by Kiefer, Lena
»Na, dann lass mal hören, Kleiner.« Jamie lächelte. »Ich habe jede Menge Zeit.«
24
Kenzie
Nach dem Meeting mit Theodora Henderson war ich wie im Rausch. Sie hatte Lyalls und mein Konzept im Gespräch mit Paula und Moira beinahe komplett durchgeboxt, danach auch noch im Hotelrestaurant mit mir zu Mittag gegessen und dabei jede Frage beantwortet, die mir eingefallen war.
Ich war so inspiriert, dass ich Hunderte Ideen aufs Papier bringen wollte, aber seit ich mich von ihr verabschiedet hatte – und das war schon fast sechs Stunden her –, hatte ich rein gar nichts auf die Reihe bekommen. Weder das Zeichnen noch die geplante Wäscheaktion oder den Einkauf. Die Euphorie hatte meine Konzentrationsfähigkeit völlig ausgeknockt. Also gab es am Abend eine Pizza to go vom Italiener an der Ecke und einen Film über eine flippige Amerikanerin, die sich in Australien in einen murrenden Hostelbetreiber verliebt. Lyall meldete sich die ganze Zeit nicht auf meine überschwängliche Nachricht. Erst als es schon nach Mitternacht war, leuchtete das Handy-Display neben mir auf.
Es freut mich, dass Mum eine Hilfe war. Aber ich glaube, mein Blutzuckerspiegel nimmt lieber den ewigen Dank als das Edinburgh Rock.
Ich grinste und tippte eine Antwort.
Sehr gerne. Ich binde dir eine Schleife drum und lege ihn zurecht, damit du ihn dir abholen kannst, wenn du wieder da bist.
Falls ich zurückkomme. Vielleicht nehme ich auch einfach einem Kind die Luftmatratze weg und lasse mich aufs Meer raustreiben.
Etwas an den eigentlich witzigen Worten ließ mich die Stirn runzeln.
Alles okay?, fragte ich.
Ja, klar. Es war einfach ein eigenartiger Abend.
Ich starrte einen Moment auf die Antwort, dann ging ich in meine Kontakte und wählte kurzerhand Lyalls Nummer. Textnachrichten waren bei solchen Themen anstrengend und Sprachnachrichten irgendwie nichts für mich. Außerdem hatte ich das vage Gefühl, dass Lyall mit jemandem reden musste.
Es klingelte nur zweimal, dann ging er dran.
»Hey, Miss Bennet«, sagte er.
Ich spürte, wie sich Wärme in mir ausbreitete, als ich seine Stimme hörte. Wie die Aufregung, die mir der heutige Tag beschert hatte, plötzlich einer Ruhe wich, die ich von mir nicht kannte. Ich musste lächeln, als ich es bemerkte.
»Kenzie? Bist du dran?«
»Ja, ich bin dran«, sagte ich schnell. »Ich war nur in Gedanken.«
»In Gedanken an was?«
»An dich.« Hatte ich das echt laut gesagt? »Ich meine, ich habe mich gefragt, was du so machst im unerträglich hässlichen Südspanien. Und ob du schon einen Ball an den Kopf bekommen hast.«
Er lachte und das Flattern in meinem Bauch drehte eine Extrarunde. »Bisher noch nicht, aber morgen habe ich gute Chancen. Da geht nämlich das offizielle Turnier los.«
»Dann setz lieber einen Helm auf.« Ich schnappte mir meine dünne Decke und breitete sie über meine nackten Beine. »Du hast gesagt, es wäre ein komischer Abend gewesen. Was war los?«
Lyall zögerte und ich hörte ihn tief einatmen. »Ich habe jemanden getroffen, den ich lange nicht gesehen und früher sehr gemocht habe. Und das war … krass.«
Ich runzelte die Stirn. »Warum? Hattet ihr Streit?« Einen Moment dachte ich, dass es um irgendeine Ex von ihm ging. Aber so klang es nicht.
»Nein, keinen Streit. Mir ist nur bewusst geworden, dass es Dinge gibt, die sich nicht reparieren lassen, wenn sie erst mal jemand zerstört hat.« Das war ebenso kryptisch wie das davor, und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
»Wir müssen nicht darüber reden«, bot ich also an. Ich war zwar gut darin, Leuten etwas aus der Nase zu ziehen, aber wenn Lyall nicht über diese Begegnung sprechen wollte, dann war das sein gutes Recht.
