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Whiskey Lullaby

Page 23

by Liliana Hart


  »Warum meinst du, etwas beweisen zu müssen, Addison? Du bist doch sonst nicht so.« »Ich fühle mich einfach verantwortlich, das ist alles. Herr Butler war zur falschen Zeit am falschen Ort und wenn man diese Fotos sieht, ist es offensichtlich, dass er zuviel gesehen hat. Aber Herr Mooney war ein lieber alter Mann, der einen Heidenspaß daran hatte, einmal Detektiv zu spielen. Und er ist tot, weil ich ihn gebeten hatte, John Hyatt zu beobachten und was sich in dem Haus abspielte.« Ich sah Kate bittend an. »Ich weiß immer noch nicht, wie ich zu Gregs Tod stehe und ob sein Mord überhaupt etwas mit den anderen zu tun hat. Er war im The Foxy Lady, und er kannte die anderen Opfer. Es ergibt keinen Sinn. Aber nur weil er tot ist, heißt das nicht, dass ich ihm nicht mehr übelnehme, was er getan hat. Und deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen. Sollte ich nicht mehr Mitgefühl mit den Toten haben?« »Der einzige Grund, Mitleid mit Greg zu haben, besteht darin, dass er im Moment gerade in der Hölle Kohlen schleppen muss. Der Mann hat dich benutzt und dir offensichtlich diesen nervigen Komplex eingetrichtert, dass du dir wegen allem und jedem Vorwürfe machst. Ganz zu schweigen davon, wie er dein Potential für alle zukünftigen Beziehungen ruiniert hat.« »Du hast ja Recht, aber in John Hyatts Haus ist jemand ein Mörder und ich muss das beweisen.« »Was meinst du mit jemand?«, fragte Kate.

  Ich bewegte die Maus und die Fotos erschienen auf dem Bildschirm.

  »Ist das Loretta Swanson? Kein Wunder, dass Fanny Kimble Angst hat, John würde fremdgehen. Wer ist der Mann auf dem Stuhl?« »Ich denke, jetzt kommt die Überraschung«, sagte ich.

  Ich blätterte weiter zum nächsten Bild und Kate setzte sich unsanft auf den Fußboden. »Dulieberhimmel!« Kate steckte ihren Kopf zwischen die Knie und saugte mit zusammengebissenen Zähnen die Atemluft an, also sprang ich auf und holte ihr ein Bier aus dem Kühlschrank. Es war noch früh am Morgen, aber wenn man den Alkohol nicht mitzählte, war Bier wahrscheinlich ein recht nahrhaftes Frühstück.

  Ich gab ihr die Flasche in die kraftlose Hand und legte ihre Finger darum. Kate nahm einen langen Schluck und stand dann vom Fußboden auf. Sie nahm das Notizbuch mit den Aufzeichnungen meiner Mutter und steckte es in ihre Tasche.

  »Du hast Zeit bis zwölf und nicht eine Minute länger. Sobald das hier vorbei ist, will ich all diese Fotos. Meine Detektei hat mit all dem nichts zu tun. Ich werde die Freundschaftsregel respektieren, da hast du Glück, denn ich müsste dich dafür feuern, dass du uns da hineinziehst, aber du erledigst das alleine. Niemand in meinem Büro weiß, was du hier treibst.« Ich atmete erleichtert auf. Das war mehr, als ich erhofft hatte.

  »Es tut mir leid, Kate.«

  »Deine fünf Minuten sind vorbei. Wir können nicht mehr darüber reden.« Nachdem die Tür leise ins Schloss gefallen war, blinzelte ich, um die Tränen zurückzuhalten. Kate war eine gute Freundin.

  * * *

  Die Ansätze eines Plans begannen in meinem Kopf, Form anzunehmen, sobald ich die Bank angerufen und erfahren hatte, dass John Hyatt mit einer Erkältung zu Hause geblieben war.

  Ich hatte jede Menge Beweise, mit denen ich Karrieren und Renommees hätte vernichten können, aber ich hatte keinen Beweis für Mord. Dazu musste ich in die Höhle des Löwen vordringen und selbst danach suchen.

  Ich hielt mit dem Dodge vor John Hyatts Haus. In diesem Moment klingelt mein Handy. Ein Blick auf die Anruferkennung bestätigte meine Ahnung. Es war Nick, der sich wahrscheinlich fragte, was ich gerade machte. Ich ging nicht dran, weil ich selbst nicht genau wusste, was ich gerade machte.

