by Liliana Hart
Ich blieb stehen und versuchte, meinen Atem zu beruhigen, als ich deutlich hörte, wie ein Telefonhörer hingeknallt wurde und sich Schritte näherten. Ich nahm meine Handtasche von dem Tisch, auf den ich sie gestellt hatte und bereitete eine Ausrede für meinen plötzlichen Aufbruch vor.
Als er in das Zimmer kam, stand ich hinter einem Stuhl und meine Füße waren nicht zu sehen. »Tut mir leid, dass ich mich so habe gehenlassen«, sagte ich mit bangem Lächeln. Ich hoffte, dass meine Stimme nur in meiner Phantasie so zitterte und nicht in Wirklichkeit. »Ich habe in letzter Zeit so viel mitgemacht.« Er schaute mich an, als sähe er mich zum ersten Mal. Sah ich aus wie jemand, der gerade ein Spalier hochgeklettert war und in all seine Sachen herumgeschnüffelt hatte? Ich hatte keine Ahnung, aber sein nachdenklicher Blick konnte nichts Gutes bedeuten.
»Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Ich wusste, ich klang idiotisch. Es waren schwere Wochen und ich weiß nicht, wovon ich rede.« Ich wich zurück Richtung Eingang und dachte, jetzt könnten doch eigentlich diese Beamten in Zivil, die in der dunkelblauen Limousine Donuts aßen, einmal in Erscheinung treten. »Ich muss jetzt aber gehen. Ich habe einen Termin, den ich nicht verpassen darf«, flunkerte ich.
»Natürlich. Ich begleite Sie raus«, sagte er mit einem breiten Lächeln.
Wir waren in der kalten marmornen Eingangshalle, als ich einen kühlen Luftzug im Nacken spürte und dann einen scharfen Schmerz hinten am Schädel.
* * *
Als ich wach wurde, war ich in einer kleinen Kiste eingezwängt; an dem starken Zederngeruch merkte ich, dass es eine Art Erinnerungstruhe war, wie meine Mutter sie hatte.
Mein Kopf dröhnte und der Sauerstoffmangel machte das nicht besser. So gut es ging, hob ich meinen Arm und befühlte die Beule an meinem Hinterkopf. Meine Panik wurde größer, als ich das feuchte Blut an meinen Fingern spürte.
Ich wusste nicht, ob ich noch in Hyatts Villa war, aber ich hörte Johns Stimme von irgendwo her. Und dann hörte ich eine Frauenstimme.
»Was um Himmels Willen sollen wir mit ihr machen? An der Straße steht die Polizei und beobachtet uns auf Schritt und Tritt. Die lassen uns nicht mit einer Leiche rauskommen und sie im Kofferraum verstauen«, sagte die Frau.
»Hast du ihr Auto weggefahren?«, fragte John.
»Ja, ich habe eine deiner dunklen Perrücken übergezogen und die Schlüssel aus ihrer Tasche geholt. Das Auto habe ich am Park stehen lassen. Es tut mir so leid, John. Ich weiß, das ist alles meine Schuld, aber ich liebe dich so sehr.« »Ich liebe dich auch, aber es muss einen Ausweg aus diesem Schlamassel geben. Du hättest mir nicht in das The Foxy Lady folgen dürfen. Jetzt sind wegen deiner Eifersucht drei Menschen tot.« »Ich hab es getan, um dich zu schützen. Ich dachte, du würdest anfangen, Greg mehr zu lieben als mich und als ich euch beide zusammen im Club sah, war ich einfach nur wütend. Als dieser Schulleiter dich ansah, wusste ich, dass er dich erkannt hatte, trotz Verkleidung. Ich musste sicherstellen, dass dein Geheimnis unter Verschluss blieb. Und das wäre auch gar kein Thema, wenn Greg einfach gestorben wäre, wie er sollte.« »Ich weiß, Baby. Du hast getan, was du tun musstest. Und ich habe getan, was ich musste, um uns beide zu schützen, aber du hattest keinen Grund, auf Greg eifersüchtig zu sein. Er war Ablenkung. Eine einmalige Sache. Ich liebe nur dich.« »Wie hätte ich nicht eifersüchtig werden sollten? Ich bin deine Verlobte. Warum sollte ich dich mit jemandem teilen, wenn das, was wir haben so besonders, so einzigartig ist? »Wie auch immer, wir haben jetzt ein anders Problem. Wie ist die Holmes-Tochter in die Sache verwickelt worden und, was noch wichtiger ist, was machen wir jetzt mit ihr?