by Liliana Hart
»Oh. Ja. Gute Idee. Kind, du bist ein Naturtalent.«
»Meinst du wirklich? Ich denke darüber nach, mir eine Detektivlizenz und einen Waffenschein zuzulegen. Ich fühle mich immer als Außenseiterin, wenn ich mich Kate und Mike weggehe, und außerdem habe ich anscheinend eine natürliche Begabung für diesen Job.« »Und du hast in den Sommer- und Weihnachtsferien frei«, fügte sie hinzu. »Du könntest in so kurzer Zeit deiner Gemeinde einen so großen Dienst erweisen.« Meine Mutter schaltete die Schweinwerfer aus und fuhr langsam durch den Park an die Stelle, von der aus ich John Hyatts Haus schon einmal zu observieren versucht hatte. Ich stieg langsam aus und tastete mich um die Motorhaube herum. Es war stockdunkel und als meine Augen sich darauf eingestellt hatten, war immer noch alles verschwommen.
»Ich hol nur ein paar Sachen und dann kann es losgehen«, sagte meine Mutter. »Ich hab uns ein paar Snacks und Koffein eingepackt, falls wir Anregung brauchen. Ich wusste ja nicht, wie lange es dauern würde und ich wollte nicht ohne etwas zu essen hier auf dem Trocknen sitzen. Ich habe sogar Klopapier dabei, falls ein natürliches Bedürfnis ansteht.« Ich schaute auf den überquellenden Picknickkorb in den Armen meiner Mutter und wusste, wir hätte hier die nächsten zwei Wochen überdauern können, ohne zu hungern.
»Es tut mir wirklich leid, aber ich muss den Hut und den Mantel im Auto lassen«, sagte ich. »Es ist zu heiß, um mit mehr als einem Badeanzug bekleidet herumzulaufen. Ich schwitze wie ein Schwein.« »Du hast Recht«, sagte meine Mutter zustimmend. »Du bist ganz rot im Gesicht. Meinst du, Columbo wäre enttäuscht?« Columbo würde sich kaputtlachen, aber ich wollte sie nicht verletzen. »Nee, ein guter Privatdetektiv weiß, wie man sich auf jede Situation einstellt.« Ich wusste nicht, ob das stimmte, aber es schien meine Mutter enorm aufzumuntern.
»Du musst mich führen«, sagte ich. »Ich kann immer noch nichts sehen. Ich halte mich einfach hinten an deinem Trikot fest.« »Es ist ein Catsuit. Als ich jünger war, war das sehr modern«, sagte sie verstimmt. »Guck mal, ich kann da vorn die Lichter von Johns Haus sehen.« »Nun, ich sehe nicht das geringste bisschen«, sagte ich gereizt. »Mach langsam.« Es war mir bereits gelungen, über einen Baumstamm zu stolpern und gegen einen Baum zu rennen; ich musste also näher dran bleiben, wenn ich den Rest des Weges heil überstehen wollte.
»Tut mir leid«, sagte sie und ging ein bisschen langsamer.
Wir bauten uns ein kleines Lager in etwa drei Meter Entfernung von dem schmiedeeisernen Zaun, der Hyatts Grundstück umgab. Mit kleinem Lager meine ich, dass meine Mutter ihren Rucksack öffnete und eine Decke mit Camouflage-Muster ausbreitete, die mein Vater das eine Mal benutzt hatte, als er beschlossen hatte, auf die Jagd zu gehen.
»Mama, das ist doch kein Picknick.«
»Ich weiß, aber warum so spartanisch, wenn wir jeden Komfort parat haben.« »Hol einfach die Kamera und das Notizbuch da. Du musst für Nick jede Einzelheit dokumentieren. Die Kamera ist super für Fernaufnahmen, es sollte also nicht so schwer sein, die Beweismittel zu finden, die wir brauchen. Okay?« »Klar. Das kann ich. Vielleicht krieg ich ja auch die Detektivlizenz. Macht echt Spaß.« Ich dachte daran, dass Victor Mooney kurz vor seinem Tod genau das Gleiche zu mir gesagt hatte. »Siehst du was?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. Mein Sehvermögen war immer noch eingeschränkt und ich sah nur die hellen Lichter aus den hinteren Fenstern von Hyatts Villa.
»Gott, schau dir bloß all die Fenster an. Kannst du dir vorstellen, die alle putzen zu müssen?« »Mama, konzentrier dich! Kannst du durch die Fenster etwas sehen?« Als sie den Atem anhielt, war ich sofort hellwach.