  Ich wusste nicht, wer bei meinem Klingeln an die Haustür kommen würde, aber mein weiteres Vorgehen würde davon abhängen.

  John Hyatt machte auf; er trug gebügelte Khakihosen und ein Golfershirt. Er sah alles andere als krank aus, aber sobald er mein Gesicht sah, verfärbte er sich zu einem interessanten Grünton und versuchte, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Ich schob meinen Fuß in die Türöffnung und zuckte zusammen, als meine Zehen eingeklemmt wurden. Anstatt Flipflops hätte ich natürlich besser Sicherheitsschuhe tragen sollte.

  »Ich hatte nichts damit zu tun, dass Ihr Darlehen abgelehnt wurde«, stammelte er. »Und Sie können nicht hierherkommen und mich bedrohen.« Ich war ein bisschen überrascht von seiner Angst. Ich dachte nicht, dass unser letztes Gespräch etwas anderes bewirkt hätte als heiße Luft.

  »Ich bin nicht wegen des Hauses hier«, versicherte ich ihm.

  »Gut, ich dachte, Sie würden es auf jeden Fall kaufen wollen, jetzt nachdem Veronica Wade ihr Angebot zurückgezogen hat.« »Moment mal, Veronica hat ihr Angebot zurückgezogen?« »Ich dachte, das wüssten Sie. Nachdem Greg—« sagte er und ließ den Satz ungeschickt ausklingen. »Aber dann hat es sich jemand anderes geschnappt, bevor ich Sie kontaktieren konnte, um Ihnen zu sagen, dass es verfügbar war. Wirklich.« »Das ist okay«, sagte ich. Ich schüttelte diese neue Information von mir ab und versuchte, mich zu erinnern, warum ich eigentlich hier war. »Im Ernst, ich bin nicht deswegen gekommen, Herr Hyatt. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich kurz reinkomme? Es ist sehr wichtig.« Er machte zögernd einen Schritt zurück und ließ mich durch die Haustür herein.

  Ich ging durch eine Eingangshalle aus weißem Marmor, der sich bestimmt kalt anfühlte, und folgte ihm in den großen Wohnbereich, den ich von den Fotos vom Abend vorher kannte.

  »Bitte setzen Sie sich«, sagte er und wies auf das Sofa.

  Ich sah auf die Couch und den Stuhl daneben und dachte an alles, was am Abend zuvor darauf gelaufen war.

  »Nein, danke«, sagte ich munter. »Ich möchte Sie nicht lange aufhalten.« Mit einer Mischung aus Ungeduld und Missvergnügen sah er mich an und nickte. »Ich bin sehr beschäftigt, Frau Holmes. Ich arbeite heute von zu Hause aus und habe viel zu tun.« Meinen Sie Räumungsbescheide an Witwen oder perversen Sex auf Ihrem Schreibtisch? hätte ich gern gefragt.

  »Ist ihre Immobilienverwalterin zufällig hier?«, fragte ich.

  »Nein, Loretta hat sich heute aus persönlichen Gründen freigenommen.« »Gut, denn ich glaube, sie hat Menschen umgebracht.« Meine subtile Art erstaunte mich manchmal selbst.

  John Hyatts Mund schnappte auf und zu wie bei einem Fisch. »Das ist absurd. Warum sollten Sie zu mir nach Hause kommen und eine Frau beschuldigen, die schon seit sieben Jahren für mich arbeitet? Ich denke, Sie sollten jetzt gehen.« Schweißperlen sammelten sich an Oberlippe und Augenbrauen.

  »Bitte hören Sie mir zu, Herr Hyatt«, bat ich. »Ich fürchte um mein eigenes Leben. Bitte.« Ich produzierte ein paar Tränen und tat mein Bestes, um besorgt auszusehen. Ich sah, wie sein bisher ängstlicher Blick nun berechnend wurde. John Hyatt war nicht annähernd so gut im Schauspielern wie ich.

  »Ja, ich sehe, dass Sie das ernst meinen. Ich hole Ihnen etwas Wasser und dann setzen Sie sich bitte hin und erzählen mir, warum Sie glauben, Loretta sei fähig, Menschen umzubringen.« Er eilte in die Küche und kam mit einem Wasserglas wieder, das bis zum Überlaufen gefüllt war. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich«, sagte er, schob mich in den berüchtigten Sessel vom Vorabend und drückte mir das Glas in die Hände. »Erzählen Sie mir, was passiert ist.« Ich verzog das Gesicht, als mein Allerwertester das Sesselpolster berührte, aber das konnte hoffentlich als Zeichen von Angst anstatt von Ekel gedeutet werden. Ich musste entscheiden, wieviel Wahres ich sagen musste und wieviele Lügen er glauben würde.

