001 - Wild like a River

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001 - Wild like a River Page 12

by Kira Mohn


  «An alles Mögliche», erwidere ich vage und komplett an der Wahrheit vorbei. An dich , hätte ich antworten müssen. An dich und daran, dass ich nicht weiß, ob ich meinen Dad jemals wieder so lieben kann wie vorher.

  Es gefällt mir nicht, zu lügen, aber … was in dieser Sekunde in mir los ist, muss ich erst einmal selbst in den Griff bekommen, bevor ich es teilen kann.

  JACKSON

  D as Zelt liegt bereits abgebaut und fest zusammengerollt zu meinen Füßen. Gerade bin ich dabei, den ganzen Kleinkram im Rucksack zu verstauen, was mir wesentlich leichter fällt als vor der Abreise, weil ein guter Teil der mitgebrachten Nahrungsmittel keinen Platz mehr beansprucht.

  Die Vorstellung, heute Abend nicht mehr hier am Fluss zu sitzen, sondern auf Kaylees Geburtstagsfeier abzuhängen, löst nicht gerade Glücksgefühle in mir aus. Am liebsten würde ich nicht nur einen Tag länger bleiben, sondern gleich eine ganze Woche. Noch besser einen Monat. Vielleicht wäre ich dann so weit, wieder zurückzufahren.

  Es ist schon verrückt. Haven kann es anscheinend gar nicht schnell genug gehen, und ich würde alles gern hinauszögern. Allerdings gibt es auch wenig, auf das ich mich freue. Auf die ersten Seminare und Vorlesungen am Montag könnte ich verzichten.

  Ein Signalton lässt mich zum Smartphone greifen.

  Bist du schon unterwegs?

  Cayden. Macht sich offenbar Sorgen, ich könne es mir noch einmal anders überlegen.

  Hab gerade gepackt.

  Sehr gut, bis nachher!

  Zwanzig Minuten später habe ich alles zusammengeschnürt, mich erst vom Fluss und dann von Aaron verabschiedet und befinde mich zum letzten Mal auf dem Weg zu Haven. Viel Zeit bleibt uns heute nicht. Obwohl wir vereinbart haben, dass sie mich nach Jasper fährt, muss ich von dort aus gegen zwei los, um pünktlich auf Kaylees Party aufzuschlagen. Ich bin früh aufgestanden, trotzdem ist es bereits kurz vor zehn, als ich endlich an die Tür der Rangerhütte klopfe. Schritte sind zu hören, schwerere Schritte als gewöhnlich, und in der Sekunde, in der mir das auffällt, erscheint Havens Vater im Türrahmen.

  «Hallo», begrüße ich ihn automatisch, und mir fällt ein, dass ich vor einigen Tagen Haven gegenüber behauptet habe, ich sei nur vorbeigekommen, um mich bei ihm zu bedanken. Das habe ich nie getan, denn ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Jetzt jedoch steht er vor mir und hat meine Begrüßung bisher lediglich mit einem knappen Nicken erwidert.

  «Bis nachher, Dad.» Haven drängelt sich an ihm vorbei zur Tür hinaus. Sie fasst nicht nach meiner Hand, selbst dann nicht, als wir die Lichtung überquert haben und der Wald uns vor den Blicken ihres Vaters verbirgt. Müsste ich einen Tipp abgeben, würde ich annehmen, Havens Vater habe mir gerade stillschweigend zu verstehen gegeben, dass ich die Finger von seiner Tochter lassen soll.

  «Ich dachte mir, wir könnten noch einmal zum Silent Lake gehen, wenn du magst?», fragt Haven.

  Der stille See. Dort, wo alles angefangen hat. Nein, eigentlich ist das nicht richtig. Zumindest für mich hat irgendetwas bereits begonnen, als ich Haven zum ersten Mal gesehen habe.

  «Jackson?»

  «Mh?»

  «Hast du Lust? Noch mal zum Silent Lake zu gehen? Es ist nicht weit, von der Zeit her würde es reichen.»

  «Klar.»

  «Du könntest deinen Rucksack einfach hierlassen. Oder ist etwas drin, das du am See brauchst?»

  «Gute Idee.» Ich lasse den schweren Rucksack vom Rücken gleiten. Ohne wandert es sich definitiv entspannter.

  «Vielleicht brauchst du eine Badehose?»

  Überrascht werfe ich Haven einen Blick zu. «Ich weiß nicht – brauche ich?»

  Sie zuckt mit den Schultern. «Ich trage einen Badeanzug drunter», erwidert sie und lächelt.