»Was? Was passiert?« Es war schrecklich, nichts sehen zu können. Ich verpasste das Wichtigste.
»Da ist eine blonde Frau mit so einem seidenen Kimono.« »Das muss Loretta Swanson sein. So spät sollte sie gar nicht hier sein. Zwischen den beiden läuft garantiert etwas. Du musst unbedingt alles in das Notizbuch schreiben, das ich dir gegeben habe.« »Ok«, sagte sie und schrieb.
»Siehst du noch jemanden?«
»Da sitzt ein Mann auf einem Stuhl, aber ich sehe ihn nur von hinten. Er sieht nicht aus wie John Hyatt. Dieser Mann hat zu viele Haare und sie sind heller. Er ist eher aschblond.
»Sind sie im Obergeschoss oder unten?«
»Unten, im Wohnzimmer. Ich denke, sie sollte etwas vorsichtiger sein, wenn sie im Morgenmantel Herrenbesuche empfängt. Ich denke nicht, dass sie damit die richtigen Signale gibt.« Ich hatte das Gefühl, meine Mutter und Rose Marie würden sich wunderbar verstehen.
»Kannst du in die Räume im Obergeschoss schauen? Ist John Hyatt oben?« »Moment mal. Ich hol mal das Fernglas raus.«
Ich beobachtete mit nervösem Schweigen, wie meine Mutter seitenweise in das kleine Notizbuch schrieb und wie ein Profi Fotos schoss.
»Und, Mama? Lass mich nicht so zappeln. Was läuft da gerade?« »Sagen wir, die Blonde und ihr Gast lernen sich gerade sehr gut kennen.« »Kannst du ihn erkennen?«
»Er kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich komme nicht darauf. Vielleicht klickt es ja, wenn er die restlichen Kleider auszieht.« »Mama!«
»Seit wann bist du eigentlich so prüde, Addison? Ich habe dich anders erzogen.« Sie schnalzte mit der Zunge und spähte weiter durch die Fenster. »Um… Gottes… Willen.«
»Was? Was ist passiert? Verdammt, dass ich nichts sehen kann.« »Ich kann dir sagen, das erweist sich gerade als Segen, du kannst dafür dankbar sein.« »Ist John Hyatt jetzt zu sehen?«
»Das kann man wohl sagen«, sagte meine Mutter und knipste wie wild.
»Und was machen sie?« Ich war auf den Zaun geklettert und presste mein Gesicht zwischen zwei Eisenstäbe. Ich sah immer noch nichts außer verschwommenen Formen, so sehr ich mich auch bemühte.
»Sagen wir mal, du wirst sehr überrascht sein, wenn du die Bilder siehst. Ich könnte sie an den National Enquirer verkaufen und Millionärin werden.« Ich warte schweigend und ungeduldig noch weitere zwanzig Minuten und konnte es kaum ertragen, dass mir eine so tolle Klatschgeschichte vorenthalten wurde . Dann klappte meine Mutter das Notizbuch zu, machte ein letztes Foto und packte unseren Proviant wieder ein. Sie griff mich am Arm und rannte praktisch mit mir zum Auto.
»Wir müssen hier weg«, sagte sie und schlüpfte hinter das Lenkrad. »Ich brauche jetzt erst mal eine kalte Dusche.«
* * *
Ich hatte tausend Fragen während der kurzen Rückfahrt zu meiner Wohnung, aber meine Mutter verriet nichts und raste über die beiden Ampeln der Stadt, als sei die Polizei hinter ihr her. Mit quietschenden Bremsen blieb sie vor dem Treppenaufgang zu meiner Wohnung stehen und blockierte damit den Eingang und zwei Behindertenparkplätze.
»Es ist fürchterlich. Einfach fürchterlich«, murmelte sie, als sie die Fahrertür zuschlug und dann um das Auto herum ging, um mir zu helfen. Dass sie aufgeregt war, sah ich daran, dass sie den Motor hatte laufen lassen. Ich beugte mich rüber, griff nach dem Schlüssel und schaltete die Zündung aus, bevor sie mich aus dem Auto zerrte. Sie zog mich die Treppe hinauf, als wäre ich im Besitz meines vollen Sehvermögens.
War ich aber nicht.
Wenn ich mir etwas sehr nah ans Gesicht hielt, konnte ich die groben Einzelheiten erkennen, große Formen und die Richtung, aus der das Licht kam. Aber mehr nicht.
