleidigung, die es für Suleimans Ohren gab. Yossi hatte ihn persönlich herausgefordert.
Suleiman erhob die Faust und schüttelte sie. »Deine Mutter ist die übelste von allen Huren auf der Welt.«
»Mach nur so weiter, du Waschweib — du kannst ja doch nur reden«, gab Yossi zur Antwort.
Suleimans Ehre stand auf dem Spiele. Er zog einen seiner silbernen Dolche heraus und ging mit einem wilden Schrei auf den rotbärtigen Riesen los.
Yossis Ochsenziemer pfiff durch die Luft! Er wickelte sich um die Füße des Arabers, riß ihn mit einem Ruck hoch und ließ ihn zu Boden stürzen. Yossi war mit einem Satz über ihm. Er ließ den Ochsenziemer mit solcher Wucht auf Suleimans Rücken knallen, daß das Echo des Schlages von den Bergen widerhallte.
»Wir sind Brüder! Wir sind Brüder!« schrie Suleiman, nach dem fünften Schlag um Gnade bittend.
»Hör zu, Suleiman«, sagte Yossi. »Du hast mir dein Wort gegeben und es mit einem Handschlag besiegelt. Und du hast dein Wort gebrochen. Wenn du oder einer deiner Leute jemals wieder den Fuß auf eins unserer Felder setzt, dann werde ich dir mit diesem Ochsenziemer das Fleisch von den Rippen schlagen und die Fetzen den Schakalen zum Fraß vorwerfen.«
Yossi stand auf und durchbohrte mit seinem Blick die erstaunten Beduinen. Sie waren starr vor Verblüffung. Noch nie hatten sie einen Mann erlebt, der so stark, so furchtlos und so wütend war.
Ohne sich auch nur im geringsten um ihre Gewehre zu kümmern, wandte ihnen Yossi den Rücken, ging zu seinem Pferd, stieg auf und ritt davon.
Suleiman und seine Leute rührten nie wieder ein jüdisches Feld an. Als Yossi am nächsten Morgen aufsaß, um zum Berge Kanaan und zu seinen Leuten zurückzureiten, fragte ihn Sara, wann er zurückkäme. Er murmelte irgend etwas in seinen Bart. Er komme ungefähr jeden Monat einmal nach Rösch Pina. Dann grüßte er und galoppierte davon, und Sara fühlte, wie dieser Abschied sie schmerzte. So wie Yossi Rabinski war kein anderer — kein Jude, kein Araber, kein Kosak und auch kein König! Sie sah ihm nach, wie er davonritt, und schwor sich, diesen Mann bis an das Ende ihres Lebens zu lieben.
Ein Jahr lang befehligte Yossi seine Wachmannschaft mit solcher Klugheit, daß es im ganzen Gebiet fast gar keine Schwierigkeiten gab. Es war nie nötig, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Gab es Ärger, ging er zu den Arabern, um mit ihnen freundlich zu verhandeln und sie zu warnen. Passierte dann erneut etwas, gebrauchte er seinen Ochsenziemer. Yossi Rabinskis Ochsenziemer wurde mit der Zeit im nördlichen Teil von Galiläa ebenso bekannt und berühmt wie sein roter Bart. Die Araber nannten ihn den »Blitz«.
Für Jakob war das alles viel zu langweilig. Es verlangte ihn nach Tatkraft. Nachdem er sechs Monate beim Haschomer gewesen war, machte er auch dort wieder Schluß und begab sich auf die Suche, in der Hoffnung, irgend etwas zu finden, was die innere Leere ausfüllen könnte, die er sein ganzes Leben lang empfunden hatte.
Yossi war als Wächter weder glücklich noch unglücklich. Diese Tätigkeit machte ihm mehr Spaß, als Land aufzukaufen. Außerdem wurde dadurch demonstriert, daß die Juden in der Lage und entschlossen waren, sich zur Wehr zu setzen, und nicht mehr »Kinder des Todes« zu sein. Er freute sich jedesmal, wenn ihn seine dienstliche Tour nach Norden führte. Dann konnte er seinen Freund Kammal besuchen und anschließend auf seinen Berg hinaufreiten, um seinen Traum zu nähren.