Er holte erneut hörbar Luft. »Es ist nicht so, dass ich es dir nicht erzählen will. Ich weiß nur nicht, ob ich es sollte.«
»Hast du etwa noch nicht von der innendesignerlichen Schweigepflicht gehört?«, scherzte ich. »Was immer es ist, es ist bei mir sicher.«
»Das ist es bestimmt.« Lyall lachte. »Aber darum geht es gar nicht. Ich weiß nur nicht, ob ich dich da mit hineinziehen soll.«
Okay, das klang schon ernster. Neugierig war ich trotzdem. Aber ich forderte ihn nicht auf, mir mehr zu sagen. »Deine Entscheidung, Henderson. Wir können auch darüber reden, welche Farbe der Helm haben soll, den du morgen trägst.«
Wieder ein Lachen, aber nur sehr kurz. »Ich habe einen Onkel, Jamie. Er ist der jüngste von Mums Geschwistern und war mal ein ziemlich genialer Koch, bis er sich einen üblen Fehltritt geleistet und meine Grandma ihn aus der Familie geworfen hat.«
Ich erinnerte mich an die vielen Online-Artikel über James Henderson. Sie alle hatten von einem Drogenskandal im New Yorker Hotel der Familie berichtet. Ich hatte mir aber keine Details durchgelesen.
»Ich habe von der Sache mit den Drogen gehört«, sagte ich. »Und du hattest seither keinen Kontakt zu ihm?«
Lyall ließ ein Schnauben hören. »Nein. Nicht, weil ich es nicht wollte. Es wurde mir verboten.«
»Verboten?«, echote ich. »Warum?«
»Weil das in unserer Familie so läuft. Wenn du rausgeworfen wirst, darf niemand mehr mit dir Kontakt haben. Das ist eine Henderson-Regel. Verstößt du dagegen, bist du ebenfalls raus.«
Wow. »Das ist echt hart.« Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das sein musste. Meine Schwestern und ich waren so eng miteinander, dass es völlig unmöglich schien, eine von ihnen nicht jederzeit anrufen zu können.
»Allerdings. Jedenfalls … ich habe ihn heute getroffen. Und es geht ihm nicht besonders gut, aber ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll.« Lyall seufzte. »Er war früher so wichtig für mich, er war wie ein großer Bruder. Bevor er seine Ausbildung gemacht hat, wohnte er bei uns und hat oft auf Edie und mich aufgepasst, weil meine Eltern so viel gearbeitet haben. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen, und heute ist mir bewusst geworden, dass ich ihn genauso habe hängen lassen wie alle anderen.«
»Hattest du denn eine Wahl? Wenn es ein Kontaktverbot gab?«
»Man hat doch immer eine Wahl, oder nicht?«
Ich schwieg einen Moment. »Ja, so sagt man«, meinte ich dann. »Aber was bringt es, dich jetzt dafür runterzumachen? Du hast ihn wiedergetroffen und wirst einen Weg finden, ihm zu helfen.« Was sicher nicht einfach war, wenn Lyall mit jedem Kontakt Gefahr lief, ebenfalls ausgeschlossen zu werden. Aber das gilt nicht für mich. Der Gedanke war plötzlich da. In meinem Kopf ratterten die Zahnräder und kamen schließlich zu einem Ergebnis. »Das ist es«, murmelte ich.
»Kenzie?«, fragte Lyall. »Was ist los?«
»Moment, lass mich mal kurz denken.« Ich ging die Optionen durch. »Wo ist dein Onkel jetzt?«
»Er ist in so einem Aussteiger-Camp bei Huelva, es ist ziemlich abgefuckt dort. Wieso fragst du?«
»Hat er immer noch Probleme mit Drogen?«
»Nein. Ich meine, ich weiß es nicht. Er hat gesagt, er sei clean, und ich hatte keinen Grund, das anzuzweifeln.«
»Dann habe ich in High Wycombe vielleicht die richtige Adresse für ihn. Diane ist eine Freundin von meinem Dad, sie leitet auf einem alten Hof ein Projekt für Ex-Süchtige, die sonst schwierig Jobs bekommen oder mit der normalen Welt überfordert sind. Wenn wir es irgendwie schaffen, ihn nach England zu bekommen, würde sie ihn bestimmt aufnehmen. Und da du Diane nicht mal kennst, könnte man es dir nicht zur Last legen.«
Schweigen am anderen Ende. Ich dachte schon, die Verbindung wäre unterbrochen, weil es so still war. Aber dann atmete Lyall ein.
