Bevor wir fallen

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Bevor wir fallen Page 23

by Bowen, Sarina


  Er öffnete die Augen und sah mich an. »Ich will nicht über sie reden, während ich hier mit dir liege.«

  »Sie? Was hat Stacia damit zu tun?«

  »Eine Menge. Dabei weiß sie es nicht mal.«

  Was? »Jetzt musst du es mir sagen.«

  Er rollte sich auf den Bauch und stützte das Kinn in die Armbeuge. »Niemand weiß davon. Keine Menschenseele.« Seine langen Wimpern berührten sein Oberlid, als er aufblickte, um mich anzusehen.

  Ich rückte näher und legte ihm eine Hand in den Nacken.

  Entspannt schloss er die Augen wieder. »Ich nehme an, dir ist schon aufgefallen, dass es in meiner Familienaufstellung keinen Vater gibt?«

  »Sicher«, hauchte ich, während ich weiter seinen Nacken streichelte.

  »Mein Erzeuger hat meine Mutter geschwängert, als sie beide gerade achtzehn waren. Sie arbeitete damals als Kellnerin in seinem Country Club.« Er öffnete die Augen und sah mich erneut an. »Wegen dem, was meiner Mutter passiert ist, bin ich übrigens sehr, sehr vorsichtig. Wenn du das nächste Mal zum Arzt gehst, könntest du …«

  Verhütung. »Okay.« Das konnte noch ein heikles Thema werden, denn die Pille würde ich, weil ich zu Blutgerinnseln neigte, womöglich nicht nehmen können. Aber fragen kostete nichts.

  Bevor er fortfuhr, schloss Hartley wieder die Augen. »Als ich noch klein war, schickten meine Großeltern väterlicherseits uns jeden Monat Geld. Als ich sechs wurde, hörten sie damit auf, weil er die finanzielle Unterstützung hätte übernehmen sollen. Aber er hat uns nie auch nur einen Dollar geschickt.«

  »Der Klassiker«, sagte ich. »Und deine Mutter hat ihn nie zur Rechenschaft gezogen?«

  Er schüttelte den Kopf. »Sie hat immer gesagt, dass sie ihn nicht öffentlich bloßstellen will. Dass sie sich selbst ständig schämte, spielte anscheinend keine Rolle. Es gab also kein Geld und auch keinen Dad, der mir zeigt, wie ich meine Hockeyschlittschuhe zubinden sollte …« Er verstummte.

  Ich beugte mich vor und küsste die samtige Haut an seiner Schulter.

  »Mm«, sagte er lächelnd. »Wo war ich gerade?«

  Ich hörte auf, ihn zu küssen. »Bei deinem arschigen Vater.«

  »Richtig. Tja, und jetzt bin ich hier, in den heiligen Hallen des Harkness College, und arbeite wie ein Besessener. Ich habe gelernt, nicht mehr an ihn zu denken, es sei denn, ich lese seinen Namen in der Zeitung.«

  »In der Zeitung?«

  Er nickte. »Er ist Filmproduzent. Ein sehr erfolgreicher. Spielt in der Oberliga. Ich habe immer gedacht, wenn ich selbst Erfolg habe, kann ich vielleicht irgendwann seine Anerkennung gewinnen. Ich habe mich sogar wegen ihm für dieses College entschieden.«

  »Aber das College ist doch super.«

  »Ja, schon, außer man hat einen Riesenkomplex, was reiche Leute angeht. Mir hätte eher ein Hockeystipendium in Michigan oder sonst wo gelegen. Stattdessen bin ich hierhergekommen, weil er ein Ehemaliger ist.«

  »Sag jetzt bitte nicht, dass du deine Entscheidung für Harkness bereust.« Ich stupste ihn an.

  »So habe ich das nicht gemeint.« Er küsste mich aufs Ohr. »Es ist bloß so, dass ich mich aus den falschen Gründen dafür entschieden habe. Und das macht es umso schwerer.«

  Ich schob mich auf Hartleys Rücken und machte es mir auf ihm bequem wie auf meinem Lieblingsmöbelstück. »Und was hat dein Vater mit Stacia zu tun?«

  »Richtig«, sagte er und holte tief Luft. »Callahan, ich kann nicht klar denken, wenn du deine Brüste an meinen Rücken presst.«

  »Versuch es.«

  »Na gut …«, gluckste er. »Als Stacia noch mit Fairfax zusammen war, hielt ich sie für das zickigste, verwöhnteste Mädchen, das mir je über den Weg gelaufen war. Doch eines schönen Nachmittags erzählte sie von diesem Nachbarn in Greenwich, der auf einer Dinnerparty ihrer Eltern gewesen war. Stacia schmeißt gerne mit wichtigen Namen um sich.«

  »Und dieser Nachbar … war dein Vater?«

  Er nickte.