Insgeheim freute er sich besonders auf den Augenblick, wenn er nach Rösch Pina hineinritt. Er richtete sich dann jedesmal im Sattel auf, um auf seinem weißen Hengst noch prächtiger zu wirken. Sein Herz schlug rascher, denn er wußte, daß ihm Sara, das dunkeläugige Mädchen aus Oberschlesien, zusah. Doch wenn er den Mund aufmachen oder handeln sollte, dann verließ ihn der Mut. Sara war ratlos. Yossi konnte seine Schüchternheit einfach nicht überwinden. In Saras Heimat wäre der Heiratsvermittler zu Yossis Vater gegangen und hätte alles arrangiert. Hier aber gab es keinen Heiratsvermittler, nicht einmal einen Rabbi.
So verging ein ganzes Jahr. Eines Tages kam Yossi unerwartet nach Rösch Pina geritten. Alles, was er über die Lippen brachte, war, Sara zu fragen, ob sie Lust hätte, mit ihm in das Hule-Tal zu reiten, um sich das Land nördlich der Siedlung anzusehen.
Wie aufregend für Sara! Kein Jude außer Yossi Rabinski wagte sich so weit ins Land hinein! Sie ritten durch Abu Yesha und dann hinauf in die Berge. Auf dem Gipfel eines Berges machten sie halt. »Genau von dieser Stelle aus habe ich Palästina zum erstenmal gesehen«, sagte er leise.
Yossi blickte in das Hule-Tal hinunter. Er brauchte nichts mehr zu sagen. Sara wußte, wie sehr er dieses Stück Land liebte. So standen sie beide lange nebeneinander und sahen stumm hinunter in das Tal. Sara reichte Yossi knapp bis an die Brust.
Das also, dachte sie gerührt, war für Yossi die einzige Möglichkeit, seinem geheimsten Herzenswunsch Ausdruck zu verleihen.
»Yossi Rabinski«, flüsterte sie, »würden Sie mich bitte, bitte heiraten?«
Yossi räusperte sich und stammelte verlegen: »Ja — hm — komisch, daß Sie davon reden. Ich wollte Sie gerade auch so etwas Ähnliches fragen.«
Noch nie hatte es in Palästina eine Hochzeit gegeben wie die von Yossi und Sara. Sie dauerte fast eine Woche, und die Gäste kamen aus ganz Galiläa und sogar aus Jaffa, obwohl es bis nach Safed eine Reise von zwei Tagen war. Es kamen die Männer vom Haschomer, und Jakob kam und die Siedler von Rösch Pina, es kamen türkische Gäste, und Kammal erschien, und sogar Suleiman. Als die letzten Gäste gegangen waren, ging Yossi mit seiner jungen Frau nach Jaffa, wo es für ihn viel Arbeit bei der Zionistischen Siedlungsgesellschaft gab. Sein Ruf ließ ihn als den geeigneten Mann erscheinen, die frisch zugewanderten Ansiedler unter seine Fittiche zu nehmen und ihnen bei den mannigfaltigen Schwierigkeiten behilflich zu sein. Er machte einen Vertrag und übernahm einen leitenden Posten bei der Zionistischen Siedlungsgesellschaft.
Im Jahr 1909 wurde Yossi in einer se
hr wichtigen Angelegenheit um Rat gefragt. Viele Angehörige der immer größer werdenden jüdischen Gemeinde von Jaffa wünschten bessere Wohnungen, bessere sanitäre und kulturelle Verhältnisse, die die alte arabische Stadt nicht zu bieten hatte. Yossi half, einen Streifen Land nördlich von Jaffa zu erwerben, der größtenteils aus Sand und Orangenhainen bestand.
Auf diesem Boden wurde zum erstenmal seit zweitausend Jahren die erste rein jüdische Stadt erbaut. Man nannte sie: Hügel des Frühlings — Tel Aviv.
IX.
