Scandal Love

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Scandal Love Page 5

by L.J. Shen


  Damals hatte ich sie davonkommen lassen, weil ich nach Hause musste. Ich hatte mich zu einem kurzen Mittagessen mit meiner Mutter getroffen, während mein Vater Luna hütete. Aber heute hatte ich alle Zeit der Welt, überdies war ich ihr neuer Boss bis morgen früh, und sie bettelte förmlich darum, in die Schranken gewiesen zu werden.

  Ich trat an den Schreibtisch, fasste ihre schlanke Fessel, streifte ihr den beigefarbenen, rot besohlten sexy Louboutin-Pumps vom Fuß und brach den Absatz ab. Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht. Ich steckte ihn ein, als wäre er ein aufreizendes Dessous, bevor ich Cinderella den Rest des Schuhs lässig wieder überstreifte.

  »Balance …«, sagte ich, indem ich einen Ton anschlug, der so düster war wie meine Seele. Edie brauchte diese Lektion. »… ist das Wichtigste im Leben. Ich gebe mir redlich Mühe, mich nur im äußersten Notfall wie ein Arsch zu benehmen, aber ich habe das Gefühl, dass du hier bist, um deine Grenzen auszuloten. Habe ich recht, Mädel ?«

  Ihre Coolness verflüchtigte sich, wilde Verzweiflung trat an deren Stelle. Sie sprang auf und kam, sich des abgebrochenen Absatzes nur allzu deutlich bewusst, um den Schreibtisch herum. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt.

  »Was fällt dir ein!« Ein wildes Flackern stand in Edies Augen. Sie kochte vor Wut, und ich wollte mich an ihrem Zorn laben, meinen Durst an ihrer süßen Quelle der Frustration stillen. »Was hast du für ein Problem mit mir?«

  »Gar keins. Ich habe keinen einzigen verdammten Gedanken an dich verschwendet, bis ich in mein Büro kam und dich wie eine Zecke an meinem Schreibtisch vorfand.« Ich nahm meine Krawatte ab, pfefferte sie auf den Schreibtisch und krempelte meine aufgeknöpften Ärmel bis zu den Ellbogen hoch.

  »Ich bin nur hier, um dir zu sagen, dass ich den Job nicht will.«

  »Gut. Weil du ihn nämlich nicht verdient hast«, gab ich zurück.

  »In dem Fall hätte ich gern dein Versprechen, dass du gegen mich stimmen wirst. Ich bezweifle nicht, dass du das sowieso tun wirst, aber ich würde mich wesentlich besser fühlen, es aus deinem Mund zu hören.«

  »Es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass du dich besser fühlst. Und was ist eigentlich so schlimm daran, für Vision Heights Holdings tätig zu sein?« Es gab für mich keinen Grund, sie aufzumuntern, aber da sie aus unerfindlichen Gründen immer noch hier war, ließ ich mich dazu herab, ihr einen Knochen hinzuwerfen. Sie zog die Nase kraus, was ich schon früher bei ihr beobachtet hatte.

  »Ich kann hier nicht arbeiten. Weil ich andere Pläne habe. Pläne, die meine Zukunft betreffen. Darum sag den anderen einfach, dass sie ebenfalls ihre Zustimmung verweigern sollen.«

  »Sehe ich aus, als würde ich Befehle von dir entgegennehmen?« Ich blinzelte, nur mäßig belustigt über ihre Dreistigkeit.

  »Bitte.« Ihre Stimme war fest, ihr Blick unerbittlich direkt.

  »Nicht«, brummte ich und hob die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. Ich lehnte mich mit der Hüfte an den Schreibtisch. »Du darfst niemals betteln, Edie. Und jetzt hol mir einen Kaffee.«

  Sie warf den Kopf zurück und lachte. Es klang ein bisschen hysterisch. Mädchen im Teenageralter waren bekanntermaßen emotionsgeladen und melodramatisch, damit musste ich mich arrangieren, weil Luna in weniger als zehn Jahren in die Pubertät kommen würde. Tolle Aussichten.

  »Ich werde dir einen Scheiß holen.«

  »Darum hatte ich nicht gebeten. Sondern um einen Kaffee.«

  »Ich bin nicht deine Sekretärin.«

  »Stimmt. Weil du weit darunter rangierst. Du bist die Büroschickse«, konterte ich lässig, während Edie völlig gebannt mit den Augen die Adern auf meinen Unterarmen abtastete. Ich hätte aufgelacht, würde ich mich dabei nicht wie ein Perversling gefühlt haben.