  »Sie wissen, dass ich mir bei der Detektei McClean ein bisschen Geld dazuverdiene«, sagte ich und sah ihn fragend an. Ich wollte, dass er das Gefühl hatte, die Oberhand zu haben. »Bevor ich anfing für Kate zu arbeiten, hatte ich einen Job im The Foxy Lady angenommen.« »Oh je«, sagte er. Wenn ich nicht darauf geachtet hätte, hätte ich seine Reaktion für echte Überraschung halten können. »Ist das nicht dort, wo Ihr Vorgesetzter getötet wurde?« »Genau.« Ich strahlte ihn an, als sei er einer meiner besten Schüler. »Letzte Woche bin ich hier vorbeigekommen, um mit Ihnen über meine Hypothek zu sprechen und habe Loretta getroffen. Ich wusste, dass ich sie schon einmal gesehen hatte, aber ich wusste nicht mehr, wo. Sie hat so einen besonderen Gang«, sagte ich mit abwesendem Blick.

  John Hyatt blinzelte, als wolle er zwis
chen den Zeilen lesen, um herauszufinden, was ich wirklich sagen wollte, aber ich lächelte ihn treuherzig an und sein Gesichtsausdruck entspannte sich.

  »Als die Polizei mir die Überwachungsvideos zeigte und mich fragte, ob ich jemanden erkannte, konnte ich sie identifizieren.« In Wirklichkeit hatte ich Loretta auf den Videoaufnahmen nicht erkannt; erst, als ich die Bilder vom Vorabend sah, konnte ich die einzelnen Stücke des Puzzles zusammensetzen.

  »Und sie war nicht allein da.« Ich versuchte, verzweifelt und niedergeschlagen zu wirken und nahm an, dass er es mir abnahm, als er ein Taschentuch zückte, damit ich mir die Tränen abtupfen konnte. »Es ist mir sehr peinlich, das zu sagen, aber sie war mit Greg Nelson zusammen.« »Mit ihrem Ex-Verlobten?«

  »Ja, ja. Sie sehen, warum mir das so peinlich ist. Verstehen Sie nicht, was das bedeutet?« John Hyatt schüttelte langsam den Kopf.

  »Es bedeutet, dass mein Vorgesetzter die beiden dort bei Dingen ertappt hat, die sie in so einer kleinen Stadt wie dieser hier ruinieren könnten, deswegen ist ihm Loretta gefolgt, als er aufstand, um zu gehen, und hat ihn auf dem Parkplatz getötet.« John sah mich an wie ein Kind und schüttelte den Kopf. »Addison, das ist wohl kaum ein stichhaltiger Beweis für einen Mord. Greg hätte es genauso gut getan haben können.« »Aber er ist auch tot.« Ich fand, dass ich jetzt anfangen sollte, ein bisschen zu lügen. »Als ich Loretta als Ihre Immobilienverwalterin identifizierte, ließ die Polizei sie überwachen. Sie baten Herrn Mooney von nebenan, auf alles Verdächtige zu achten. Ich war zufällig dabei, als der zuständige Inspektor von Herrn Mooney angerufen wurde, der ihm wichtige Informationen geben wollte, aber Herr Mooney wurde umgebracht, bevor wir mit ihm sprechen konnten. Ganz offensichtlich wollte Loretta nicht, dass er ihre Geheimnisse ausplauderte. Ich kann mir nur denken, was er berichten wollte.« John Hyatt wurde etwas blass um die Nasenspitze. Er starrte ins Weite und unter den Achseln seines teuren Golf-Shirts konnte ich Schwitzflecken erkennen.

  »Und Greg Nelson?«, fragte er leise. »Welche Theorie haben Sie zu dessen Ermordung?« »Nun, es erscheint mir ziemlich offensichtlich, dass sie Greg ermordet hat, weil er zu viel wusste. Er wurde vergiftet, wissen Sie«, sagte ich verschwörerisch. »Und jeder weiß, dass Gift von Frauen als Mordwaffe benutzt wird. Wenn Loretta sich bedroht fühlte, weil Greg sie verraten wollte, wäre das ein perfektes Mordmotiv. Das hat sie allerdings etwas vermasselt, weil sie ihm nicht genug Gift gab und er von dem Ort, an dem sie ihn gefangen hielt, fliehen konnte. Ansonsten hätte das die Polizei wohl nie herausgefunden. Da hat sie wohl einfach Pech gehabt.« Ich unterdrückte einen Schluchzer, der dieses Mal echt war, und stand auf. »Bitte entschuldigen Sie. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihre Toilette benutze, um mich wieder in Ordnung zu bringen? Das war alles so schwierig für mich.« Ich senkte den Kopf und meine Schultern bebten, als ich ganz auf dramatisch machte.

