by Kira Mohn
«Was hast du jetzt vor?», will er wissen, nachdem ich seinen Rucksack über ihm verstaut habe und er seine Jacke über gleich zwei Plätze geworfen hat.
«Ich will heute noch zu einem der Campingplätze. Hätten wir gleich tun sollen, dann könnten wir die Woche weiter zusammen durchziehen.»
Cayden seufzt ein wenig zu theatralisch. «Ach, was soll’s. Aber gib wenigstens zu, dass du nur wegen der Rothaarigen hierbleibst.»
«Was?»
«Wegen dieser Frau. Am See. Ist doch so, oder?»
Ich atme einmal tief durch. Mitunter scheint Cayden Gedanken lesen zu können.
«Blödsinn», sage ich trotzdem. «Schade, dass du die Tour abbrechen musst.»
«Vergiss es, ich hab eh schon überlegt, wie ich aus der Sache rauskomme. Wenn es also nicht die Frau ist» – Caydens Grinsen zeigt deutlich, dass er um keinen Zentimeter von seinem Verdacht abweicht –, «was gefällt dir hier so gut? Es passiert echt nix, und die Landschaft ist auch ziemlich langweilig. Hier, guck dir das an.» Er hält mir sein Telefon vor die Nase. «Auf jedem einzelnen Foto siehst du nur Tannen und noch mehr Tannen. Und Tannen.»
«Und den Horseshoe Lake.» Ich tippe auf das Bild des Sees, der sogar auf dem winzigen Display des Handys intensiv türkis leuchtet.
«Ach ja, der See.» Cayden winkt ab. «Ist halt ein See. Aber gut. Dann wandere hier eben noch ein paar Tage herum. Muss ich ja nicht verstehen.»
Unser Abschied fällt überraschend herzlich aus. Cayden scheint wirklich ganz zufrieden damit zu sein, nicht weiter hinter mir herdackeln zu müssen. Und irgendwie bin ich es auch. Zumal ich tatsächlich nicht vorhabe, die nächsten fünf Tage allein zu verbringen.
4
HAVEN
D en ganzen Tag über bin ich einfach nur herumgelaufen, habe eher halbherzig ein paar Wanderwege kontrolliert und mich schließlich im Schatten einiger Tannen beim Horseshoe Lake niedergelassen, um die Klippenspringer zu beobachten.
Jackson war nicht dabei.
Und was hätte das auch geändert? Ich hätte ihn genauso wenig angesprochen wie die anderen Leute. Sosehr ich mir auch Freunde wünsche, wann immer ich versuche, mich mit jemandem in meinem Alter zu unterhalten, wird es komisch. Sie reden über Dinge, von denen ich entweder kaum eine Ahnung habe oder die mich nicht interessieren. Welche Kurse man belegt, wo man angesagte Klamotten kauft, welche Serien man sieht. Ich hab ja nicht mal ein Netflix-Konto. Und wenn ich all ihre Fragen zu meinem Leben im Wald beantwortet habe, scheinen sie genau wie ich immer zu überlegen, was es noch zu erzählen gäbe. Im Vergleich zu meinem Vater mag ich redselig wirken, doch ich bin trotzdem niemand, der redet, nur um zu reden.
Vielleicht fand auch Jackson unser Gespräch anstrengend. Und mich seltsam.
Vermutlich bin ich Mowgli ähnlicher, als mir lieb ist.
Ich mache Kartoffelauflauf, für Dad mit Bratwurst, für mich mit Salat. Mein Vater hoffte einige Monate lang darauf, mein Gemüse-Spleen , wie er es nannte, würde sich wieder geben, doch nach nunmehr fast fünf Jahren hat er es akzeptiert.
Seit Dad nach Hause gekommen ist, haben wir kaum miteinander geredet, und das ist nichts Ungewöhnliches. Erst nachdem wir uns an den Tisch gesetzt haben, frage ich ihn, wie üblich, nach seinem Tag aus. «Haben du oder Nate den Bären noch mal gesehen?»
«Nein.»
«Oder frische Spuren?»
«Auch nicht.»
«Bestimmt ist er schon wieder in seinem Revier.»
«Mh», stimmt mein Vater zu.
«Diese beiden Camper hatten wirklich Glück.»
«Das kann man wohl sagen.»