« »Das ist meine Schuld«, sagte Fanny mit einer Stimme, als sei sie den Tränen nah. »Ich habe eine Detektei beauftragt, dich zu beobachten. Ich war sicher, wenn du mich einmal betrügst, dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis es wieder passierte.« »Moment. Du hast eine Detektei angeheuert? Bist du wahnsinnig?« schrie John. »Detekteien finden gerne Dinge heraus, Fanny. Kein Wunder, dass Addison Holmes hier herumschnüffelt. Sie sagte, sie habe erst letzte Woche angefangen, für die zu arbeiten. Aber auch einer so Unfähigen wie ihr konnten ein, zwei wichtige Details zu unseren Freizeitbeschäftigungen unmöglich entgehen.« »Dann hättest du mich eben nicht betrügen dürfen«, schrie Fanny zurück. »Ich sagte schon, ich konnte nicht klar denken. Ich war durcheinander. So etwas passiert, wenn man von dem Menschen, den man liebt, betrogen wird. Außerdem habe ich ihr gesagt, ich hätte meine Meinung geändert. Sie sollte mit den Ermittlungen aufhören.« Ich stöhnte, weil mir der Kopf wehtat und weil John Hyatt und Fanny Kimble total übergeschnappt waren. Soweit ich es verstehen konnte, verkleidete sich John Hyatt als Loretta Swanson, und Fanny Kimble verkleidete sich als Lorettas Hauptgeliebte, um ihr Sexleben aufzupeppen. Bloß übertrieb es John manchmal ein bisschen und ließ sein Alter Ego ein Doppelleben führen. Allerdings ohne Fanny.
»Sei mal eine Sekunde still«, zischte John. »Meinst du, sie wird wach?« Ich konnte sie praktisch atmen hören, als sie sich über die Truhe beugten. Ich war schwach wie ein Kätzchen und war nicht sicher, dass ich mich gegen sie wehren konnte. Das Kratzen des Schlüssels und das Knacken des Schlosses klangen mir laut in den Ohren. Ich schloss die Augen und stellte mich bewusstlos, aber meine Halsschlagader pulsierte panisch.
»Was sollen wir mit ihr machen?«, fragte Fanny. »Meinst du, wir könnten ihr das Versprechen abnehmen, nichts zu sagen, wenn wir sie gehen lassen?« »Du weißt, dass wir sie nicht gehen lassen können. Sie kann es nicht für sich behalten.« »Aber ich will sie nicht umbringen. Es hat schon zu viele Tote gegeben. Und ihre Mutter würde alle in der Stadt solange verrückt machen, bis sie einen Suchtrupp zusammenbrächte, der jedes einzelne Haus durchsucht. Kannst du ihr nicht einfach eins über den Kopf ziehen, so dass sie das Gedächtnis verliert?« Ich hörte John frustriert seufzen. »Du weißt, dass wir sie los werden müssen, Fanny. Das ist das letzte Mal. Ich schwöre es dir. Wir müssen nur überlegen, wie wir sie aus dem Haus bekommen, ohne dass es jemand merkt.« John hievte mich auf die Schulter und ich tat alles, um nicht vor Schmerz zu stöhnen und mich zu verraten. Ich sah mich kurz um und registrierte, dass wir noch im Wohnzimmer waren, bevor ich die Augen wieder schloss.
»Ich musste meiner Mutter täglich Morphium spritzen, bevor sie starb«, sagte John. »Ich habe noch die Spritzen und das Medikament. Ich gebe ihr einfach eine etwas stärkere Dosis. Es geht schnell und macht keinen Dreck.« »Bring sie ins Gästezimmer«, sagte Fanny. »Wir können sie hier lassen, bis es dunkel wird und dann können wir sie wegbringen.« John ging mit mir zur Wohnzimmertür und ich wusste, ich käme hier nie wieder lebend heraus, wenn ich nicht schnell etwas tat. Ich hing schlaff auf ihm, die Arme hingen an seinem Rücken herunter; als wir an einem niedrigen Tisch vorbeikamen, ergriff ich einen schweren Kerzenständer und schlug ihm damit in die Kniekehle.
Wir gingen schreiend zu Boden, aber ich hatte die Angst auf meiner Seite, also trat und kratzte ich, bis seine Hände ihren Griff lockerten. Helle Punkte tanzten vor meinen Augen und eine dünne Schweißschicht sammelte sich auf meinem klammen Körper. Nicht lange, und ich würde ohnmächtig auf dem Boden zusammenklappen, also rappelte ich mich hoch und rannte um mein Leben.
