Ich bleibe an meinen Bandkollegen hängen. Link, Curtis und Sal. Bonnie steht etwas abseits, den Kopf gesenkt. Ihr Herz ist ebenso gebrochen wie meines. Wie unser aller Herzen. Fast will ich zu ihr gehen, doch dann legt Con, Blythes Vater, seinen Arm um mich.
»Na komm, mein Sohn«, sagt er, so wie er es immer tut, obwohl ich nur sein Schwiegersohn bin, und schiebt mich sanft in Richtung Straße zurück. »Noch ein paar Stunden, dann hast du es hinter dir.«
Hinter mir. Das klingt schön. Aber es stimmt nicht. Denn der tägliche Kampf wird andauern. Wird vielleicht noch härter, jetzt, da wir vermeintlich Abschied genommen haben. Jetzt, da für viele andere wieder Normalität einkehrt.
»Willst du auf meinen Arm, Weston?«, fragt Con, doch Weston schüttelt an meiner Halsbeuge den Kopf. »Ist er dir nicht zu schwer?«
»Nein«, sage ich mit mehr Vehemenz als beabsichtigt.
Ich bin tatsächlich erleichtert, als ich die letzten Gäste verabschiede. Es fühlt sich an wie ein hinter mir, obwohl es nur eine kleine Etappe ist.
Link und Curtis sind noch da und helfen mir beim Aufräumen. Aber schnell merke ich, dass auch das zu viel ist.
»Stellt die Sachen einfach in die Küche, ich kümmere mich morgen darum«, sage ich.
»Bist du sicher, Alter?«, fragt Curtis. »Ist kein Problem, noch zu bleiben.« Er klopft mir auf die Schulter. Curtis ist der Einzige, der vollkommen normal mit mir umgeht. Vermutlich liegt es daran, dass er Verlust kennt. Dass er die Ohnmacht erlebt hat, als er seine Eltern durch Hurrikan Katrina verlor.
»Danke, aber ich wäre am liebsten allein.«
Charlie und Con haben die Kinder ins Bett gebracht, und ich sehne mich nach Ruhe. Nach Ruhe und Melodie. Nach Melodie und Erinnerung. Nach Erinnerung und Schmerz. Nach Schmerz und Dunkelheit.
Wenig später gehe ich noch einmal durch das leere Haus, in dem wir bis vor Kurzem noch zu viert wohnten. Ich sehe Blythe vor mir. Ihr Strahlen, ihre wachen Augen. Immer öfter gelingt es mir, die müde, die kranke Blythe durch die wirkliche zu ersetzen. So, wie sie es sich gewünscht hat.
Aber ich sehe auch alle anderen, die diesen Weg mit mir – mit uns – gegangen sind. All die bunten, wunderbaren Menschen aus Tremé, die heute hier waren. Ihre Eltern, unsere Freunde. Link, Curtis und Sal. Und Bonnie.
3 – Bonnie
Heute
»All my life I wanted nothing more than just to be … me and you«, singt Link mit heiserer, intensiver Stimme ins Mikrofon.
Ich sehe ihn lediglich von hinten, kann sein Mienenspiel nicht mitverfolgen, aber ich weiß ganz genau, dass er, während er einzig für seine Freundin Franzi singt, für jede Frau in unserem imaginierten Publikum die personifizierte Verheißung darstellt. Wäre das heute nicht einfach nur eine Bandprobe in der Tremé-Musikschule.
Hier jammen wir, sooft wir können. Hier sind wir eine Einheit aus Sound, Freundschaft, gemeinsamer Geschichte.
Meine Bass-Line ist anspruchsvoll, aber ich beherrsche sie im Schlaf. Meine Finger sind schnell, der Druck am Griffbrett kräftig. Das schnarrende Zupfen der Saiten, die Vibration des Instruments verleihen der Musik mehr Tiefe, Breite. Die Anwesenheit meines Klangs fällt den meisten unserer Zuhörer nicht auf. Erst durch seine Abwesenheit gewinnt der Kontrabass an Bedeutung. Das ist eine Facette meines Instruments, die ich bewundere. Die Bescheidenheit in Kombination mit Gewicht.
Schräg hinter mir kreist Curtis’ Besen über sein Becken und seine Drums. Er ist der König des Minimalismus, wenn es darauf ankommt. Er weiß in jedem Moment genau, welche Art von rhythmischer Intensität ein Song braucht. Und dieser, der ironischerweise von einer Liebe handelt, die schon immer war, braucht Sanftheit und Vorsicht.