  »Ich bin was?«, formten ihre Lippen.

  Ich nickte. »Allgemeine Assistentin. So lautet dein Titel. Dein Vater hat den Vertrag soeben an die Personalstelle geschickt und uns Partner vor der morgigen Vorstandsitzung entsprechend in Kenntnis gesetzt. Allgemeine Assistentin ist nur ein beschönigender Ausdruck für Büroschickse. In angemessenem Rahmen kann ich alles von dir verlangen. Und jetzt möchte ich einen Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.«

  Wegen der Genugtuung, die mir der Ausdruck in ihrem Gesicht verschaffte, fühlte ich mich wie ein Arschloch. Sie sah aus, als hätte man sie gebrochen. Wenn auch nur vorübergehend. Nur für diesen Augenblick. Nur für mich. Sie straffte den Rücken und schob das Kinn vor, als der Groschen bei ihr fiel.

  Sie würde es tun. Meine Anweisungen befolgen, mir Kaffee kochen, mir die Zeit vertreiben und eine willkommene Ablenkung sein.

  Ein Sturm der Gefühle tobte in Edies Augen. Könnten sie sprechen, sie würden schreien, um dem Ärger dieses Mädchens Luft zu machen, dem erst vor Kurzem Brüste gewachsen waren, und das gerade kapiert hatte, dass das Leben kein Wunschkonzert war.

  »Hopp, hopp!« Ich klatschte zweimal in die Hände.

  Ich gehörte nicht zu den nettesten Menschen auf der Welt, trotzdem hätte ich ihr eigentlich liebend gern den gut gemeinten Rat erteilt, wenigstens ihre Schuhe auszuziehen, bevor sie ging. Aber bevor ich die Gelegenheit dazu bekam, drehte sie sich um, stürmte zur Tür und fiel auf den Hintern.

  Der einzige Trost, den ich ihr in dieser Misere spenden konnte, war, dass ich nicht lachte, während ich am Schreibtisch lehnte und zusah, wie sie sich wacklig aufrichtete.

  Andererseits ersparte ich ihr diese Demütigung nicht, weil ich sie mochte. Und es gab einen Grund, warum ich keine Anstalten machte, ihr aufzuhelfen.

  Ich war hart, was offensichtlich geworden wäre, hätte ich mich bewegt.

  »Deinen ersten Balance-Test hast du verbockt. Das überrascht mich nicht.«

  »Und du bist eine menschliche Null, Rexroth!« Mit schamroten Wangen galoppierte sie aus meinem Büro.

  Sobald sie verschwunden war, schickte ich Sonya eine SMS.

  Edie Van Der Zee hatte angefangen, mir einen gewissen Juckreiz zu verursachen. Aber gleich morgen früh würde ich mich kratzen, bis er verschwand.

  Dann brach besagter Morgen an. Er fiel in die Kategorie, die mich daran erinnerte, warum ich es wie die Pest hasste, mit Menschen zu tun zu haben. Alles war chaotisch und laut, jeder nervte mich mit irgendeinem Mist, bedrängte mich mit Fragen und forderte meine Aufmerksamkeit.

  »Mr Rexroth, ich habe Ihnen die Duran-Dexter-Akte auf Ihren Schreibtisch gelegt. Könnten Sie sie für mich abzeichnen?«

  »Trent, Sie haben um drei eine Videokonferenz.«

  »Kannst du nächste Woche an einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Palo Alto teilnehmen? Irgendjemand muss hingehen, und Jaime ist zu eingespannt wegen Mel und wegen des Säuglings.«

  »Trent – wieso ist Luna hier?«

  »Bleibt es bei unserer Kneipentour am Samstag?«

  »Rexroth!«

  »Hey, T-Rex!«

  »Trent, Schätzchen …«

  Ohne mich um das Gewimmel von Mitarbeitern zu kümmern, blieb ich mitten im Flur stehen und ging vor Luna in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Sie klammerte sich mit versonnenem Blick an Camilas Hand fest. Es war eine bescheuerte Idee, sie jeden Dienstag ins Büro mitzunehmen, aber Sonya bestand unerbittlich darauf, und schließlich war sie die verdammte Expertin, nicht ich.

