by Liliana Hart
»Hmmm«, sagte ich und biss leicht in seine Unterlippe. »Du schmeckst gut.« Das Gel von der Party ließ immer noch meinen ganzen Körper kribbeln. Mir stockte der Atem, als er mir die Hände auf die Hüften legte und mich ganz nah an sich zog; Mr. Incredible konnte Nick Dempsey nicht das Wasser reichen, das war deutlich zu spüren. »Hab ich dir schon gesagt, dass ich dreimal die Woche zum Yoga gehe? Ich bin sehr biegsam«, lallte ich.
»Gott im Himmel«, sagte Nick und presste seinen Mund wieder auf meinen. »Du schmeckst nach Schoko-Karamell und Himbeergeist. Eine Kombination, die ich mir heute Abend nicht erlauben kann.« Er streifte mich von seinem himmlischen Body ab, packte mich unter den Achseln und stellte mich auf die Füße. Ich schenkte ihm das benebelte Lächeln einer angenehm Betrunkenen. »Bist du betrunken?«
»Nee«, sagte ich kichernd. »Ich war bei Dairy Queen und hab den Alkohol mit einem Eisbecher verdünnt. Es kann losgehen.« »Wie bist du nach Hause gekommen?«, fragte er und schloss endlich die Wohnungstür.
Ich sah das Zucken in seinem Unterkiefer und hätte am liebsten reingebissen. Verärgert war er sooo sexy. »In einem gelben Käfer. Sehr klein. Wie könnte ich sonst hier sein?« Ich ging ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen. Das Spiel war noch dran und ich machte es mir zum Zuschauen bequem, das männliche Raubtier, das mir noch hinterherstarrte, hatte ich ganz vergessen. »In einem gelben Käfer bist du heimgefahren? Bist du zu? Was war das denn für eine Party?« Ich lachte, bis mir die Tränen übers Gesicht liefen. »Kannst du mein Auto holen? Ich hab es an der Straße geparkt, aber weiß nicht mehr an welcher.« »Klar, ich lasse einen roten Z zur Fahndung ausschreiben, irgendwo im Staate Georgia. Wir finden den in Nullkommanichts wieder.« »Du bist der Beste«, sagte ich und zwinkerte ihm lüstern zu.
Nick schüttelte resigniert den Kopf, aber ich konnte in seinen Mundwinkeln den Anflug eines Lächelns erkennen. Er ergriff die große Tüte, die ich an der Tür hatte liegen lassen und sah hinein, während er ins Wohnzimmer kam.
»Also, Addison, es schmerzt mich, dir das sagen zu müssen, aber das hier ist keine Tupperschüssel.« Er hielt Mr. Incredible in den Fingern und ein Lachen blitzte in seinen Augen. »Willst du mir nicht sagen, auf was für einer Party du da warst?« Er warf das Ding auf den Kaffetisch und ich sah wie Mr. Incredible zweimal auf dem Tisch zurücksprang und dann auf dem Boden landete. Mit einem der Sofakissen unterdrückte ich ein Kichern. »Es war eine Leidenschaftsparty und sie war herrlich«, sagte ich und streckte mich auf der Couch aus. »Ich bin nämlich ein sehr leidenschaftlicher Mensch, das solltest du wissen. Ein Test hat das bestätigt. Mein Testergebnis war perfekt.« Nick verdrehte die Augen und kramte weiter in der Tüte. »Du hättest keinen Test machen müssen, um zu wissen, dass du leidenschaftlich bist, Baby. Das hätte ich dir auch sagen können, wenn du mich gefragt hättest.« Die geballte Lust in seinen Augen reichte aus, um das vor einigen Stunden aufgetragene Gel wieder zu aktivieren, abgesehen davon, dass ich Nick nur anschauen musste, um meine natürlichen Hormone zu einem Freudenfeuer der Lust zu entzünden. Er kippte den Tüteninhalt auf den Tisch und endlich sah ich, was ich an dem Abend alles gekauft hatte. Anscheinend den gesamten Katalog.
»Ich hab mich da wohl ein bisschen mitreißen lassen«, sagte ich mit einem Blick auf all die Sextoys und Cremes. Ich stöhnte auf, als er sich neben mir auf die Couch legte; seinen harten Körper neben mir begehrte ich dringender als ich jemals etwas begehrt hatte.