Während meine Finger über die Saiten meines Instruments klettern, schweifen meine Gedanken ab. Hinter Link an der Wand steht das Klavier, an dem Jasper sitzt. Und mein Blick fällt wie automatisch auf seinen Hinterkopf. Der definierte Haaransatz an seinem Nacken. Die dunklen kurzen Haare, die sich locken würden, wären sie nur ein paar Millimeter länger. Seine eleganten Ohren, die sich beinahe perfekt an die Seite seines Kopfs schmiegen. Sie sehen so weich aus, und ich stelle mir vor, wie es sich anfühlen würde, mit dem Finger ganz leicht über ihre Rundung zu fahren bis zum Ohrläppchen hinunter – und dann weiter, die Halsbeuge hinab.
»Leute, das war großartig«, sagt Link, als der Song verklungen ist, und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Aus meinen verbotenen Gedanken.
Er dreht sich zu uns um, fordert Curtis auf, den nächsten Song einzuzählen.
» NOLA my love?«, fragt er, und Curtis nickt.
Kurz treffen sich unsere Blicke, und ich fühle mich seltsam ertappt. Meine Wangen werden heiß, obwohl Link natürlich nicht wissen kann, womit mein bescheuertes Gehirn beschäftigt war. Doch er ist der Einzige, der von meinem Problem weiß. Und wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich in ihm einen moralischen Kompass vermute – selbst wenn das paranoid ist. Link würde mich nie verurteilen. Nicht für meine Gefühle und auch sonst für nichts. Im Gegenteil: Er ist für mich da, wenn ich mal wieder nicht weiß, wohin mit all dem nervtötenden Kummer. Meistens habe ich ihn im Griff, aber es gibt Momente, da bahnt er sich einen Weg an die Oberfläche und überlagert alles. Die guten Vorsätze, die Standhaftigkeit, die Akzeptanz meiner Situation. Da möchte ich mich einfach zusammenrollen und zerfließen vor Gefühl und Hoffnungslosigkeit. Denn es gibt nichts, was ich gegen mein Problem tun könnte. Es ist nicht so, als hätte ich es nicht versucht. Doch mein Gehirn schüttet weiter Hormone aus, die dazu führen, dass ich verliebt bin. Unsterblich verliebt. Schon immer. Ich habe es gegoogelt. Es ist nichts anderes als eine Ausschüttung von Botenstoffen. Das sage ich mir wieder und wieder.
Auch in diesem Augenblick, als ich mit einer schnellen Melodie in unseren nächsten Song einsetze und die mächtige Vibration des Kontrabasses an meinem Körper spüre, zähle ich die kleinen Teufel in meinem Kopf auf: Dopamin, Oxytocin, Adrenalin. Nichts weiter. Doch wenn es nichts weiter ist, warum ist dann diese schmerzende Sehnsucht, die sich in mir eingenistet hat, so real? Warum fühlt es sich an, als zerrte man an meiner Seele?
Mein Herzschlag beschleunigt sich parallel zum Rhythmus, den Curtis vorgibt. Ich könnte es auf den Song schieben, aber ich weiß, dass Jaspers Rücken der wahre Grund ist. Seine fließenden Bewegungen. Das sanfte Hin-und-her-Wiegen, während seine Finger über die Tasten tanzen. Manchmal hüpfen seine Schultern regelrecht, und mein Herz mit ihnen. Ich schmachte, und ich hasse mich dafür. Vermutlich ebenso sehr, wie ich Jasper liebe.
»Ich würde euch gern noch eine neue Idee von mir zeigen«, sagt Link. »Wenn ihr noch Zeit habt?«
»Du sprühst ja geradezu vor Eingebungen in letzter Zeit«, sage ich. Und es stimmt. Seitdem Link verliebt ist – so richtig verliebt –, produziert er neue Songs wie am Fließband. Sie sind alle ein bisschen ruhiger, gefühlvoller, aber gleichermaßen schön. Und wir sind immer offen, Neues auszuprobieren.
Er spielt eine Melodie und singt dazu.
»This is where the magic begins. This is the sparkle, the glisten, the glint.«
»Where it begins?«, fragt Curtis. »Nicht vielleicht where it happens? « Er wackelt anzüglich mit den Augenbrauen.
»Curtis«, ermahnt Sal ihn, doch wir anderen grinsen. So ist er eben.
»Klingt cool«, sagt Jasper, und ich nicke begeistert.
»Wirklich gut.«
»Bleib dran, Mann. Das kann echt was werden.« Curtis ist jetzt ganz ernst.
