Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition) Page 19

by Kiefer, Lena


  Fuck.

  Mein Körper reagierte ohne mein Zutun, er spannte sich an, aktivierte alle Kräfte und sprintete zu der Stelle wie ein Wahnsinniger.

  »Kenzie!« Ich stoppte, schlitterte auf dem Kies, beugte mich zu ihr. Sie lag auf dem Rücken, die Flasche Whiskey in einer Hand, ihre Augen offen. Erleichterung machte mir die Knie weich. Sie war bei Bewusstsein.

  »Geh weg«, sagte sie, und ich hörte, dass sie nicht nur getrunken, sondern auch geweint hatte.

  »Das kannst du vergessen.« Ich ging neben ihr in die Hocke, nahm ihr die Flasche ab. Sie war noch dreiviertel voll. Das bedeutete, Kenzie würde am nächsten Tag einen ordentlichen Kater haben, aber sie war weit davon entfernt, sich zu vergiften. »Was ist passiert?«

  Sie schnaubte und schluchzte gleichzeitig. »Das geht dich einen feuchten Dreck an. Was willst du überhaupt hier? Gib das wieder her.« Kenzie setzte sich auf und griff nach der Flasche. Dafür, dass sie schon einiges getrunken hatte, war ihre Aussprache relativ klar. Musste das schottische Erbe sein. Oder der Whiskey hatte seine volle Wucht noch nicht entfaltet.

  »Was ich hier will? Ich habe mir Sorgen gemacht.«

  »Du?« Kenzie schnaubte noch einmal, aber es klang eher kläglich. »Warum solltest du dir Sorgen um mich machen?«

  Ich setzte mich neben sie und brachte die Flasche aus ihrer Reichweite. »Weil du von dem Empfang verschwunden bist und die hier mitgenommen hast?«

  »Jaha, und das ist eine Party, zu der du nicht eingeladen bist«, maulte sie.

  »Sieht mir nicht nach Party aus. Eher nach Flucht.«

  »Und wenn schon. Manchmal ist Flucht die beste Option. Zum Beispiel, wenn du nicht in aller Öffentlichkeit heulend zusammenbrechen willst.«

  »Vergiss, was Fiona da geredet hat«, sagte ich. »Sie hatte schon immer das Feingefühl eines Amboss.«

  »Ach, sie hat ja recht.« Kenzie nahm einen Kiesel und warf ihn wütend ins Wasser. »Jedes Mal, wenn ich das Foto sehe, frage ich mich, was an diesem beschissenen Felsen so besonders ist.« Sie schaute mich an und schien vergessen zu haben, dass sie mich eigentlich nicht in ihrer Nähe wollte. »Wieso steigt meine Mutter auf einen Felsen, von dem sie abstürzen und sterben kann? Warum macht sie das? Denkt denn jeder in dieser verdammten Welt nur an sich?!«

  »Ich bin sicher, dass deine Mutter nicht aus Egoismus auf diesen Felsen gestiegen ist«, sagte ich ruhig und fing Kenzies Hand ein, die nach der Flasche verlangte. Sie machte sich los, ihre Augen funkelten.

  »Ach nein? Wieso denn dann? Aus welchem guten Grund lässt du deinen Mann und deine vier Kinder allein in England, um in Tasmanien das Foto deines Lebens zu machen? Warum machst du das, wenn es dir nicht scheißegal ist, was mit denen ist? Nein.« Sie lachte bitter auf. »Das hat sie gemacht, weil sie sich verwirklichen wollte. Weil wir ihr nicht genug waren. Wahrscheinlich nie.«

  Andere hätten in diesem Moment wahrscheinlich tröstende Worte gefunden, etwas Nettes gesagt, das es besser machen sollte. Aber ich war nicht hier, um es besser zu machen – weil das gar nicht ging. Ich war hier, um Kenzie aus diesem Loch aus Trauer wieder herauszuholen. Damit sie sich den Staub abklopfen und weitermachen konnte.

  »Ich glaube nicht, dass ich jemals größeren Schwachsinn gehört habe als das«, sagte ich also.

  Sie starrte mich an. »Woher willst du das wissen?«, fauchte sie. »Du kanntest sie doch überhaupt nicht. Und selbst wenn, du bist doch genauso! Du drohst und verletzt Menschen, wann immer es dir in den Kram passt. Ich habe gehört, was du zu Drew gesagt hast, und dann hast du erst mich geküsst und am gleichen Tag dieses Model gevögelt …« Sie schnaubte und schüttelte den Kopf. »Du bist ja wohl der König der Egoisten, Lyall Henderson. Klar, dass du sie verstehst.«

  Ich blieb stumm, weil es furchtbar wehtat, was sie sagte. Weil es der Wahrheit so nahekam und trotzdem so unendlich weit davon entfernt war.