Nick kam mit einem Bein zwischen meine und presste uns langsam aufeinander, dabei küsste er mich am Hals entlang bis zum Ohr und kam dann endlich zu meinem Mund. »Gott fühlst du dich gut an«, sagte ich und presste mich enger an ihn. »Ich habe gehört, man braucht nach einer Trennung zwei Jahre, bevor man eine Beziehung eingehen kann, die nicht nur als Ablenkung zu sehen ist. Zwei Jahre kommen mir im Moment ziemlich lang vor.« Ich legte mein Bein um seine Hüfte und wir beide stöhnten, als sich unsere Körper perfekt aneinanderschmiegten. Meine Nägel drückten sich in seine Schultern und ich fauchte, als seine Hand zwischen uns glitt und meine Brust streichelte.
»Oh Baby. Du hast keine Ahnung, wie gut ich mich anfühle«, flüsterte er auf meinen Lippen, und ich hätte unter ihm wegschmelzen können. »Aber du wirst es viel früher herausfinden, als in zwei Jahren, das versprech ich dir.« Er bewegte sich küssend an meinem Unterkiefer entlang bis zum Ohr; sein Biss in mein Ohrläppchen brachte mich um den Rest Verstand, der mir noch geblieben war.
»Oh Gott«, sagte ich. Und dann wurde ich ohnmächtig.
Kapitel 12
Dienstag
* * *
Ich erwachte allein auf der Couch, noch leicht vom Schlaf benebelt hörte ich das Getrampel von tausend kleinen Männlein, die durch meinen Schädel marschierten. Behutsam setzte ich mich auf und sah, dass ich zugedeckt war; auf dem Tisch standen mengenweise Sexartikel und starrten mich an. Wenn Nick sich von denen nicht einschüchtern ließ, dann war er vielleicht wirklich der Mann für mich.
Die Wanduhr stand auf fast zwölf und mein Magen zog sich panisch zusammen, bevor mir einfiel, dass Ferien waren. Draußen grollte der Donner und am Wasserstand in meinen herumstehenden Eimern konnte ich erkennen, dass es schon seit einer Weile am Regnen war. Schwarzgraue Sturmwolken zogen sich bedrohlich zusammen und Blitze krachten über den Himmel wie feurige Peitschen.
Ein tobendes Gewitter war sicher der passende Hintergrund für jemanden mit einem gewaltigen Kater. Aber Regen hin, Regen her, in weniger als sieben Stunden hatte ich für ein heißes Date fertig zu sein, also war es an der Zeit, meine Unterwäsche für Erwachsene anzuziehen.
Die Sexspielzeuge stopfte ich wieder in die Tüte und dann in die hinterste Ecke meines Kleiderschranks. Ich nahm vier Aspirin, duschte und zog dann – passend zu meiner Gesichtsfarbe – einen kurzen grünen Rock mit Camouflage-Muster und ein olivgrünes Top über. Es ging mir fast wieder normal, als ich den Kühlschrank öffnete und die vielen Sachen sah, die Nick am Morgen zuvor gekauft hatte. Ich griff nach einer Diet Coke und einer Tüte Salzbrezeln und suchte dann das Telefon, um Kate anzurufen.
Bis auf einen hatte ich alle Überwachungsfälle durch, die Kate mir geschickt hatte und ich wollte fragen, ob sie neue hatte. Mit dem Beschatten von Harry Manilow hatte ich noch nicht angefangen, weil ich keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, nach Savannah zu fahren und weil ich John Hyatt und Fanny Kimble noch im Hinterkopf hatte, allerdings nur inoffiziell, denn ich hatte Kate praktisch versprochen, die Sache fallen zu lassen.
Ich musste weiter arbeiten, denn ich brauchte das Geld immer noch für mein Haus, für den Fall dass Veronica eine Salzvergiftung erlitt und ihre Drohung, es mir vor der Nase wegzuschnappen, nicht mehr wahrmachen konnte. Was die anderen Drohungen betraf, so hatte mir Nick versichert, die Polizei würde regelmäßig zur Kontrolle hier vorbeifahren, also fühlte ich mich relativ sicher, bei Gefahr jemanden in der Nähe zu haben.
Von weitem sah ich am Telefon den Anrufbeantworter blinken. Ich hatte sechs Anrufe verpasst. Mit dem Mund voller Salzbrezeln drückte ich auf die Voicemail-Taste und wartete.