  »Wow. Komischer Zufall. Also bist du deshalb mit ihr ausgegangen? Weil du ihn treffen wolltest?«

  Er schwieg einen Moment. »Nein, ich habe es nie darauf angelegt, ihm zu begegnen. Darum ging es mir nicht. Es war eher so, dass … na ja, sie war drinnen, während ich immer nur am Tor rüttelte. Deshalb kam sie mir auf einmal wahnsinnig anziehend vor. Ich dachte, wenn es mir gelingt, sie rumzukriegen, würde ich ebenfalls dazugehören.« Er verrenkte sich den Hals, um mich anzuschauen. »Dieser Mist hört sich laut ausgesprochen noch schlimmer an als in meinen Gedanken.«

  Ich bohrte die Daumen in die Muskeln seiner Schultern. »Erzähl weiter, Hartley.« Ich massierte ihm den Nacken, und er senkte den Kopf wieder.

  »Das letzte Jahr war toll. Jedenfalls dachte ich das. Ich hab sie Fairfax ausgespannt.«

  »Autsch.«

  Er lachte. »Das ist tatsächlich der weniger schlimme Teil der Geschichte. Fairfax hat es kaum etwas ausgemacht. Kein Typ hält es allzu lange mit Stacia aus. Aber egal, ich hab mir echt einen abgebrochen, um mit ihr zusammenzukommen. Es ist ja nicht so, als hätte ein Anruf genügt, um von ihr eingeladen zu werden. Wir hatten unsere kleinen Abenteuer, und feiern kann sie, als gäbe es kein Morgen. Ich hab fleißig eingesteckt, was auch immer sie ausgeteilt hat. Und immer, wenn ich am Steuer von Stacias Mercedes am Haus meines Vaters vorbeifuhr, bin ich mir verdammt toll vorgekommen.«

  Ich ließ nachdenklich die Hände auf seinem Rücken liegen.

  »Raus damit«, sagte Hartley. »Ganz schön erbärmlich, oder?«

  »Nichts an dir ist erbärmlich«, widersprach ich. »Ich wünschte nur, du würdest mir das glauben. Hast du ihn je gesehen?«

  »Nein, aber damit hatte ich auch nicht gerechnet. Ich nehme an, er arbeitet meistens von Los Angeles aus. Aber einmal habe ich seine Kinder gesehen, die auf dem Rasen Ball spielten. Nur ein paar Sekunden, weil ich ja schlecht anhalten konnte, doch das war wirklich hart.«

  »Oh mein Gott, du hast Geschwister? Sehen sie dir ähnlich?«

  Er zuckte mit den Achseln. »Schwer zu sagen. Sie sahen alle aus, als wären sie gerade einer Ralph-Lauren-Werbung entsprungen. Sauber und glänzend. Zwei Jungs, ein Mädchen.«

  Hartley drehte sich auf die Seite, sodass ich von ihm hinunterglitt. Nun lagen wir nebeneinander und sahen einander an.

  Ich zog mir verlegen das Laken über die Brüste.

  »Versteck sie nicht«, grinste Hartley. »Schließlich hat es Monate gedauert, bis ich sie endlich zu sehen bekommen habe.«

  »Monate?«

  »Klar doch.« Sein Grinsen verschwand. »Das war ein hartes Semester. Ein gebrochenes Bein, kein Hockey und keine schicke Prinzessin, die mich aufbauen konnte. Aber dann fing ich an, mit dir abzuhängen, Callahan. Und das ist mir echt zu Kopf gestiegen.«

  »Wieso?«

  »Weil du so real warst. Und weil du kein Problem damit hattest, alles zu benennen, was dir Angst eingejagt hat. Plötzlich ist mir aufgegangen, dass ich mich nicht einmal so mit Stacia unterhalten hatte wie mit dir. Ich saß da und wartete auf ein Mädchen, das ich überhaupt nicht liebte. Andererseits wollte sie mich immer noch, und ich konnte nicht anders, als das weiterhin irgendwie wichtig zu nehmen.« Ein trauriger Ausdruck trat in seine Augen. »Ich hatte Angst, die Verbindung zu kappen. Und ich habe mich dafür selbst zu hassen angefangen.«

