by Leon Uris
»So?«
»Wie Ihnen bekannt sein wird, sind wir dabei, alle Engländer, deren Anwesenheit hier dienstlich nicht dringend erforderlich ist, aus Palästina zu evakuieren. General Haven-Hurst möchte gern wissen, was Sie zu tun beabsichtigen.«
»Ich beabsichtige, überhaupt nichts zu tun. Das hier ist mein Heim, und hier werde ich auch bleiben.«
Major Caldwell trommelte irritiert mit den Fingern auf der Tischplatte. »Ich habe mich vielleicht nicht ganz deutlich ausgedrückt, Sir. General Haven-Hurst erbittet Ihr Verständnis dafür, daß er, wenn die Evakuierung erst einmal erfolgt ist, die Verantwortung für Ihre Sicherheit nicht mehr übernehmen kann. Wenn Sie hierbleiben, so könnte das für uns zu einem Problem werden.« Caldwell meinte offenbar noch etwas ganz anderes als das, was er sagte: Haven-Hurst wußte, wo Sutherlands Sympathien lagen, und fürchtete daher, daß er mit der Hagana zusammenarbeiten könnte. In Wirklichkeit also gab er Sutherland den guten Rat, aus Palästina zu verschwinden.
»Sagen Sie bitte General Haven-Hurst, ich sei ihm sehr dankbar, daß er sich meinetwegen Sorgen macht, und ich hätte auch volles Verständnis für seine Lage.«
Major Caldwell wollte noch deutlicher werden, doch Sutherland stand rasch auf, dankte Freddy für seinen Besuch und begleitete ihn hinaus zu der Auffahrt, wo ein Sergeant mit einem Stabswagen wartete. Sutherland sah dem Wagen nach, der in Richtung auf das Teggart-Fort davonfuhr. Wie üblich hatte Freddy wieder einmal seinen Auftrag verpatzt. Die Art und Weise, wie er die Warnung von Haven-Hurst ausgerichtet hatte, war in der Tat reichlich ungeschickt gewesen.
Sutherland ging ins Haus zurück und dachte über die Sache nach. Gewiß, er befand sich in Gefahr. Die Makkabäer konnten sehr wohl an einem pensionierten britischen Brigadier Anstoß nehmen, der arabische Freunde hatte und allein in einem Haus auf dem Berge Kanaan wohnte, obwohl es sich die Makkabäer bestimmt zweimal überlegen würden, ihn umzubringen. Von der Hagana drohte ihm keine Gefahr. Er stand mit den Leuten in loser Verbindung, und sie hielten nichts von terroristischen Methoden. Andererseits war schwer zu sagen, was von Husseini zu erwarten war: Sutherland hatte Freunde unter den Juden, und einige davon konnten, ohne daß er selbst etwas davon wußte, durchaus Makkabäer sein.
Bruce Sutherland trat hinaus in seinen Garten, an dessen Büschen die frühen Frühlingsrosen ihre Kelche öffneten. Er blickte über das Tal hinüber nach Safed. Er hatte Trost und Frieden hier gefunden. Die schrecklichen Träume hatten aufgehört. Nein, hier blieb er.
Im Hof des Teggart-Forts, den Caldwells Wagen wenige Augenblicke nach der Abfahrt von Sutherlands Haus erreichte, wurde der Major von einer Ordonnanz in Empfang genommen und gebeten, sich im CID-Büro zu melden.
»Fahren Sie heute abend nach Jerusalem zurück, Major Caldwell?« fragte ihn der Inspektor der Criminal Investigation Division.
Caldwell sah auf seine Uhr. »Ja, das habe ich vor. Wenn ich gleich losfahre, können wir vor Einbruch der Dunkelheit dort sein.«
»Das ist gut. Ich habe einen Juden hier, der zur Vernehmung zu unserer Dienststelle in Jerusalem gebracht werden soll. Es ist ein Makkabäer, ein gefährlicher Bursche. Die Makkabäer könnten erfahren haben, daß er bei uns ist, und nach einem Gefangenenwagen Ausschau halten, mit dem wir ihn nach Jerusalem bringen. Deshalb wäre es sicherer, ihn in Ihrem Wagen zu transportieren.«
»Aber sicher, das mache ich gern.«
»Bringt den Judenjungen 'rein.«
Zwei Soldaten brachten einen Jungen von vierzehn oder fünfzehn Jahren herein, der an Händen und Füßen gefesselt war. Sein Mund war durch einen Knebel verschlossen, und sein Gesicht zeigte die Spuren einer verschärften Vernehmung.
