»Was meinst du?«
»Die ganze Welt scheint sich im Moment in mein Leben einmischen zu wollen. Gibt es irgendeinen Anlass?«, frage ich.
»Die ganze Welt?« Link gluckst. »Ich bin nicht der Einzige?« Er schiebt gespielt beleidigt die Unterlippe vor.
»Erst Curtis. Phoenix hat letzte Woche damit angefangen. Dann Aurora, die Gesangslehrerin, weißt du? Und jetzt kommst du …«
»Aurora?« Link grinst und fängt sich dafür ein weiteres Papierkügelchen ein.
»Sie hat mich zu sich zum Abendessen eingeladen.«
»Ein Date?«
»Es ist kein Date.«
»Hast du Ja gesagt zu eurem Date?«
»Ja, aber es ist kein Date.«
»Das sehen wir dann.«
Statt mich weiter an dieser Unterhaltung zu beteiligen, spiele ich noch einmal Links Melodie auf dem Klavier.
»Man hört Franzi raus«, sage ich. »Es ist die perfekte Mischung aus Leichtigkeit und Ernst. Love is mild «, zitiere ich Blythe’s Song, ein Lied, das ich mit Link einige Zeit nach ihrem Tod geschrieben habe.
»Das stimmt tatsächlich«, sagt Link. »Mild und laut und wild und alles, was man sich nur vorstellen kann.«
»Ich weiß.« Ich grinse ihn an. Nicht jeder von uns hat so lange gebraucht, um das herauszufinden. Ich war gerade mal siebzehn, als ich Blythe um unser erstes Date bat.
»Sorry, Mann«, sagt Link. »Ist vielleicht nicht das beste Thema.«
»Mach dir keinen Kopf«, erwidere ich. »Vier Jahre sind vier Jahre. Eine ganz schön lange Zeit.« Ich halte kurz inne. Dann: »Aber eben auch nicht mehr als das. Zeit.«
»Denkst du, du wirst irgendwann wieder jemanden in dein Leben lassen?«, fragt Link vorsichtig. Offenbar kann er es nicht auf sich beruhen lassen.
Ich gebe mir einen Ruck. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass all diese Dinge sich gerade häufen. Möglicherweise ist es an der Zeit, darüber zu sprechen. Doch warum taucht Bonnies Gesicht vor meinem inneren Auge auf? Schon wieder? »Wer würde sich das antun?«, frage ich, vertreibe das Bild und mache eine ausladende Bewegung, die stellvertretend für all das Chaos stehen soll, das mich umgibt.
Link hebt eine Augenbraue.
»Die Schulden, die Kinder …«
»Aber würdest du es wollen?«, fragt er weiter.
»Vielleicht. Vermutlich. Ich weiß es nicht«, sage ich wahrheitsgemäß.
»Es gibt Menschen, nach denen kann vielleicht niemand mehr folgen«, bietet Link an.
»Ja …« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Denn einerseits stimmt es, ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann einmal wieder derartige Gedanken zulassen könnte. Aber andererseits heilt die Zeit vielleicht ja doch alle Wunden.
»Und trotzdem hat man schließlich Bedürfnisse, oder?«
»Curtis’sche Bedürfnisse?« Ich lache. Es ist erstaunlich leicht, mit Link über all das zu reden. Dennoch schnippe ich ein weiteres Papierkügelchen in seine Richtung.
»Beispielsweise. Vor allem, weil dieses Etikett-Abpfriemeln, das du die ganze Zeit machst, ein untrügliches Zeichen für sexuelle Frustration ist.«
Ich will laut auflachen, doch auf einmal habe ich einen Kloß im Hals. Bevor ich weiterspreche, schlucke ich hart. »Die Bedürfnisse hat man wohl«, sage ich stattdessen.
»Und was wird aus ihnen?«
»Bislang nichts. Sie werden knallhart ignoriert«, erwidere ich und versuche mich an einem Lächeln.
Auf einmal ändert sich Links Gesichtsausdruck. Das Neckische verschwindet. Und an seine Stelle tritt etwas, das aussieht wie Bestürzung. »Du weißt, dass du mir oder meinen Eltern nichts schuldest, oder?«
Jetzt muss ich tatsächlich lachen. »Denkst du, ich habe deinetwegen keinen Sex?«
»Na ja, indirekt vielleicht. Wir müssen alle weitermachen.«
Ich möchte nicht, dass Link sich in irgendeiner Weise verantwortlich fühlt. Deswegen greife ich zu drastischeren Maßnahmen. »Wenn es dich beruhigt und du es unbedingt wissen willst«, sage ich leise, »ich habe mir neulich einen runtergeholt und nicht an Blythe gedacht.«
»Okay«, sagt Link und klingt seltsam erleichtert.
»Aber es fühlte sich falsch an, und seither habe ich es nicht mehr gemacht.« Ich zucke mit den Schultern, nehme noch einen Schluck von meinem Bier.
»Was? An jemand anderen gedacht?«
»Mir einen runtergeholt.«
»Lass das nicht Curtis hören«, empfiehlt Link.