  Kenzie sah mich an, schien etwas in meinem Gesichtsausdruck zu erkennen. Und plötzlich verschwand die Wut aus ihren Augen.

  »Gott, hör dir das an«, sagte sie, nun ganz leise und bedauernd. »Ich bin kein bisschen anders. Ich tue dir weh, nur weil ich hoffe, dass es mir dann besser geht. Ich bin ein grauenhafter Mensch.«

  Sie holte zittrig Luft und begann dann zu weinen – so bitterlich, dass es mir innerhalb einer Sekunde das Herz brach. Ohne darüber nachzudenken, nahm ich sie in die Arme. Im ersten Moment versteifte sie sich, ich wollte schon wieder loslassen. Aber da wurde ihr Körper plötzlich weich und sie ließ die Umarmung zu.

  »Das ist nicht wahr«, sagte ich leise. »Ich kenne grauenhafte Menschen und die sind anders als du. Und weniger hübsch, nebenbei gesagt.«

  »Lüg mich nicht an«, schluchzte sie an meiner Schulter. »Ich bin wütend auf meine Mutter, Lyall. Meine tote Mutter. Das ist doch scheiße.«

  Lächelnd strich ich ihr über die Haare. »Es ist menschlich. Das ist alles.«

  Was immer meine Worte in ihr auslösten, sie brachten sie wieder zum Weinen, und ich zog sie enger an mich, um sie einfach festzuhalten. Und während sie den Kummer von wer weiß wie vielen Jahren rausheulte, strich ich ihr über den Rücken und ließ sie ansonsten weinen. Erst nach einer Weile wurde sie ruhiger und machte sich schließlich von mir los.

  »Besser?«, fragte ich und lächelte.

  Sie nickte und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. »Weißt du, was komisch ist?«, fragte sie. »Es ist sechs Jahre her, und keiner hat mich je gefragt, wie es sich angefühlt hat, sie zu verlieren.«

  »Okay.« Ich holte Luft. »Wie hat es sich angefühlt?«

  Kenzie lachte freudlos. »Willst du das wirklich wissen?«

  »Ja.« Und ich glaube, es ist wichtig, dass du es jemandem sagst .

  Sie schwieg und brauchte einen Moment, bis sie antwortete. »Es war schrecklich. Nicht der Augenblick, wo ich es erfahren habe. Sondern der, wo es mir klar geworden ist. Er kündigt sich nicht an, er schickt keinen Brief und sagt, an dem und dem Datum ist es so weit. Nein. Er kommt dann, wenn du es nicht erwartest. Und dann fegt er dich von den Füßen und zerreißt dich in winzig kleine Fetzen.« Sie holte tief Luft. »Aber das Schlimmste ist … er kommt immer wieder. Gerade, wenn du denkst, dass es besser wird. Wenn du die Fetzen wieder zusammengesetzt hast und glaubst, du hast das Schlimmste geschafft, dann … dann sagt jemand etwas über sie oder du findest zu Hause etwas von ihr, und alles geht von vorne los.«

  Kenzies Worte gingen mir direkt ins Herz, und ich spürte ihren Schmerz, als wäre es mein eigener. Schließlich wusste ich, wie das war. Nur ganz anders als sie.

  »Es tut mir leid«, sagte ich.

  »Das mit meiner Mum? Das hast du bereits gesagt, weißt du nicht mehr? In deinem Zimmer.«

  »Ich weiß. Und ich meine nicht deine Mum. Ich meine das mit dir. Dass dich nie jemand danach gefragt hat.«

  »Du hast gefragt.« Sie lächelte. »Danke.« Dann lehnte sie sich wieder an mich und ich atmete aus. Das hier machte nichts einfacher, aber alles besser. Und der Rest war mir gerade egal.