»Das wäre großartig«, sagte er, und es klang so, als hätte er einen Kloß im Hals. Ich musste lächeln.
»Ich rufe sie gleich morgen an und kläre ab, ob sie Platz hat.«
»Wenn du das Okay bekommst, kümmere ich mich um ein Flugticket. Finlay hat irgendeine Kreditkarte, die nicht ganz legal ist, die kann ich dafür nutzen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Finlay derjenige von euch beiden ist, der eine Kreditkarte auf falschen Namen hat«, grinste ich.
»Er spielt Monopoly mit echtem Geld, was has
t du denn erwartet?«, schnaubte Lyall belustigt. Aber dann wurde er wieder ernst. »Danke, Kenzie. Du bist wirklich unglaublich.«
Ich war froh, dass er nicht sah, wie verlegen mich seine Worte machten. »Gern geschehen«, sagte ich also nur.
»So, und jetzt erzähl mir von dem Termin heute. Haben Moira und Mum mal wieder Kompetenzbillard gespielt?«
»Allerdings«, lachte ich. »Aber am Ende haben sie nicht nur meine, sondern auch deine Entwürfe abgesegnet. Deine Mum war total begeistert von den Grundrissänderungen.«
»Dann sind wir ja offenbar ein gutes Team.«
»Ja, sind wir.« Wieder stieg dieses warme Kribbeln in mir auf. Ich räusperte mich. »Okay, willst du den kompletten Bericht von heute? Das könnte allerdings dauern, und ich verspreche nicht, dass ich zwischendrin nicht extrem fangirle.«
Lyall lachte erneut und ich merkte, dass ich es mochte, wenn er das tat. »Ich bin seit fast 22 Jahren der Sohn meiner Mutter, ich bin das Fangirlen gewohnt. Aber dann sollte ich mir kurz etwas anziehen.«
»Wie, du … hast nichts an?« Ich spürte, wie mein Mund mit einem Mal ziemlich trocken wurde. Schließlich hatte ich genug von Lyall gesehen, um die Bilder in meinem Kopf nun sehr lebendig werden zu lassen. »Du lügst doch.«
»Ich lüge nicht. Ich wollte duschen gehen, als du angerufen hast, also habe ich mir nur schnell ein Handtuch umgewickelt. Und das ist gerade eben runtergefallen, als ich aufgestanden bin. Also …« Bildete ich mir das ein oder war seine Stimme jetzt eine Nuance tiefer?
»Also stehst du vollkommen nackt in deinem Zimmer?« Ich schlug meine Decke zur Seite, weil mir plötzlich viel zu warm war, obwohl ich nur ein Trägertop und Shorts trug.
»Du stellst dir das gerade vor, oder?«, fragte Lyall, und es klang eher interessiert als belustigt.
»Ich bin sehr visuell veranlagt«, rechtfertigte ich mich.
Er lachte dunkel. »Soll ich dieser Veranlagung ein bisschen auf die Sprünge helfen?«
Ich wollte mit einem höflichen Nein, danke ablehnen, aber ich blieb stumm, weil es gelogen gewesen wäre. Lyall nahm das zum Anlass, unser Gespräch ohne Vorwarnung auf Videoanruf umzustellen. Ich sah sein Gesicht mit den dunklen Haaren, die ihm in die Stirn fielen, aber bevor ich darüber nachdenken konnte, wie gut er und wie zerrupft ich aussah, schwenkte er nach unten auf seine Schultern, und ich vergaß, dass ich meine Haare zu einem chaotischen Knäuel gedreht hatte. Stattdessen starrte ich gebannt auf das Display meines Handys und auf Lyalls Körper, der jetzt in Sicht kam. Sein Oberkörper war tatsächlich nackt und verursachte mir einen unanständig hohen Puls, dann glitt die Kamera weiter nach unten, ich hielt den Atem an …
… und sah schließlich den Bund einer schwarzen Sporthose. Ich schnappte nach Luft.
»Du hast mich verarscht!«, empörte ich mich.
»Und du hast mir geglaubt«, erwiderte er zufrieden, und ich sah wieder sein Gesicht.
»Nur, weil … weil ich –«
»Weil dir die Vorstellung gefallen hat«, half er großzügig aus und grinste, was ich so sexy fand, dass ich mich nicht gegen seine Behauptung wehrte.