»Hier spricht Mark Mathers von der ,Bank- und Treuhandgesellschaft Whiskey Bayou‘. Ich bin als Vizepräsident für Hypotheken zuständig. Ich bitte um Rückruf bezüglich Ihres Darlehens für das Haus in der Hutton Street 522.« Aufgelegt. Ich trank von meiner Cola. Tatsächlich hatte ich das Telefon am Vortag mehrmals klingeln gehört und ärgerte mich nun grün, dass ich die Anrufe einfach nicht beachtet hatte. Aber zumindest rief die Bank mich an. Vielleicht klappte es ja letztendlich doch. Als die nächste Nachricht begann, steckte ich mir noch eine Brezel in den Mund.
»Hier spricht noch einmal Mark Mathers von der ,Bank- und Treuhandgesellschaft Whiskey Bayou‘. Ich warte immer noch auf Ihren Rückruf bezüglich Ihres Darlehensantrags. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir beschlossen haben, von dem Vertrag über die Immobilie in der Hutton Street zurückzutreten. Ein anderer Käufer erfüllt alle Bedingungen für den Kauf, und laut Vertrag sind wir berechtigt, einem besser qualifizierten Käufer den Zuschlag zu geben. Ihre Teilanzahlung wurde ihrem Girokonto gutgeschrieben. Bitte wenden Sie sich bei Fragen dir
ekt an mich.« Die Brezeln in meinem Mund fühlten sich plötzlich an wie Sägemehl, also spülte ich mit einem weiteren Schluck nach. Nun wurden die Brezeln in meinem Mund zu Brei, und ich fing an zu weinen; von diesem heftigen Schluchzen würde ich auf jeden Fall Schluckauf und geschwollene Augen bekommen.
»Na, dann hat ja alles super geklappt«, sagte ich und bekam den Schluckauf, als ich versuchte, einen neuen Schwall Tränen zurückzuhalten. »Blöder Vertrag. Blöde Bank.« Ich ließ mich zusammengerollt auf den Boden fallen und schluchzte herzzerreißend. Wenn ich Glück hatte, fand mich vielleicht irgend ein Dödel tot hier liegen, nachdem ich an einem Stück Brezelteig im Hals erstickt war. Ich wäre dann die Mama Cass von Whiskey Bayou, allerdings ohne die Erfolgssongs.
Alles, wofür ich die ganze Zeit gearbeitet hatte, war umsonst. Ich hatte mich vor Fremden blamiert und war beim Verfolgen meiner Träume über Leichen gestolpert, für nichts und wieder nichts. Die Erkenntnis war niederschmetternd. Und erbärmlich.
Der Tropfen, der mir auf die Stirn klatschte, hatte nichts mit Tränen zu tun und brachte das Fass zum Überlaufen. Ich sah vom Boden aus an die Decke und sah den neuen Wasserfleck und die sich sammelnde Feuchtigkeit in der Mitte.
Das erforderte drastische Maßnahmen. Ich wusste das, weil ich jetzt dasselbe Bauchgefühl hatte wie an dem Morgen, als ich auf die Zeitungsannonce vom The Foxy Lady geantwortet hatte. Ich würde eine bessere Bleibe finden als dieses blöde Haus in der Hutton Street.
Ich ergriff meine Handtasche und kümmerte mich nicht um Schirm oder Galoschen. Ich watete auf den Parkplatz und drohte dem Himmel mit der Faust, als er immer noch mehr Wasser auf Whiskey Bayou kippte. Die Autoreifen standen schon bis zur Hälfte im Wasser und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, warum ich nicht mit etwas mehr Sinn fürs Praktische einen Jeep oder Monstertruck gekauft hatte, um holprige Landstraßen entlang zu fahren.
»So nass werde ich nicht mal unter der Dusche«, murmelte ich. Ich kramte in der Tasche nach meinem Schlüssel und fand ihn nicht. Dann wurde mir klar, dass Nick in der Nacht irgendwie herausgefunden hatte, wo mein Auto stand und es mir gebracht hatte. Ich öffnete die Tür und sah die Schlüssel auf dem Boden, mit einem Zettel.
"Interessante Freundinnen hast du. Sie hat mich gefragt, ob ich bereit wäre, mit dir zu schlafen—Nick." Ich konnte nur ahnen, dass er Rose Marie meinte, denn sie hatte mir ja die Schlüssel abgenommen. Ich versuchte, ihre Bemerkung gegenüber Nick positiv zu sehen. Rose Marie wollte wahrscheinlich, dass ich glücklich war und dachte nicht daran, dass sie mich jämmerlich und verzweifelt erscheinen ließ. Ich würde mir darüber keine Gedanken machen. Ich hatte ein neues Lebensziel.