  »Wolltest du je die Zeit zurückdrehen?«, fragte Kenzie irgendwann leise in die Stille hinein. »Um was anders zu machen?«

  Ich versteifte mich und hoffte, sie merkte es nicht. »Wer will das nicht«, umging ich eine Antwort. »Warum fragst du? Wegen deiner Mum?«

  Sie nickte, ich spürte es an meiner Schulter. »Früher habe ich gedacht, das wäre Bullshit. Aber dann starb sie, und ich wusste, es ist wahr. Dass man sich wünscht, man hätte etwas anderes gesagt als: Bring mir eins von diesen Schildern mit einem Känguru mit. «

  Ich lachte auf. »Das hast du gesagt?«

  »Allerdings. Meine Mum war so oft weg, es war keine große Sache mehr für uns. Aber wenn ich gewusst hätte, dass sie nicht zurückkommt …«

  »Dann was? Hättest du ihr gesagt, dass du sie lieb hast und würdest dich jetzt besser fühlen?« Ich schüttelte den Kopf. »Das ist Bullshit. Niemand rechnet damit, wenn Menschen plötzlich sterben. Wir alle tun so, als würde so etwas nicht passieren. Und dann passiert es doch, und man sitzt da, fragt sich, ob man etwas hätte anders machen können … aber am Ende ist es scheißegal. Es wird nicht leichter, jemanden zu
verlieren, nur weil man ihm vorher noch sagen konnte, dass man ihn liebt.«

  Kenzie schwieg einige Momente und hob dann den Kopf, um mich anzusehen. »Du kannst echt weise sein, wusstest du das?«

  Ich lachte stumm. »Nein, ich hatte keine Ahnung. Aber –« Mein Handy begann zu klingeln. Schnell zog ich es aus der Tasche und nahm den Anruf an. »Hey. Ich habe sie gefunden.«

  »Geht es ihr gut?«, fragte Edina.

  Ich sah zu Kenzie neben mir. »Mehr oder weniger. Es ist jedenfalls kein Fall für den Notruf.«

  »Okay.« Meine Schwester atmete aus. »Kommst du bald zurück? Die Auktion startet gleich, und wenn Moira nicht erfahren soll, warum du wirklich weg bist, musst du spätestens dann wieder da sein.«

  »Die Auktion muss ohne mich stattfinden«, sagte ich. »Ich kann hier jetzt nicht weg.«

  »Verstehe. Ich tue, was ich kann, Bruderherz. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass es keinen Ärger gibt.«

  »Ich weiß. Danke.« Sie legte auf.

  »Wer war das?« Kenzie sah mich an, und ich wusste, ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Sie wirkte zwar weniger verloren als noch vor einer halben Stunde, aber dennoch zitterte sie leicht, vor Kummer und wahrscheinlich auch vor Kälte. Schnell zog ich das Jackett meines Anzugs aus und legte es ihr um die Schultern, dann zog ich sie wieder sanft an mich. Sie schmiegte sich in meine Arme, das Gesicht an meiner Schulter, und sie war nicht die Einzige, die sich entspannte.

  »Nur Edina. Sie wollte wissen, ob ich dich gefunden habe. Ich hab ihr gesagt, es ist alles okay.«

  »Du hast dir wirklich Sorgen um mich gemacht, oder?«, fragte Kenzie leise. »Warum?« Ich kam nicht zu einer Antwort, denn sie schien sich selbst eine zu geben. Erschrocken löste sie sich von mir und sah mich an. »Wegen dieses anderen Mädchens, oder? Das verschwunden ist? Oh Lyall, es tut mir so leid, ich wollte nicht –«

  »Hör auf«, brachte ich sie sanft zum Schweigen. »Das hat nichts mit ihr zu tun, oder mit dem, was damals passiert ist. Ich habe mir deinetwegen Sorgen gemacht. Nicht wegen irgendwelcher Erinnerungen.« Sie sah mich an, trotz des Alkohols mit erstaunlich klarem Blick – und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm auszuweichen. »Komm, Miss Bennet«, sagte ich schnell und stand auf, sie immer noch fest im Arm. »Es ist besser, ich bringe dich ins Bett.«

  Der Campingplatz war nicht weit weg und Kenzie nicht so betrunken wie befürchtet, deswegen war es keine große Anstrengung, sie bis zu ihrem Van zu bringen. Ich öffnete ihn mit ihrem Schlüssel und scheiterte daran, einen Schalter zu finden, bis sie es tat. Blindlings griff sie in irgendeine Ecke und dezentes Licht erleuchtete das Innere. Dann schloss sie die Tür hinter mir und suchte in ihrem Bett, bis sie eine Jogginghose und ein übergroßes schwarzes Shirt fand.

  »Kannst du das mal aufmachen?« Kenzie griff in ihrem Nacken nach dem Reißverschluss des Kleides und bekam ihn nicht zu fassen.