  »Ja, natürlich, hier geradeaus«, sagte er mechanisch. John Hyatts Gedanken waren offensichtlich woanders. Er führte mich durch einen langen Flur, der zu einer große Gästesuite im Erdgeschoss führte. Sie befand sich auf der Hinterseite des Hauses und hatte ein Bad und eine Glastür, die auf eine private Terrasse führte. Er zeigte mir die Badezimmertür und ließ mich dann allein.

  Ich schloss die Tür hinter ihm, schloss ab und drehte den Wasserhahn auf. Ich musste nach oben ins Herrenschlafzimmer und hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.

  Ich ließ das Wasser laufen, ging aus dem Bad und schloss die Tür hinter mir. Die Gästesuite war geräumig und man war dort ungestört, aber ich hatte Angst, John könnte zurückkommen und nach mir suchen, wenn ich nicht bald wiederkam. Ich öffnete leise die Terrassentür und schlüpfte hinaus. Ich benutzte einen großen Strauch als Deckung, während ich nach einer Möglichkeit suchte, ins Obergeschoss zu gelangen. Die fand ich, als ich das mit Kletterpflanzen bewachsene Spalier sah, das mit dem Balkon im ersten Stock verbunden war. Wenn ich mich nicht irrte, führte der Balkon zur Herrschaftssuite.

  Ich schaute hinunter auf meine Flipflops, zog sie aus und war froh, dass ich wenigstens so schlau gewesen war, Shorts anstatt eines Rocks anzuziehen. Ich begann, nach oben zu klettern und mir ging auf, dass ich nicht mehr so jung war wie früher.

  Ich setzte meinen Fuß auf die nächste Querleiste und hörte das Knacken zerbrechenden Holzes, Sekunden bevor die untere Hälfte des Spaliers sieben Meter weiter unten zu Brennholz zersplitterte. Ich hing an beiden Händen und meine Füße baumelten in der Luft.

  »Scheiße!« Die Oberkörpermuskulatur war nie meine starke Seite gewesen. Ein paar Minuten lang hing mein Leben in der Schwebe, dann wurde mir klar, wie weh es tun würde, hinunterzufallen, also zog ich mit aller Kraft, bis ich in der Lage war, ein Bein über das Balkongeländer zu heben.

  Als ich auf dem harten Boden lag und nach Luft schnappte, wusste ich, dass für das, was ich vorhatte, nicht mehr viel Zeit war, also drehte ich mich um und stand auf.

  Ein bisschen Glück hatte ich, denn die Balkontüren waren unverschlossen. Ich schlüpfte so leise, wie es mein schwer atmender Brustkorb erlaubte, in ein reich verziertes, überladenes, in Blautönen gehaltenes Zimmer. John Hyatt hatte viele Gesichter.

  Ich suchte unter dem Bett und in einem Schrank voller marineblauer und anthrazitfarbener Anzüge. Krawatten hingen nach Farben sortiert an einem Krawattenständer und unten im Schrank standen die Schuhe aufgereiht. Das völlig überladene Schlafzimmer passte gar nicht zum zwanghaft ordentlichen Schrankinhalt.

  Ich kramte durch Schubladen und inspizierte den Arzneischrank im Bad. Nirgends fand ich etwas Interessantes. Dann fiel mein Blick auf die Schiebetür in der Ecke des Badezimmers, die genauso angestrichen war wie die Wand. Und ich sah, dass sie verschlossen war.

  Ich zog, so fest ich nur konnte, aber die Tür bewegte sich nicht. Ich durchwühlte die Schränke im Bad auf der Suche nach etwas, mit dem ich die Tür aufbekommen könnte. Schließlich fand ich ein Metallwerkzeug, wie es beim Zahnarzt zur Zahnsteinentfernung benutzt wird. Damit müsste es gehen.

  Ich steckte es in das silberne Schloss, wie es im Fernsehen immer gemacht wird und drehte daran herum. Mit dem Knacken von Schlössern hatte ich keine Erfahrung, aber das würde man mir beim Detektivtraining sicherlich noch beibringen.

