by Paul Celan
* * *
STREU OCKER in meine Augen:
du lebst nicht
mehr drin,
spar
mit Grab-
beigaben, spar,
schreite die Steinreihen ab,
auf den Händen,
mit ihrem Traum
streich über die
ausgemünzte
Schläfenbeinschuppe,
an der
großen
Gabelung er-
zähl dich dem Ocker
dreimal, neunmal.
* * *
SCHWANENGEFAHR,
Lappentaucher-
Bedrohung,
der Eisbewimperte mit
Kraken-
armen,
du, bekrallter
Jakuten-
Puschkin:
Hei, Chebeldei, Chebeldei.
* * *
SCHALTJAHRHUNDERTE, Schalt-
sekunden, Schalt-
geburten, novembernd, Schalt-
tode,
in Wabentrögen gespeichert,
bits
on chips,
das Menoragedicht aus Berlin,
(Unasyliert, un-
archiviert, un-
umfürsorgt? Am
Leben?),
Lesestationen im Spätwort,
Sparflammenpunkte
am Himmel,
Kammlinien unter Beschuß,
Gefühle, frost-
gespindelt,
Kaltstart –
mit Hämoglobin.
* * *
QUELLPUNKTE, nachts,
auf den Fernstrecken,
göttergewärtig,
deine Ausläufer, Hirnberg,
im Herz-Du,
von ihnen
umschäumt.
* * *
TRECKSCHUTENZEIT,
die Halbverwandelten schleppen
an einer der Welten,
der Enthöhte, geinnigt,
spricht unter den Stirnen am Ufer:
Todes quitt, Gottes
quitt.
* * *
DU SEI WIE DU, immer.
Stant up Jherosalem inde
erheyff dich
Auch wer das Band zerschnitt zu dir hin,
inde wirt
erluchtet
knüpfte es neu, in der Gehugnis,
Schlammbrocken schluckt ich, im Turm,
Sprache, Finster-Lisene,
kumi
ori.
* * *
WIRK NICHT VORAUS,
sende nicht aus,
steh
herein:
durchgründet vom Nichts,
ledig allen
Gebets,
feinfügig, nach
der Vor-Schrift,
unüberholbar,
nehm ich dich auf,
statt aller
Ruhe.
Schneepart
I
UNGEWASCHEN, UNBEMALT,
In der Jenseits-
Kaue:
da,
wo wir uns finden,
Erdige, immer,
ein
verspätetes
Becherwerk geht
durch uns Zerwölkte hindurch,
nach oben, nach unten,
aufrührerisch
flötets darin, mit Narren-
beinen,
der Flugschatten im
irisierenden Rund
heilt uns ein, in der Sieben-
höhe,
eiszeitlich nah
steuert das Filzschwanenpaar
durch die schwebende
Stein-Ikone
* * *
DU LIEGST im großen Gelausche,
umbuscht, umflockt.
Geh du zur Spree, geh zur Havel,
geh zu den Fleischerhaken,
zu den roten Äppelstaken
aus Schweden –
Es kommt der Tisch mit den Gaben,
er biegt um ein Eden –
Der Mann ward zum Sieb, die Frau
mußte schwimmen, die Sau,
für sich, für keinen, für jeden –
Der Landwehrkanal wird nicht rauschen.
Nichts
stockt.
* * *
LILA LUFT mit gelben Fensterflecken,
der Jakobsstab überm
Anhalter Trumm,
Kokelstunde, noch nichts
Interkurrierendes,
von der
Stehkneipe zur
Schneekneipe.
* * *
BRUNNENGRÄBER im Wind:
es wird einer die Bratsche spielen, tagabwärts, im Krug,
es wird einer kopfstehn im Wort Genug,
es wird einer kreuzbeinig hängen im Tor, bei der Winde.
Dies Jahr
rauscht nicht hinüber,
es stürzt den Dezember zurück, den November,
es gräbt seine Wunden um,
es öffnet sich dir, junger
Gräber-
brunnen,
Zwölfmund.
* * *
DAS ANGEBROCHENE JAHR
mit dem modernen Kanten
Wahnbrot.
Trink
aus meinem Mund.
* * *
UNLESBARKEIT dieser
Welt. Alles doppelt.
Die starken Uhren
geben der Spaltstunde recht,
heiser.
Du, in dein Tiefstes geklemmt,
entsteigst dir
für immer.
* * *
HURIGES SONST. Und die Ewigkeit
blutschwarz umbabelt.
Vermurt
von deinen lehmigen Locken
mein Glaube.