Fanny hielt die Stellung und versperrte mir den Weg, also kniff ich die Augen zusammen und konzentrierte mich auf meinen inneren Mittelstürmer, bevor ich direkt durch sie hindurch rannte. Wir knallten auf einen Tisch und Glas splitterte um uns herum. Kissen, umgestoßene Lampen und eine zerbrochene Bonbonschüssel mit glasierten Mandeln lagen auf dem Boden um uns herum.
Ich hatte Fanny im Schwitzkasten und versuchte, sie unten zu halten, um fliehen zu können, aber meine Handflächen waren glitschig von Schweiß, und das Blut, das mir den Nacken hinuntertropfte, war etwas mehr als eine kleine Ablenkung. John Hyatt kam hinter mich und zog meine Arme und Beine nach hinten, als sei ich ein menschlicher Querlenker; meine Schreie hallten durch den Raum.
»Lass sie los, du Biest! Du tust ihr weh«, schrie er.
Ich wusste, dass ich verlor, also ließ ich meinen Körper erschlaffen. John warf mich mit großer Wucht von Fannys Körper herunter. Von da a
n schien alles in Zeitlupe zu gehen. Ich flog durch die Luft und wusste, die Landung würde höllisch wehtun. Mit Genugtuung sah ich einen Trupp Polizisten mit gezogener Pistole in den Raum kommen, bevor ich gegen die große Glasfläche an der Rückseite des Wohnzimmers knallte.
Ich zog den Kopf ein und versuchte, mich zu einer Kugel zusammenzurollen, als das Fenster an meinem Rücken zerbrach. Mein letzter Gedanke war, dass ich hoffte, das Glas würde keine Narben hinterlassen.
* * *
»Addison—»
Ich hörte meinen Namen aus der Ferne, wie ein ständiges Summen, dass ich überhören wollte, aber nicht konnte.
»Lass mich in Frieden sterben«, sagte ich.
Ich lag ausgebreitet auf dem Boden. Mein Kopf schmerzte stärker als vor einer halben Stunde und ich hatte kein Gefühl in den Beinen. Ich wollte die Augen nicht öffnen und den Schaden betrachten, aber diese ärgerliche Drohne, die meinen Namen rief, ließ mir keine Wahl.
Das Flattern der Blätter an den Bäumen über mir war hypnotisierend, und der Boden unter mir war hart. In meiner Phantasie war ich in einem Tropenparadies, in dem es keinen Schmerz gab. Ich dachte daran, in einer Hängematte in der Brise zu schwingen, mit einem großen Glas Limonade in der Hand und einem halb nackten Mann, der mir mit einem riesigen Palmwedel Luft zufächelte.
»Erde an Addison«, sagte die Stimme wieder.
»Ich hätte wissen sollen, dass du das warst«, sagte ich zu Nick.
Sein Gesichtsausdruck war angespannt und besorgt. »Wie viele Finger?«, fragte er.
»Eine Million. Was ist mit John und Fanny? Sind sie entkommen?« Nick machte ein paar tiefe Atemübungen und ich merkte, dass er so wütend war wie nie zuvor. Mir schwante, dass die Wut mir galt.
»Bitte schrei mich noch nicht an. Ich glaube, ich brauche erst etwas Tylenol. Ich weiß, dass du wütend bist«, sagte ich und leckte mir die Lippen.
