Whiskey Lullaby

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Whiskey Lullaby Page 5

by Liliana Hart


  Im Multitasking-Modus aß ich mein Eis und lenkte gleichzeitig mit den Knien, um mich auf dem Harry-Truman-Parkway von einer Spur zur nächsten zu fädeln. Ich hatte die Stereoanlage voll aufgedreht und Lynyrd Skynyrd ließ meine Zahnfüllungen vibrieren.

  Ich genoss jeden Bissen Eiscreme mit heißer Karamellsauce und verpasste in meiner nahezu orgasmischen Seligkeit fast die Ausfahrt. Ich fuhr auf der linken Fahrspur, also drückte ich zur Warnung auf die Hupe und zog schräg über zwei Fahrspuren nach rechts. Ein schwarzer Ford F150 machte einen Schlenker, als ich ihn an der Ausfahrt schnitt, ich zuckte zusammen und winkte entschuldigend, als ich die Ausfahrt hinunterraste.

  Im Rückspiegel sah ich den Pickup dann in einer etwas seltsamen Stellung mit vier rauchenden Reifen am Straßenrand stehen. Wer auch immer darin saß, hatte sich anscheinend nichts getan, also hielt ich nicht an, um zu helfen.

  Ich schaute gerade noch rechtzeitig wieder auf die Straße, um das Stoppzeichen zu sehen, trat voll auf die Bremse und kam mit einem Ruck zum Stehen, wobei mein Oberkörper gegen den Gurt und mein Kopf gegen das Lenkrad prallte. Zum Glück war mein Eis alle, denn der Plastikbecher lag nun kopfüber auf dem Fahrzeugboden.

  Den Rest der Strecke zu Kates Büro fuhr ich in aller Ruhe, ohne riskante Manöver, und kam zu dem Entschluss, in Zukunft besser nicht mehr meiner größten Schwäche zu frönen, während ich mit hoher Geschwindigkeit Auto fuhr.

  Die Ermittlungsagentur McClean hatte ihr Hauptquartier in einem über hundert Jahre alten zweistöckigen roten Backsteingebäude. Alle Fenster hatten auf beiden Seiten schwarze Fensterläden, grüner Efeu überwucherte die Fassade und große weiße Säulen umrahmten die Vordertür. Es war ein Eckhaus in einem Block, dessen Gebäude alle ähnlich aussahen und in denen Anwaltskanzleien, Arztpraxen und Steuerberaterbüros untergebracht waren.

  Es gab keine Parklücke vor dem Haus, also parkte ich am Ende des Häuserblocks und ging zu Fuß. Mein Kopf hämmerte, als ich die Treppe zum zweiten Stock hinaufgestiegen war.

  Ich winkte Lucy Kim, Kates Sekretärin, zu und ging wie üblich so schnell wie möglich an ihrem Schreibtisch vorbei. Ich hatte Wahnsinnsschiss vor der Frau. Sie hatte so etwas im Blick, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie viel mehr war als eine Allerweltssekretärin. Sie sah gleichzeitig wahnsinnig und tödlich aus. Sie war immer schwarz angezogen und trug die höchsten Absätze, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Sie hatte perfekt glatte rückenlange Haare und ihre Lippen waren immer blutrot, so als hätte sie sich gerade satt gesaugt.

  Ein Schauder überlief mich, als sie mich nur ausdruckslos ansah, anstatt mich zurück zu grüßen. Wie gesagt, ich hatte Wahnsinnsschiss vor ihr.

  Ich nickte noch ein paar anderen bekannten Gesichtern zu und klopfte an Kates offene Bürotür, bevor ich den Kopf hineinsteckte. Kate saß an ihrem Schreibtisch voller Papierstapel und schaffte es trotzdem, profimäßig und cool zu wirken.

  »Hallo, komm doch rein. Ich hab mich schon gefragt, ob du deinen Entschluss von gestern wieder umgeworfen hast«, sagte sie und stand auf, um mich kurz, aber besorgt, zu umarmen.

  Ich schaute hinunter zu Kates praktischem Blazer und ihre weiße Stretchbluse, die sie in ihre vernünftige graue Stoffhose gesteckt hatte und schüttelte den Kopf. Ich würde es nie schaffen, ihr beizubringen, wie wichtig die richtigen Farben und Accessoires sind. Ich sah ihr Schulterhalfter, als sie hinter den Schreibtisch zurück ging und fragte mich, ob Kate mich auch eine Waffe tragen lassen würde, wenn ich erst meine Lizenz als Privatdetektivin hätte.