Zwei Finger, handfern,
errudern den moorigen
Schwur.
* * *
WAS NÄHT
an dieser Stimme? Woran
näht diese
Stimme
diesseits, jenseits?
Die Abgründe sind
eingeschworen auf Weiß, ihnen
entstieg
die Schneenadel,
schluck sie,
du ordnest die Welt,
das zählt
soviel wie neun Namen,
auf Knien genannt,
Tumuli, Tumuli,
du
hügelst hinweg, lebendig,
komm
in den Kuß,
ein Flossenschlag,
stet,
lichtet die Buchten,
du gehst
vor Anker, dein Schatten
streift dich ab im Gebüsch,
Ankunft,
Abkunft,
ein Käfer erkennt dich,
ihr steht euch
bevor,
Raupen
spinnen euch ein,
die Große
Kugel
gewährt euch den Durchzug,
bald
knüpft das Blatt seine Ader an deine,
Funken
müssen hindurch,
eine Atemnot lang,
es steht dir ein Baum zu, ein Tag,
er entziffert die Zahl,
ein Wort, mit all seinem Grün,
geht in sich, verpflanzt sich,
folg ihm
* * *
ICH HÖRE, DIE AXT HAT GEBLÜHT,
ich höre, der Ort ist nicht nennbar,
ich höre, das Brot, das ihn ansieht,
heilt den Erhängten,
das Brot, das ihm die Frau buk,
ich höre, sie nennen das Leben
die einzige Zuflucht.
* * *
MIT DER STIMME DER FELDMAUS
quiekst du herauf,
eine scharfe
Klammer,
beißt du dich mir durchs Hemd in die Haut,
ein Tuch,
gleitest du mir auf den Mund,
mitten in meiner
dich Schatten beschwerenden
Rede.
* *
*
IN ECHSEN-
häute, Fall-
süchtige,
bett ich dich, auf den Simsen,
die Giebel-
löcher
schütten uns zu, mit Lichtdung.
* * *
SCHNEEPART, gebäumt, bis zuletzt,
im Aufwind, vor
den für immer entfensterten
Hütten:
Flachträume schirken
übers
geriffelte Eis;
die Wortschatten
heraushaun, sie klaftern
rings um den Krampen
im Kolk.
* * *
II
DIE NACHZUSTOTTERNDE WELT,
bei der ich zu Gast
gewesen sein werde, ein Name,
herabgeschwitzt von der Mauer,
an der eine Wunde hochleckt.
* * *
DU MIT DER FINSTERZWILLE,
du mit dem Stein:
Es ist Überabend,
ich leuchte hinter mir selbst.
Hol mich runter,
mach mit uns
Ernst.
* * *
EINGEJÄNNERT
in der bedornten
Balme. (Betrink dich
und nenn sie
Paris.)
Frostgesiegelt die Schulter;
stille
Schuttkäuze drauf;
Buchstaben zwischen den Zehen;
Gewißheit.
* * *
SCHLUDERE, Schmerz,
schlag ihr nicht ins Gesicht,
erpfusch dir
die Sandknubbe im
weißen Daneben.
* * *
STÜCKGUT gebacken,
groschengroß, aus
überständigem Licht;
Verzweiflung hinzugeschippt,
Streugut;
ins Gleis gehoben die volle
Schattenrad-Lore.
* * *
VON QUERAB
komm ein, als die Nacht,
das Notsegel
bauscht sich,
eingeschreint
an Bord
ist dein Schrei,
du warst da, du bist unten,
unterhalb bist du,
ich geh, ich geh mit den Fingern
von mir,
dich zu sehn,
mit den Fingern, du Untre,
die Armstrünke wuchern,
das Leuchtfeuer denkt
für den ein-
sternigen Himmel,
mit dem Schwertkiel
les ich dich auf.
* * *
HOLZGESICHTIGER,
schlackermäuliger
Narr überm Tretrad:
am Ohrlappen hängt
dir das Aug
und hüpft
begrünt.
* * *
LARGO
Gleichsinnige du, heidegängerisch Nahe:
über-
sterbens-
groß liegen
wir beieinander, die Zeit-
lose wimmelt
dir unter den atmenden Lidern,
das Amselpaar hängt
neben uns, unter
unsern gemeinsam droben mit-
ziehenden weißen
Meta-
stasen.