  Falls du dich gefragt hast, wann der richtige Moment ist, um dich zu verabschieden und zu gehen: Das ist er.

  »Klar«, sagte ich, griff nach dem Verschluss und zog ihn mit angehaltenem Atem herunter, bevor ich zurücktrat und mich schließlich umdrehte.

  »Was wird das denn?«, fragte sie verwundert.

  »Du willst dich doch umziehen, oder?«

  »Und da dreht Lyall Henderson sich um?« Sie klang belustigt.

  »Lyall Henderson dreht sich dann um, wenn die Dame betrunken ist und er sich deswegen absolut angemessen verhalten möchte.«

  »Ich bin nicht betrunken. Höchstens ein bisschen.« Kenzie fasste mich am Arm und brachte mich dazu, sich wieder zu ihr umzuwenden. Sie war längst in ihren bequemen Klamotten. Ich streckte die Hand aus und berührte sie an der Wange. Da hob sie den Kopf und ihre Lippen streiften meine. Es war nur eine sachte Berührung, aber sie steckte meinen Körper von einer Sekunde auf die andere in Brand. Wie machte sie das nur, dass ich mir in ihrer Nähe niemals trauen konnte?

  »Ich sollte jetzt lieber gehen«, sagte ich leise. Bevor ich es nicht mehr schaffte. Aber ich rührte mich nicht.

  »Verstanden, du bist wirklich ein Gentleman.« Kenzie trat einen Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken, um mir in die Augen zu sehen. »Aber du hast gesagt, du bringst mich ins Bett, schon vergessen?«, sagte sie, und ich fragte mich, wie viel Whiskey aus ihr sprach und wie viel Kenzie. Und welches Verhältnis mir lieber war.

  »Du stehst einen halben Meter neben deinem Bett«, informierte ich sie mit einem schiefen Grinsen.

  »Es heißt aber nicht Ich bringe dich einen halben Meter neben dein Bett .« Sie seufzte, ließ sich auf die Matratze fallen und legte die Hand auf die freie Seite neben sich. »Komm schon. Sonst findest du nie heraus, dass Campingbetten echt bequem sind. Ich verspreche auch, ich werde deine Ritterlichkeit keiner weiteren Prüfung unterziehen.«

  Ich seufzte innerlich darüber, wie wenig ich ihr entgegenzusetzen hatte, dann legte ich mich neben sie auf den Rücken.

  »Und, was sagst du?« Sie sah mich an.

  »Es ist ziemlich bequem«, gab ich zu.

  »Sag ich doch.« Sie flüsterte diese Worte, dann kuschelte sie sich an mich, als wäre es das Normalste auf der Welt. Als hätten wir das schon hundertmal getan.

  »Du riechst so unglaublich gut«, murmelte sie, und ihr Atem strich über die Haut an meinem Hals. Ihrer verwaschenen Stimme hörte ich an, dass die Wirkung des Whiskeys langsam ihren Höhepunkt erreichte. »Und du siehst so unglaublich gut aus. Und du küsst unglaublich. Warum musst du dich manchmal wie ein unglaublicher Idiot benehmen?«

  Sie sagte es mit solcher Inbrunst, dass ich auflachte, bevor die altbekannte Schwärze mich erfassen konnte. »Gerade bin ich doch ziemlich nett«, widersprach ich.

  »Stimmt, bist du. Das bist du meistens, wenn nicht jemand aus deiner Familie auftaucht oder du irgendwelche Models flachlegst.« Sie schnaubte, aber ihr Blick, der mich traf, war todernst.

  »Ich weiß, das war …« Ich brach ab.

  »Was?«, hakte sie nach.

  »Dumm«, sagte ich schlicht. »Es war der dumme Versuch, Kilmore zu vergessen … und das mit uns.«

  »Du willst das mit uns vergessen?« Sie sah mich an, aber ihr Blick war nicht verletzt. Eher fragend.

  »Ich will nicht, ich muss es vergessen.« Sanft strich ich ihr über die Haare.

  »Warum?« Es war eine klare Frage, so direkt gestellt, dass es mir das Herz zerriss, darauf eine Antwort zu geben. Ich zog Kenzie in meine Arme, um sie nicht ansehen zu müssen, als ich es tat.