»Meinst du? Ich sah gerade deinen Körper sieben Meter weit fliegen und durch ein Glasfenster krachen, wie in einem Wrestling-Video. Ich sollte dich einsperren. Leider können wir niemanden wegen Dummheit festnehmen.« »Nenn mich nicht dumm. Ich habe versucht, Beweise zu sammeln, damit du zur Festnahme schreiten konntest, weil du nicht ganz fähig zu sein schienst, hinterhältige Mörder zu entlarven. Ich hätte dir die Informationen gegeben, sobald ich aus dem Haus kam.« »Ich hab sein Telefon abgehört und wartete auf einen Durchsuchungsbefehl, als du deinen großen Auftritt hattest. Zum Glück kenne ich deine Neigung zu Pechsträhnen und hatte den Polizisten, die hier Wache schoben, befohlen, mir zu sagen, ob und wann du hier auftauchst.« Mir stockte der Atem bei diesem Eingeständnis. »Du hast mir nicht getraut.« »Nicht so weit, wie ich dich werfen könnte. Ich habe alles, um die beiden hier für lange Zeit unschädlich zu machen, und das hatte ich alles auch, bevor du aufgetaucht bist. Mir waren nur die Hände gebunden, weil ich es auf legalem Weg machen musste.« Mein Kopf dröhnte und ich wollte nur noch nach Hause und für den Rest meiner Tage unter die Decke kriechen. »Ich glaube, ich muss nach Hause«, sagte ich und schloss meine müden Augen. »So wie du aussiehst, wäre wohl eine Fahrt ins Krankenhaus besser. Wir sollten dich von den Sanitätern mal durchchecken lassen.« »Ok. Was auch immer. Ich bin zu müde und hab zu viele Schmerzen, um zu streiten.« »Das wäre das erste Mal. Hey«, sagte er und strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Ich hab mir eine Minute lang wirklich Sorgen gemacht. Vielleicht solltest du lieber Fallschirm springen oder Autorennen fahren, anstatt Verbrecher zu jagen.« Nick sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich noch nie an ihm gesehen hatte, und wenn mein Kopf nicht so gedröhnt hätte, hätte ich ausgiebiger darüber nachgedacht. So weh wie mir alles tat, konnte ich mir derzeit als verrücktestes Hobby eigentlich höchstens Stricken vorstellen. Ein Pechvogel wie ich lief dabei allerdings Gefahr, sich mit der Stricknadel ein Auge auszustechen.
Epilog
Ich brauchte länger als eine Woche, um ohne aufblasbaren Sitzring sitzen oder – wegen der Schmerzmittel – Maschinen betätigen zu können, aber ich war nicht von allem ausgeschlossen, nur weil Nick mit dem Fertigbearbeiten des Falls zu beschäftigt war. Ich hatte Kate und den Rest der Stadt, die mich auf dem Laufenden hielten.
John Hyatt und Fanny Kimble wurden beide verhaftet und in das Gefängnis von Savannah gebracht, und jeder der beiden versuchte, die Schuld auf den anderen zu schieben. Ich denke, eine solche Beziehung wird wohl nicht lange halten. Nennt mich ruhig verrückt. Sie haben ihre Morde immerhin vor einer Zeugin – mir – gestanden, also werde ich bei den bevorstehenden Gerichtsverhandlungen aussagen.
Was mein Privatleben betrifft, so ist alles wie im Nu den Bach hinuntergegangen. Fast. Rudy Bauer von der Gazette hat ein bisschen rumrecherchiert und herausgefunden, dass ich am Tag von Herrn Butlers Ermordung im The Foxy Lady gestrippt hatte. Meine Fehlentscheidung landete auf der Titelseite der Wochenendausgabe, genau so groß wie die Story von John Hyatt in Frauenkleidung. Als die Schulverwaltung davon Wind bekam, wurde ich sofort in Erwartung einer eingehenderen Untersuchung vom Dienst suspendiert und weiß jetzt nicht, ob ich nach den Sommerferien einen Job habe oder nicht.
Die Aussicht auf eine mögliche Arbeitslosigkeit hat mir den Anstoß gegeben, die Detektivlizenz zu erwerben. Ich fand einen einigermaßen erschwinglichen Fernkurs und Kate sagte, sie behielte mich als freie Mitarbeiterin ihrer Agentur, bis ich mein Abschlussexamen bestehe.
In weniger als einem Monat wird mein Wohnblock nur noch ein Haufen Bauschutt sein. Ich habe keine Ahnung, wo ich hin soll, jetzt wo jemand anderes das Haus an der Hutton Street gekauft hat und in Whiskey Bayou gerade ein Mangel an spottbilligen Wohnungen herrscht, obwohl meine Mutter mir schon mehr als einmal mein altes Zimmer angeboten hat. Ich bringe es nicht übers Herz, aber ich werde den Z verkaufen müssen, sobald er wieder in Ordnung ist, und auch mein Wäscheabo kündigen, um über die Runden zu kommen.
Um alles noch schlimmer zu machen, kam mit der Post ein schicker dicker Umschlag von Veronica Wades Anwalt, in dem stand, dass sie wegen öffentlicher Verunglimpfung und Körperverletzung Klage gegen mich erheben wird. Ich weiß noch nicht genau, wie ich das mit den Anwalts- und Gerichtskosten hinkriege, aber meine Mutter sagt immer, »aus einer Rübe lässt sich kein Blut pressen.« Ich weiß nicht so genau, was der Spruch bedeutet, aber er scheint auf meine Situation zu passen.