Ich stieg ins Auto, zog die Schuhe aus und warf sie auf den Boden der Beifahrerseite. Erleichtert atmete ich durch, als der Z ohne Probleme startete, und schaltete in den Rückwärtsgang. Ich schaute zurück, ging aufs Gas und fuhr langsam vom Parkplatz in Richtung Whiskey Bayou Zentrum. Die Sicht war gleich null und zum Glück waren keine anderen Autos auf der Straße, als ich auf der Hauptstraße wütend Gas gab. Ich hatte der Bank den Anruf wohl doch ein bisschen übel genommen.
An der Straße sah ich etwas und bremste ein bisschen ab. Ich hatte den Eindruck, es sei irgend ein großes Tier, aber die Sicht war zu schlecht, um sicher sein zu können. Sicher war nur, dass es ihm nicht gut ging. Ich überlegte gerade, ob ich anhalten und es ins Auto packen oder lieber den Tierschutz verständigen sollte, als es direkt vor mir auf die Straße lief.
Ich stieg voll auf die Bremse und der Z fing durch das Aquaplaning an, in Schrägstellung die Straße entlang zu schlittern. Ich konnte nur versuchen, das Steuer wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Wagen prallte auf etwas Hartes, meine Zähne knallten aufeinander, mein Kopf knickte zurück und knallte beim Aufprall gegen die Kopfstütze.
»Oh Gott«, sagte ich. Dampf stieg aus der leicht verbogenen Motorhaube. Was auch immer ich angefahren hatte, war groß genug gewesen, um einigen Schaden anzurichten. Beim Aussteigen kamen mir die Tränen, denn ich war sicher, Lassie überfahren zu haben.
Stattdessen sah ich unter dem Auto ein Paar Kenneth-Cole-Schuhe herausragen, wie aus dem Backofen der bösen Hexe. Ich sah nur noch leuchtende Punkte vor meinen Augen, durch den Schock war ich sicher erblindet.
Diese Schuhe kannte ich.
Vor weniger als einem Jahr hatte ich sie als Geburtstagsgeschenk gekauft.
* * *
»Jetzt weißt du also, warum du Greg nicht ausfindig machen konntest«, sagte ich eine knappe halbe Stunde später zu Nick.
Nachdem ich Greg plattgemacht hatte, war ich schreiend wieder zum Auto gerannt, hatte mit meinem Handy den Notruf gewählt, um dann gleich darauf in den Rinnstein zu kotzen. Nick fand mich zusammengekauert am Straßenrand, wo ich mich weinend vor- und zurückwiegte. Ich war am Übergang von hysterisch zu anstaltsreif. Nick hatte einen Blick auf meine klappernden Zähne geworfen und mir den Kopf zwischen die Knie gesteckt, bevor er mich in eine Decke wickelte und hinten in einen Streifenwagen setzte.
Eine Frau hat nicht jeden Tag die Chance, ihren fremdgegangenen Ex-Verlobten zu überfahren, aber ich muss sagen, die Wirklichkeit ist bei Weitem nicht so aufregend, wie ich mir das ausgemalt hatte.
Ein Beamter, den ich noch nie gesehen hatte, stieg mit mir hinten ein und zückte ein winziges Notizbuch. »Frau Holmes?«, fragte er. »Ich bin Wachtmeister Ruiz. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.« Ich sah Wachtmeister Ruiz an und nickte. Meine Bewegungen fühlten sich langsam an und ich war nicht sicher, ob ich überhaupt sprechen konnte.
»Kennen Sie das Opfer?«, fragte Ruiz.
»J--a«, stammelte ich. »Er heißt Greg Nelson. Er wohnt hier in Whiskey Bayou.« »Aha«, sagte Ruiz. »Erzählen Sie mir, was passiert ist, als Sie ihn gesehen haben.« »Ich bin bloß gefahren.« Ich schaute an Ruiz‘ Gesicht vorbei aus dem Fenster, um seinem prüfenden Blick zu entgehen. »Ich dachte, ein Hund liefe den Bürgersteig entlang und fragte mich, warum er bei diesem Wetter draußen war und nicht im Trocknen Schutz suchte. Auf einmal rannte er mir direkt vors Auto. Ich stieg voll auf die Bremsen, aber es war zu spät. Und es war gar kein Hund«, schluchzte ich.