  »Ich bin unterwegs im Verkehr stecken geblieben«, log ich. »Was hast du da eigentlich an?«

  »Nun fang nicht schon wieder an, Addison. Ich bin Privatdetektivin, kein Supermodel«, sagte sie entnervt.

  Kate musterte mich von oben bis unten. »Das muss ja ein ganz schöner Verkehr gewesen sein, du hast Schokoladensauce auf dem Top und eine Beule auf der Stirn, die so groß ist wie der Grand Teton.«

  Meine Stirn tat ein bisschen weh, aber ich ignorierte den Schmerz. Mehr Sorgen machte ich mir über den Schokoklecks auf meiner linken Brust. Nur extreme Selbstbeherrschung hielt mich davon ab, mich runterzubeugen und ihn abzulecken.

  »Verflixt, das ist ein echtes George Michael-Top.«

  »Du musst das positiv sehen. Niemand wird dich bemerken, weil du dich die ganze Zeit nicht aus dem Auto trauen wirst.«

  »Da hast du recht. Übrigens, ich habe ernsthafte Vorbehalte gegenüber deiner Sekretärin. Hast du eigentlich ihren Hintergrund gecheckt? Ich wette, sie ist eine Auftragsmörderin oder vielleicht sogar ein Vampir. Und sie ist bestimmt der Obervampir, nicht so eine von den Rangniederen, die während ihrer Verwandlung meschugge werden.«

  Kate sah mich an, als sei ich ein Idiot und verdrehte die Augen. »Ich glaube, du bist meschugge. Lucy macht ihre Arbeit sehr gut, aber ich würde ihr nicht in die Quere kommen, wenn ich du wäre. Ich kann froh sein, sie zu haben.«

  »Also, ich kann dir sagen, mit der stimmt was nicht. Ich hab sie vor zwei Wochen im Supermarkt gesehen und war total überrascht, dass sie Milch und Eier im Korb hatte. Wahrscheinlich bekommt sie die Lieferungen von der Blutbank direkt nach Hause.«

  »Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du nicht ganz normal bist?«, fragte Kate.

  »Ständig«, sagte ich und warf einen letzten Blick auf die Schokosauce auf meinem Top. »Okay, nun mal zur Sache. Ich bin bereit, ein paar Halunken zu fangen.«

  »Da du ja gestern nicht zugehört hast, als ich meine unendliche Weisheit mit dir geteilt habe, sag ich alles nochmal. Das Wichtigste, das du dir merken musst, ist, dass du nicht den Auftrag hast, irgend jemanden zu jagen. Deine einzige Aufgabe ist es, die Zielperson zu observieren und ein paar Fotos zu machen. Wenn es irgendwelchen Ärger gibt, will ich, dass du wegfährst. Schluss. Und wir verstoßen nie gegen Gesetze.«

  Ich nickte heftig mit dem Kopf, um sie zu überzeugen, dass ich nie wieder so dumm sein würde, in irgendetwas Gefährliches oder auch nur ein bisschen Illegales hinein zu geraten, aber sie kannte mich zu gut. Ich war zum Unheilstiften geboren, und es zeugte ihrerseits von großer Unvernunft, mir einen solchen Job anzubieten. Aber für hundert Dollar pro Abend war ich zu fast allem bereit.

  »Du musst auch noch unsere Geheimhaltungsverpflichtung unterschreiben. Die meisten unserer Kunden sind von außerhalb, aber den Leuten von hier versprechen wir ebenfalls äußerste Diskretion. Es könnte sein, dass du mal jemanden erkennst.«

  »Aber mit dir darf ich darüber reden, oder?«

  »Sicher. Ich höre immer gern die pikanten Details. Aber deiner Mutter darfst du nichts sagen.«

  Kate musste mir etwas angesehen haben, ich wurde rot vor Scham. Genau das hatte ich nämlich vorgehabt. Alte Gewohnheiten waren hartnäckig und in einer Kleinstadt gehörte das Tratschen dazu wie das Atmen. Meine Mutter würde es mir nie verzeihen, wenn sie herausfände, dass ich die schmutzigen Geheimnisse andere Leute kannte und ihr nichts davon erzählte. Für so etwas wurde man hier enterbt.

  »Oh, okay. Ich verspreche, dass ich keiner Menschenseele etwas erzählen werde. Außer dir, natürlich.«

  »Hier sind drei unserer letzten Fälle. Alle betrügen angeblich ihre Ehepartner oder andere wichtige Personen. Nimm das Ganze am Besten heute mit nach Hause zum Durchlesen, bevor du mit dem Observieren anfängst. Es macht dir auf Dauer die Arbeit leichter, wenn du alle Informationen im Kopf hast.«

  Ich ging die Akten durch. Da war ein Arzt aus Savannah, eine Bibliothekarin aus Thunderbolt und ein Banker aus Whiskey Bayou.