»Lassen Sie sich durch Ben Solomons Engelsgesicht nicht täuschen«, sagte der Inspektor. »Er ist eine gefährliche kleine Bestie.«
»Ben Solomon?« sagte Caldwell. »Kann mich gar nicht erinnern, seinen Namen gelesen zu haben.«
»Wir haben ihn erst gestern abend geschnappt. Bei einem Überfall auf die Polizeiwache in Safed. Sie wollten dort Waffen klauen. Der da hat zwei Polizisten mit einer Handgranate getötet.«
Ben Solomon stand unbeweglich, während Verachtung aus seinen Augen sprühte.
Den Inspektor ärgerte der unverwandte, haßerfüllte Blick des Jungen. »Schafft den Kerl 'raus«, befahl er wütend.
Der Junge wurde hinten im Wagen auf den Boden gelegt. Ein bewaffneter Soldat saß neben ihm, während Caldwell vorn neben dem Fahrer Platz nahm. Sie fuhren aus dem Teggart-Fort hinaus. »So ein dreckiges kleines Mistvieh«, brummte der Fahrer. »Also, wenn Sie mich fragen, Major Caldwell, man sollte uns wirklich mal ein paar Wochen auf diese Juden loslassen. Das sollte man wahrhaftig mal tun.«
»Meinen Kumpel hat's letzte Woche erwischt«, sagte der Posten, der hinten saß. »War ein prima Bursche. Seine Frau hatte grad ein Kind gekriegt. Diese Makkabäer haben ihm einen verpaßt, Kopfschuß, jawohl.«
Der Wagen fuhr in das Beth-Schaan-Tal, und die drei Männer entspannten sich; hier waren sie in einem Gebiet, das ausschließlich von Arabern bewohnt war, und ein Angriff war erst wieder zu befürchten, wenn sie sich Jerusalem näherten.
In Caldwell stieg der Haß hoch. Er dachte mit Verachtung an Bruce Sutherland. In seinem Innern fühlte er, daß Sutherland der Hagana half. Sutherland stand auf selten der Juden. Sutherland hatte es absichtlich zu der Katastrophe auf Zypern kommen lassen.
Caldwell erinnerte sich daran, wie er in Caraolos einmal in der Nähe des Stacheldrahtes gestanden und eine Jüdin vor ihm ausgespuckt hatte. Er drehte sich um und sah zu dem Jungen hin. »Dreckiger Jude!« brummte er in sich hinein.
Und da meinen die Leute, was Hitler gemacht hat, sei falsch gewesen, mußte Caldwell denken. Dabei hatte Hitler ganz richtig gehandelt. Schade, daß der Krieg zu Ende gegangen war, ehe er sie alle miteinander hatte umbringen können. Caldwell dachte daran, wie er mit Sutherland nach Bergen-Belsen gekommen war. Sutherland war bei dem Anblick, der sich ihnen geboten hatte, übel geworden. Ihm, Caldwell, war nicht übel geworden. Je mehr Juden verreckten, desto besser.
Sie kamen in das arabische Dorf Nablus, das wegen seiner Feindlichkeit gegenüber dem Jischuw bekannt war. Es war eine Hochburg der Husseini-Leute.
»Halten Sie an«, befahl Caldwell dem Fahrer. »Und jetzt hört mal zu, ihr beiden. Wir werden diesen Burschen hier hinauswerfen.« »Aber, Herr Major, die werden ihn umbringen«, sagte der Posten. »Ich hab' weiß Gott nichts für die Juden übrig, Sir«, sagte der Fahrer, »aber den Auftrag, den Gefangenen abzuliefern, haben wir ja nun mal.«
»Halten Sie den Mund!« rief Caldwell, fast hysterisch. »Ich sage, wir schmeißen den Kerl hier 'raus, und ihr beide werdet beschwören, daß er von Makkabäern, die uns auf der Straße angehalten haben, entführt worden ist. Wenn irgend etwas anderes über eure Lippen kommt, endet ihr im Kasten. Verstanden?«
Die beiden Soldaten nickten stumm, als sie den irren Ausdruck in Caldwells Augen sahen.
Der Wagen verlangsamte seine Fahrt in der Nähe des Kaffeehauses.
Der Junge wurde auf die Straße hinausgeworfen, und der Wagen fuhr rasch weiter nach Jerusalem.