Die bestehenden landwirtschaftlichen Siedlungen hatten schwere Zeiten durchzustehen. Dafür gab es vielerlei Gründe. Zunächst einmal waren die Siedler gleichgültig und lethargisch und besaßen keinerlei Idealismus. Sie bauten nach wie vor Feldfrüchte ausschließlich für den Export an und verwendeten weiterhin die billigeren arabischen Arbeitskräfte. Obwohl jetzt viele Juden nach Palästina kamen, die gern auf dem Land arbeiten wollten, konnten die Gutsbesitzer nur mit Mühe dazu überredet werden, diese Juden als Arbeitskräfte zu verwenden.
Die Gesamtsituation war entmutigend. Es sah in Palästina noch nicht wesentlich besser aus als vor zwanzig Jahren, als die Brüder Rabinski hierher gekommen waren. Der Schwung und der Idealismus, den die jungen Leute der zweiten Aliyah-Welle ins Land gebracht hatten, waren versandet. Ähnlich wie Jakob und Yossi wanderten auch die neuen Einwanderer von Ort zu Ort und von Stellung zu Stellung, ohne festes Ziel und ohne sich niederzulassen. Je mehr Land die Zionistische Siedlungsgesellschaft erwarb, desto deutlicher wurde es, daß man das ganze Siedlungsproblem völlig anders anpacken mußte. Yossi und viele seiner Freunde waren schon lange zu der Ansicht gelangt, daß die Landbestellung für den einzelnen schier unmöglich war. Die Unsicherheit der Verhältnisse, die Unerfahrenheit der Juden in landwirtschaftlichen Fragen und die völlige Verkommenheit des Bodens waren die Hauptgründe.
Was sich Yossi für das neuerworbene Land wünschte, waren Siedlungen, deren Bewohner den Boden selbst bearbeiteten, die eine Gemischtwirtschaft führten, um sich selbst zu ernähren, und die zusammenhielten, wenn es galt, sich zu verteidigen. Um das zu verwirklichen, mußte zunächst einmal das ganze angekaufte Land als jüdischer Grund und Boden, der allen Juden gehörte, nominell in der Hand der Zionistischen Siedlungsgesellschaft verbleiben. Und die Siedler mußten den Boden selbst bearbeiten und durften keine anderen Arbeitskräfte dingen, weder jüdische noch arabische. Der nächste dramatische Schritt wurde getan, als sich Juden der zweiten Aliyah-WeIle dazu verpflichteten, ausschließlich für die Erschließung des Landes zu arbeiten. Sie gelobten, das Land zu einer Heimstätte zu machen, ohne an privaten Gewinn oder persönlichen Vorteil zu denken. Durch diese Verpflichtungen kamen sie der späteren Idee des landwirtschaftlichen Kollektivs schon sehr nahe. Die genossenschaftliche Form der Landbestellung entsprang nicht so sehr einem sozialen oder politischen Idealismus als vielmehr der Notwendigkeit des Existenzkampfes; es gab keine andere Lösung. Damit waren die Voraussetzungen für ein dramatisches Experiment gegeben, das im Jahr 1909 gestartet wurde. Die Zionistische Siedlungsgesellschaft erwarb unterhalb von Tiberias, an der Stelle, wo der Jordan in den See Genezareth mündet, viertausend Dunam Land, das zum größten Teil aus Moor oder Sumpf bestand. Die Gesellschaft rüstete zwanzig junge Männer und Frauen mit Geld und Lebensmitteln für ein Jahr aus. Sie sollten das Land urbar machen. Yossi begleitete sie, als sie sich aufmachten und am Rande des Sumpfes ihre Zelte aufschlugen. Sie gaben ihrer Neusiedlung den Namen nach den wilden Rosen, die am Rande des Tiberias-Sees wuchsen: Schoschana. Man errichtete drei Schuppen aus ungehobelten Brettern. Der eine diente als gemeinsamer Speiseraum und Versammlungssaal, der zweite als Scheune und Geräteschuppen, der dritte als Unterkunft für die sechzehn Männer und die vier Frauen.