  »Oh Mann, das ist eine Akte über John Hyatt«, sagte ich.

  »Ja, kannst du dich an Fanny Kimble erinnern?«

  »Zwei Jahre älter als wir, Ober-Cheerleaderin, Vorsitzende des Mathe-Clubs, Königin der Schulfeste und Rednerin bei der Abschlussfeier. Schwarze Haare bis zum Hintern, große blaue Augen und Figur wie ein Supermodel – nur Beine und kein Busen. Wie hätte ich Fanny Kimble vergessen können?«

  »Nun, in ein paar Monaten wird sie John Hyatts Frau werden. Das einzige Problem ist, dass sie glaubt, er betrüge sie. Sie hat den Verdacht, er habe eine Beziehung aus der Zeit, bevor sie sich kenn
enlernten, die er die letzten zwei Jahre weitergeführt hat. Sie hat ein oder zwei Mal teure Damenunterwäsche gefunden und wenn sie bei ihm übernachtet und ans Telefon geht, wird manchmal aufgelegt.«

  »Aber wie könnte er sie betrügen und hoffen, dass er damit durchkommt?«, fragte ich naiv. »Er arbeitet bei der Bank und wohnt im belebtesten Stadtviertel. Das würde doch jemand mitbekommen.«

  »Deswegen müsstest du mit den Nachbarn sprechen, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Dass wir in einer Kleinstadt wohnen, heißt übrigens noch lange nicht, dass die Leute hier keine Geheimnisse haben. Nimm zum Beispiel Greg. Er hat zwei Monate lang mit dir und mit Veronica geschlafen, bevor ihr heiraten wolltet, und du hattest von nichts eine Ahnung.«

  »Danke, dass du mich daran erinnerst«, sagte ich. »Ich denke, ich belasse es jetzt mal bei dieser angenehmen Schlussnote und gehe etwas Geld verdienen.«

  Bevor ich meine sieben Sachen zusammenpacken konnte, ertönte ein kurzes Klopfen. Beim Anblick der kraftvollen Präsenz an der Tür sträubten sich meine Nackenhaare und ein Hitzstrahl schoss direkt in meine Unaussprechlichen. Ich sah an mir runter, um sicherzugehen, dass ich noch etwas anhatte und meine Klamotten nicht beim ersten Anzeichen derart maskuliner Vitalität hinweggeschmolzen waren.

  »Entschuldige die Verspätung. Du kannst dir nicht vorstellen, was heute los war. Heute Morgen habe ich zwei Mörder geschnappt und dann kam ich wegen einer betrunkenen Raserin von der Straße ab und bekam einen Nagel in den Reifen. Ich hätte ihr einen Knollen verpassen sollen, aber mit einem Platten konnte ich nicht weiterfahren.«

  Oje. Die Stimme erkannte ich nun, obwohl sie ausdrucksvoller war als beim ersten Mal. Ich blickte auf in ein vertrautes Gesicht, das mich bisher noch nicht bemerkt hatte. Er stand als geballte elektrische Energie in Kates Tür und ich verspürte einen Anflug von Eifersucht, als ich mich fragte, woher sie sich wohl kannten.

  Nick erblickte mich und seine Augen wurden schmal. »Ich hätte wissen sollen, dass Sie das waren«, sagte er schließlich kopfschüttelnd. »Das Auto kam mir bekannt vor und mein erster Eindruck von Ihnen war, dass Sie nicht sehr überlegt handeln.«

  »Ey, das ist aber ungerecht. Sie kennen mich ja gar nicht.«

  »Und dafür kann ich ewig dankbar sein, wo ich doch gerade erst einen Reifen auf heißem Asphalt gewechselt habe und meine inneren Organe bei über 50°C weichgekocht wurden.«

  »Wieso soll ich an Ihrem Platten schuld sein?«, fragte ich. »Ich habe gehupt. Sie hätten ausweichen sollen, stattdessen haben Sie beschleunigt.«

  »Ich habe versucht auszuweichen. Sie sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Man sollte Sie in eine Gummizelle sperren und nicht mehr rauslassen und Ihnen erst recht keinen Führerschein in die Hand geben.«

  »Ich bin ein sehr netter Mensch, verdammt noch mal. Ich hatte nur in letzter Zeit wahnsinnig viel Stress und mein Leben ist etwas aus der Bahn geraten.«

  »Nun, danke, dass Sie versucht haben, auch mich aus der Bahn zu werfen. Ich habe jeden Tag mit dem Abschaum der Menschheit zu tun, aber ich kann mich nicht erinnern, wann mich jemand das letzte Mal so geärgert hat wie Sie.«

  Nicks Stimme war nicht lauter geworden, seit er angefangen hatte, mir eine Predigt zu halten. Sie war leiser geworden, seine Worte knapper und nachdrücklicher. Ich sah die angeschwollene Ader auf seiner Stirn und sie erschien mir ein bisschen gefährlich.