»Ich bin eine Frau. Wir wissen eine gewisse Optik zu schätzen.« Ich sah ihn arrogant an.
»Eine gewisse nackte Optik«, korrigierte er.
»Hör auf damit!« Ich musste lachen. »Bring mich nicht so in Verlegenheit, Mister Darcy, das gehört sich nicht für einen Mann deines Standes.«
»Meines Standes ? Du reitest dich echt immer weiter rein, Kenzie.«
»Ich lege jetzt auf«, drohte ich, immer noch lachend.
»Was denn, du legst auf, ohne von mir zu verlangen, dass ich mein leeres Versprechen doch noch einlöse?«, zog er mich auf. »Das enttäuscht mich irgendwie. Ich dachte, du wärst eines dieser modernen Mädchen.«
»Bin ich auch«, machte ich. »Aber sag mir mal, Lyall Henderson, was genau bringt es mir, wenn du dich am anderen Ende von Europa ausziehst?« Ich senkte die Stimme und imitierte seinen verführerischen Tonfall von vorhin. »Ganz abgesehen davon, dass ich so etwas als modernes Mädchen am liebsten selbst erledige.«
Sein selbstzufriedenes Grinsen verschwand. »Guter … Punkt.« Er räusperte sich.
»Du stellst dir das gerade vor, oder?« Nun war es an mir, zu grinsen. Retourkutsche geglückt, würde ich sagen.
»Allerdings. Und deswegen muss ich jetzt dringend duschen. Kalt.« Er zeigte nach rechts, wo wahrscheinlich das Badezimmer lag.
»Lass dich nicht abhalten«, sagte ich gnädig.
»Das lasse ich selten«, antwortete er ernst. »Schlaf gut, du männermordende Version einer Miss Bennet. Und danke noch mal.«
»Schlaf du auch gut, Mister Darcy.«
Dann legte ich auf und fiel zurück auf mein Bett, atmete aus, während in meinem Bauch etwas zirkusreife Kapriolen schlug, die Hitze langsam abebbte und einer ganz anderen Wärme Platz machte. Einer, die viel tiefer ging. Und plötzlich war mir klar, was das bedeutete.
Ich war dabei, mich zu verlieben. In Mister Darcy höchstpersönlich, Stadtfeind von Kilmore, unhöflichster Supermarktbesucher des Jahres. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass ich lächelte, als ich es bemerkte. Denn trotz allem, was ich über ihn wusste oder auch nicht, machte mir dieses Gefühl keine Angst.
Ganz im Gegenteil.
25
Lyall
»Haben Sie noch zusätzliches Gepäck, Mister Henderson?« Die Angestellte von British Airways am Schalter des Flughafens Pablo Ruiz Picasso in Málaga lächelte mich fragend an.
Ich erwiderte es. »Nein, nichts.« Ich reiste nur mit Handgepäck, denn die Golfausrüstung für das Turnier war nicht meine gewesen, sondern das Ersatzset von Eric. Nicht, dass es etwas gebracht hatte, mit den Schlägern eines guten Golfers zu spielen.
»Dann ist es Gate 12. Guten Flug, Sir.«
»Vielen Dank.« Ich nahm meine Tasche und machte mich auf den Weg zu den Sicherheitskontrollen.
Die Woche war schneller vergangen als erwartet – und glimpflicher verlaufen als befürchtet. Eric bestritt die meisten der Konversationen, mit denen wir konfrontiert wurden, und ich beschränkte mich auf mein charmantestes Lächeln und ein paar Small-Talk-Sätze aus dem Henderson-Repertoire. Freundlich beantwortete ich die Fragen nach Mum und Edina und nickte fleißig, wenn man mir zu den Erfolgen der Hotelgruppe gratulierte, obwohl ich damit rein gar nichts zu tun hatte. Zum Glück waren bei dem Turnier vor allem ältere Herren anwesend und kaum jüngere Leute, denn es hätte mir überhaupt nicht in den Kram gepasst, irgendein Mädchen zu treffen, mit dem ich früher einmal etwas gehabt hatte.