Es kam genau, wie Caldwell es vorausgesehen hatte. Innerhalb einer Stunde hatte man Ben Solomon umgebracht und verstümmelt. Er wurde enthauptet. Der abgeschlagene Kopf wurde an den Haaren in die Höhe gehalten und mit zwanzig Arabern fotografiert, die lachend dabeistanden. Das Bild wurde vervielfältigt und verbreitet, um den Juden warnend zu zeigen, was ihnen allen früher oder später drohte. Major Fred Caldwell hatte einen verhängnisvollen Fehler begangen. Einer der Araber, die in dem Kaffeehaus saßen und sahen, wie der Junge aus dem Wagen geworfen wurde, war ein Makkabäer.
General Sir Arnold Haven-Hurst war wütend. Unruhig ging er in seinem Dienstzimmer der Kommandantur in Jerusalem auf und ab, dann nahm er Cecil Bradshaws Brief, der auf seinem Schreibtisch lag, und las ihn noch einmal. »Die Situation hat ein solches Stadium erreicht, daß ich mich, falls von Ihnen nicht Vorschläge für eine sofortige Stabilisierung gemacht werden können, dazu gezwungen sehe, die Sache vor die UNO zu bringen.«
Vor die UNO, wahrhaftig! Der General brummte wütend, knüllte
den Brief zusammen und warf ihn auf den Fußboden. Das also war der Dank, daß er fünf Jahre lang gegen die Juden angegangen war. Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges hatte er das Kriegsministerium davor gewarnt, Juden in die britische Armee aufzunehmen, aber nein, man hatte nicht auf ihn gehört. Und jetzt sollte vielleicht gar das Palästina-Mandat verlorengehen. Haven-Hurst begab sich an seinen Schreibtisch und begann eine Antwort auf den Brief von Bradshaw auszuarbeiten.
Ich schlage vor, unverzüglich folgende Maßnahmen zu ergreifen, durch welche meiner Meinung nach Ruhe und Ordnung in Palästina wiederhergestellt werden können:
1. Aufhebung aller zivilen Gerichte und Übertragung der Strafgewalt an den militärischen Befehlshaber.
2. Auflösung des Jischuw-Zentralrats, der Zionistischen Siedlungsgesellschaft und aller anderen jüdischen Agenturen.
3. Verbot aller jüdischen Zeitungen und Publikationen.
4. Rasche und unauffällige Liquidierung von zirka sechzig führenden Jischuw-Männern. Hadsch Amin el Husseini hat sich dieser Methode gegenüber seinen politischen Opponenten erfolgreich bedient. Dieser Teil des Programms könnte durch arabische Helfer ausgeführt werden.
5. Restloser Einsatz der Arabischen Legion von Transjordanien.
6. Verhaftung einiger hundert führender Jischuw-Angehöriger zweiter Ordnung, und anschließende rasche Verbannung dieser Leute in irgendwelche entfernten afrikanischen Kolonien.
7. Bevollmächtigung des militärischen Befehlshabers, jede Siedlung, jeden Ort oder jeden Stadtteil, in dem Waffen vorgefunden werden, zu zerstören. Überprüfung der gesamten jüdischen Bevölkerung von Palästina, und sofortige Deportation aller dabei festgestellten illegalen Einwanderer.
8. Für jede Terroraktion der Makkabäer wird der jüdischen Bevölkerung eine kollektive Geldbuße auferlegt; diese Geldbußen sind so hoch zu bemessen, daß die Juden veranlaßt werden, sich an der Ergreifung dieser verbrecherischen Elemente zu beteiligen.
9. Aussetzung höherer Belohnungen für Informationen über prominente Makkabäer, Aliyah-Bet-Agenten, Hagana-Führer etc.
10. Jeder Makkabäer, der ergriffen wird, ist auf der Stelle zu erhängen oder zu erschießen.
11. Boykottmaßnahmen gegen den jüdischen Handel, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, und Blockierung des gesamten jüdischen Im- und Exports.
12. Vernichtung des Palmach durch bewaffnete Angriffe auf jüdische Siedlungen, von denen bekannt ist, daß sie Palmach-Einheiten Unterschlupf gewähren.
Meine Truppen waren bisher gezwungen, unter den denkbar schwierigsten Bedingungen zu operieren. Wir mußten uns an die Regeln halten und darauf verzichten, unser Potential uneingeschränkt und auf die wirkungsvollste Weise einzusetzen. Die Makkabäer dagegen, die Hagana, der Palmach und Aliyah Bet halten sich an keinerlei Spielregeln. Sie halten unsere Zurückhaltung für Schwäche und machen sie sich zunutze. Wenn man mir erlaubt, meine Streitkräfte einzusetzen, versichere ich, daß die Ordnung in kurzer Zeit wiederhergestellt sein wird.