  Kurz darauf habe ich meine Badehose und ein Handtuch in Havens kleinen Rucksack gestopft. Als wir weitergehen, greife ich nach ihrer Hand, statt weiter darauf zu warten, dass sie das tut, und genieße das Gefühl ihrer Finger, die sich mit meinen verschränken.

  Den restlichen Weg über erlaube ich keinem störenden Gedanken den Weg in meinen Kopf. Da sind nur noch der satte Geruch von Erde, Tannen und modrigem Holz, das Wispern von Blättern, wenn wir uns einen Weg durch das mitunter dichte Unterholz bahnen, und gelegentlich ein hektisches Rascheln, irgendein unsichtbares Tier, das aufgeschreckt das Weite sucht.

  Und natürlich Havens warme Hand in meiner.

  Der plötzliche Anblick des Sees, der sich vor uns auftut, löst die gleiche Ehrfurcht in mir aus wie beim letzten Mal. Seine Oberfläche ist wie Glas, ein Bergkristall, in dem die Bäume und der Himmel eingeschlossen wurden. Heute spiegeln sich darin keine Wolken, die Tannenwipfel ragen schwarz und majestätisch vor einem azurblauen Hintergrund empor.

  Haven tippt mir auf die Schulter, und die Tatsache, dass der Anblick des Sees schlagartig unwichtig wird, sagt vermutlich einiges aus. Ihre Jeans, die Stiefel und das Shirt liegen achtlos übereinandergeworfen hinter ihr, und ihr schwarzer Badeanzug ist mit absoluter Sicherheit das Gegenteil von jedem sexy Bikini, den ich jemals gesehen habe, aber – verflucht noch mal!

  «Wollen wir?»

  Auffordernd nickt sie zum Wasser hin, und ich weiß noch genau, dass es nicht nur lichtklar, sondern auch schockierend kalt war, trotzdem zerre ich mir das Shirt über den Kopf. Haven dreht sich um, während ich meine Badehose aus ihrem Rucksack krame – die helle Boxershorts, die ich heute Morgen angezogen habe, ist eindeutig nichts für einen gemeinsamen Sprung in einen See.

  «Okay», sage ich kurz darauf.

  Wir stehen nur wenige Schritte vom Ufer entfernt, und Haven rennt einfach los. Ich habe gerade noch Zeit, ihren eleganten Kopfsprung zu bewundern, bevor ich mich selbst in Bewegung setze.

  Diesmal bin ich vorbereitet – dachte ich. Doch der Schock beim Eintauchen macht unmittelbar deutlich, dass ich wohl verdrängt habe, wie verflucht kalt dieses Wasser ist. Ein Wunder, dass ich noch Arme und Beine bewegen kann, statt der Temperatur angemessen in einem Eisblock eingefroren zu sein.

  Dann öffne ich die Augen, auf der Suche nach Haven, und sie schwebt direkt vor mir, das rote Haar eine Wolke, die um ihren Körper herumwirbelt. Ganz kurz vermischen sich in meinem Kopf Traum und Wirklichkeit. Auch sie hat die Augen geöffnet, das feine Lächeln auf ihrem Gesicht lässt mich wünschen, ich könnte dieses Bild für die Ewigkeit in mir einbrennen, und vielleicht geschieht das tatsächlich in diesem Augenblick.

  Sie schwimmt auf mich zu und zieht mich mit sich, und als wir auftauchen, schlingt sie ihre Arme um meinen Hals. Ihre Lippen berühren meine, und als ich sie leicht öffne, tut Haven es mir nach. Ich spüre ihre Zungenspitze an meiner Oberlippe, zaghaft, vorsichtig. Es ist kein leidenschaftlicher Kuss, kein Kuss, der auf mehr abzielt, es ist ein unbeholfener, ein ungeschickter Kuss, bei dem unsere Nasen im Weg sind und unsere Zähne irgendwann gegeneinanderstoßen, und er setzt mich völlig und absolut und zutiefst in Brand.

  Nichts hasse ich in diesem Moment mehr als die Tatsache, dass mein verweichlichtes Hirn erklärt, es werde bei gefühlten minus zwanzig Grad demnächst jede körperliche Aktivität einstellen.

  Haven schlägt die Augen auf, als ich mich zurückziehe, und ihr Lächeln kehrt zurück, während sie einen Finger auf meine Lippen legt.

  «Du siehst ziemlich blau aus», sagt sie.