  »Was hältst du von Tacos zum Mittagessen?« Meine Stimme war eingerostet vom wenigen Gebrauch. Ich streichelte ihre Wange, bevor ich Camila etwas Geld in die Hand drückte. »Gehen Sie mit Luna ein paar Bagels besorgen, anschließend treffen wir uns in meinem Büro.«

  »Warum? Wohin gehen Sie jetzt wieder?« Camilas spanischer Akzent klang spitz, was bedeutete, dass sie nicht zufrieden mit mir war.

  Ich muss ein achtzehnjähriges Mädchen feuern, aus Eigennutz, weil ich andernfalls Gefahr laufe, sie im Büro ihres Vaters wund zu vögeln, wenn sie auch nur in meine Nähe kommt.

  »Zu einer Vorstandssitzung. Es sollte nicht lange dauern. Nur eine kurze Abstimmung, dann hau ich ab.« Ich tätschelte Lunas Kopf und küsste sie auf die Stirn, bevor ich m
ich aufrichtete und sanft Camilas Schulter drückte.

  Ich drehte mich auf dem Absatz um, als im selben Moment Jordan Van Der Zee mit seiner Tochter im Schlepptau aus dem gläsernen Aufzug trat. Er hielt sie wieder am Arm gepackt, als wäre sie ein verurteilter Sträfling, und ich musste mich auch dieses Mal beherrschen, um nicht aus der Haut zu fahren. Sie trug heute ein marineblaues Matrosenkleid, das eine Nummer zu groß war für ihre zierliche Statur. Es war knielang und konservativ, trotzdem brachte es ihre entzückenden Waden fabelhaft zur Geltung. Eine kleine Athletin, die sich ganz den Bedürfnissen eines Mannes entsprechend verbiegen konnte.

  Großer Gott. Schlag dir das sofort aus dem Kopf, du perverser Wüstling.

  In Gegenwart ihres Vaters schien sie ein vollkommen anderer Mensch zu sein. Ohne ihn war sie selbstbewusst, temperamentvoll, eine verdammte Nervensäge. Doch jetzt waren ihre Augen auf den Boden gerichtet und ihre beiden Nasenringe der einzige schwache Abglanz ihres wilden, rebellischen Wesens.

  Nicht zu fassen.

  Jordan nickte mir zu, und ich erwiderte den wortlosen Gruß. Wir trafen an der maßgefertigten goldenen Tür zusammen, die zum Konferenzsaal führte. Ich sah meine drei Kumpels durch die Glaswand, sie saßen an dem langen bronzefarbenen Tisch und unterhielten sich.

  Jordan strich seine Armani-Krawatte glatt. »Überdenken Sie Ihre Entscheidung.« Es war ein Befehl, keine Bitte. Das konnte er verdammt noch mal vergessen. Ich würde diesem Mann keinen Plastiklöffel anvertrauen, geschweige denn meine Firma. In den sechs Monaten, seit wir zusammen Geschäfte machten, hatte er vier von fünf fetten Deals, die ich für Vision Heights Holdings an Land gezogen hatte, vereitelt. Er hatte alle meine großen Kunden – absichtlich – nachlässig behandelt und dreist versucht, ihnen die naivsten, unerfahrensten Broker unterzujubeln. Eine Woche nach Beginn unserer Zusammenarbeit hatte ich mein erstes unerfreuliches Erlebnis mit ihm, als ich auf dem Weg aus dem Büro zufällig ein Telefonat von ihm belauschte.

  »Nein, nicht Rexroth. Lasst uns jemand anderen schicken, der versucht, den Deal mit Drescher und Ferstein zu retten«, hatte er gesagt. Einen Deal, den ich eingetütet hatte, vielen Dank auch. Mit gespitzten Ohren lungerte ich wie eine Figur aus General Hospital hinter seiner Bürotür herum und hasste mich dafür. »Er ist zu … du weißt schon. Zu sehr Getto. Zu wütend. Zu mundfaul. Ich will ihn nicht in der Nähe dieser Kunden haben. Bitte Dean, mit ihnen zu sprechen. Er ist die Art gut aussehender Charmebolzen, den Helena, die Geschäftsführerin, zu schätzen weiß.«

  Und das war’s. Da begriff ich, dass Jordan Van Der Zee nicht nur ein Rassist war, sondern mich aus der Firma schassen wollte. Es war nur recht und billig, wenn sich seine Intrige als Bumerang erweisen würde.