  »Sie sollten ein Anti-Aggressivitäts-Training machen, sonst explodieren sie noch, weil Sie nie Dampf ablassen«, sagte ich. »Ihrem Granitgesicht würde es nicht schaden, ein paar Emotionen zu zeigen. Ihre gespielte Ruhe kotzt mich an. Sie haben noch nicht mal gefragt, wie es mir geht oder irgend etwas Persönliches gesagt, als Sie mich verhört haben.«

  »Hören Sie, ich war da, um in einem Mordfall zu ermitteln, nicht um Konversation zu machen. Außerdem waren Sie betrunken. Ich habe nur versucht, aus Ihnen rauszuholen, was Sie wussten, bevor Sie mir auf dem Schoß ohnmächtig wurden. Und apropos Samstag, warum in aller Welt sind Sie nicht gekommen, um Ihre Aussage zu machen?«

  »Das ist perfekt«, sagte Kate, bevor ich etwas zu meiner Verteidigung vorbringen konnte. »Ich kenne keine zwei Menschen, die einen unvergesslicheren ersten Eindruck machen als Ihr beide. Es ist absolut perfekt.«

  Nick und ich schauten Kate an, als hätte sie den Verstand verloren.

  »Kate, ich glaube, dein Stirnband ist zu eng. Es unterbricht die Blutzufuhr zum Gehirn«, sagte ich.

  Ich stand auf, drückte, in der Hoffnung, die Schokosauce an meinem Busen zu verdecken, meinen kleinen Stapel Akten an die Brust und bereitete meinen großen Abgang vor.

  »Ich geh dann mal, Kate. Ich lese mir das hier durch und fange morgen Abend mit der Überwachung an. Heute Abend wäre ich sowieso nicht in der Lage anzufangen. Es war ein grauenvoller Tag und von Herrn Wichtig hier bekomme ich Kopfschmerzen.«

  »Kate, bitte sag mir, dass du dieser Verrückten keinen Job gibst. Sie ist doch dumm wie Bohnenstroh. Wie soll sie einen Verdächtigen beschatten, ohne sich bemerkbar zu machen? Sie hat das Geschick einer Neutronenbombe und das Glück eines Mafiaopfers.«

  »Also gut. Jetzt reicht‘s. Wer verdammt noch mal glauben Sie eigentlich, wer sie sind?«, fragte ich und bohrte meinen Finger so fest in seine Brust, dass er einen kleinen Schritt zurückwich. Seine Augen wurden zu bedrohlichen Schlitzen.

  »Ich bin Polizist und könnte Sie wegen Angriff gegen die Staatsgewalt festnehmen«, sagte er, ergriff den Finger, den ich gegen seine stahlharten Brustmuskeln gepresst hatte und schob ihn weg. »Wollen Sie mal sehen, wie es sich anfühlt, mit Handschellen hinten in einen Streifenwagen gesperrt zu werden?«

  Hitze schoss von meinen Lenden in alle erogenen Zonen, meine Pupillen weiteten sich und mein Atem stockte bei der Vorstellung und ich spürte, dass auch er nicht ganz frei von Phantasiebildern war, als er merkte, worauf unser Gespräch hinauslief.

  »Ihr zwei solltet jetzt mal Ruhe geben, ich möchte bei meinen Klienten den Eindruck erwecken, dass es hier geschäftlich zugeht«, sagte Kate in ihrer besten Einschüchterungsstimme.

  Nicks Lächeln wegen Kates Versuch, die Ordnung wieder herzustellen, traf mich völlig unvorbereitet. Diese verflixten Lachfältchen. In den letzten zehn Minuten hatte ich mehr sexuelle Erregung verspürt als in den ganzen zwei Jahren mit Greg. Veronica hatte mein ganzes Mitleid. Sie konnte Greg gern behalten.

  Kate sah mich entnervt an. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst die Aussage nicht hinausschieben, Addison. Kannst du nicht jetzt Nick bis zur Wache hinterher fahren und die Sache erledigen? Es hat keine Zweck, Unvermeidliches aufzuschieben. Keine Widerrede«, sagte sie, als ich genau dazu ansetzte.