  14

  HAVEN

  I ch habe Jackson bei seinem Wagen abgesetzt und war einen Moment lang glücklich, «Bis bald» zu ihm sagen zu dürfen. Weder ihm noch mir waren die vorübergehenden Leute wichtig, während wir uns zum Abschied küssten. Der weiche Stoff seines Shirts unter meinen Händen und das Kratzen seiner Bartstoppeln auf meiner Haut … Jackson überließ mir das Tempo, seine Umarmung war nachgiebig und behutsam.

  Auf der Heimfahrt frage ich mich plötzlich, ob er es nicht aufregender finden würde, eine Frau zu küssen, die mehr Erfahrung hat. Eine, die weiß, wo sie ihre Hände hinlegen soll, und die … ich weiß nicht … irgendwie wilder ist, sodass er seine Zurückhaltung aufgeben dürfte. Würde ich mich ihm stärker entgegendrängen, ihn heftiger küssen …

  Ich bin so weit vom Gas heruntergegangen, dass i
ch beinahe Schritttempo fahre. Vermutlich eine gesunde Reaktion – die Geschwindigkeit meinem Herzschlag anzupassen wäre jedenfalls unklug.

  Entschlossen lenke ich meine Gedanken auf etwas anderes. Eine Woche. Mir bleibt noch eine knappe Woche, um mich von allem zu verabschieden. Von Snoops, von Gracie, von meiner Wapitiherde, vom Garten. Vom Wald. Von Nate. Von Dad.

  Ach, Dad.

  Ich tippe das Gaspedal an.

  Dass mein Vater jemals der Grund dafür sein könnte, gehen zu wollen. Ausgerechnet der Mensch, bei dem ich mich immer geborgen gefühlt habe. Und jetzt?

  Abrupt bremse ich den Wagen erneut ab und halte am Straßenrand.

  Ich muss mit ihm darüber reden, aber ich habe Angst davor. Ich will einfach nicht hören, dass er … egoistisch genug war, mich von meinem früheren Leben abzuschneiden. Das kann er nicht wiedergutmachen. Ich kann es ihm nur irgendwann verzeihen. Hoffentlich.

  Mir ist plötzlich danach, den Wald um mich herum zu spüren, und ich reiße die Wagentür auf. Minuten später sind nur noch Bäume um mich herum, und ich gehe weiter, ohne genau zu wissen, wo ich überhaupt bin. Erst nach und nach beginne ich, mich zurechtzufinden. Viele sagen, der Wald sehe überall gleich aus, weshalb es auch so einfach sei, sich darin zu verirren. Doch das stimmt nicht, natürlich nicht. In diesem Teil des Waldes umwuchern Büsche und Sträucher die mächtigen Stämme nicht so dicht wie anderswo, und es gibt unzählige winzige Lichtungen, auf denen nur weiches Moos wächst. Wenn man sich inmitten einer dieser Lichtungen auf den Rücken legt, scheint der Himmel am Ende eines grün schimmernden Tunnels zu leuchten. Ich bilde mir oft ein, ich könne einfach ins Blau hineinlaufen. Als ich mich heute hinlege und in den Himmel sehe, gelingt es mir jedoch nicht. Zu viel hält mich gerade auf dem Erdboden fest, und irgendwann schließe ich die Augen.

  Das Flattern in mir, sobald ich an Jackson denke, vermischt sich mit der aufsteigenden Unruhe bei dem Gedanken, den Wald zurückzulassen; das dumpfe Gefühl von Verlust und Trauer mit der Aufregung, in Edmonton auf einen Teil meiner Familie zu treffen. Ob Caroline meiner Mutter wohl ähnlich ist? Vielleicht entdecke ich etwas von Mum in ihr wieder.

  Unter mir die zarten Moospflänzchen, die dicht aneinandergekuschelt einen nachgiebigen Teppich bilden, und darunter die tiefschwarze Erde, durchdrungen von unendlichem Wurzelgeflecht, ein Netz, durch das ich niemals hindurchfallen könnte und das alles an seinem Platz hält. Die Bäume, das Buschwerk, zarte Halme und mich. So viel Stärke in allem um mich herum.

  Mein Herzschlag wird ruhiger, die Anspannung lässt nach, und ich spüre sogar endlich so etwas wie Vorfreude, eine andere Art von Aufregung. Neugier und Abenteuer und die Lust, etwas Neues zu erleben.

