Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition) Page 32

by Kiefer, Lena


  Ich schüttelte mechanisch den Kopf. »Nein, ich brauche das Praktikum für meine Bewerbung. Außerdem hat Leni mir versprochen, bis zu meiner Rückkehr keinen Fuß vor die Tür zu setzen, ohne dabei eine Ganzkörperrüstung zu tragen.« Drew lachte und ich deutete nach draußen. »Hast du zufällig den Schlüssel für Loki?«

  »Ich? Nee. Der ist drüben im Hotel, da ist schließlich immer jemand an der Rezeption. Als der Fahrer ihn gebracht hat, habe ich gedacht, das wäre besser. Ich wusste ja nicht, wann du kommst.«

  Na super. Wenn ich irgendwo nicht hinwollte, dann ins Grand .

  Drew musterte mich aufmerksam. »Was war das eigentlich für ein Typ, der Loki hergefahren hat? Du warst doch in den Highlands, oder?«

  »Ach, so ein Fahrdienst vom Flughafen in Edinburgh«, log ich und war zu erschöpft, um darüber zu erschrecken, wie leicht mir diese Lüge über die Lippen kam. »Ich bin dorthin, als ich das mit Eleni erfahren habe. Und da es nicht viel teurer war als Loki dort stehen zu lassen, dachte ich, nutze ich das Angebot.«

  Drew hob die Schultern, und ich war froh, dass er nicht weiter nachfragte. Als ich mich zum Gehen wandte, sprach er mich aber doch noch mal an. »Amy, Tamhas und ein paar andere treffen sich heute Abend unten am Loch, wir wollen was trinken und ein bisschen feiern. Komm doch auch, wenn du magst.«

  »Klar.« Ich nickte, lächelte noch einmal und ging dann los. Ob ich wirklich kommen würde, wusste ich nicht. Gerade fühlte es sich an, als wäre es schon zu anstrengend, ein fünfminütiges Gespräch mit Drew zu führen und nicht in Tränen auszubrechen. Ich, die selbst nach dem Tod meiner Mutter in einem Stück geblieben war, fühlte mich jetzt, als könnte mich die kleinste Brise in meine Einzelteile zerlegen. Vielleicht, weil das mit meiner Mum passiert war, ohne dass ich daran Schuld hatte. Ich war das Opfer dieser Tragödie gewesen, nicht die Verursacherin. Aber die Sache mit Lyall, das hatte ich selbst getan. Ich hatte ihm und mir mutwillig das Herz gebrochen. Nicht aus freien Stücken, natürlich nicht. Nur machte das keinen Unterschied.

  Der Weg zum Grand erschien mir viel länger als sonst, und die ganze Zeit über schaute ich mich um, ob ich Lyall irgendwo entdecken konnte. Einerseits hoffte ich darauf, ihn zu sehen, aber auf der anderen Seite hatte ich riesige Angst. Davor, dass er mir die Wahrheit am Gesicht ablesen würde: wie schrecklich verliebt ich in ihn war. Und dass ich ihm das alles nie hatte antun wollen.

  Er begegnete mir jedoch weder im Park noch in der Lobby, als ich dort an den Tresen trat und die Mitarbeiterin nach dem Schlüssel zu meinem Auto fragte. Sie ging ins Büro, um ihn zu holen. Während ich wartete, sprach mich jemand an.

  »Kenzie, du bist wieder da.« Ich fuhr herum um und sah mich Moira Henderson gegenüber. Sie lächelte freundlich, aber ich brachte es nicht fertig, es zu erwidern. Nicht, wo ich mittlerweile wusste, dass sie Teil dessen war, was mich zu dieser Entscheidung gezwungen hatte. »Wie geht es deiner Schwester? Erholt sie sich gut?«

  Ich nickte. »Ja, danke. Sie wird wieder.«

  »Das freut mich. Und wie geht es dir?«

  »Ich bin nur müde«, murmelte ich tonlos. Wie lange brauchte die verdammte Concierge denn, um meinen blöden Schlüssel zu finden? »Die letzte Woche war stressig.«

  »Mrs Henderson?« Ein junger Mann in Kochuniform trat zu uns. »Wir sind jetzt bereit für das Testessen. Meine Kollegen bringen gerade alles hinüber zu Ihrem Haus.«

  »Sehr schön, Nigel. Fangen Sie doch schon an, alles dort vorzubereiten, ich bin in zehn Minuten da.« Dann fiel ihr Blick auf mich. »Möchtest du vielleicht mit uns essen? Wir grillen, um die Auswahl der Speisen für die Highland Games zu verkosten und haben ohnehin viel zu viel.«