»Das tue ich«, verspricht Link. »Jasper, hast du Lust, mit mir daran zu arbeiten?«
»Es wäre mir eine Ehre, Hughes. Ich habe die ganze Nacht Zeit.«
»O Mann, Jasper, ich sag dir, hätte ich an deiner Stelle einmal im Leben die Kinder aus dem Haus, ich wüsste schon, was ich mit meinem freien Abend anstellen würde«, sagt Curtis grinsend. »Da würde überall Magic passieren. Im Bett, auf dem Sofa, auf dem Essti-«
»Danke, Curtis, aber ich glaube, wir wissen alle, was du anstellen würdest.« Jasper lacht.
»Selbst, wenn du die Kinder nicht los wärst«, biete ich an, und Curtis nickt.
�
�Sehr richtig«, sagt er. »Apropos, ich habe gehört, dass es bei mir heute keine Magic gibt, weil Amory mit dir verabredet ist.«
»Schuldig im Sinne der Anklage«, erwidere ich, denn Amory ist nicht nur Curtis’ Mitbewohnerin with benefits, sondern auch die Person, die einer besten Freundin in meinem Leben am nächsten kommt.
»Langweilig«, sagt Curtis und zeigt auf mich. »Und langweilig.« Sein Finger wandert zu Jasper.
»Ja, nun, ich schreibe vielleicht gern einen Song mit meinem Lieblingsschwager«, sagt Jasper und spielt ein paar Akkorde, die klingen wie die in Musik gegossene Antiklimax.
»Eines Tages, Jasper, wirst du alt sein, und dann bereust du es vielleicht.« Curtis lässt nicht locker, und langsam ist es mir unangenehm, zuzuhören.
»Eines Tages, Curtis, wirst auch du alt sein. Und dann können wir uns ja noch einmal darüber unterhalten, ob ich mehr Sex hätte haben sollen«, sagt Jasper selbstbewusst. Das Wort »Sex« aus seinem Mund jagt mir einen Schauder über den Rücken, und ich ermahne mich, tief durchzuatmen. Denke an ein kühles Bier mit Amory im French Quarter. An Ablenkung und Spaß.
Als ich merke, dass Link mir erneut einen Blick zuwirft – ziemlich beabsichtigt diesmal –, bin ich auf einmal sehr beschäftigt damit, in meinen Noten zu blättern. Er ahnt, dass die Richtung, in die dieses Gespräch sich wendet, für mich schwer erträglich ist.
»Bonnie, hilf mir mal«, sagt Curtis. »Link?«
»Ich mische mich da nicht ein«, entgegnet Link, den Blick immer noch auf mich gerichtet.
»Sieht denn niemand, dass es für Jasper langsam an der Zeit ist, mal wieder unter Leute zu kommen?« Curtis ringt die Hände.
»Vielleicht hat Curtis tatsächlich recht«, murmle ich kaum hörbar. Ich versuche, cool zu sein. Link zu zeigen, dass ich darüberstehe. Auch wenn ich es ganz offensichtlich nicht tue, so wie mein beklopptes Herz gerade rast.
»Ha!« Seinen Triumph unterstreicht Curtis mit einem Trommelwirbel.
»Ihr könnt sagen, was ihr wollt«, erwidert Jasper. »Es ist Gott sei Dank meine eigene Angelegenheit.«
Ich treffe Amory in einer etwas versteckten Bar am Rand des French Quarter. Die Touristen bleiben meist auf den ausgetretenen Pfaden um den Jackson Square, die Bourbon Street und die Frenchmen Street herum. Das Barrel ist eingerichtet wie ein Wohnzimmer. Plüschsofas und geblümte Lampenschirme, dazu Südstaatenblues aus alten Boxen.
Amory sitzt am Tresen und unterhält sich mit dem Barkeeper. Sie trägt ein bodenlanges Kleid mit Ethno-Muster, an ihrem Handgelenk klimpern goldene Armreifen. Kurz blicke ich an mir selbst hinab. Weites Bandshirt, Boyfriendjeans. Manchmal beneide ich Amory um den selbstbewussten Umgang mit ihrem Körper. Ich bewundere, wie sie ihre Weiblichkeit in Szene setzt. Ab und zu habe ich mich sogar dabei ertappt, wie ich mich gefragt habe, ob mir so etwas auch stehen würde. Aber dann verwerfe ich jedes Mal den Gedanken und rufe mir in Erinnerung, was passieren kann, wenn man sich zur Schau stellt.
»Aus Mississippi«, höre ich sie gerade sagen, als ich auf den Hocker neben ihr klettere.