  Ich kniete mich auf den Boden und wackelte daran herum, so viel ich konnte. Während ich dort kniete, bemerkte ich einen kleinen Schlüssel am Boden hinter der Toilette. Ich hob ihn mit spitzen Finger auf, denn um eine Herrentoilette herum war nichts Gutes zu erwarten.

  Ich horchte kurz, hörte aber nur meinen eigenen Puls rasen, also steckte ich den Schlüssel ins Schloss und zuckte zusammen, als das Schnappgeräusch durch den Raum schallte.

  Die Tür ließ sich aufschieben und ich tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. Ich drückte einen Knopf und eine Reihe von Lampen ging nacheinander an, bis ein schlafzimmergroßer begehbarer Schrank erkennbar wurde. Darin befanden sich reihenweise Damenkleider und Schuhe. Und an der hintersten Wand hingen Perrücken jeder Länge und Farbe.

  Loretta Swanson hatte sich nicht aus persönlichen Gründen einen Tag freigenommen. Loretta Swanson wartete im Schrank, bis John Hyatt beschloss, sie wieder hervorzuholen.

  John Hyatt und Loretta Swanson waren dieselbe Person.

  Die Fotos hatten nicht gelogen und niemand war überraschter gewesen als ich, auf den Bildern zu sehen, dass Loretta Swanson einen Penis hatte. Jeder in der Stadt würde überrascht sein, dass John Hyatt seine Freizeit damit verbrachte, sich wie eine Frau zu kleiden und in Nachtclubs mit Männern herumzuknutschen.

  Ich durchstöberte den Raum rasch, weil ich wusste, dass mir die Zeit knapp wurde. Ich war bereits mehr als zehn Minuten weggewesen, um mich frisch zu machen. Er würde bald unten an die Badezimmertür klopfen.

  Ich öffnete die Schubladen an der Wand und empfand nur einen kleinen Stich Neid, als ich die Kaschmirpullover und den teuren Schmuck sah. Für einen Mann hatte Loretta Swanson einen guten Geschmack.

  In einer Schublade mit einem Tennisarmband aus Diamanten und einer hühnereigroßen Brosche lagen auch eine kleine Pistole und ein Schweizer Armeemesser. Ich wusste, dass Nick mit
meinen Fotos und der neuen Erkenntnis, dass Loretta Swanson im The Foxy Lady gewesen war, genug in der Hand hatte, um einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen.

  In dem Bewusstsein, dass die Gerechtigkeit nun ihren Lauf nehmen konnte, verschloss ich die Tür wieder und ging zurück ins Schlafzimmer. Erst dann wurde mir klar, dass ich im Obergeschoss festsaß, weil mein Weg nach unten zerbrochen auf dem Boden lag.

  Ich lauschte an der Schlafzimmertür und öffnete sie langsam. Ich sah nach rechts und links und schlich an der Wand entlang zur Treppe. Ich blieb stehen, als ich John irgendwo im Haus sprechen hörte. Da ich nur eine Seite des Gesprächs hören konnte, nahm ich an, er sei am Telefon.

  »Wir haben hier ein echtes Problem. Ich sage dir, sie weiß etwas«, sagte John Hyatt ins Telefon. Ich hatte keine Ahnung, mit wem er sprach, aber mir schwante, dass von mir die Rede war. So weit ich das abschätzen konnte, kam das Gespräch von einem Raum irgendwo unter der Treppe. Wahrscheinlich sein Büro.

  »Hör zu, das ist alles deine Schuld. Du hättest mir nicht folgen dürfen.« Es war still, während er zuhörte.

  »Ich weiß nicht, woher sie es weiß, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bullen die Wahrheit rauskriegen. Jeder weiß, dass sie ihr Mundwerk nicht halten kann.« Empört stemmte ich die Hände in die Seiten. Ich konnte ein Geheimnis für mich behalten, wenn ich nur wollte. Es gab eben nur sehr wenige Geheimnisse, die nicht interessant genug waren, um sie anderen mitzuteilen.

  »Nun komm endlich rüber«, forderte er. »Ich bin es leid, immer derjenige zu sein, der uns aus der Klemme befreit.« Ich rannte die Treppe hinunter und an die Haustür, so schnell mich meine wunden Füße trugen. Ich wusste nicht, wie ich erklären sollte, dass ich barfuß war, aber ich wusste, dass ich aus dem Haus raus musste. Und zwar jetzt.

 

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