  »Nein, danke«, sagte ich steif, auch wenn ich wusste, ich durfte nicht unhöflich sein. »Ich möchte lieber meine Ruhe.«

  Moira nickte. »Das verstehe ich. Solltest du es dir jedoch anders überlegen – wir sind im Garten hinter meinem Haus. Ich würde mich sehr freuen, wenn du kommst.« Sie berührte kurz meine Schulter, nahm den Schlüssel für Loki von ihrer Mitarbeiterin entgegen und gab ihn mir. Ich bedankte mich knapp, dann flüchtete ich aus der Lobby und joggte zurück zum Campingplatz. Aber wenn ich gedacht hatte, hier wäre ich in Sicherheit, dann hatte ich mich getäuscht.

  In dem Moment, als ich den Wagen aufschloss und hineinstieg, wusste ich, dass mein Zufluchtsort für alle Zeiten zerstört war. Lokis Innenraum war voller Erinnerungen an Lyalls und meine gemeinsame Zeit in den Highlands: ob die Küchenzeile, auf die er mich gehoben hatte, um mich zu küssen, der Boden, auf dem unsere Klamotten gelandet waren, und natürlich das Bett. Ich stand im Durchgang, starrte auf die Decken, auf das Kissen, wo er gelegen hatte, als ich versucht hatte, ihn mit einer guten Zwei auf den Arm zu nehmen. Ich sah die Matratze an, auf die er seine Arme gestützt hatte, als ich mehr von ihm gefordert und alles bekommen hatte. Ich erinnerte mich an jede einzelne Sekunde, an jede Berührung, jedes Flüstern, an die unglaubliche Nähe zwischen uns. Der Kloß in meinem Hals wurde übermächtig groß und im nächsten Moment brach ich in Tränen aus. Ich war so stolz darauf gewesen, immer zu wissen, was zu tun war. Aber jetzt hatte ich keine Ahnung, was ich machen sollte. Wie ich weitermachen sollte.

  Die Minuten vergingen, während ich einfach nur dastand und weinte. Dann fiel mein Blick auf Lyalls Reisetasche, die wir bei unserer überstürzten Abreise auf der Sitzbank festgeschnallt hatten. Mit zitternden Händen löste ich den Gurt und nahm sie herunter, stellte sie so vorsichtig vor mir auf den Boden, als wäre sie eine Bombe. Scheiße, was sollte ich denn damit machen? Ich wagte nicht, sie zu öffnen, aus Angst darin Kleidung zu finden, die nach Lyall roch – es würde schlimm genug sein, das Bett neu zu beziehen. Aber hierlassen konnte ich die Tasche auch nicht. Sie war ein Beweis dafür, dass er nach der Rückkehr aus Andalusien mit mir unterwegs gewesen war.

  Ich angelte das Handy aus meinem Rucksack und rief den Messenger auf. Ohne zu wissen, wie, schaffte ich es tatsächlich, Lyall eine Nachricht zu schicken.

  Deine Sachen sind noch bei mir. Was soll ich damit machen?

  Ich konnte sie ihm nicht bringen und er würde sie nicht selbst holen. Hoffentlich würde er das nicht. Es war viel zu gefährlich. Nicht nur für ihn, sondern vor allem für mich.

  Es dauerte keine Viertelstunde, bis es an meinem Camper klopfte. Mein Puls schnellte innerhalb einer Sekunde auf 200 und ich sprang auf. War er es? War er selbst hergekommen? Hastig sah ich in den Spiegel, ob man mir meine Tränen ansehen konnte, aber ich war vorzeigbar. Voller Angst und Hoffnung zog ich den Hebel zurück und öffnete die Tür.

  »Hi.« Es war Finlay.

  »Hi.« Enttäuschung und Erleichterung kämpften erbittert gegeneinander, als ich ausatmete und merkte, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. »Komm rein.« Es war besser, er stand nicht vor meinem Wagen herum, wenn Drew in der Nähe war.

  Zögernd stieg Finlay in den Camper. Heute war kein bisschen seiner Fröhlichkeit zu sehen, aber ich nahm es ihm nicht übel. Wenn man einer meiner Schwestern das angetan hätte, was ich Lyall an den Kopf geworfen hatte, wäre ich mit einem Messer auf ihn oder sie losgegangen.