  »Weil es besser so ist«, flüsterte ich, während ein tiefer Schmerz an meinem Innern zog. »Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber glaub mir, ich bin beschädigte Ware. Nichts weiter als ein hübscher Karton mit einem Haufen Schutt drin.«

  Kenzie schüttelte ihren Kopf, was ich mehr spürte, als es zu sehen. »Das glaube ich nicht.«

  »Ich weiß«, lächelte ich traurig. »Genau deswegen kann ich dir das nicht antun. Ich kann dir mich nicht antun.«

  »Lyall«, wisperte sie und ließ mich nicht los, so als wüsste sie, dass es auch besser für sie war, mich dabei nicht anzusehen. »Es wirkt heute Abend bestimmt nicht so, aber glaub mir: Ich halte eine Menge aus.«

  »Ich weiß, aber es geht dabei nicht um dich. Sondern um mich. Ich würde das nicht aushalten.«

  »Woher willst du das wissen, wenn du es nicht versuchst?«

  Ihre Worte versetzten mir einen heftigen Stich in den Magen und meinem Herz einen schmerzhaften Stoß. Dieses Mädchen in meinen Armen, dieses großartige, starke Mädchen gab mir gerade eine Chance auf etwas, das für mich in unerreichbare Ferne gerückt war. Und ich konnte nicht mehr tun, als ihr das auszureden. Weil sie nicht wusste, was sie da sagte. Weil sie keine Ahnung hatte, was es bedeutete, mit mir zusammen zu sein. Da war nicht nur meine komplizierte Familie oder die Tatsache, dass sie mir verboten, zu lieben, wen ich wollte … da war vor allem ich. Ich und meine Vergangenheit, deren Schwärze nicht einmal Kenzies Licht vertreiben konnte. Die ganze Zeit hatte ich so besessen meinen Plan verfolgt, an den Vorgaben unserer Familie etwas zu ändern, dass ich gar nicht bemerkt hatte: Für mich kam das alles zu spät. Denn das, was a
n mir hing, würde nie verschwinden. Es haftete an mir wie ein schwarzer Schatten, der sich auf jeden ausdehnte, der es wagte, sich in mich zu verlieben. Ich würde nicht zulassen, dass jemand diese Grenze überschritt. Schon gar nicht Kenzie.

  Ich brachte es nicht übers Herz, ihr das zu sagen, also schluckte ich den Kloß in meinem Hals und blieb still, streichelte zart ihren Rücken und spürte bald darauf, dass sie eingeschlafen war. Vorsichtig machte ich mich von ihr los und drängte das schmerzhafte Ziehen in meinem Magen weg, als ich aufstand.

  »Lyall?«, erklang es da verschlafen hinter mir. »Wo willst du hin?«

  »Ich muss zurück ins Hotel, kann ich dich allein lassen?«, fragte ich leise.

  Kenzie hatte sich aufgesetzt und ihre Haare standen im Schein des Lichtes wie ein Heiligenschein von ihrem Kopf ab. »Kannst du nicht hierbleiben?«, fragte sie dann. »Es ist doch schon total spät, niemand wird dich vermissen.«

  Ich musste gegen meinen Willen lächeln. »Hast du eine Ahnung.«

  Sie strich sich ihre Haare zurück. »Lass mich nicht betteln, okay? Ich war heute schon erbärmlich genug.«

  »Du warst alles, aber nicht erbärmlich.«

  »Dann sorg dafür, dass es so bleibt.« Sie streckte ihre Hand aus und ich hatte auch jetzt nicht die Kraft zu widerstehen. Der Verlockung, nur eine einzige Nacht neben einem Mädchen zu verbringen, das mir wirklich etwas bedeutete.

  Also kehrte ich zu ihr zurück, ließ mich von ihr wieder in diese Welt ziehen, in der es uns beide geben konnte, und schloss meine Arme um sie.

  Und obwohl ich es nicht wollte, obwohl ich mich krampfhaft davon abhielt und immer wieder aufschreckte … die Wärme von Kenzies Körper an meinem und das Vertrauen, das sie mir in diesem Moment entgegenbrachte, weil sie tief und fest neben mir schlief, führten dazu, dass ich in einen Schlaf fiel, in dem ich zum ersten Mal seit Wochen nicht von Albträumen heimgesucht wurde.

  20

  Kenzie

  Als ich am Morgen aufwachte, war ich allein. Allein mit meinem überdimensionalen Schädel, der rein rechnerisch gar nicht in Loki hineinpassen konnte. Ich schloss die Augen und lehnte mich wieder in die Kissen, versuchte, mich an die Einzelheiten dieser Nacht zu erinnern. Manches war verschwommen – die Tirade über meine Mutter, mein Lauf runter zum Loch oder der zurück zum Campingplatz.

 

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