  Vicious, Dean und Jaime hatten sich schon halb aus der Firma zurückgezogen, sie erschienen nur noch drei- oder viermal pro Woche zur Arbeit und verbrachten den Großteil ihrer Zeit mit ihren Familien. Ich dagegen hatte nur Luna. Und offen gestanden schien sie ihr Kindermädchen mir vorzuziehen.

  »Hier werden sich Ihre und Ihrer herzallerliebsten Tochter Wege trennen.« Ich nestelte an meinem Kragen, weil die verdammte Edie Van Der Zee die Raumtemperatur um mindestens zehn Grad ansteigen ließ.

  »Mit Kusshand.« Sie fischte ihr Handy aus ihrer Handtasche und stolzierte davon.

  Jordan betrat den Konferenzsaal, als ich lächelnd mit den Fingern schnippte. »Ich muss noch schnell einen Vertrag für D&D unterzeichnen. Bin gleich zurück, Jordi.«

  »Ich weiß nichts von diesem Vertrag.« Van Der Zee zog die Brauen zusammen. Er hasste es, wenn ich ihn so nannte.

  »Vollkommen richtig.« Ich ging mit beschwingten Schritten zu meinem Büro. Nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte – wobei ich es genoss, Jordan unterdessen wie einen dummen Jungen auf mich warten zu lassen –, kehrte ich in den Hauptempfangsbereich der Etage zurück, wo sich der Flur in zwei Richtungen gabelte, mit dem riesigen Sitzungssaal im Zentrum. Ich beschloss, ihn noch ein Weilchen warten zu lassen, und bog nach rechts ab, um im Pausenraum zum ersten Mal den sündhaft teuren Kaffeeautomaten zu testen. Benahm ich mich kindisch? Keine Frage. Musste ich grinsen bei der Vorstellung, dass ich Jordan Unannehmlichkeiten bereitete, indem ich ihn noch ein paar Minuten länger auf mich warten ließ? Na, und ob!

  Ich war gerade im Begriff, die Glastür aufzudrücken, als mein Blick die Personen dahinter erfasste und ich wie angewurzelt stehen blieb.

  Luna. Camila. Edie. Sie standen dicht beieinander. Und wirkten … aufgekratzt? Was zur …

  Edie schlang die Arme um Camila und barg den Kopf an ihrer Schulter. Luna beobachtete die Szene mit großen Augen. Zum ersten Mal seit Langem zeigte sie an etwas Interesse, was nicht mit Seepferdchen zu tun hatte. Edie umfing Camilas Gesicht mit beiden Händen, bevor sie ihr die Tränen von den Wangen wischte. Sie trug ihre Gefühle wie Juwelen zur Schau. Stolz und ohne Scheu. Sofort verabscheute ich sie ein bisschen weniger dafür, dass sie vor ein paar Wochen versucht hatte, meiner Mutter die Handtasche zu klauen.

  Dann tat Edie das Unvorstellbare – und gleichzeitig das, was jedes Mädchen in ihrem Alter getan hätte.

  Sie ging vor Luna in die Hocke und strich ihr lächelnd über die lockigen Zöpfchen.

  Fast wie in Zeitlupe zeigte sie auf Lunas flauschiges blaues Seepferdchen und formte mit den Lippen ein Wow.

  Ein zaghaftes Lächeln erhellte Lunas Gesicht. Mich lächelte sie nie auf diese Weise an. Ich blinzelte perplex, ließ ihre Reaktion sacken. Edie musste Luna etwas gefragt haben, weil diese nickte.

  Sie nickte. Das tat sie sonst nie. Nicken ist nur eine Stufe davon entfernt, seine Bedürfnisse laut zu artikulieren, und meine Tochter war sehr darauf bedacht, mich im Ungewissen zu lassen.

  In diesem Augenblick wirkte sie munter, aufmerksam und neugierig, was man zu neunzig Prozent der Zeit nicht von ihr behaupten konnte. Ich rührte mich nicht von der Stelle, weil ich diesen Moment nicht unterbrechen, diesen magischen Kokon, der die beiden umgab, nicht zerstören wollte.

  »He, Sackgesicht, hat das Gras dein Gedächtnis außer Gefecht gesetzt? Wir warten alle im Konferenzraum auf dich.« Dean riss mich aus meiner Trance, indem er mir auf den Rücken schlug und absichtlich laut an meinem Ohr auf seinem Kaugummi herumkaute. »Komm endlich, bevor Jordi dich an den Eiern aufhängt und Vicious dir die Haut abzieht und sich eine neue Ottomane daraus macht.«

  Widerwillig folgte ich ihm zum Sitzungssaal, meine Augen weiterhin auf den Pausenraum fixiert.