Meine Schienbeine knallten gegen alle Stufen, aber meine Mutter hörte vor lauter Gemurmel meine Schmerzensschreie nicht. Als wir im vierten Stock angelangt waren, preschte sie vor und ließ mich allein durch den Flur tappen, während sie die Tür aufschloss. Ich blieb mir also selbst überlassen, verrenkte mir die Schulter, indem ich sie in der Tür einklemmte und schaffte es, mit der Stirn gegen einen Wandleuchter zu rennen.
Als meine Mutter mich endlich ins Wohnzimmer führte, war es mir schon völlig egal, welch skandalöse Beobachtungen sie in Hyatts Villa gemacht hatte. Ich wollte nur noch einen Eisbeutel und ein heißes Bad, aber ich gab mich mit der Couch zufrieden. Sie rief eine ihrer Nachbarinnen an, um sich abholen zu lassen und ich knurrte, als sie sich auf das andere Ende setzte, und meine wehen Beine auf ihren Schoß legte.
»Wie konntest du mich nur in so eine Lage bringe
n?«, fragte meine Mutter.
»Moment mal, du wollstest doch Columbo spielen. Gib bitte nicht mir die Schuld. Du ärgerst dich doch nur, weil du weißt, dass du nicht als Erste die Neuigkeit verbreiten darfst.« »Ich tue nur meine Bürgerpflicht«, sagte sie steif.
Das stimmte. Die Fähigkeit meiner Mutter, pikante Informationen aufzuspüren, lag in der gleichen Kategorie wie die der Typen vom Militär, die auf Foltertechniken spezialisiert sind. Ich hatte sie in eine schlimme Lage gebracht. Schließlich ging es um ihren Ruf.
»Vielleicht ist es ja gar nicht so dramatisch wie es dir vorkommt. Warum sagst du mir nicht, was du gesehen hast?« »Ich kann das nicht laut sagen.« Sie beugte sich vor und zog die Kamera aus der Tasche vor ihren Füßen. »Schau doch selbst.« »Ich kann doch nichts sehen.« Ich war wie ein kleines Mädchen kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Ich wollte endlich sehen, was auf den Fotos war.
Sie schaltete die Kamera an und reichte sie mir. Wenn ich mein linkes Auge zukniff, konnte ich etwas klarer sehen, aber als ich erkannte, was auf dem Display war, fürchete ich, mit Blindheit geschlagen zu werden. Ich tat einen keuchenden Atemzug und sah mein Leben vor meinen Augen ablaufen.
»Wer würde mir so etwas glauben, wenn ich es erzähle?«, fragte meine Mutter.
»Nun, wir haben die Fotos. Aber du hast Recht. Die Stadt ist nicht reif für John Hyatts Geheimnisse. Wir müssten von hier wegziehen.« »Für dich wäre das ja nicht so schlimm. Du hast doch sowieso einen Räumungsbescheid.« »Danke, dass du mich daran erinnerst«, sagte ich. »Hätte ich fast vergessen.«
Kapitel 14
Donnerstag
* * *
Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, konnte ich wieder klar sehen; ich hatte das zwar gehofft, aber nicht erwartet, angesichts der Pechsträhne der letzten Zeit.
Es war noch nicht einmal acht Uhr. Ich sprang unter die Dusche und wusch mich schnell, damit ich mir die Bilder, die meine Mutter am Vorabend gemacht hatte, nochmals anschauen konnte. Dieses Mal mit klarer Sicht. Vielleicht hatte ich ja nicht richtig hingeschaut. Das hoffte ich weiß Gott.
Ich sprang aus der Dusche und wickelte mir ein dickes Badetuch um. Mit tropfnassen Haaren lief ich zum Computer. Ich hatte gerade meinen Laptop aufgeklappt und die Kamera angeschlossen, als ich es an der Tür klopfen hörte.
»Oh, super.«
Ich klappte den Laptop zu und versteckte die Kamera, weil ich so eine leise Ahnung hatte, wer das sein könnte. Als ich durch den Spion schaute, zwinkerte Nick mir zu und ich hatte eigentlich keine andere Wahl, als ihm die Tür zu öffnen.
»Ich kann jetzt eigentlich nicht reden. Ich bin ein bisschen unpässlich«, sagte ich durch den Türschlitz. »Ich mag es, wenn du unpässlich bist. Lass mich rein«, sagte er, drückte langsam die Tür auf und drängte sich in die Wohnung. »Hmmm, du siehst lecker aus«, sagte er und schob mich zurück.
Ich fühlte mich wie Rotkäppchen, bevor der Wolf versuchte, es zu verschlingen.