  »Hier«, ich zeigte auf die Tasche, die ich nicht angerührt hatte. Dann holte ich aus dem Schrank unter der Küchenzeile einen großen schwarzen Müllsack. »Vielleicht packst du sie besser da rein.«

  Er tat es, ohne ein Wort mit mir zu reden, dann klemmte er sich das Bündel unter den Arm und wandte sich zur offenen Tür. »Ich hoffe, dir wird irgendwann klar, wen du da hast gehen lassen«, sagte er und sah mich auf eine Weise an, die mich tief traf. Wenn schon Finlay mich mit solcher Verachtung bedachte, wie musste es erst Lyall gehen?

  Ich hätte es Finlay so gerne gesagt. Ich hätte ihm so gerne verraten, worum Edina mich gebeten hatte – dass es gute Gründe für mein abscheuliches Verhalten gab. Aber das Risiko war zu groß, dass Finlay es Lyall sagen würde. Deswegen blieb ich bei meiner Geschichte, so unendlich schwer mir das auch fiel. »Ich wollte ihm nicht wehtun«, sagte ich also nur. »Danke, dass du die Sachen geholt hast.«

  Finlay nickte. »Kein Problem. Ich tue alles für ihn. Obwohl er diesen Ballast mit sich herumträgt.«

/>   Die Worte schnitten mir ins Herz wie ein Messer. Ich hatte Glück, dass Finlay sich längst umgedreht hatte und verschwunden war, als ich die Tür zuschlug und mir erneut die Tränen kamen. Unwirsch wischte ich sie weg. Ich musste das in den Griff kriegen, verdammt noch mal. Wenn ich herumlief wie ein Häufchen Elend, würde mir Lyall niemals abnehmen, dass ich keine Gefühle für ihn hatte.

  Ich zog meine Schuhe an und beschloss, eine Runde am See spazieren zu gehen. Frische Luft half mir immer, um mich wieder auf die Reihe zu kriegen. Und wenn ich dann später zurückkam, würde ich das Bett neu beziehen, mich draußen auf den Rasen setzen und warten, bis ich so müde war, dass ich nicht mehr an Lyall denken konnte, bevor ich einschlief. Das würde funktionieren.

  Es musste einfach.

  33

  Lyall

  Der Wald flog rechts und links an mir vorbei, als ich beschleunigte und auf meiner Uhr die Zeit checkte. Sie war hervorragend, natürlich. Ich war nie besser als in Momenten wie diesen. Wahrscheinlich hätte ich vor Wettkämpfen immer jemanden bitten sollen, mich abzuservieren, dann wäre mir jeder Sieg sicher gewesen.

  Es gab so viele Möglichkeiten, meine Gefühle zu betäuben. Alkohol. Adrenalin. Frauen. Doch nichts davon hatte mich in den letzten vier Tagen gereizt. Es hätte irgendwie bedeutet, dass ich akzeptierte, was passiert war. Nur konnte ich das immer noch nicht. Mein Verstand sagte mir, dass es vorbei war und Kenzie einfach nicht genug für mich fühlte – weil ich sie höchstpersönlich davor gewarnt hatte, sich mit mir einzulassen. Aber mein Herz wollte es nicht wahrhaben. Und so tobte seit Tagen in mir ein zermürbender Kampf, der mich nachts wach hielt und tagsüber zum rastlosen Zombie machte. Ich wusste nicht, wann er enden würde. Oder ob ich überhaupt wollte, dass er endete. Sie hatte doch recht, ich trug zu viel Ballast mit mir herum. Nur hatte sie erst mit mir schlafen und mich verrückt nach ihr machen müssen – und mir das Gefühl geben, meine Vergangenheit wäre ihr egal, bevor ihr das auffiel?

  Der Weg machte eine Kurve vom Loch weg, und ich dachte an den Anruf vom Morgen, als Diane mir mitgeteilt hatte, dass Jamie gut in ihrer Einrichtung angekommen war. Immerhin eine Sache, die geklappt hatte. Aber auch das verband mich mit Kenzie. Alles schien mich mit ihr zu verbinden.

  Sogar mein heutiger Lauf. Der Pfad war eigentlich völlig verlassen, kaum jemand lief hier. Eigentlich niemand.

  Niemand außer Kenzie.

  Sie kam mir auf dem schmalen Weg entgegen, die Haare offen, in einem ihrer üblichen dunklen T-Shirts und Jeans, so schön wie eh und je. Sie bemerkte mich nicht sofort. Aber dann sah sie auf, unsere Blicke trafen sich und sie erstarrte, genau wie ich. Wir waren sicher fünfzig Meter voneinander entfernt, und trotzdem war es, als stünde sie direkt vor mir.