  »Du lieber Himmel.«

  Er stieß die Luft aus. »Und dann saß ich an meinem Geburtstag hier und hab auf sie gewartet, dabei befand sich der Mensch, den ich eigentlich brauchte, auf der anderen Seite des Flurs. Aber selbst als ich endlich den Hintern hochbekam und zu dir ging, war ich nicht ganz aufrichtig, weil ich es wie ein Spiel aussehen ließ, obwohl es längst keins mehr war.« Er streckte die Hand aus und strich mir über das Haar. »Ich habe uns beide unnötig gequält, oder? Es tut mir leid.«

  Das entlockte mir ein Lächeln. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«

  »Du warst nur ehrlich, Callahan. Du hattest keine Angst, mir ins Gesicht zu sagen, dass du nicht bloß mit mi
r befreundet sein kannst. Es hat mich echt fertiggemacht, dass du die Eier hattest, mir das zu sagen. Deshalb wollte ich die Dinge in Ordnung bringen.« Er zog mich an sich und drückte meinen Kopf an seine Brust.

  Ich hörte sein Herz an meinem Ohr schlagen, und mein Puls nahm Fahrt auf. Ich war noch nicht daran gewöhnt, dass er mich so hielt, wie ich es mir insgeheim immer gewünscht hatte. In diesem Moment wollte ich nichts anderes, als so lange in seinem Bett zu bleiben, bis er mich daraus vertrieb. Allerdings hatte ich noch ein paar Fragen.

  »Weiß deine Mutter, dass du deinen Vater ausspioniert hast?«

  »Nein. Aber sie ist mir trotzdem auf die Schliche gekommen. Ihr war klar, dass an meiner Beziehung zu Stacia etwas nicht stimmte, und es gefiel ihr, mich deshalb ständig zu nerven. ›Wieso bist du mit ihr zusammen, Adam? Sie ist eine eingebildete Zicke, dafür bist du doch viel zu schlau‹, und so weiter und so fort. Meine Mom hasst alles an Greenwich, und Stacia hat sich auch nicht allzu sehr bemüht, sie auf ihre Seite zu ziehen.«

  »Warst du irgendwann mal versucht, Stacia von deinem Vater zu erzählen?«

  Er schüttelte den Kopf. »Man darf Stacia gegenüber keine Schwäche zeigen, sonst verspeist sie einen zum Frühstück.«

  »Das hat aber mit Liebe nichts zu tun.«

  Er küsste mich auf den Scheitel. »Ja, das weiß ich inzwischen auch. Deswegen kotze ich mich am Sonntagmorgen auch als Erstes bei dir aus. Du würdest mir nie in den Rücken fallen.«

  »Wenn man’s genau nimmt …«, ich spreizte die Finger auf seinem Bauch, »bin ich dir in die Arme gefallen.«

  Er vergrub die Nase in meinen Haaren. »Nur zu, ich habe nichts dagegen.«

  Hartley griff nach mir, als ich mit den Fingerspitzen über seine Taille strich.

  Nach mir.

  Als ich eine Stunde später Hartleys Tür öffnete, fläzte er sich noch immer halb bekleidet auf seinem Bett und blätterte in einer Sports Illustrated.

  Als er mich bemerkte, setzte er sich hastig auf. »Entschuldige, mir war nicht klar, dass du so schnell fertig sein würdest.«

  »Es war nur eine Viertelstunde, oder?«

  Er langte grinsend nach einem T-Shirt. »Es gibt Frauen, die meinen eine Dreiviertelstunde, wenn sie eine Viertelstunde sagen.« Er stülpte sich eine Baseballkappe über den Wuschelkopf. »Wohingegen ich nur fünfundvierzig Sekunden brauche.« Er verschwand im Bad, und ich hörte, wie er sich die Zähne putzte.

  Ich hatte meine Viertelstunde klug eingesetzt und mich für den Brunch aufgebrezelt. Dabei hatte ich mich mehr angestrengt als sonst, mir eine andere Jeans und ein frisches T-Shirt angezogen und sogar einen Hauch Lipgloss aufgetragen. Mit anderen Worten, ich wollte nicht so aussehen, als käme ich gerade aus Hartleys Bett, wenn ich den Speisesaal betrat.