»Und was machst du in New Orleans?«, fragt der Barmann.
»Keine Farmerin werden«, erwidert sie und lacht. Dann wendet sie sich mir zu. »Eric hier macht die besten Drinks. Das hier ist ein … wie heißt er noch mal?«
»Aviation«, sagt Eric.
»Probier mal.« Sie hält mir ihr Martiniglas mit einer blassrosa Flüssigkeit hin.
»O ja, sehr gut. Aber ich nehme trotzdem lieber ein Bier«, sage ich zu Eric.
»Können wir kurz über Curtis reden?«, fragt Amory. »Ich muss das einfach loswerden. Dann ist es genug mit Männern, versprochen.«
»Gemeinheit«, sagt Eric und stellt mir ein Bier hin.
»Ich meinte natürlich, dann reden wir nur noch über Eric.« Amory grinst ihn frech an.
»Du kannst so viel über Curtis reden, wie du willst, Am«, sage ich. Denn dafür hat man schließlich Freundinnen.
»Ja, aber ich weiß, wie blöd es für dich ist, weil du zwischen den Stühlen sitzt und so. Mit Curtis in deiner Band und mir in deinem Herzen …«
Ich lache. »Ach was, das macht mir nichts aus.«
»Siehst du, das ist dein Problem«, sagt Amory. »Du bist ein zu guter Mensch. Immer denkst du nur an die anderen.«
»Ich dachte, du wolltest mir etwas über Curtis erzählen. Wäre es da nicht besser, mein Angebot anzunehmen?«, frage ich lachend.
»Okay, Punkt für dich.« Sie nimmt einen Schluck von ihrem Drink. »Also, ich weiß, dass das mit Curtis und mir einfach eine lockere Affäre ist. Spaß und sonst nichts. Ich meine, du kannst dir nicht vorstellen, wie oft er betont hat, dass das zwischen uns ›nur Sex‹ ist. Dass ›keine Gefühle im Spiel‹ sind. Dass er ›keinen Bock auf den Stress‹ hat.« Sie malt begleitende Anführungszeichen in die Luft.
»Ich kann es mir, ehrlich gesagt, ganz gut vorstellen«, sage ich und denke an das Ende der Bandprobe. »Also, was ist das Problem?«
»Ich glaube, ich würde mich gern mit jemandem verabreden.«
»Oh«, sage ich.
»Ja, genau. Oh.«
Sofort habe ich eine Ahnung, was das Problem ist. Auch wenn Curtis nach außen den harten Kerl mimt, so tut, als könne ihm nichts etwas anhaben, wissen wir beide, dass er in Amorys Nähe zur Ruhe kommt.
»Aber ihm muss doch klar sein, dass diese lockere Sache mit euch beiden nicht für die Ewigkeit ist …«, sage ich vorsichtig.
»Was ihm klar ist und was er draus macht, sind zwei völlig verschiedene Dinge.« Und damit hat Amory absolut recht.
Curtis ist wirklich nicht leicht zu handhaben. Er ist emotional ein absolutes Wrack, seit er mit zehn Jahren seine Eltern durch Hurrikan Katrina verloren hat.
»Aber du kannst doch nicht aus Rücksichtnahme auf jemanden, der nie in der Lage sein wird, dir das zu geben, was du dir vielleicht wünschst …«
»Nein, das kann ich nicht. Da hast du recht«, sagt Amory. »Ich bin nicht naiv, weißt du, mir ist klar, dass Curtis eine verlorene Seele ist und dass ich schauen muss, wo ich selbst bleibe. Aber es bricht mir trotzdem das Herz, dass ich ihm nicht helfen kann. Dass Liebe nicht reicht, ihn zu heilen.«
Ich bewundere Amory für ihre Abgeklärtheit. Dafür, dass sie sich in Momenten, in denen es drauf ankommt, selbst schützt. Curtis ist tief in seinem Innern so angeknackst, dass er Hilfe braucht, die weit über das hinausgeht, was wir zu geben imstande sind.
»Es hilft ja nichts«, sagt Amory seufzend. »Er wird sich benehmen müssen. Anders geht es nicht.« Sie nimmt noch einen Schluck von ihrem Drink, und ich tue es ihr nach, nippe an meinem Bier.
Man muss schauen, wo man selbst bleibt, da hat sie schon recht. In ihrem Fall bedeutet es, dass sie einem Freund das Herz bricht. In meinem … Ich wage kaum, es zu denken.
4 – Jasper
Heute
Jemand zupft an meiner Hose.