  Ich gab mir alle Mühe, sie nicht merken zu lassen, was in mir vorging, scheiterte dabei aber sicher grandios. Kenzies Augen füllten sich mit Bedauern, und ich sah, wie sich ihre Hände ineinanderklammerten, als bräuchte sie Halt. Als hätte sie Angst vor der Begegnung mit mir gehabt. Es traf mich mitten ins Herz.

  Hau hier ab. Du musst dir das nicht geben.

  Obwohl ich wusste, dass die Stimme in meinem Kopf recht hatte, obwohl ich wusste, dass ich mich umdrehen und gehen sollte, blieb ich einfach stehen, wo ich war. Wie erstarrt angesichts dessen, was ich mir noch vor ein paar Tagen gewünscht hatte. Wenn alles gelaufen wäre wie geplant, würde Kenzie nun zu mir kommen, mich küssen und mir sagen, dass sie es gar nicht hatte erwarten können, mich wiederzusehen. Und ich würde ihr zuraunen, dass es mir genauso ging – und sie irgendwohin entführen, um ihr zu zeigen, wie sehr ich sie vermisst hatte. Aber es war nichts gelaufen wie geplant. Und deswegen löste sie den Blick von mir, drehte sich um und verschwand in die entgegengesetzte Richtung.

  Mein erster Impuls war, ihr zu folgen und sie zur Rede zu stellen. Ihr in die Augen zu sehen und sie zu zwingen, ihre grausamen Worte zu wiederholen. Aber ich blieb, wo ich war, hielt den Schmerz aus. Und als ich meinem Körper wieder traute, drehte ich mich um und setzte mich in Bewegung.

  Je länger ich lief, desto wütender wurde ich. Am liebsten hätte ich irgendwas zerfetzt, die Wut an etwas ausgelassen. Wie konnte es sein, dass mich dieses Mädchen so aus der Fassung brachte? Wir waren nur ein paar Tage zusammen gewesen, und trotzdem wurde ich wahnsinnig bei dem Gedanken, es nie wieder sein zu dürfen. Aber es gab kein Entkommen. Ich konnte nur hoffen, dass es irgendwann besser wurde.

  Finlay war in der Suite, als ich zurückkam, neben der Couch stand meine Tasche. »Ich habe deine Sachen geholt.«

  »Danke, Mann.« Ich nickte, nahm das Zeug und warf es in meinen Schrank. Ich brauchte das alles nicht. Schon gar nicht die Erinnerungen, die daran hingen.

  »Ich hab sie mit purer Verachtung gestraft«, meldete mein Cousin. »Du wärst stolz gewesen.«

  »Darum hatte ich dich nicht gebeten.«

  »Nein, hattest du nicht. Aber ich konnte nicht anders.«

  Ich grinste schief.

  »Eine Woche, Alter«, sagte Finlay. »Denk dran, es ist nur noch eine Woche.«

  Damit hatte er recht. Meine Mutter plante mit Robert gerade ein neues Gebäude für das Hotel auf Bali und hatte mich gefragt, ob ich dabei sein wollte – und Moira hatte genehmigt, dass ich Kilmore eine Woche eher verließ. Vorher standen also nur noch die Highland Games auf dem Programm. Sie waren Samstagabend zu Ende, und ich konnte am Morgen danach direkt in einen Flieger steigen. Sieben Tage Kilmore, sieben Tage in der Nähe von Kenzie. Sieben Tage, bevor ich endlich verschwinden durfte.

  Das würde ich schon schaffen.

  Der Park lag still und verlassen da, nur sehr schwach beleuchtet vom Mond, denn die Laternen des Hotels waren längst ausgeschaltet. Ich saß auf der Rückenlehne des Sessels, den ich an das große Fenster geschoben hatte, die Arme auf die Knie gestützt, und starrte in die Dunkelheit. Als würde sie mir helfen, als würde sie mir Antworten auf die Fragen geben, die mich vom Schlafen abhielten.

  Ich war dieses Gespräch mit Kenzie so häufig in meinem Kopf durchgegangen, dass ich mittlerweile sicher war, jedes einzelne Detail davon zu kennen. Aber egal, wie oft ich mir sagte, dass ich mich in ihren Gefühlen getäuscht hatte, oder dass sie einfach nur erkannt hatte, was ich ihr selbst gesagt hatte: Irgendetwas daran stimmt nicht. Wir fahren zusammen weg, haben Spaß, haben großartigen Sex, sind uns nahe, ich erzähle ihr von meiner Vergangenheit, von Ada, Kenzie versichert mir, dass nichts davon ein Problem für sie ist – und dann, vier Tage später, ist ihr das alles zu viel?