Abseits des Turniers, das ich wie erwartet als schlechtester Teilnehmer beendet und damit Onkel Eric echt glücklich gemacht hatte, war genug Zeit gewesen, Jamie erneut zu besuchen und ihm Kenzies Vorschlag zu unterbreiten. Erst war er skeptisch gewesen, hatte sich dann aber meiner Meinung angeschlossen, dass es die beste Zwischenlösung war, bis ich das mit dem Familienrat geregelt hatte. Nächste Woche schon würde er nach England fliegen und dort bei Diane unterkommen. Damit war er erst einmal versorgt, auch wenn es mir immer noch das Herz zerriss, wie kaputt ihn die letzten Jahre gemacht hatten.
Es machte mich nach wie vor sprachlos, wie Kenzie mir dabei geholfen und ohne Zögern eine Lösung gesucht hatte, wo mir die Hände gebunden gewesen waren. Wir hatten in der Woche noch öfter telefoniert und geredet, wobei die Gespräche meist doch irgendwann in gefährliche Gefilde abgedriftet waren. Ich drängte die Erinnerung an unser gestriges Telefonat beiseite, als sie mir in dieser verlockenden Stimmlage gesagt hatte, sie freue sich darauf, wenn ich wieder da wäre. Nicht hilfreich.
Ich passierte die Kontrolle und machte mich auf den Weg zu meinem Gate. Unterwegs kaufte ich mir einen überteuerten Kaffee und setzte mich dann in eine der vielen Sesselreihen mit Blick auf die Startbahn. Kaum hatte ich jedoch den E-Reader rausgeholt, um etwas zu lesen, da klingelte mein Telefon. Ich grinste, als ich den Anrufer sah.
»Ich hoffe, du hast ein richtig schlechtes Gewissen, Mann«, begrüßte ich Finlay.
»Kein bisschen, Alter«, sagte er vergnügt. »Wenn du wüsstest, wie viele Bälle, Empfänge und Charity-Events
ich schon von dir ferngehalten habe, wärst du mir dankbar, dass du nur dieses eine übernehmen musstest.«
»Du stehst ja auch auf dieses ganze Zeug.« Was das anging, war Finlay der perfekte Henderson-Kerl – immer gut drauf, höflich, charmant und von allen geliebt. Eigentlich brauchte er nur noch eine kluge, hübsche Frau, die gut ins Unternehmen passte, und unsere Großmutter würde wohlwollend die Augenbraue heben – was bei ihr so etwas wie Ausrasten vor Freude war. Nur dass mein Cousin keine Anstalten machte, sich so jemanden zu suchen. Das konnte er gar nicht.
»Das ist wahr«, sagte er. »Aber es ist nie gut, Grandmas Ansagen in die Quere zu kommen.«
»Tja, genau das haben wir diese Woche so was von getan.« Und es hatte sich verdammt gut angefühlt.
»Ja, aber niemand wird uns dabei erwischen.« Finlays Grinsen konnte ich förmlich sehen. »Bist du noch im Hotel?«
»Nein, am Flughafen. Ich sitze am Gate und genieße meinen echt lausigen Caffè Americano für 4 Euro.«
»Wieso gehst du nicht in die Priority-Lounge?«, fragte Finlay. »Die haben meist richtig guten Kaffee.«
»Ich weiß. Aber ich habe keinen Bock auf die Leute dort.«
Mein Cousin lachte. »Lye, du bist echt der einzige Mensch auf der Welt, der es nicht mag, Geld und Privilegien zu haben. Wie kann man es nur so scheiße finden, Teil dieser Familie zu sein?«
»Das müsstest du doch am besten wissen«, rutschte es mir heraus, weil es mich immer sauer machte, wenn er so was sagte. Aber sofort wurde mir klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. »Fin, sorry«, schob ich schnell nach. »Ich wollte nicht …«
»Was wolltest du nicht?« Er klang bitter. »Mich daran erinnern, dass die Frau, die ich liebe, unerreichbar ist? Ich habe Neuigkeiten für dich, Mann: Das musst du nicht. Es gibt vielleicht fünf Minuten am Tag, in denen ich nicht darüber nachdenke.«
Ich umfasste den Kaffeebecher so fest, bis mir die Hitze fast ein Loch in die Hand brannte. »Also hat sich nichts geändert zwischen euch?«, fragte ich kleinlaut.
Finlay schnaubte. »Die Frage ist rhetorisch, oder? Du weißt, dass ich wirklich alles versuche, um sie zu vergessen. Und manchmal denke ich, es geht langsam bergauf, aber dann ruft sie an oder ich sehe irgendein Bild auf Instagram … und alles ist zum Teufel.«