Er steht auf und kehrt mit dem Senf aus dem Kühlschrank wieder zurück. Einige Minuten verstreichen, in denen nichts zu hören ist außer dem leisen Klirren, das wir mit dem Besteck auf den Tellern verursachen.
«Glaubst du, sie werden ihre Tour abbrechen?»
«Dem, den ich in die Klinik gefahren habe, wird nichts anderes übrigbleiben.»
«Vielleicht wandert sein Freund ja allein weiter.»
Mein Vater zuckt die Schultern. Menschen interessieren ihn im Allgemeinen nur, wenn sie für den Park oder für sich selbst zu einer Bedrohung werden. Dann ist er als Ranger gefragt. Davon abgesehen kann jeder tun und lassen, was er will, so seine Devise.
«Warum sind wir eigentlich von Edmonton hierhergezogen?»
Die Gabel in der Hand meines Vaters stockt auf halbem Wege, und einen Augenblick lang meine ich so etwas wie Beunruhigung in seinem Blick aufflackern zu sehen.
«Das weißt du doch», erwidert er langsam und versucht erst gar nicht, sein Erstaunen aus der Stimme herauszuhalten.
Ich bin selbst einigermaßen überrascht. Bis zu der Sekunde, in der ich diese Frage ausgesprochen habe, wusste ich nicht, dass ich sie stellen würde.
«Weil Mum diesen Unfall hatte», beantworte ich meine Frage selbst.
Er nickt.
«Und weil es dir schon immer zu voll und zu hektisch in der Großstadt war.»
Er nickt wieder.
«Und weil es nach Mums Tod keinen Grund mehr gab zu bleiben. Wir hätten aber doch auch nach Jasper ziehen können.»
«Wieso? Wir hatten Glück, dass dieses Haus gerade frei geworden ist. Einen schöneren Platz hätten wir kaum finden können.»
«Mh.» Konzentriert schiebe ich eine Kartoffel über den Teller.
Ein paar Sekunden lang sieht mein Vater mir dabei zu. «Wieso fragst du mich das alles?»
«Keine Ahnung.» Ich gebe die Herumschieberei auf und spieße das Kartoffelstückchen auf die Gabel. «Nur so, glaube ich.»
Mein Vater reagiert mit einem leichten Kopfschütteln, bevor er sich wieder über seinen Teller beugt.
Als ich später in der Küche stehe und das Geschirr spüle, frage ich mich immer noch, was mich da eben geritten hat. Was sollten diese Fragen? Dad hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er nur wegen meiner Mutter in Edmonton wohnte. Sie hat dort gearbeitet, er ist ihr zuliebe hingezogen, doch eigentlich wollte er immer zurück. Nicht unbedingt wieder nach Edson, wo Grandma lebte, sondern einfach raus aus der Stadt. Und dann war da dieser übermüdete LKW -Fahrer, gegen den Mum in ihrem kleinen Auto nicht den Hauch einer Chance gehabt hat. Unmittelbar nach ihrer Beerdigung packte mein Vater alles zusammen, weil er die Stelle als Ranger im Jasper National Park angenommen hatte, und keiner von uns hat Edmonton auch nur eine Träne nachgeweint. Zumindest behauptet Dad das. Um Mum getrauert habe ich schon, daran kann ich mich erinnern. Doch ob ich Edmonton, ob ich meine Schule oder meine Freunde dort vermisst habe … Mums Tod hat alles andere überlagert. Ich weiß noch, dass ich ewig in Dads Armen lag und um sie weinte. Dass wir gemeinsam weinten.
Was hat mich dazu gebracht, plötzlich an diesen längst vergangenen Dingen zu rütteln, über die wir doch oft genug gesprochen haben? Und wieso habe ich noch immer das Gefühl, Dad sei im ersten Moment nicht nur erstaunt darüber gewesen, sondern … vorsichtig?
Ich trockne Teller und Gläser ab, räume alles in den Küchenschrank und breite ein Tuch über die Reste des Auflaufs, bevor ich die Form in den Kühlschrank stelle.
Dad sitzt vor dem Kamin in seinem Sessel und liest irgendeine Fachzeitschrift. Mit der Hand streife ich seine Schulter und warte, bis er meine Finger für ein paar Sekunden drückt, bevor ich in Richtung Treppe gehe. Doch auf der ersten Stufe zögere ich. Kurzentschlossen drehe ich mich um, schlüpfe nahezu geräuschlos durch die Haustür und setze mich auf die Holzbank, die auf der Veranda steht.