»Ehm—Nick, ich habe dafür wirklich heute keine Zeit.« »Es dauert nicht lange, Baby. Es wird nur das Warten auf heute Abend etwas leichter machen. Ich verspreche, es wird dir gefallen.« Wir spielten Tauziehen mit dem um meine Brust geschlungenen Handtuch und ich wusste, ich musste die großen Kaliber auffahren.
»Auch wenn ich deinen romantischen Antrag zu schätzen weiß, muss ich ablehnen. Ich habe in meinem Fall einen Durchbruch geschafft und habe zu tun.« Die Zauberformel wirkte, denn der Nick mit dem sexy Ich-will-dich-sofort-vernaschen-Baby- Blick verschwand und hervor kam Nick, der Polizist. Sein Blick wurde hart und konzentriert, sein Mund ein gerader Strich.
»Wow«, sagte ich. »Das muss ich öfter sagen.«
»Was für einen Durchbruch?«
»Die Einzelheiten kann ich dir nicht verraten«, sagte ich. »Du bist die Konkurrenz.«
Er fasste mich mit einem festen Griff beim Handgelenk und ich war so überrascht, dass ich das lose Handtuch fallen ließ. Zum ersten Mal (bzw. zum ersten Mal bei Bewusstsein) vor einem Mann nackt zu sein war ein großer Schritt in einer Beziehung, aber ich hatte mir das eigentlich etwas anders vorgestellt. Nicks Blick reichte aus, um mich bis ins Mark zu erschrecken. Vielleicht war ich dieses Mal ein bisschen zu weit gegangen, aber ich hatte keine Wahl, als unverfroren dazu zu stehen.
»Das ist kein Spiel, Addison. Es hat Tote gegeben und du spielst Nancy Drew. Der Mörder wird leichtsinnig. Ich will nicht, dass du seinem Leichtsinn zum Opfer fällst. Es ist nur logisch, dass du sein nächstes Ziel bist. Wenn du etwas herausgefunden hast, will ich das wissen.« »Ich weiß nicht, was ich herausgefunden habe«, sagte ich zitternd und befreite meinen Arm.
Ich nahm das Handtuch, wickelte es um mich und legte mich zusammengerollt in den dick gepolsterten Sessel im Wohnzimmer. Ich hatte Schüttelfrost und Gänsehaut bei dem Gedanken an das Ungeheuerliche, das ich über John Hyatt wusste. Ich hatte guten Grund zur Angst und Nick hatte Recht, sich Sorgen zu machen.
»Gib mir nur noch ein bisschen Zeit, Nick, und ich schwöre, ich werde dir alles sagen, was ich weiß. Bist du nie auf den Gedanken gekommen, dass ich mir bei dieser ganzen Geschichte Sorgen um dich mache?« »Wieso? Ich finde nicht ständig Leichen. Ich versuche nur, einen Mörder zu finden.« »Außer auf dem Friedhof, als du wie ein Steinzeitmacho der Gefahr entgegengelaufen bist, um das Frauchen zu retten. Du wusstest nicht, wo du hinranntest, aber das hat dich nicht aufgehalten. Ich weiß, es ist dein Job, aber ich habe auch einen Job zu erledigen und nehme das sehr ernst. Ich kann nichts dafür, wenn einer meiner Fälle sich zufällig mit einem von deinen überschneidet. Du kannst mich nicht aufhalten«, sagte ich viel mutiger, als ich mich eigentlich fühlte.
Nicks Kiefer waren so fest zusammengepresst, dass ich dachte, er bekommt einen Krampf, und die Adern an Hals und Stirn traten bedrohlich hervor.
»Du hast Zeit bis zwölf Uhr, dich zu besinnen, bevor ich den Stecker ziehe. Denk bloß nicht, ich wäre nicht fähig, dich zu deinem eigenen Schutz in eine Zelle zu sperren.« Er blitzte mich noch einmal an und verließ dann meine Wohnung. Ich fragte mich, ob es das letzte Mal war.
* * *
Ein paar Minuten später saß ich an meinem Computer. Die Bilder auf dem Display sahen anders aus als in meiner Erinnerung. Sie waren sehr, sehr viel schlimmer als alles, was ich glaubte, am Vorabend gesehen zu haben. Als die Ouvertüre 1812 aus meiner Handtasche erklang, waren meine Reflexe zu langsam, um rechtzeitig dranzugehen.
Jemand trommelte gegen meine Tür, aber ich bekam meinen geschockten Body nicht vom Sessel hoch. Als Kate die Tür öffnete und hereinkam, sah ich sie mit dem abwesenden Blick von jemandem an, der gerade mit der Hand in der Keksdose erwischt wurde. Wenn ich meinen Job behalten wollte, musste ich mich ranhalten.