»Lassen Sie sich Zeit, Frau Holmes«, sagte Ruiz und gab mir ein paar Taschentücher. »Sie sagten, Sie hätten das Opfer für ein Tier gehalten. Können Sie sich speziell an etwas erinnern, dass Ihnen diesen Eindruck vermittelte?« Ich dachte kurz nach und versuchte, das Ganze noch einmal vor meinem inneren Auge abzuspielen. »Ich glaube, es war die Art, wie er nach vorn gebeugt war. Und eigentlich lief er nicht. Es war eher ein Schlurfen. Ich dachte, das Tier sei verletzt, weil es sich so bewegte.« »Haben Sie gesehen, aus welcher Richtung er kam?« »Ich konnte kaum etwas sehen. Ich war schon fast an ihm dran, als er auftauchte. Es sah aus, als liefe er Richtung Stadt, genau wie ich, aber dann bog er ab und rannte mir direkt vors Auto.« »Sah er verwirrt oder desorientiert aus?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich habe ja sein Gesicht nicht gesehen. Und auch, als ich ihn überfahren hatte, dachte ich noch, es sei ein Hund. Erst, als ich ausgestiegen war, merkte ich, wer es war.« »Hatten Sie eine persönliche Beziehung zu dem Opfer?«, fragte Ruiz.
Die Frage und der Ton in der Stimme ließen mich aufhorchen und ich sah Ruiz in die Augen. Er hatte diesen berechnenden Blick und ich konnte fast die Rädchen in seinem Hirn laufen sehen. »Ja«, antwortete ich. »Bis vor einigen Monaten war er mein Verlobter gewesen.« Ruiz brummte, klappte sein Notizbuch zu und ließ mich allein im Streifenwagen zurück.
* * *
Nick hielt sich von dem befragenden Beamten fern, denn er hatte einen Interessenskonflikt; das heißt, er hielt es nicht für richtig, eine Frau offiziell zu befragen, wenn er eigentlich mit ihr ins Bett wollte. Als Ruiz mit der Befragung fertig war, verfrachtete Nick mich in seinen Truck und fuhr zu meiner Wohnung zurück. Ich wusste, er hatte zu arbeiten, aber ich brauchte menschliche Nähe und hatte fürchterliche Angst, im Moment des Alleinseins etwas zu verlieren, das nur Nick mir geben konnte. Es hatte zuviele Tote gegeben. Ein Mensch konnte so etwas nur bis zu einem gewissen Grad aushalten, bevor er zusammenbrach, und Nick war mein Rettungsanker.
Ich hatt
e kaum etwas gesagt, seitdem Gregs Leiche in einen dieser schwarzen Säcke gesteckt und zur Obduktion befördert worden war. Was mich in Schockstarre versetzt hatte, war der Abschleppwagen, der kam und meinen Z abschleppte. Man sagte mir, das Auto sei ein Beweismittel in den Ermittlungen und müsste für eine gewisse Zeit beschlagnahmt werden. Nick hatte mich angestarrt, als befürchtete er, ich würde mir den Kopf kahl rasieren und russisches Roulette spielen gehen. Es überlief mich kalt. Ich nahm einen Schluck von dem heißen Grog, den er mir aufzwang und der beruhigte mich enorm. »Warum würde Greg sowas machen?«, fragte ich. »Einfach so vor ein Auto laufen?« »Ich weiß nicht, aber Gregs Rolle in diesem Schlamassel war von Anfang an verdächtig. Vielleicht dachte er, es sei das Einfachste, dem Ganzen ein Ende zu setzen.« »Vielleicht, aber das ist nicht sehr plausibel. An der ganzen Szene stimmte etwas nicht. Ich kann nicht glauben, dass er absichtlich so etwas getan hätte«, sagte ich.
»Wenn sie mit einem Bein im Gefängnis stehen, tun Menschen Dinge, die sie normalerweise nicht täten.« »Also du meinst, Greg hätte Herrn Butler umgebracht?« »Nein, ich weiß, dass Greg Herrn Butler nicht umgebracht hat. Aber er war auch nicht ganz unschuldig.« »Wenn du weißt, dass Greg Herrn Butler nicht getötet hat, dann weißt du also, wer es gewesen ist«, sagte ich überrascht. »Warum hast du mir das nicht gesagt? Warum verhaftest du ihn nicht? Krieg endlich den Hintern hoch und mach das. Ich brauche keinen Babysitter, falls es das ist, was dich zurückhält.« »Ich brauche Beweise, bevor ich jemanden verhaften kann. Verbrecher machen immer einen Fehler, Addison, und darauf warte ich.« »Und, wer ist es?«