Es ist kühl, aber nicht so kalt, dass ich noch einmal reingehen müsste, um meine Jacke zu holen. Ich ziehe die Knie an die Brust und lasse den Kopf gegen die Hauswand sinken. Nichts ist zu hören außer dem Zirpen der Grillen und dem Rauschen des Windes in den Tannen. Die Luft riecht würzig, nach Bäumen und Gras und ein wenig nach frischem Holz. Dad hat vorhin offenbar Scheite für den Kamin geschlagen. Er beginnt jedes Jahr früh damit, damit wir genügend Brennmaterial haben, um im Winter an jedem Abend ein Feuer entzünden zu können. Dank eines Generators sind wir zum Glück nicht darauf angewiesen, aber es ist gemütlich.
Der Himmel, den ich von meinem Platz au
s über den spitzen, tiefschwarzen Baumwipfeln sehen kann, ist übersät mit Sternen. Wie immer, wenn ich hier draußen sitze und die Nacht sich bereits herabgesenkt hat, beginne ich, mich eins mit allem zu fühlen. Mit dem Wald, der mich umgibt, mit seinen Bewohnern darin und normalerweise auch mit mir selbst. Es ist fast unmöglich, keinen Frieden zu finden, wenn man spürt, dass man ein Teil von etwas Größerem ist, etwas, zu dem das Grillenzirpen und das gelegentliche Rascheln im Unterholz genauso gehört wie mein eigener Atem.
Und doch … welche Antworten hätte ich vorhin gebraucht? Und welche Fragen hätte ich stellen müssen?
JACKSON
D er Wapiti Campground, von dem Haven gesprochen hat, liegt eine gute Stunde von Jasper entfernt, doch nachdem ich mir meine Schleichwege-App angesehen habe, beschließe ich, noch knappe drei Stunden weiterzulaufen, bis ich den Wabasso-Campingplatz erreiche, der nicht weit entfernt vom Horseshoe Lake liegt. Es ist fast sechs Uhr, als ich mein Zelt unter hohen Tannen auf einem Stellplatz in der Nähe des Flusses aufgeschlagen habe, trotzdem denke ich ernsthaft darüber nach, noch einen Abstecher zum See zu machen. Dieser Ort ist die einzige Verbindung, die ich zu Haven habe. Vielleicht ist sie ja häufiger dort?
Wäre ich von diesem Gedanken nur ein wenig überzeugter, würde ich wohl tatsächlich noch losmarschieren, obwohl die App mir erklärt, dass diese Aktion mit einer weiteren zweistündigen Wanderung verbunden wäre. Doch warum sollte Haven ausgerechnet heute Abend den Horseshoe Lake besuchen?
Nein, ich muss es gezielter angehen, wenn ich sie noch einmal treffen will, und das will ich ganz eindeutig.
Ihr Vater ist Ranger. Haven meinte, sie wohne in der Nähe. Vielleicht habe ich Glück, und der ältere Mann, der vorhin in dem blassgrünen Kassenhäuschen an der Einfahrt zum Campingplatz saß, kennt die beiden. Und mit noch etwas mehr Glück weiß er sogar, wie ich meine Wandertour morgen rein zufällig so legen kann, dass ich dabei an Havens Haus vorbeikomme.
Eine knappe Viertelstunde später starre ich missmutig das verlassene Kassenhaus an. Na ja. Ich habe keinen 24-Stunden- Service erwartet. Davon abgesehen kann ich genauso gut morgen früh nachfragen. Trotzdem geht mir gerade alles nicht schnell genug.
Nur noch fünf Tage, dann muss ich zurück nach Edmonton. Ich kann den Urlaub nicht verlängern. Die Uni beginnt wieder, und es käme nicht gut, gleich am ersten Tag die Vorlesungen zu schwänzen. Das kann ich mir nicht leisten, im wahrsten Sinne des Wortes. Im Gegensatz zu Caydens Eltern knüpfen meine Bedingungen an ihre finanzielle Unterstützung. Solange ich mich auf den regelmäßig erscheinenden Bestenlisten der Fakultät für Rechtswissenschaften befinde, zahlen sie die Studiengebühren und die Miete für das Zimmer in dem Haus, in dem ich mit Cayden wohne. Meine Mutter ist der Ansicht, ein konzentriertes Arbeiten sei in einem überfüllten Wohnheim unmöglich. Außerdem mag sie Cayden, den netten, höflichen jungen Mann aus wohlhabender Familie. Nicht im Traum käme sie auf die Idee, dass dessen ausschweifende Partys meine Konzentration mitunter ebenfalls ziemlich beeinträchtigen.
