by Emily Key
»Okay, aber es ist mitten in der Nacht!«
»Sorry, ich wollte dich nicht wecken.« Ich wollte nur mein Gewissen beruhigen.
»Gut, also wenn es keinen wirklichen Grund für deinen Anruf gibt, darf ich dann jetzt weiterschlafen?«, fragte sie müde.
»Sicher, Kelly«, murmelte ich und legte den Kopf in den Nacken in einer Geste, die man leicht mit einer flehenden verwechseln konnte.
»Gute Nacht, Adam.«
»Gute Nacht, Kelly«, flüsterte ich und war mir im Anschluss nicht sicher, wie lange ich dem Tuten in der Leitung noch lauschte.
Der Anruf hatte mir vor Augen führen sollen, wie wichtig mir Kelly war. Wie sehr ich sie liebte und vielleicht auch ein kleines bisschen, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Fuck! Das hatte ja hervorragend geklappt.
Nämlich gar nicht.
Ich beschloss, mich mit dem angefangenen Bier vor den Fernseher zu knallen und mich in meiner grenzenlosen Idiotie zu suhlen. Gab es einen noch größeren Wichser als mich? Ja gut, solange Scott auf dieser Erde wandelte ... aber verdammt. Kelly war so ... rein. Weiß. Klar. Und ich war ein Schwein.
Sauer auf mich selbst und doch keinen Atemzug lang fähig zu bereuen, blieb ich bei Two and a Half Men hängen und versank in der fabelhaften Welt von Charlie Sheen.
***
»Adam, wohin bringst du mich?«, fragte mich Kelly und sah nervös, aber nicht das gute, aufgeregte nervös, aus dem Fenster. Gefangen innerhalb meines Die-Welt-ist-scheiße-Wahns, hatte ich beschlossen, sie heute an der Praxis abzuholen und mit ihr an den Strand zu fahren. In meinem Orgasmus-tauben-schlechtem-Gewissen-Hirn war ich nämlich zu der Einsicht gelangt, dass ich mich mehr um Kelly kümmern musste. Also so richtig. Dass wir ausgingen und ... nun irgendwas zusammen unternahmen, was Pärchen eben taten. Der Plan war simpel, aber wie ich hoffte, effektiv. Wenn wir nur endlich wieder ein bisschen mehr Zweisamkeit hätten, dann würde es zwischen uns besser sein. Wir würden uns neu verlieben – waren wir jemals wirklich verliebt gewesen? –, und Hannah würde endlich aus meinem Kopf verschwinden. Das schlechte Gewissen hatte mich nämlich fest im Griff. Allerdings nicht so fest, dass ich es bereut hätte, oder die Zeit zurückdrehen wollte. Es war auch nicht so heftig, dass ich mir nicht dennoch mit dem Gedanken an sie zwei Mal einen runtergeholt hätte.
Ich beschissener Bastard! Aber gut, die Gedanken sind frei. Bei Gelegenheit würde ich einmal Scott fragen, ob er beim Masturbieren seine aktuelle Flamme vor Augen hatte oder immer noch irgendeines der heißen Boxenluder.
Nun ja, nach dem zweiten Handjob-Orgasmus hatte ich beschlossen, härtere Geschütze auffahren zu müssen. Deshalb war ich in einen Delikatessen-Shop gefahren und hatte einige Sachen für ein leckeres Picknick gekauft, um einen romantischen Abend mit Kelly zu verbringen. In letzter Minute warf ich noch eine Decke in den Kofferraum meines Range Rovers. Kopfzerbrechen bereitete mir nur der Strandabschnitt. Irgendetwas hielt mich davon ab, in die Bucht zu fahren, die ich mit so ziemlich allem verband, was mein Leben betraf.
Und mit Hannah.
Das war dann noch mal ein zusätzlicher Grund, Kelly nicht dorthin zu bringen. Es kam mir so vor, als würde ich Kelly ansonsten Hannahs Schatten aussetzen. Fast so, als würde ich meine Verlobte erneut betrügen.
»Adam?«
»Was?«, fragte ich verwirrt. »Sorry, ich war kurz in Gedanken.« Reiß dich zusammen, du Weichei!
»Wohin bringst du mich?« Kelly lächelte schwach. Dummerweise haute es mich nicht annähernd so um, wie Hannas Lächeln.
»Wir sind gleich da«, antwortete ich und versuchte geheimnisvoll zu klingen. Scheiße, ich sollte mir definitiv mehr Mühe geben. Denk nicht mehr an Hannah. Fuck, Alter, sie ist deine Hochzeitsplanerin!