  Das alles hier wird auf mich warten, wann auch immer ich zurückkehren werde. Ich habe mich im Wald nie ängstlich gefühlt, selbst wenn ich mal nicht mehr wusste, wo ich war, weil ich mich zu weit in noch unbekannte Bereiche vorgewagt hatte. Immer gab es da diese tiefe Gewissheit, in Sicherheit zu sein, und dieses Gefühl breitet sich auch jetzt in mir aus, zumindest für eine kleine Weile, in der das Wirrwarr in meinem Kopf langsam zur Ruhe kommt.

  Übrig bleibt – Jackson.

  Jedes Mal, wenn wir uns küssen, liegt vorher ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen, kaum wahrnehmbar, fast nur eine Ahnung. Dieses Lächeln gibt mir immer das Gefühl, dass Jackson mich gern ansieht, dass er sich danach sehnt, mir noch etwas näherzukommen. Er schließt erst im letzten Moment die Augen, als wolle er noch möglichst viel mit allen Sinnen aufnehmen, und wenn sein Gesicht so nah vor meinem ist, dass ich seinen Atem spüre, ist das vergleichbar mit dem Gefühl, vom Wald getragen zu werden. Es ist vergleichbar in seiner Kraft und doch völlig anders, es ist … es ist …

  Ich öffne die Augen, und der Himmel scheint mir entgegenzufallen.

  JACKSON

  W ährend der Fahrt nach Edmonton denke ich über Haven nach. Mittlerweile ist mir völlig egal, ob alles vielleicht zu schnell geht, und nur noch sehr schwach irgendwo in den tiefsten Bereichen meines Hirns rumort der Gedanke, ich hätte ihr zu mehr Besonnenheit raten müssen. Mehr Planung, mehr Zeit, um sich auf alles, was sie in den nächsten Wochen erwarten wird, vorzubereiten.

  Mit Sicherheit ist es egoistisch, mich einfach nur darauf zu freuen, sie wiederzusehen, aber hey: Ich werde sie bei allem unterstützen, was an Problemen auf sie zukommen wird, mit Cayden angefangen. Den werde ich direkt heute Abend darüber informieren, dass ich ihn zusammenfalte, sollten seine Sprüche Haven gegenüber allzu fies werden.

  Ich schalte die Musik ein und habe mich kaum zurückgelehnt, da beuge ich mich erneut vor, um sie wieder auszuschalten, so als könne mich der Sound von Kygo & Imagine Dragons zu schnell aus meiner Welt der letzten Tage holen.

  I never knew anybody ’til I knew you

  And I know when it rains, oh, it pours

  And I know I was born to be yours

  Mit einem Grinsen drehe ich die Musik entgegen meiner ursprünglichen Absicht lauter.

  Gleich mehrere Male quäle ich mich durch schleppenden Verkehr, und kurz vor Edmonton gerate ich noch in einen Stau. Beide Spuren sind komplett lahmgelegt, es dauert ewig, bis alles sich wieder in Bewegung setzt und ich irgendwann Zentimeter für Zentimeter einen von Polizeistreifen flankierten, extrabreiten Gefahrentransport überhole. Unmittelbar darauf nehme ich befreit an Fahrt auf, doch es ist trotzdem schon halb sieben, als ich zu Hause ankomme und feststelle, dass Dylans SUV bereits am Straßenrand steht. Cayden wartet garantiert schon, und während ich nach der Fernbedienung für das Garagentor suche, stelle ich fest, dass er mehrmals angerufen hat. In Edmonton sollte ich mein Smartphone wohl wieder aus seinem lautlosen Zustand befreien.

  Das Haus, in dem Cayden und ich wohnen, sieht aus, als habe jemand ein paar weiße Schuhkartons auf einer leichten Anhöhe arrangiert. Satte, grüne Rasenflächen halten die Straße auf Abstand. Fast die gesamte Vorderfront ist verglast. Direkt gegenüber sind nur Wiesen und Bäume, doch zumindest Cayden hätte auch kein Problem damit, würden dort Leute wohnen, die uns ins geräumige Wohnzimmer gucken könnten.

  Noch während ich die breiten Stufen von der Einfahrt zur Haustür hinaufsteige, reißt Cayden die Haustür auf. «Jax! Hast du mal auf die Uhr gesehen?»

  «Du hast gesagt, du willst gegen sieben los. Hallo übrigens.»

  «Wieso gehst du nicht ans Telefon?»

  Ich marschiere an ihm vorbei nach drinnen. «Hast du angerufen?»

  «Tu nicht so. Nur ungefähr tausendmal.» Cayden lässt die Tür ins Schloss fallen. «Dylan und Chase sind schon da.»