»Du wirst nicht glauben, was ich gerade gehört habe«, sagte Kate anstelle der Begrüßung.
Ich sagte nichts, aber sie redete weiter und bemerkte mein seltsames Verhalten nicht. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Addison? Was lädst du denn da von der Kamera herunter?«, fragte sie und wandte sich dem Computer zu. »Bist du mit den Fällen fertig, die ich dir gegeben habe?« »Das kann man wohl sagen«, antwortete ich und warf ihr die Akte Harry Manilow zu, damit ich den Screen Saver starten konnte. »Wir sind schon lange Freundinnen. Nicht wahr, Kate?« Sie machte nur »Hm» und las weiter in der Akte.
»Sagen wir mal, ich hätte dir etwas sehr Wichtiges zu sagen. Etwas, das unsere Freundschaft verändern könnte. Würdest du wollen, dass ich es dir sage?« Kate schaute endlich von der Akte auf. »Was hast du angestellt, Addison?« »Antworte einfach auf meine Frage. Wir würden immer Freundinnen bleiben, komme, was da wolle. Stimmt‘s?« »Stimmt. Es sei denn, du stehst plötzlich auf meinen Mann. Dann muss ich dich erschießen.« »Das ist selbstverständlich«, sagte ich, um Zeit zu schinden. »Und wenn ich die Freundschaftsregel in Anspruch nehmen würde?« Keine von uns beiden hatte die Freundschaftsregel jemals vorher in Anspruch genommen, aber wir hatten sie im zweitletzten Schuljahr für den Fall der Fälle eingeführt. Sie besagte, dass man innerhalb von fünf Minuten alles sagen konnte und dass alles, was in den f
ünf Minuten gesagt worden war, keine Folgen nach sich ziehen würde. Die Worte würden sofort wieder vergessen sein, sobald die Zeit abgelaufen war und keine von beiden würde der anderen böse sein.
»Das muss ja ganz schön ernst sein«, sagte Kate. »Soll ich mich setzen?« »Sag einfach, ob es dir recht ist, wenn ich die Regel in Anspruch nehme.« »Ok. Die Regel gilt. Was steht an?«
Ich warf ihr das Notizbuch mit den minutiösen Aufzeichnungen vom Vorabend zu.
»Ich wusste gar nicht, dass du Liebesromane schreibst«, sagte sie. »Was ist schon groß dabei? Lies es.«
Loretta legte das Bein auf den Tisch und ihr Morgenmantel öffnete sich verführerisch. Sie rollte die hauchdünnen Strümpfe langsam an ihren Beinen hinunter, um den Mann, der ihr wie hypnotisiert gegenüber saß, mit Blicken in das Unbekannte zu reizen. Eine leidenschaftliche Umarmung, ein feuchter Kuss und die beiden Geliebten fielen zu Boden und vergaßen alles um sich herum.
»Was dann kommt, kann ich nicht lesen. Du hast eine fürchterliche Schrift.«
»Es ist die Schrift meiner Mutter. Und sie hat aufgeschrieben, was tatsächlich passiert ist, als wir gestern Abend John Hyatts Haus ausspionierten.« Ich presste die Augen zusammen und wartete auf die wütenden Fragen, aber Kate blieb still. Als ich die Augen aufmachte, sah ich, dass sie wütend war, an der Art, wie sie das Notizbuch umklammerte, aber ihr Gesicht war so ruhig wie sonst.
»Du hast noch drei Minuten«, sagte Kate.
»Ich muss dich bitten, was du gleich sehen wirst, für dich zu behalten. Ich will nicht, dass du Nick davon erzählst.« »Das kann ich nicht versprechen, wenn es mit seinen Ermittlungen zu tun hat. Ich könnte meine Lizenz verlieren, wenn ich Ermittlungen der Polizei behindere. Dagegen kommt auch die Freundschaftsregel nicht an.« »Aber darum geht es doch gar nicht. Ich habe schon mit Nick gesprochen, und ihn um ein paar Stunden Zeit gebeten, um alle Informationen zu sammeln. Er hat mir bis Mittag Zeit gegeben und genau darum bitte ich dich auch. Danach werde ich ihm das hier selbst bringen. Nur ein paar Stunden, ich muss beweisen, dass ich das allein schaffe.« Kate sah an die Decke und schloss die Augen. Ich benahm mich unmöglich und würde das irgendwie wieder gut machen müssen.