»Okay.«
»Es wird dir gefallen«, erwiderte ich und hoffte in Gedanken, dass es das wirklich würde. Kelly war anders. Unsicher. Zerbrechlicher. Vorsichtiger.
Als wir an einem schönen Strandabschnitt von Malibu ankamen, war es für mich neutraler Boden, da ich hier noch nie gewesen war. Aber etwas mehr Mühe sollte ich mir schon geben. Neue Erinnerungen schaffen. Irgendwas, damit Kelly in meinen Kopf zurückfand und diese sexy kurvige Frau verdrängte. Nach einem schnellen Blick auf meine Freundin stellte ich fest, dass sie die Stirn in Falten gelegt hatte. Ein tiefes Seufzen entwich mir, war es doch offensichtlich, dass sie sich schon wieder Gedanken machte. Herrgott konnte sie nie etwas einfach nur genießen? Ohne erst einmal die Risiken zu analysieren?
»Ich habe ein Picknick vorbereitet!«, sagte ich und brach damit das ohrenbetäubend laute Schweigen zwischen uns. Meine Hände zitterten leicht, als ich die rote Decke auf dem Sand ausbreitete und mich darauf fallen ließ. Anschließend forderte ich Kelly mit einer Handbewegung auf, sich neben mich zu setzen. Zögerlich nahm sie Platz.
»Geht es mit deinem Knie?«, fragte sie, als sie sah, dass ich entspannt im Schneidersitz saß.
»Ja!« Brummend zwang ich mich, tief durchzuatmen. »Der Unfall ist jetzt drei Jahre her, Kelly, es ist alles bestens!« Wieso mussten wir dieses Thema immer auf unserer Agenda haben? Wieso konnte es nicht einfach in der Vergangenheit ruhen? Weshalb kam es immer nur im Gespräch mit ihr wieder auf den Tisch? Es war nicht so, dass ich den Unfall und alles, was damit verbunden war, vergessen wollte. Das würde niemals geschehen. Aber da sie immer wieder Panikschübe bekam, weil etwas nicht mit mir oder meinem Körper stimmen könnte, bekam ich nicht mal die Gelegenheit es zu verarbeiten.
Skeptisch beäugte sie mich und lenkte schließlich ein. »Na gut.«
Das war auch so etwas, sie gab immer nach. Noch niemals hatten wir beide eine ehrliche Diskussion geführt. Nicht einmal über die banalsten, langweiligsten Dinge. Bruchstücke des Abends, welchen ich mit Hannah verbracht hatte, zogen an mir vorbei. Wie wir über verschiedene Biersorten diskutiert hatten und darüber, ob man bei einem echt amerikanischen BBQ auch Gemüse anbieten durfte. Als Kelly neben mir saß, griff ich mir zwei von den gekühlten Bieren aus der Tasche und hob ihr eines hin.
»Oh, haben wir auch Wasser?« Natürlich, immer auf die Gesundheit bedacht.
»Sicher«, sagte ich betont ruhig und reichte ihr eines. Wieso konnte Kelly sich nicht einmal fallen oder gar gehen lassen? Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich zwar viele verschiedene Sachen zu essen gekauft hatte, aber ... alle Delikatessen eher auf Hannah ausgerichtet waren. Oder zumindest die Dinge, von denen ich dachte, dass sie diese gern essen würde. Wieso bemerkte ich auf einmal immer wieder Eigenschaften, die mich an Kelly störten? Jesus, ich steckte echt in der Scheiße!
»Wie war der Kurs?«, fragte ich Kelly. Es war Zeit, dass wir uns wieder annäherten und ich Interesse an ihrem Leben zeigte. Weniger hilfreich war es dabei, dass ich Idiot immer wieder verstohlen auf mein Telefon sah. Warum eigentlich? Was hoffte ich dort zu finden? Eine Nachricht von Hannah? Darauf konnte ich lange warten, denn nach unserem Streit nach diesem Wahnsinns-Erlebnis würde Miss-Ich-Habe-Einen-Stolz-So-Groß-Wie-Der-Mond sich niemals bei mir melden.
»War okay. Wie war’s hier?«, fragte sie wortkarg und griff nach einer Weintraube. Fuck!
»Ganz gut«, murmelte ich vage.
»Wie war die Band? Hat sie dir gefallen?«, fragte sie mich als Nächstes.