Ich blicke von meinem zerfledderten Krimi auf. Maya, meine inzwischen fünfjährige Tochter, hält mir eine gekeimte Blumenzwiebel hin. Ihre Hände sind von der Erde ganz braun.
»Ui, pflanzt ihr die jetzt ein?«, frage ich.
Maya nickt. Eigentlich versuche ich, weniger Ja-Nein-Fragen zu stellen, um sie zum Reden zu bringen, so, wie es Jacob, Phoenix’ Lebenspartner, empfohlen hat. Er ist Psychotherapeut und mein erster Ansprechpartner in allen Fragen, die mit Mayas Verweigerung zu sprechen zu tun haben. Aber oft habe ich keine Lust, darüber nachzudenken. Und auch Jacob sagt, dass es für Maya das Beste ist, wenn wir ungezwungen miteinander umgehen. Denn sie kann reden. Sie hat nur keine Lust darauf. Irgendetwas hemmt sie.
Sie läuft zurück zum Blumenbeet. Hugo, ihr Urgroßvater, der mindestens zwei grüne Daumen hat, reicht ihr die kleine Schaufel.
»Die Löcher graben sich nicht von allein, junge Dame«, sagt er, und Weston lacht.
Statt mein Buch wieder aufzunehmen, beobachte ich für einen Moment diese häusliche Harmonie, die sich in meinem Garten abspielt. Es ist ein Bild für die Götter: Maya in ihrem ehemals gelben Kleid, das ihre Großmutter ihr gestrickt hat, Weston, der konzentriert Samen aussät, Hugo in seinem fleckigen Unterhemd mit Strohhut
auf dem Kopf. Er hat auf alles ein Auge. Gibt Tipps, Anweisungen. Manchmal ist er für Maya zu ironisch, dann muss Weston übersetzen. Aber die beiden finden es ungeheuer spannend, seit Neuestem einen Urgroßvater zu haben.
Hugo ist vor ungefähr drei Monaten in unser Leben geplatzt. Erst hatte ich Angst, durch seine Gegenwart würden Dinge wieder an die Oberfläche gezerrt, mit denen ich längst abgeschlossen hatte. Ich wollte nicht, dass meine Kinder in ein neues Familiendrama hineingezogen werden, während sie noch mit ihrem eigenen zu kämpfen haben. Aber der kurze Abriss, den Hugo mir über sein Verhältnis zu meinem Vater gab, zeigte mir, dass ich nichts zu befürchten habe. Und solange ich nicht möchte, sprechen wir das Thema nicht an.
Themen, die wir allerdings ansprechen, sind: Mein Leben. Meine Musik. Meine Familie. Meine Träume. Er möchte alles über mich wissen, als würde er versuchen, die Zeit nachzuholen, die uns genommen wurde.
Maya winkt und zeigt auf die Blumenzwiebel.
»Ich schau dir zu, Süße«, rufe ich.
Zufrieden setzt sie die Blumenzwiebel in das Loch, das sie gebuddelt hat, und schaufelt mit den Händen Erde darauf.
»In ein paar Wochen blühen die schon«, sagt Hugo, und Maya sieht ihn mit großen Augen an.
Der Garten ist ein ganz schönes Chaos. Bevor Hugo angefangen hat, mit den Kindern zu gärtnern, war es einfach eine Brache. Alles, was wuchs, war hartnäckiges Unkraut. Als Blythe noch lebte, war dieser Ort eine Oase. Sie hatte ein Händchen für Pflanzen. Hatte Lust, Schönheit zu erschaffen. Aber im ersten Jahr nach ihrem Tod hatte ich keine Kraft, mich darum zu kümmern. Ich nahm nicht einmal wahr, dass der Garten vor sich hin dörrte. Und dann war es irgendwie zu spät, etwas zu verändern. Wir gewöhnten uns an den Anblick. Blythe. Ihr würde gefallen, dass unsere Kinder die Sache nun in die Hand nehmen. Und ich bin Hugo dankbar, dass er die beiden anweist. Er hat zwei Beete angelegt. Ein Blumenbeet und eines für Kräuter und Gemüse. Er hat das, was früher fleckiges Grün war, umgegraben und neuen Rasen gesät. An der ein oder anderen Stelle keimt er schon. Es wird noch einige Monate dauern, bis das Gras so belastbar ist, dass man es betreten darf. Von Links Wohnwagen, der in der hinteren Ecke des Gartens steht, führt ein Pfad aus Steinen zum Haus. Hugo hatte früher eine Baufirma. Er kennt sich aus und hat einfach an alles gedacht.
Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 2