* * *
ZUR NACHTORDNUNG Über-
gerittener, Über-
geschlitterter, Über-
gewitterter,
Un-
besungener, Un-
bezwungener, Un-
umwundener, vor
die Irrenzelte gepflanzter
seelenbärtiger, hagel-
äugiger Weißkies-
stotterer.
* * *
MIT DEN SACKGASSEN sprechen
vom Gegenüber,
von seiner
expatriierten
Bedeutung –:
dieses
Brot kauen, mit
Schreibzähnen.
* * *
ETWAS WIE NACHT, scharf-
züngiger als
gestern, als morgen;
etwas wie einer
Fischmäuligen Gruß
übern Jammer-
tresen;
etwas Zusammengewehtes
in Kinderfäusten;
etwas aus meinem
und keinerlei Stoff.
* * *
III
WARUM DIESES JÄHE ZUHAUSE, mittenaus, mittenein?
Ich kann mich, schau, in dich senken, gletschrig,
du selbst erschlägst deine Brüder:
eher als sie
war ich bei dir, Geschneete.
Wirf deine Tropen
zum Rest:
einer will wissen,
warum ich bei Gott
nicht anders war als bei dir,
einer
will drin ersaufen,
zwei Bücher an Stelle der Lungen,
einer, der sich in dich stach,
beatmet den Stich,
einer, er war dir der nächste,
geht sich verloren,
einer schmückt dein Geschlecht
mit deinem und seinem Verrat,
vielleicht
war ich jeder
* * *
WARUM AUS DEM UNGESCHÖPFTEN,
da’s dich erwartet, am Ende, wieder
hinausstehn? Warum,
Sekundengläubiger, dieser
Wahnsold?
Metallwuchs, Seelenwuchs, Nichtswuchs.
Merkurius als Christ,
ein Weisensteinchen, flußaufwärts,
die Zeichen zuschanden-
gedeutet,
verkohlt, gefault, gewässert,
unoffenbarte, gewisse
Magnalia.
* * *
MAPESBURY ROAD
Die dir zugewinkte
Stille von hinterm
Schritt einer Schwarzen.
Ihr zur Seite
die
magnolienstündige Halbuhr
vor einem Rot,
das auch anderswo Sinn sucht –
oder auch nirgends.
Der volle
Zeithof um
einen Steckschuß, daneben, hirnig.
Die scharfgehimmelten höfigen
Schlucke Mitluft.
Vertag dich nicht, du.
* * *
DER ÜBERKÜBELTE ZURUF: dein
Gefährte, nennbar,
neben dem abgestoßenen Buchrand:
komm mit dem Leseschimmer,
es ist
die Barrikade.
* * *
HERVORGEDUNKELT, noch einmal,
kommt deine Rede
zum vorgeschatteten Blatt-Trieb
der Buche.
Es ist
nichts herzumachen von euch,
du trägst eine Fremdheit zu Lehen.
Unendlich
hör ich den Stein in dir stehn.
* * *
MIT DIR DOCKE kungeln, es kommt
der Lumpenkarren daher-
gejazzt, mit uns
wills dahin,
die gestopfte
Trompete
haucht uns zeitauf,
ins härteste
Ohr dieser Welt,
auch so
klemmts uns Rot-
holzige zwischen
Zulieb und Zuleid,
dann,
wenn es uns loshakt,
sackst du mir mitten
ins Sein.
* * *
AUCH DER RUNIGE wechselt die Fahrbahn:
mitten
im Greiftrupp
schabt er
sich Greifend-Gegriffenen rot,
Mohrrübe, Schwester,
mit deinen Schalen
pflanz mich Moorigen los
aus seinem
Morgen,
in den
Hochkörben, beim
abgerufenen Zündschwamm,
hinauf-
gestiegen ins pha
llische
Hirntransplantat, übertagt
der für immer geheutigte
Wundstein.
* * *
DEINEM, AUCH DEINEM
fehldurchläuteten Schatten
gab ich die Chance,
ihn, auch ihn
besteinigt ich mit mir
Gradgeschattetem, Grad-
geläutetem – ein
Sechsstern,
dem du dich hinschwiegst,
heute
schweig dich, wohin du magst,
Zeitunterheiligtes schleudernd,
längst, auch ich, auf der Straße,
tret ich, kein Herz zu empfangen,
zu mir ins Steinig-Viele
hinaus.
* * *
MAUERSPRUCH
Entstellt – ein Engel, erneut, hört auf –
kommt ein Gesicht zu sich selber,
die Astral-
waffe mit
dem Gedächtnisschaft:
aufmerksam grüßt sie
ihre
denkenden Löwen.
* * *