General Sir Arnold Haven-Hurst KBE, CB, DSO, MC Cecil Bradshaws Gesicht war bleich, als General Tevor-Browne in seinem Büro in Chatham-House anlangte.
»Nun, Bradshaw, Sie wollten wissen, was Haven-Hurst vorzuschlagen hat. Jetzt wissen Sie es.«
»Ist der Mann wahnsinnig geworden? Großer Gott, was er da vorschlägt, das hört sich ähnlich an wie Adolf Hitlers ,Endlösung'.« Bradshaw nahm Haven-Hursts »Zwölf Punkte« von seinem Schreibtisch und schüttelte den Kopf. »Wir haben weiß Gott den Wunsch, Palästina zu halten — aber morden, Ortschaften niederbrennen, Menschen erhängen und aushungern? Solche Vorschläge kann ich nicht befürworten. Und selbst, wenn ich es täte, so weiß ich nicht, ob es in der britischen Armee genügend Leute gibt, die bereit wären, sie auszuführen. Ich habe mich mein ganzes Leben lang für das Empire eingesetzt, Sir Clarence, und mehr als einmal mußten wir uns entschließen, harte Maßnahmen zu ergreifen. Doch glaube ich noch an Gott. Auf diese Weise werden wir Palästina nicht halten. Ich jedenfalls will damit nichts zu tun haben. Mag jemand anderer Haven-Hurst seine Zustimmung erteilen — ich nicht.«
Cecil Bradshaw nahm Haven-Hursts Vorschläge und knüllte sie zusammen. Er legte sie in seinen großen Aschenbecher, hielt ein Streichholz daran und sah zu, wie das Schriftstück verbrannte. »Wir haben gottlob den Mut, für unsere Sünden geradezustehen«, sagte er leise.
Die Frage des Palästina-Mandats wurde vor die UNO gebracht.
VII.
Gegen Ende des Frühjahrs 1947 verschwand Ari ben Kanaan, den Kitty auch schon vorher kaum gesehen hatte, völlig aus ihrem Leben. Sie sah und hörte nichts mehr von ihm. Sollte er Jordana Grüße für sie aufgetragen haben, so hatte Jordana diese Grüße jedenfalls nicht ausgerichtet. Die beiden Frauen sprachen kaum noch miteinander. Kitty bemühte sich, Jordana gegenüber höflich zu sein; doch Jordana machte selbst das schwierig.
Die Frage des Palästina-Mandats lag jetzt vor der UNO, die einen Ausweg aus der verfahrenen Situation finden sollte. Der umständliche Apparat der Vereinten Nationen setzte sich in Bewegung, einen Ausschuß aus Vertretern kleinerer neutraler Länder zu bilden, der den Fall untersuchen und der Vollversammlung Vorschläge unterbreiten sollte. Der Jischuw-Zentralrat und die Zionistische Weltorganisation waren damit einverstanden, daß sich die UNO mit der Sache befaßte. Die Araber dagegen versuchten durch Drohungen, Boykotte, Erpressungen und andere Druckmittel eine unparteiische Beurteilung des Palästina-Problems zu verhindern.
In Gan Dafna wurde die militärische Ausbildung der Gadna-Gruppe mit beschleunigtem Tempo durchgeführt. Das Jugenddorf wurde zu einem Schwerpunkt der geheimen Waffenlagerung. Gewehre wurden nach Gan Dafna gebracht, um hier von den Jugendlichen gereinigt und danach heimlich zu den Palmach-Einheiten in die Siedlungen des Hule-Gebietes gebracht zu werden. Immer wieder wurde Karen dazu abkommandiert, an diesem Waffenschmuggel teilzunehmen. Genau wie alle anderen unterzog sie sich dieser Aufgabe mit selbstverständlicher Bereitwilligkeit. Kitty war jedesmal nahe daran, Karen vor der Teilnahme an diesen gefährlichen Dingen zu warnen, doch sie sagte nichts. Sie wußte, daß es zwecklos gewesen wäre. Karen ließ auch in ihren Nachforschungen über den Verbleib ihres Vaters nicht nach, obwohl bisher alles erfolglos gewesen war. Die zuversichtliche Hoffnung, von der sie in La Ciotat erfüllt gewesen war, begann allmählich zu schwinden. Sie blieb in Verbindung mit den Hansens in Dänemark. Sie schrieb jede Woche einen Brief, und jede Woche kam ein Brief und oft auch ein Paket für sie aus Kopenhagen. Meta und Aage Hansen hatten alle Hoffnung aufgegeben, daß Karen jemals zu ihnen zurückkehren würde. Auch wenn Karen ihren Vater nicht finden sollte, war sie, wie ihre Briefe zeigten, für die Hansens verloren. Karen identifizierte sich immer ausschließlicher mit Palästina und dem Judentum. Die einzige Einschränkung dabei war Kitty Fremont.