  Direkt hinter der Haustür befindet sich eine kurze Diele, von der nur ein Gästebad und das Zimmer, in dem Cayden seine Fitnessgeräte verteilt hat, abgehen. Was regelmäßiges Training betrifft, ist er um einiges disziplinierter als ich. Über eine Wendeltreppe am Ende des Flurs gelangt man ins erste Stockwerk, von oben sind Stimmen zu hören.

  Ich lasse den Rucksack zu Boden fallen und beginne, meine Schnürsenkel zu lösen. «Ich will nur eben duschen, dann können wir los.»

  «Und? Bist du zufrieden mit deinem Trip?»

  Mit einem Stirnrunzeln streife ich mir die Stiefel von den Füßen. Würde Cayden nicht schon wieder so spöttisch grinsen, bekäme er vielleicht sogar eine Antwort.

  «Hey, Jax!» Dylan sieht auf, als ich die letzten Stufen der Wendeltreppe hinter mich bringe. Er und Chase haben es sich auf dem überdimensionierten grauen Sofa bequem gemacht, auf dem Glastisch davor stehen mehrere Bierflaschen. «Wie war deine Tour?» Dylan ist ein kleiner, schlaksiger Typ, ein guter Läufer und eher ruhig. Wenn er allerdings mal den Mund aufmacht, hört man ihm zu.

  «Gut», erwidere ich und hebe die Hand, um Chase’ Nicken zu erwidern.

  «Was heißt gut?», hakt Dylan nach.

  «Gut heißt, dass Jax sogar mitten im Urwald eine Frau aufgerissen hat», meldet sich Cayden hinter mir zu Wort. Er drückt mir ein geöffnetes Bier in die Hand. «Wahrscheinlich könnte man ihn mitten in der Wüste aussetzen, und wenn man ihn nach einer Woche wieder abholen würde, hätte er sich einen Harem zugelegt.»

  In das Gelächter von Dylan und Chase hinein lasse ic
h meine Flasche gegen die von Cayden klirren und trinke einen kräftigen Schluck. Wenn ich gleich für Kaylee singen muss, kann ich das auf keinen Fall nüchtern tun, egal, wie laut Cayden herumgrölt, um uns alle zu übertönen.

  «Erzähl von ihr.» Chase grinst mich an. «Cay meinte, dein Waldmädchen sei rothaarig und niedlich.»

  Gerade habe ich einen weiteren Schluck nehmen wollen, jetzt lasse ich die Flasche sinken und werfe Cayden einen Blick zu, der ihn die Hände heben lässt. «Was? Was guckst du so? Das stimmt doch, oder? Hattest du jetzt eigentlich Erfolg oder nicht?»

  «Wie alt bist du eigentlich?» Es klirrt, als ich mein Bier neben das von Dylan stelle. «Bin gleich wieder da.»

  «Sei nicht so ’ne Diva, Jax», ruft Cayden hinter mir her, als ich quer durchs Wohnzimmer zu dem Gang laufe, von dem sowohl Caydens als auch mein Zimmer abgehen. «Du bist doch sonst nicht so humorlos.»

  «Das Waldmädchen hat ihn abblitzen lassen», höre ich Chase noch sagen, bevor die Tür hinter mir zufällt und ich mir bereits auf dem Weg zum Schrank das Shirt über den Kopf zerre. Auf jeden Fall muss ich mit Cayden reden, wenn nicht mehr heute Abend, dann gleich morgen früh. Allein bei dem Gedanken daran, er könne sich Haven gegenüber so aufführen, möchte ich ihm freundlich lächelnd ein Kissen aufs Gesicht drücken. Normalerweise stören mich seine blöden Sprüche nicht weiter, meistens finde ich sie sogar ganz unterhaltsam. Nach der letzten Woche allerdings ist es mir unmöglich, sie nicht so zu hören, wie Haven sie hören würde – und dann ist plötzlich nichts mehr daran witzig.

  Mit noch feuchten Haaren kehre ich kurz darauf ins Wohnzimmer zurück, wo Dylan sich erhebt, als er mich sieht. «Na dann los.»

  Aus seinem Grinsen lese ich so etwas wie eine Entschuldigung heraus, dabei ist er ja nun der Letzte, der irgendeinen Grund dazu hätte. Auf dem Tisch zähle ich acht Flaschen. Ausgehend davon, dass Dylan nicht mehr als ein Bier intus hat, kommen Cayden und Chase ja bereits in bester Stimmung bei Kaylee an.

 

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