  Wenn sie gesagt hätte, sie hätte wegen ihrer Schwestern keine Zeit für eine Beziehung, okay. Wenn ihr eingefallen wäre, sie wolle keine Fernbeziehung Wycombe – Chicago, okay. Aber ihre Begründung war ausgerechnet das mit der beschädigten Ware? Etwas, das ihr absolut nichts ausgemacht hatte, als wir darüber gesprochen hatten? Das sie mir sogar hatte ausreden wollen?

  Du bildest dir etwas ein. Akzeptier endlich, dass sie dich nicht will.

  Ich atmete aus. Nicht zu wissen, was die Wahrheit war, machte mich wahnsinnig. Ich musste etwas dagegen unternehmen. Sonst würde ich noch durchdrehen.

  Wie ferngesteuert stand ich auf und suchte mir etwas zum Anziehen. Es war zwar schon irgendwann nach Mitternacht, aber vielleicht war sie trotzdem noch wach. Und im Dunkeln sah mich wenigstens niemand auf dem Weg zum Campingplatz.

  Weil ich um die Uhrzeit zur Vordertür rausmusste, wählte ich den Weg durch die Büroflure. Dort war alles leer und verlassen, aber als ich an dem Raum vorbeikam, in dem die Server untergebracht waren, hörte ich Geräusche. Eindeutige Geräusche – ein Keuchen, ein leises Stöhnen, geflüsterte Worte. Ich schüttelte den Kopf. Wer suchte sich denn bitte den Serverraum aus, um rumzumachen? Da gab es in einem Luxushotel doch bessere Alternativen.

  Ich wollte weitergehen und die beiden dort sich selbst überlassen, als eine der Stimmen etwas sagte, das laut genug an mein Ohr drang.

  »Was, wenn uns hier jemand erwischt?«

  Ich hielt an. Fiona? Okay, jetzt wurde es interessant.

  »Es ist niemand wach, entspann dich«, antwortete ihr eine zweite Stimme, die ich ebenfalls gut kannte.

  Verdammt i
nteressant. Ich setzte mich wieder in Bewegung, gab mir dabei aber keinerlei Mühe mehr, leise zu sein. Laut polterte ich durch den Gang, stieß absichtlich gegen die Kommode – mit dem gewünschten Effekt: Ich war noch nicht am Ende des Flures angekommen, als meine Cousine aus dem Raum stürmte und sich gehetzt umschaute.

  »Lyall?« Das Licht ging an. Ich drehte mich um.

  »Fiona. Was machst du denn hier um diese Zeit? Die Buchhaltung?« So deprimiert ich war – das war eine willkommene Ablenkung. So oft hatte mich Fiona wegen irgendwelcher Bettgeschichten verspottet, verpfiffen und verurteilt. Es geschah ihr recht, dass ausgerechnet ich sie erwischte, wie sie die Grenzen überschritt.

  Meine Cousine rückte ihre Bluse zurecht und ihr Gesicht nahm die Farbe ihrer Haare an. »Ich hatte noch etwas zu erledigen«, sagte sie schnell.

  »Ja, da bin ich sicher. Lass mich raten – es hat etwas mit der Personalverwaltung zu tun. Wahrscheinlich so eine Art Beurteilungsgespräch, oder? Hat Isla gut abgeschnitten?« Ich betonte den Namen der jungen Concierge, deren Stimme ich eben so deutlich gehört hatte.

  Fiona wurde ganz starr, als ihr klarwurde, was ich gerade gesagt hatte. »Du wirst doch Mum nichts davon erzählen? Oder Grandma?«

  Ich hob die Schultern. »Kommt darauf an, ob du ihnen etwas davon sagst, dass du mich hier gesehen hast. Oder von anderen Dingen, die ich noch tun werde und die du oder Isla sonst sofort petzen würden.«

  »Du willst mich erpressen?«, fragte Fiona wütend. »Vergiss es.«

  »Okay. Deine Entscheidung, Fi. Verrate ihnen ruhig, dass ich heute rausgegangen bin. Nur wird mir dann morgen beim Frühstück vermutlich rausrutschen, dass du mit Angestellten vögelst. Und du weißt, darauf steht die Höchststrafe.« Nicht, weil Isla eine Frau war, obwohl das meine Grandma zur Weißglut treiben würde, da sie Homosexualität für eine Art linksliberale Modeerscheinung hielt. Das hätte ich nie gegen Fiona verwendet. Aber weil Isla für uns arbeitete, war sie absolut tabu. Das war eine der drei goldenen Henderson-Regeln: Keine Szenen in der Öffentlichkeit, keine Drogen und um Himmels willen keinen Sex mit Angestellten. Daran hatte sogar ich mich gehalten. Meistens.

 

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