Es ist aber nicht alles schlecht. Nick und ich haben beschlossen, mit unserer Beziehung richtig ernst zu machen, jetzt, wo keine Hochdrucksituationen anstehen oder Leichen herumliegen. Dieses Mal sind wir entschlossen, es schön langsam angehen zu lassen. Ich glaube eigentlich nicht, dass das möglich ist und ich wäre sehr überrascht, wenn wir es noch eine Woche aushielten, ohne uns gegenseitig die Kleider vom Leib zu reißen. Aber natürlich lauern im Leben einer Fast-Privatdetektivin und eines Großstadtkriminalkommissars immer Gefahren, also könnte ich mit meinen Prophezeiungen durchaus falsch liegen. Die Zeit wird es erweisen.
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Hier ein Auszug aus WHISKEY SOUR!
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Verbrecher sind meistens dumm. Zumindest meiner Erfahrung nach. Und Walter Winthrop III, den seine Freunde ,Noogey‘ nannten, war da keine Ausnahme.
Ich hockte hinter ein paar Müllcontainern in der Wohnwagensiedlung Lone Ranger und ignorierte die über alter Hackfleischsoße und schmutzigen Windeln schwirrenden Fliegenschwärme. Beides war kaum voneinander zu unterscheiden und mir fiel ein, dass ich baldmöglichst ein Rezept für die Pille brauchte. Nicht, dass ich in letzter Zeit viel Sex gehabt hätte, aber ich wollte nichts riskieren. Für ein Kind Verantwortung zu tragen, so weit war ich nicht. Das fiel mir schon für mich selbst schwer genug.
Der Sommer in Savannah war gnadenlos und für Kreislaufschwache absolut ungeeignet. Es war noch nicht einmal acht Uhr morgens und unter mir brodelte die Hitze bereits in unsichtbaren Wellen vom Bürgersteig hoch, verbrannte die Sohlen meiner Flipflops und kräuselte meine Haare bei über 38 Grad.
Die schwüle Luft war zäh wie Sirup. Kein Lüftchen rührte sich, die moosbedeckten Bäume standen völlig unbewegt. Seit mehr als zwanzig Minuten hatte ich keinen Vogel zwitschern hören. Die waren bestimmt alle gestorben – ob von der Hitze oder von dem Gestank, war schwer zu sagen.
Die Wohnwagensiedlung Lone Ranger lag nordwestlich von Savannah, weit weg von irgendwelchen Touristen, die zufällig hätten herausfinden können, dass nicht jeder Teil der historischen Stadt malerisch war. Die Mobilheime standen auf einem freigeräumten Schotterplatz, falls hier irgendwo Gras wuchs, hatte ich es noch nicht entdeckt. Nur meilenweit Erde und Beton. Darauf bildeten die ungeordnet herumstehenden Wohnwagen ein Patchwork aus Blech und Rost; Mülltüten und alte Autoteile lagen bunt verstreut dazwischen.
Ich konnte mich nur hinter den Müllcontainern verstecken. Die Sicht war völlig frei, es sei denn, ich wollte im Sumpf unter Bäumen kampieren – aber die Erfahrung hatte mich schon als Zwölfjährige gelehrt, dass eine Schlange unter der Bluse kein schönes Gefühl ist.
Mein Schweiß sammelte sich an Stellen, die ich besser unerwähnt lasse, und ich war mittlerweile so weit, dass mir mein Körpergeruch nicht mehr die Tränen in die Augen trieb. Schon das Hochheben der Nikon-Weitblickkamera erforderte mehr Energie, als ich aufbringen konnte. Wenn ich Noogey Winthrop jemals erwischte, würde er einiges erklären müssen.
Bis vor sechs Monaten hatte Noogey einen ausschweifenden Lebensstil gepflegt. Er hatte ein Haus in Miami, ein zweihundert Jahre altes Kolonialhaus in Savannah und drei weitere Häuser in aller Welt. Er fuhr teure Autos und kaufte seiner Geliebten unerhört teuren Schmuck. Er besaß Aktien und Anleihen und ein blühendes Unternehmen und die NASA hatte ihm gerade die Genehmigung erteilt, seine Asche in den Weltraum zu schießen. Aber dann kam Noogeys Glück ins Wanken.