«Stimmt was nicht mit dem Platz?»
Um ein Haar wäre ich zusammengezuckt. Hinter mir steht der ältere Mann, bei dem ich vorhin bezahlt habe, und ausgehend davon, dass er sich gerade den Gürtel an seiner Hose richtet, war er wohl während der letzten Minuten in dem Toilettenhäuschen, das ein Stück abseits im Gras steht.
«Nein, mit dem Platz ist alles okay.»
«Was wolltest du dann von mir?» Er streckt mir die Hand hin. «Aaron.»
Diese direkte Frage und die Tatsache, dass er mich mit seinem Auftauchen überrascht hat, sorgen dafür, dass ich meine sorgfältig zurechtgelegten Sätze vergesse.
«Hi, ich bin Jackson, ich habe … ich wollte morgen …» Kurz schließe ich genervt von mir selbst die Augen, dann setze ich neu an. «Heute hat mir ein Ranger in einer etwas brenzligen Situation am Horseshoe Lake geholfen, und ich wollte mich bei ihm bedanken. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht sagen, wo ich ihn finde.»
«Du bist einer der Kerle, die über den Bären gestolpert sind.»
«Genau.»
Bevor ich nachfragen kann, woher er das weiß, redet Aaron schon weiter. «Nate war hier, um mich darüber zu informieren, dass ein Bär abseits seines Reviers herumläuft. War es Nate?»
«Bitte?»
«Hieß der Ranger, den du heute Morgen getroffen hast, Nate?»
«Ähm … keine Ahnung. Seine Tochter war dabei, Haven.»
«Haven. Dann war es nicht Nate, sondern Wyatt. Moment.» Er schlurft an mir vorbei und schließt umständlich das Kassenhäuschen auf. Drinnen beginnt er in einer Schublade zu wühlen, zieht schließlich einen etwas lädiert wirkenden Faltplan heraus und winkt mich zu sich. «Wyatts Hütte steht hier.» Mit schwieligem Finger tippt er auf einen kleinen roten Punkt, gar nicht weit vom Campingplatz entfernt.
«Darf ich?» Ich halte das Smartphone in die Höhe, und der ältere Mann tritt einen Schritt zur Seite. Erst fotografiere ich nur die Karte ab, dann öffne ich meine Schleichwege-App.
Neugierig sieht Aaron auf das Display. «Ich kenne die Jungs, die das entwickelt haben», sagt er. «Wusste nicht, dass mittlerweile auch Urlauber darauf Zugriff haben.»
«Man kann es einfach im App-Store kaufen.»
«Na so was», erwidert er bedächtig. «Wer hätte das gedacht. Wyatts Haus steht hier.» Er tippt auf das Handy. «Wie merkst du dir das?»
«Ich kann es als Zielort eintragen.»
«Na so was», murmelt er wieder, während er fasziniert dabei zusieht, wie mein Weg zu Haven auf dem Display auftaucht. Nicht mal eine Stunde.
«Es zeigt dir ja sogar, wo du über den Fluss kommst.» Aaron pfeift durch die Zähne. «Im Frühjahr könntest du das allerdings vergessen.»
«Zum Glück ist ja August.»
«Ja, zum Glück.» Umständlich faltet er die Karte zusammen und verlässt hinter mir das Kassenhaus. «Grüß Haven morgen von mir.» Mit einem Zwinkern wendet er sich ab und steuert einen schmutzigen, weißen Range Rover an. Ganz offenbar geht er nicht davon aus, dass es mir in erster Linie wichtig wäre, Havens Vater zu danken.
Die Hände in den Hosentaschen, schlendere ich zu meinem Zeltplatz zurück. Haven geht mir tatsächlich nicht mehr aus dem Kopf. Ich wüsste gern, was sie in dem Moment gedacht hat, als sie meine ausgestreckte Hand ergriff und mich dabei schweigend musterte.
Es riecht nach Lagerfeuer. Auf vielen der besetzten Stellplätze flackert es fröhlich vor sich hin, und als ich an einem Unterstand mit Feuerholz vorbeikomme, nehme ich mir ein paar Holzscheite und schichte sie in der Feuerstelle auf, die in der Nähe meines eigenen Zelts liegt. Eine Dose Bohnen könnte ich mir warm machen, aber eigentlich habe ich trotz der langen Wanderung noch keinen Hunger.