  Doch als ich mich die Stufen zum Speisesaal hinaufzog, begann mein Gesicht, ungeachtet meiner Vorsichtsmaßnahmen, zu glühen. Vor dem Eingang blieb ich stehen und sah zu Hartley hoch.

  »Es ist komisch. Ich habe das Gefühl, als stünde es mir quer übers Gesicht geschrieben«, flüsterte ich.

  Er sah mich belustigt an. »Du bist so süß, wenn du nervös bist. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, es ist dir peinlich, mit mir gesehen zu werden.«

  »Das wird es sein«, gab ich zurück und holte tief Luft.

  Er trat nah an mich heran und legte mir eine Hand ins Kreuz. »Wie alt ist dieser Ort? Dreihundert Jahre?« Er senkte die Stimme zu einem sinnlichen Flüstern. »Wir sind bestimmt nicht die Ersten, die vor dem Sonntagsbrunch reichlich Sex hier hatten.«

  Er streifte mit den Lippen meine Wange. Eine Berührung, die meinen Körper in Flammen aufgehen ließ.

  »Mädchen studieren hier erst seit den Siebzigern«, bemerkte ich und atmete seine Wärme ein.

  »Was für eine Schande für die älteren Semester«, sagte er grinsend und zog mich noch näher zu sich heran.

  Seine Hände weckten das vertraute Pochen der Begierde in mir. Um meiner Zurechnungsfähigkeit willen schob ich ihn ein Stück von mir weg und atmete tief durch. »Du hilfst mir kein bisschen, wenn du dich so cool und teilnahmslos gibst.« Damit kehrte ich seinem Grinsen den Rücken und humpelte in den Speisesaal.

  Nun, da ich an Krücken ging und er nicht mehr, kümmerte Hartley sich ums Essen.

  »Das Tablett zu nehmen war mal meine Aufgabe«, stellte ich fest. Die vertauschten Rollen versetzten mir einen Stich. Er wurde wieder normal. Ich nicht.

  Er zuckte zusammen. »Wirst du mich hassen, wenn ich im Herbst wieder Hockey spiele, Callahan?«

  Im Herbst. Hartley ging also davon aus, dass wir dann noch zusammen sein würden. Eine Aussicht, die mir gefiel.

  »Nein«, entschied ich. »Dann werde ich dich endlich spielen sehen.«

  In seinem Gesicht ging die Sonne auf. »Wirklich?« Er beugte sich zu mir hinunter und streifte mit den Lippen meine Wange. »Ich hab mir deshalb schon Sorgen gemacht.«

  »Aber erwarte nicht von mir, dass ich wie ein Hockeyhase loskreische, wenn du aufs Eis gelaufen kommst. Und ein eng anliegendes Trikot mit deiner Nummer drauf zieh ich auch nicht an.«

  »Ach komm, das musst du tun«, sagte er mit einem Grinsen, während er nach den auf dem Tresen gestapelten Tellern griff.

  »Träum weiter.«

  In meiner Tasche summte mein Handy. Ich zog es heraus, aber es war lediglich mein Bruder, der anrief. Ich konnte ihn später zurückrufen.

  »Ich hol uns mal Kaffee«, teilte ich Hartley mit und schleppte mich weiter in den Speisesaal hinein.

  Ich ließ den Blick umherschweifen und überlegte, wo wir uns niederlassen sollten. An einem langen, gut besetzten Tisch saß Bridger, allerdings mit Stacia. Da also ganz bestimmt nicht. An unserem Lieblingstisch an der Tür entdeckte ich Dana und Daniel, die in ein Gespräch vertieft waren.

  »Wohin?«, fragte Hartley und hielt mir das Tablett hin, damit ich die Kaffeebecher daraufstellen konnte.

  »Na, die zwei haben es aber kuschelig«, sagte ich und deutete auf meine Mitbewohnerin.

  »Interessant«, kommentierte Hartley. »Aber die beiden mögen uns wenigstens. Setzen wir uns zu ihnen.«

  Als wir auf sie zugingen, hob Dana den Kopf. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein erfreutes Lächeln aus.

  »Kein Wort«, warnte ich sie, als ich neben ihrem Stuhl angekommen war, und wurde augenblicklich rot.

  »Okay.« Sie grinste in ihren Kaffee.

  Ich nahm neben Daniel Platz.