»Auf jeden Fall, die waren Spitze!«
»Hat sie Hannah auch gefallen?« Was? Wieso war ihr nun Hannahs Meinung so wichtig?
»Wieso Hannah?«, erwiderte ich vorsichtig.
»Na ja, ob sie einer Frau auch gefallen hat?« Puh, Glück gehabt.
»Ähm, ja, sie fand sie auch recht cool.«
»Cool?«
Ich rollte die Augen und biss in ein Sandwich mit Rinderfilet. »Ja, sie meinte, sie würde sie auch buchen.« Okay, das war nur die halbe Wahrheit. Sie fand sie ziemlich cool, das hatte sie immer wieder gesagt und auch das eine oder andere Lied mitgewippt, aber ob Hannah sie buchen würde, darüber hatte sie kein Wort verloren.
Vorsichtig griff Kelly nach einer Kaki. »Also nehmen wir sie?«
»Du willst sie nehmen, ohne dass du sie gesehen hast?« Erstaunt sah ich ihr in das verkrampfte Gesicht.
»Na ja, ich v
ertraue dir.« Super. Ironie off. Verdammte Scheiße, ich war wirklich am Arsch. Schnell stopfte ich mir das Sandwich in den Mund und kaute langsam. Nur nicht antworten. Anschließend nahm ich noch einen Schluck Bier und versuchte dann, elegant das Thema zu wechseln.
»Komm, ich zeig dir was«, sagte ich, statt auf ihren Kommentar einzugehen. Ich stand auf und zog sie mit mir hoch. »Das Wasser ist immer noch unglaublich warm, obwohl die Sonne schon fast weg ist.« Gerade eben versank sie in den unendlichen Tiefen des Horizonts.
»Sei vorsichtig!«, rief Kelly und ich sah mich um.
»Wobei?«, fragte ich und drehte mich halb in ihre Richtung, denn ihre Hand hatte sie mir wieder entzogen.
»Hör auf zu klettern, denk an dein Knie!«, sagte sie panisch.
Erstaunt sah ich sie an. »Kelly? Das waren zwei verdammte Steine, über die ich gestiegen bin!«
»Bitte, fluch nicht«, entgegnete sie ruhig; aufgrund der Brandung konnte ich ihre leise Stimme kaum verstehen. Unter extremen Anstrengungen unterdrückte ich ein nächstes Augenrollen.
»Ich hab eben immer Angst um dich, wenn du kletterst.«
Mühsam beherrscht schloss ich kurz die Lider. Ausflippen würde uns jetzt nicht weiterbringen.
»Kelly, ich klettere nicht. Ich bin über zwei Steine gestiegen. Bitte!«
Wären wir in einem stillen Raum mit nur einer tickenden Uhr gewesen, hätte man dieses ohne Probleme hören können.
»Na gut. Aber sei vorsichtig!« Flüchtig ballte ich die Hände zu Fäusten, während ich mich innerlich ermahnte, dass ich ja die ganze Geschichte mit Hannah ... sei es drum! Heute ging es um Kelly, mich und unsere hoffentlich bald neu gewonnene Verliebtheit.
»Komm schon!«, rief ich ihr künstlich lachend zu. »Das Wasser fühlt sich total weich und warm um die Beine an.«
»Adam!«, schrie sie. Ich erschrak und drehte mich ruckartig um, dachte, sie wäre gestürzt oder dass ihr etwas anderes passiert war. Dabei hatte sie nur die Augen aufgerissen und die Hände vor das Gesicht geschlagen. »Komm bitte aus dem Wasser!«
»Was?«, rief ich entsetzt zurück. »Es ist unglaublich. Komm her!«
»Adam bitte. Wenn dir was passiert!« Panik schwang in ihrer Stimme mit.
»Weißt du, Kelly, ich kann schwimmen. Das hat mir damals das Leben gerettet«, erwiderte ich ruhig.
Das Adrenalin, ein Team aus Spezialisten und Therapeuten und circa hunderttausend Schutzengel.
»Bitte komm zurück!« Ihre Stimme klang jetzt fast hysterisch. Langsam ließ ich den Blick über meine Beine gleiten.
»Scheiße, Kelly, ich bin bis zu den Knien im Wasser!«
»Ja, aber dort hinten sind Steine. Bitte komm zurück!« Die nackte Angst in ihrer Stimme ließ mich innehalten und wirklich zurücklaufen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie mich jeden Morgen zum Schwimmen gehen ließ, ohne dass sie danach betrunken – so was tat sie nicht – oder high – das würde sie niemals anrühren – war.