Havens ernster Blick ist verwirrend. Mit Ausnahme von Professor Mitchell, meiner Dozentin in Methodenlehre, lächeln mich Frauen meistens an. Gerade, wenn man sich das erste Mal trifft. Aber Haven hat mich angesehen, als überlege sie, ob sich ein Gespräch überhaupt lohne. Wichtig schien ihr nur Cayden zu sein, genau genommen seine Verletzung. Umso mehr hat ihr Lächeln am Ende unseres kurzen Gesprächs bei mir ausgelöst. Hätte sie nicht gelächelt, würde ich vermutlich nicht hier sitzen. Oder zumindest nicht planen, morgen bei ihr aufzukreuzen.
Es war ein echtes Lächeln. Ein ‹Das wäre schön›-Lächeln.
Und auch wenn sie es eilig hatte zu verschwinden, lässt mich dieses Lächeln glauben, dass sie sich vielleicht tatsächlich freuen würde, mich wiederzusehen.
Ich jedenfalls freue mich.
Scheiße, nein – ich freue mich überhaupt nicht: Ich bin verflucht aufgeregt, und ich habe keine Ahnung, warum eine fremde rothaarige Frau unter Tannen so etwas in mir auslöst.
Aber ich werde es herausfinden.
5
HAVEN
A ls es an der Haustür klopft, hat das Wasser im Topf gerade zu kochen begonnen. Wer kann das so früh am Vormittag sein? Nate? Aber warum sollte der vorbeikommen, wenn er doch weiß, dass mein Vater längst unterwegs ist?
Umständlich öffne ich mit dem Ellbogen die Tür.
«Hi.» Jacksons Blick fällt auf meine kna
llroten Hände. Meine Jeans weist dunkle Flecken auf, und ich wette, ich habe auch rote Spritzer im Gesicht. «Sieht so aus, als würde ich stören.»
Nur mit Mühe gelingt es mir, meine Überraschung unter Kontrolle zu bringen und seinen Gruß zu erwidern. «Hi … du störst nicht, ähm … wolltest du mit meinem Vater sprechen?»
«Ja, ich wollte mich noch mal bei ihm für seine Hilfe bedanken.» Sein Blick flackert immer wieder zu meinen gefärbten Händen. «Ist er denn da?»
«Nein.» Mit dem Unterarm wische ich mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. «Aber ich kann ihm ausrichten, dass du hier gewesen bist.»
«Okay.»
Ich warte darauf, dass Jackson sich verabschiedet, und worauf er wartet, weiß ich mal wieder nicht. Anstalten, wieder zu gehen, macht er jedenfalls keine, obwohl der Rucksack auf seinem Rücken auf eine Tagestour hindeutet. Das ist das zweite Mal in zwei Tagen, dass ich vor ihm stehe und keine Ahnung habe, was Menschen, die nicht seltsam sind, in solchen Situationen wohl tun. Mir wird plötzlich bewusst, dass es im ganzen Haus streng nach Essig und Zwiebeln riecht und ich den Topf mit dem kochenden Wasser vom Herd ziehen sollte.
«Also … kann ich dir noch irgendwie helfen?» Irgendetwas muss ich wohl sagen, wenn Jackson es nicht tut. «Möchtest du vielleicht etwas trinken?»
«Gern.»
Er möchte gern etwas trinken. Dass Jackson nun darauf wartet, dass ich die Tür freigebe, kapiere sogar ich, und ich bereue, gefragt zu haben. Warum klopft dieser Typ auch einfach an unsere Tür?
Ein wenig widerstrebend trete ich einen Schritt zur Seite. Das ist doch lächerlich. Ich werde Jackson jetzt einfach ein Glas Wasser in die Hand drücken und ihm noch einen schönen Tag wünschen.
«Hübsch hier.»
Einen kurzen Moment lang sehe ich den Raum mit Jacksons Augen. Das honigfarbene Holz der Wände und der helle Eichenboden, die schweren Balken unter der Decke und der steinummauerte Kamin. Auf dem Tisch vor dem Fenster stehen Gläser mit Senf- und Pfefferkörnern neben einem Schneidebrett, auf dem sich noch die Zwiebelschalen türmen.