  Hartley stellte unser Tablett ab und rutschte dann neben Dana auf die Bank. »Morgen.«

  »Schöner Tag heute, nicht?«, fragte Daniel augenzwinkernd.

  »Ein sehr schöner Tag«, schwärmte Hartley, hielt aber sofort den Mund, als ich ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. »Wenn auch wenig bemerkenswert.«

  Dana kicherte.

  »Ms Corey«, sagte Daniel. »Falls Sie die Gerüchteküche nicht weiter anheizen wollen, sollten Sie demnächst darauf achten, dass Ihnen dieser junge Mann keinen weiteren Riesenknutschfleck verpasst.«

  »Was?« Ich drehte den Kopf, konnte meinen Hals ohne Spiegel aber natürlich nicht sehen.

  »Erwischt!«, rief Daniel, worauf Dana krampfhaft loskicherte.

  »Wer Freunde wie euch hat …«, murmelte ich finster.

  Doch mit der Zeit wurde ich lockerer, und jedes Mal, wenn ich in Hartleys hübsches Gesicht gegenüber sah, fühlte ich mich ein wenig unbeschwerter.

  »Also, Corey«, rief mir Daniel ins Gedächtnis, »lass dich von einer leidenschaftlichen Nacht nicht von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens ablenken. Ashforth House hat gelobt, das heutige Spiel nicht zu verlieren, und ich mache mir Sorgen, dass wir genau das tun werden.«

  »Wieso?«

  »Der Bär und Allison spielen im Sinfonieorchester.«

  »Der Bär macht klassische Musik? Echt jetzt?«

  »Er spielt Tuba. Und Allison die erste Bratsche. Ich hänge mich nach dem Brunch mal ans Telefon …« Er warf einen Blick auf die Uhr, dann sah
er meine Mitbewohnerin an. »Würdest du aushelfen?«

  Als ich sah, wie hin- und hergerissen Dana war, wurde mir klar, dass sie scharf auf Daniel war. Einen anderen Grund für ihr Zögern konnte es unmöglich geben.

  »Ich kann nicht«, sagte sie schließlich. »Ich würde mich bloß immer wegducken, wenn der Ball auf mich zufliegt.«

  »Das verstößt nicht gegen die Regeln«, merkte ich an.

  In diesem Moment meldete sich mein Handy. Eine SMS von Damien.

  Wo bist du? Beaumont-Speisesaal?

  Als das Telefon gleich darauf noch mal summte, ging ich dran.

  »Damien?«

  »Sag mir bitte, dass du beim Brunch bist«, antwortete mein Bruder. »Weil ich mich nämlich gerade die Treppe raufquäle.«

  »Was? Echt? Warum?«

  »Warum? Was soll das heißen? Weil ich dich sehen will. Bist du oben?«

  Alarmiert blickte ich zum Eingang, wo ein paar Sekunden später mein Bruder unter dem Rundbogen erschien und düster unter seiner Harkness-Baseballmütze hervorspähte. Als er meinem Blick begegnete und lächelte, ließ ich vor Schreck das Handy auf den Tisch fallen.

  Und im nächsten Moment beugte er sich auch schon über mich und nahm mich in den Arm. »Hey, hab ich dich gefunden.« Er griff nach einem Stuhl von dem verwaisten Tisch neben unserem und drehte ihn schwungvoll herum. Dann ließ er sich am Tischende zwischen Hartley und mir darauf nieder.

  Verdammt.

  »Äh, Dana, das ist mein großer Bruder Damien.«

  Damien schien für mein Unbehagen vollkommen unempfänglich. »Du bist also Dana. Freut mich, dich endlich mal kennenzulernen.«

  Sie schüttelte ihm strahlend die Hand.

  »Daniel kennst du ja vielleicht schon. Und Hartley natürlich auch.« Ich fühlte, wie ich rot wurde, als ich seinen Namen aussprach.

  »Was geht, Hartley? Wie ich sehe, ist der Gips ab. Da bist du bestimmt wieder quietschfidel.«

  Quietschfidel? Wenn ich keinen Weg fand, mich aus dieser peinlichen Lage zu befreien, würde ich binnen zehn Minuten tot umfallen. Ich warf Hartley über den Tisch einen verstohlenen Blick zu. Gott sei Dank besaß er genug gesunden Menschenverstand, nicht allzu belustigt dreinzuschauen.

 

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