»Kelly«, sagte ich, als ich bei ihr war und ihr Gesicht in meine Hände nahm. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Kelly du musst das abstellen. Bitte.«
Traurig nickte sie. »Ich weiß«, murmelte sie und senkte den Blick. Jetzt tat sie mir wieder so leid, dass ich sie an ihrem Hinterkopf an mich drückte und ihr Gesicht an meiner Brust bettete.
»Statistisch gesehen wird mir im Wasser nie wieder was passieren!«, wisperte ich in ihr Haar und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Frustriert hörte ich zu, wie sie leise weinte. Frustriert aus dem Grund, weil es mich nicht so berührte, wie es sollte, wenn sie traurig war. Natürlich wollte ich das nicht, und selbstverständlich sollte es ihr gut gehen, aber ich konnte einfach nicht mehr ihre Bedürfnisse über die meinen stellen.
Das war das Erste, das mir in diesem Moment bewusst wurde. Das Zweite war, dass ich zwar atmete, wenn ich mit Kelly zusammen war, aber nicht lebte. Ständig hatte sie um mich eine solche Angst, dass es mir den Spaß und die Freude nahm.
Und das Dritte war, dass mein Herz mich anflehte, endlich wieder frei und ungezwungen Luft zu holen.
Energisch schluckte ich den Frust hinunter. Auch wenn es gerade holprig war, würde ich nicht aufgeben. Meine Arme schlossen sich fester um Kelly. Die ganze Enttäuschung war nichts wert, denn das Einzige von Bedeutung war, das Kelly mich aufgepäppelt und aufgebaut hatte, als ich es am dringendsten brauchte. So jemanden legte man nicht ad acta. So jemand behielt man sich für immer. Mein Herz krampfte sich zusammen, und dann geschah etwas, das seit dem Unfall und der Nachricht, dass meine Surfer-Karriere beendet war, nicht mehr vorgekommen war. Tränen schossen in meine Augen. Mühsam presste ich die Lider zusammen.
Nein.
Sicherheit war besser als Risiko.
Kontrolle war wichtiger als Lebensgefühl.
Zu atmen war beständiger als wild zu leben.
Kelly verkörperte all das. All die Dinge, die besser für mich waren ...
Denn verdrängen ... verdrängen war leichter als Liebe.
Kapitel 11
Adam
Gedankenverloren starrte ich den fast schwarzen Rotwein in meinem Glas an, während ich darauf wartete, dass Kelly von den Waschräumen zurückkam und Hannah sich überhaupt einmal bequemte hier aufzutauchen. Die gesamte restliche Woche über hatte sie mich in den beschissenen Wahnsinn getrieben. Da sie sich nicht ein Mal gemeldet oder überhaupt versucht hatte, zu mir Kontakt aufzunehmen, war ich wirklich sauer geworden. Mein Ego litt mächtig unter der erneuten Abfuhr.
Gut, nüchtern betrachtet hatte sie mich schon abserviert, als sie mich in der heiligen Nacht aus ihrer Wohnung schmiss. Ob sie damit im Recht gewesen war oder nicht, stand auf einem anderen Blatt, aber definitiv war ich mit kaltem Wasser übergossen worden. Auch wenn ich nun schon einige Zeit in einer Beziehung war, sehnte ich mich doch hin und wieder nach den Zeiten zurück, in welchen die Frauen mir nachliefen, mich betüdelten und ich auswählen konnte, wer die Ehre hatte, in der aktuellen Nacht mein Bett zu teilen. Deshalb folgerte ich, dass mein derzeitiger Ärger womöglich an ihrer totalen Ignoranz lag. Den heutigen Termin hatte sie noch einmal per E-Mail an Kelly und mich bestätigt, wobei sie in den geschriebenen Worten professionell einfließen ließ, wie überaus relevant es sei, dass wir heute Abend beide anwesend sein würden.