Dov Landaus Benehmen blieb seltsam und widerspruchsvoll. Gelegentlich sah es fast so aus, als würde er die Mauer seiner Einsamkeit durchbrechen, und in diesen Augenblicken vertiefte sich die Beziehung zwischen ihm und Karen. Dann aber zog sich Dov, wie erschrocken darüber, daß er sich hervorgewagt hatte, wieder in sein Schneckenhaus zurück. Mit einer fanatischen Konzentration wandte er sich seinem Studium zu, seinen Büchern und Zeichnungen, und zog sich von jeglicher lebendiger Umwelt zurück. Doch jedesmal, wenn er nahe daran war, gänzlich in seiner Isolierung zu versinken, gelang es Karen, ihn wieder daraus hervorzuholen. Seine Bitterkeit war nie so tief, Karen zurückzuweisen.
Kitty Fremont war im Lauf der Zeit in Gan Dafna immer unentbehrlicher geworden. Dr. Liebermann brauchte ihre Hilfe tagtäglich bei irgendwelchen Schwierigkeiten. Als wohlwollender Außenseiter war Kitty häufig in der Lage, Dinge zu beeinflussen, weil sie sozusagen nicht zur Familie gehörte. Dr. Liebermanns Freundschaft wurde für sie zu einer der wichtigsten menschlichen Beziehungen, die sie je gehabt hatte. Sie ordnete sich völlig in das Leben von Gan Dafna ein und hatte in der Arbeit mit psychisch gestörten Kindern großartige Erfolge. Doch nach wie vor blieb irgendeine Grenze, eine Trennung bestehen. Kitty war sich darüber klar, daß dies teilweise an ihr selbst lag, doch sie wollte keine Änderung.
 
; Im Zusammensein mit Bruce Sutherland fühlte sich Kitty sehr viel wohler und behaglicher als im Zusammensein mit den Menschen von Gan Dafna. Bei Sutherland war sie entspannt und zufrieden, und sie sah mit wachsender Ungeduld den dienstfreien Tagen entgegen, die sie mit Karen in Sutherlands Villa verbringen konnte. Wenn sie bei Sutherland war, wurde ihr jedesmal wieder der Unterschied bewußt, der zwischen ihr und den Juden bestand. Harriet Salzmann kam zweimal zu Besuch nach Gan Dafna. Beide Male versuchte die alte Frau, Kitty dazu zu überreden, in einem der Jugend-Aliyah-Zentren im Gebiet von Tel Aviv die Stellung einer Chef-Pflegerin zu übernehmen. Kitty war eine hervorragende Organisatorin und sorgte mit großer Energie dafür, daß der Betrieb reibungslos lief. Diese Eigenschaften, zu denen noch ihre umfassende berufliche Erfahrung und Fähigkeit hinzukamen, wurden an all den Orten, die nicht so gut organisiert waren wie Gan Dafna, dringend benötigt. Doch Kitty lehnte ab. Sie hatte sich in Gan Dafna eingelebt, und Karen fühlte sich bei ihr ganz wie zu Hause. Kitty hatte keinen beruflichen Ehrgeiz und auch kein Interesse, in der Jugend-Aliyah Karriere zu machen.
Der entscheidende Grund ihrer Absage war jedoch, daß sie keinen Posten übernehmen wollte, auf dem sie für Gadna-Aktionen und den Waffenschmuggel verantwortlich gewesen wäre. Kitty war entschlossen, neutral zu bleiben. Ihre Arbeit sollte auch weiterhin nur beruflichen, nicht aber politischen Charakter haben.
Für Karen war Kitty Fremont wie eine ältere Schwester, die Elternstelle an ihr vertrat. Kitty tat alles, um das Mädchen glücklich zu machen. Sie wollte für Karen unentbehrlich werden, um damit ihren heimlichen Gegner aus dem Felde zu schlagen: die Macht von Erez Israel.
Im Mai, als die Regenzeit vorbei war, das Hule-Tal und die syrischen und libanesischen Berghänge üppig ergrünten, die Täler sich mit Teppichen wildwachsender Blumen schmückten und die Knospen der Frühlingsrosen von Galiläa in prächtigen weißen, roten und gelbroten Tönen erblühten, bereitete sich Gan Dafna auf einen Festtag besonderer Art. Es galt, Schawuot zu feiern, das Fest der ersten Früchte des neuen Jahres.