  Ich nahm zwischen Dean und Jaime Platz. Jordan, der mir gegenübersaß, machte den Anschein, als bräuchte es nur noch einen einzigen Eklat, um ihm einen Herzinfarkt zu bescheren.

  »Hübsche Adern«, bemerkte ich und zeigte auf seine Stirn, bevor ich mein Handy herausholte und es auf den Tisch pfefferte.

  »Sehr witzig, Rexroth. Mit Ihrem Charme haben Sie es weit gebracht, bis nach Beverly Hills und Todos Santos. Aber ich sehe hinter die Fassade und bin ganz und gar nicht beeindruckt.« Er ließ seinen dünnen Lippen einen Zischlaut entweichen.

  Ich zuckte mit den Achseln. »Vielen Dank für die Analyse, Dr. Seltsam. Jetzt lasst uns das möglichst schnell und schmerzlos über die Bühne bringen, damit Jordi in sein Büro zurückkehren und sich wieder in seinem vier Riesen teuren Spiegel bewundern kann. Einverstanden?«

  Jaime schlug mit der Hand auf den Tisch. »Dann mal los.« Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Seine Frau Mel hatte gerade erst ihre zweite Tochter, Bailey, zur Welt gebracht. Er wirkte gleichermaßen zu Tode erschöpft und glückselig.

  Die Abstimmung begann mit Jordan, der erwartungsgemäß dafür votierte, dass seine Tochter bleiben durfte. Dann war ich an der Reihe, und meine Antwort überraschte alle, mich inbegriffen.

  »Ja.«

  »Ja?« Vicious zwinkerte und durchbohrte mich mit einem Blick, der besagte: Was für ein Spielchen treibst du eigentlich? »Ja bedeutet, dass du dich mit ihrer Anstellung einverstanden erklärst«, wies er mich gedehnt hin, als sei ich ein Idiot.

  »Ich weiß, was Ja heißt, Blödmann.«

  Vicious,
Jaime und Dean wechselten ratlose Blicke. Sie waren bereit gewesen, sich meinem Votum anzuschließen, aber jetzt hatte ich meine Meinung geändert. Jordan war seine Verwirrung anzumerken, er studierte der Reihe nach unsere Gesichter, versuchte, sich einen Reim auf das Ganze zu machen.

  Jaime fasste sich als Erster und rieb sich die dunklen Augenringe. »Von mir aus. Ich habe keine Einwände.«

  Dean war dran. »Wenn Trent kein Problem damit hat, dass sie hier arbeitet, ist es mir egal.«

  Dann Vicious. Er sah mich an und schüttelte warnend den Kopf.

  Ich will sie nicht ficken, Arschloch. Okay, wollen würde ich schon, aber ich werde es nicht tun.

  Andererseits hatte ich in meinen dreiunddreißig Lebensjahren nie eine feste Freundin gehabt, das Einzige, womit ich mich brüsten konnte, war eine ehemalige Stripperin, die ich bei einem schmutzigen One-Night-Stand geschwängert hatte und die mich und unser Kind hatte sitzen lassen. Vielleicht war die Warnung angebracht.

  Es stand außer Zweifel, dass Edie Van Der Zee Ärger bedeutete, aber Luna mochte sie.

  Vielleicht.

  Vermutlich.

  Hoffentlich.

  Verdammt.

  Mir war klar, dass die anderen mir nicht folgen konnten. Es war mir schnurzpiepe. Sollten sie mich doch für irre halten. Das bedeutete einen Machtgewinn für mich. Niemand legt sich gern mit Psychopathen an. War rücksichtslos akzeptabel? Warum nicht? Einflussreich? Sicher. Aber Verrückte waren unberechenbar, die schlimmste Kategorie unter den menschlichen Wesen.

  Vicious öffnete den Mund, er genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. »Ich stimme mit Ja.«

  Sie hatte den Job.

  Meine Freunde waren mein Clan, meine maßgeschneiderte, handverlesene Familie. Zu behaupten, dass wir einander Rückendeckung gaben, wäre eine Untertreibung. Seit fast zwanzig Jahren – Tendenz steigend – brachten wir uns unverbrüchliche Treue entgegen. Wenn einer von uns strauchelte, fingen die anderen ihn bereitwillig auf.

 

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