  Sie wandte sich Nick zu. »Addison und ich sind seit der ersten Klasse beste Freundinnen. Sie wird eine Weile für mich arbeiten, als persönliches Entgegenkommen. Ihr beide werdet wohl gelegentlich aufeinandertreffen, daher ist meine einzige Bitte, dass ihr in meinem Gebäude kein Blut vergießt. Es ist ganz schön hart, heutzutage in der Geschäftswelt einen guten Ruf zu wahren, und aus Büroteppichboden geht Blut verdammt schwer raus.

  Ich nickte steif in die Richtung des Blödmanns und raffte all meine verbliebene Würde zusammen. Heute war nicht mein Tag, bei allem was ich bis jetzt durchgemacht hatte, aber ich war eine Frau der Südstaaten und meine Würde bewahren, das konnte ich im Schlaf. Meistens. Trotz der besten Bemühungen meiner Mutter geriet ich manchmal ein bisschen ins Schleudern.

  »Um mich mach dir da mal keine Sorgen. Ich komme mit jedem klar. Offensichtlich braucht Inspektor Zuckersüß mal eine Benimm-Lektion.«

  Ich hielt das für eine tolle Abgangszeile, aber ich kam nicht schnell genug zur Tür, um seine Abschiedsworte überhören zu können.

  »Ist das Schokolade auf Ihrem Hemdchen?«, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen.

  Ganz Dame zeigte ich ihm den Stinkefinger und beschloss, ein weiteres Eis mit Karamell-Schokoladensauce würde mir gut tun, bevor ich bei Nick meine Aussage machte. Das würde meinen überhitzten Body etwas abkühlen.

  Kapitel 5

  Dienstag

  * * *

  Die letzte Schulwoche zog sich immer lang hin und durc
h Herrn Butlers Tod war alles noch chaotischer als sonst.

  Die Beisetzung war für den folgenden Tag, 11 Uhr, angesetzt und ich wusste, dass nichts außer meinem eigenen Tod als Entschuldigung gelten konnte, um nicht hingehen zu müssen. Zu Ehren seines Angedenkens würde die Schule für einen Tag geschlossen.

  Ehrlich gesagt, wartete ich immer noch, dass die Wahrheit über meine Beteiligung am Auffinden seiner Leiche ans Licht käme, aber bisher war das Glück auf meiner Seite. Inspektor Dempsey hatte Wort gehalten, zu meiner großen Überraschung. Ich war Integrität bei Männern nicht gewöhnt. Aber es war ja noch nicht viel Zeit vergangen.

  Wer auch immer die Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, hatte nicht mehr angerufen, also beschloss ich, das Ganze als dummen Streich zu behandeln und nicht allzu ernst zu nehmen. Es war definitiv eine Angelegenheit, die Kate oder Inspektor Dempsey in Aufruhr versetzt hätte, also erwähnte ich es bei keinem von beiden. Sie hatten beide die Tendenz, bei solchen Dingen zu überreagieren. Ganz abgesehen davon, dass ich wahrscheinlich einen weiteren Nachmittag der Befragung über mich ergehen lassen müsste, wie am Tag vorher, als man mich gedrängt hatte, meine Aussage zu machen. Inspektor Dempsey wollte ja immer alles bis aufs kleinste i-Tüpfelchen genau wissen. Meiner Ansicht nach eine nervige Angewohnheit.

  Als die Schulglocke am Dienstag um halb vier läutete, schnappte ich mir meine Taschen und rannte zum Lehrerparkplatz; ich war bereit, jetzt richtig Geld zu verdienen. Ich musste stehenbleiben, weil jemand mit über dem großen Busen verschränkten Armen seitlich an meinem Auto lehnte. Ich knurrte leise und sagte mit grimmigem Blick:

  »Ich hab‘s eilig, Veronica. Heute hab‘ ich keine Zeit für deine Sexkapaden.«

  »Wie schade«, sagte sie. »Dann muss ich dir das Video schicken.«

  »Miststück.«

  »Biest.«

  Ihr Lächeln war falsch und ich wusste, sie wartete auf den richtigen Moment, um mir etwas Unerwartetes an den Kopf zu werfen. Ich öffnete den Wagen mit der Fernbedienung und als sie sich immer noch nicht bewegte, fragte ich mich, ob ich sie regelrecht aus dem Weg räumen musste. Ich hätte nicht unbedingt etwas dagegen gehabt, ihr eine ins Gesicht zu verpassen, aber dafür war der Lehrerparkplatz wohl nicht der richtige Ort.

 

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