Selbstverständlich konnte ich zwischen den Zeilen lesen. Es hieß nichts anderes, als dass sie vermeiden wollte, wieder mit mir alleine zu sein. Vermutlich traute Miss Stone sich selbst nicht über den Weg. Der Irrsinn an dieser Sache war nur, dass ich mit ihr ein weiteres Mal nur zu zweit sein wollte. Ohne Kelly. Ohne andere Menschen. Wenn ich aufrichtig zu mir selbst war, stellte ihr Schweigen, diese deutliche Distanzierung, den Grund dar, weshalb ich so sauer auf sie sein wollte. Dass sie ... mich ablehnte, wo ich doch ständig mit einem steifen Schwanz durch die Gegend lief, wenn ich auch nur an sie dachte. Verfluchter Mist! Frustriert, weil dies eine der wenigen Situationen war, in denen ich nichts ausrichten konnte, nahm ich einen kräftigen Schluck von meinem Wein. Als hätte dies irgendetwas geändert. Heute Nachmittag, als ich darüber sinniert hatte, wie sie sich nach mir verzehren würde, wenn ich ihr nur in Erinnerung rief, wie ich aussah, hatte ich einen Schlachtplan geschmiedet. Ich würde sie mit Nichtachtung strafen und Kelly mit Aufmerksamkeit überschütten. Es stand außer Frage, dass dies meiner Freundin gegenüber unfair war, aber ... Scheiße, wenn ich doch nicht aus meiner Haut heraus konnte? Wenn sich doch in meinem verdammten Kopf alles um Hannah Stone, ihre Art, ihren Körper und ihren Geruch drehte, was sollte ich dann tun? Puh, diese Gedanken waren gut, denn sie entfachten meinen Zorn von Neuem. Nachdem ich mir konsequent wieder in Erinnerung gerufen hatte, dass sie mich einfach nicht angerufen, besucht oder eine verfluchte Nachricht geschrieben hatte.
Nichts. Teufel noch mal, jeden Morgen war ich, statt zu schwimmen, in der Bucht gewesen. Weil ich wie ein lächerlicher Idiot gehofft hatte, sie zu sehen und die Chance zu bekommen, mit ihr zu sprechen. Aber nichts von alldem war eingetroffen.
»Oh, da kommt Hannah«, sagte Kelly, und erst jetzt bemerkte ich, dass meine Verlobte schon längst wieder an den Tisch zurückgekommen war. Fröhlich winkte sie
der fast unverschämt schönen Frau zu, die soeben mit selbstsicheren Schritten unseren Tisch ansteuerte. Himmel, war sie schön, es war so unglaublich, dass ich mich für einen Augenblick fragte, wie ein einzelner Mensch von Gott so bevorzugt werden konnte. Sie war sexy, gewieft und witzig.
Und ... nicht meine Verlobte. Träge das Glas am Stiel zwischen meinen Fingern drehend, lächelte ich sie kurz an und begrüßte sie mit einem »Miss Stone«. Überrascht weiteten sich ihre Augen leicht. Was zur Hölle hatte sie denn gedacht? Glaubte sie ernsthaft, dass sie mich die ganze Woche ignorieren konnte und dann schenkte ich ihr meine volle Aufmerksamkeit, wenn ich sie sah? Auch wenn sie in der schwarzen Kurzarmbluse, welche im Saum des purpurfarbenen Bleistiftrocks steckte und den hohen gleichfarbigen Schuhen, deren Riemchen sich so verführerisch um ihren Knöchel schlangen, dass ich mit meinem Finger liebkosend darüber streichen wollte. ›Konzentriere dich auf Kelly!‹, brüllte mein zorniges Ich in mir und ich griff über den Tisch nach der Hand meiner Verlobten. Sah Jesus die beiden Frauen nebeneinander ... nein, darüber durfte ich nicht nachdenken.
»Mr. Moore!« Ihre Gesichtszüge waren wie eingefroren und ihr Lächeln schmallippig. Es wurde erst eine Nuance freundlicher, als ihr Blick auf meine Freundin fiel. »Guten Abend, Kelly.«
»Hallo Hannah«, sagte Kelly. Hannah scannte sie blitzschnell. Gott, das war sehr auffällig. Das konnte ich beurteilen, denn ich war Meister im versteckten Abchecken. Manche Dinge verlernte man einfach nicht. Hannah zog zischend die Luft ein, als ihr Blick unsere Hände erfasste.
›Ja, sieh es dir nur an‹, motivierte ich sie in Gedanken, wobei ich am liebsten eine Antwort auf die Frage gefordert hätte, weshalb sie mich nicht angerufen hatte. Natürlich war es scheiße, was passierte, aber ...
»Ich sehe Sie trinken schon, Mr. Moore?«, begann sie ein Gespräch und legte eine schwarze Ledermappe vor sich auf den Tisch. »Es wäre besser gewesen zu warten, bis Sie sich für ein Menü entschieden haben.«