»Wollte es dich auch nicht hören lassen, wenn ich ehrlich bin«, sage ich lachend. »Aber du lässt mir ja keine Ruhe.«
»Sorry. Ich schätze, ich mache mir nur Sorgen.«
»Ja, ihr alle tut das anscheinend. Curtis, Phoenix, du …« Selbst Weston, fällt mir in diesem Moment auf. »Aber es geht mir gut. Hörst du? Mir geht es gut.« Ich sage es mit so viel Nachdruck, wie nötig ist, damit er mir hoffentlich glaubt, und mit einiger Erleichterung sehe ich, dass er nickt. Doch dann passiert etwas. Etwas Seltsames. Denn ich frage mich auf einmal, ob das wirklich stimmt. Link mag ich überzeugt haben. Aber plötzlich spüre ich, wie ich selbst zu zweifeln beginne. Und wieder sehe ich zwei mahagonifarbene Augen umgeben von einem feinen, hübschen Gesicht.
Ich räuspere mich und trinke mein Bier aus. »Magst du noch eins?«, frage ich und stehe auf, um aus dem Kühlschrank Nachschub zu holen.
»Klar.«
In der Küche nehme ich zuerst einen Schluck Wasser. Ich stütze mich auf der Anrichte auf, fahre mir mit der Hand über den Nacken. Was ist nur los mit mir? Ich muss an all diese merkwürdigen Gespräche denken. An Curtis, der will, dass ich Sex habe. An Phoenix, die will, dass ich mich irgendwo anlehne. An Weston, der mich ins Bett bringt, und an Aurora, die mich zu sich nach Hause einlädt. An Bonnie, die so anders aussieht in letzter Zeit. Erwachsen und fraulich. Obwohl das natürlich Blödsinn ist. Seit Jahren ist sie erwachsen und eine Frau. Dass Link nun auch noch auf diesen Zug aufgesprungen ist, bringt das Fass zum Überlaufen. Dass mein Verstand sich dann selbstständig macht, ist wenig verwunderlich.
»Weißt du«, sage ich, als ich ins Wohnzimmer zurückkehre und Link eine der kleinen Flaschen reiche, »vielleicht hast du recht. Vielleicht könnte ich wirklich meine Komfortzone mal wieder verlassen. Ich singe deinen Song, wenn du willst. Aber nur unter einer Bedingung. Im Refrain gibt es eine zweite Stimme.«
»Ich finde echt nicht, dass ich –«
Doch ich unterbreche ihn. »Ich würde es gern mit Bonnie singen. Unsere Stimmen passen gut zusammen.« Ich habe keine Ahnung, woher diese Idee auf einmal kommt, aber jetzt, da ich sie geäußert habe, gefällt sie mir.
Er grinst. »Das tun sie«, sagt er. »Und zusammen kriegt ihr sicher auch einen Text hin, bei dem sich meine Fingernägel nicht aufrollen.«
Ich nicke zufrieden. Ein guter Kompromiss. Auf diese Weise kommt auch Bonnie mal wieder aus ihrer Komfortzone. Wenn alle Welt davon ausgeht, dass es für mich an der Zeit ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen, ist es das für sie auch.
Ich spiele noch einmal die Melodie und singe leise Links vorläufige Lyrics dazu. Und dann denke ich, dass ich heute Abend gerne allein in meinem Bett wäre. Denn es ist wahr. Man hat schließlich Bedürfnisse.
13 – Bonnie
Heute
Ich fühle mich gut. Ich fühle mich herausragend. Mit Amory und Franzi gesprochen zu haben verleiht mir neue Kraft. Die ganzen merkwürdigen Zufälle in letzter Zeit waren eben genau das. Zufälle. Nichts, worüber man sich den Kopf zerbrechen müsste. Es hat sich nichts verändert. Die Band, meine Familie, meine Freunde – alles beim Alten. Beim geruhsamen, entspannten Alten, das die Grundlage für einen gesunden Verstand und ein halbwegs gesundes Herz ist.
Meine Mom war schwer begeistert, als ich ihr erzählte, dass wir dem Haus endlich mal wieder einen neuen Anstrich verpassen wollen. Sie liebt es bunt und ist auf ihr Haus, das sie sich hart erarbeitet hat, stolz. Vor allem, wenn es in frischen Farben erstrahlt. Am Rand von Tremé sehen die Häuser allesamt gepflegter aus als in unserer Gegend. Dort kümmert man sich regelmäßiger um einen neuen Anstrich, um den Touristenaugen zu gefallen. Je weiter man ins Vier
tel vordringt, desto einfacher werden die Häuser. Die Autos werden schäbiger, die Hinterhöfe dunkler. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum ich es hier so liebe. Weil Fassade eben nicht alles ist. Weil man dahinterblicken muss, um zu sehen, wie die Menschen ticken. Oder weil man sich hinter neuer Farbe verstecken kann. Ein neuer Anstrich ist wie ein frisches Lächeln. Was dahinter geschieht, teilt man nur mit denjenigen, die man dazu auserwählt.
In meinem Fall sind das nun – ob zufällig oder nicht – Amory und Franzi. Und ich freue mich sehr, sie zu sehen, als sie an diesem Samstagmorgen zur Tür hereinspazieren. Beide tragen ebenso wie ich alte Klamotten, bei denen es egal ist, falls sie hinterher nur noch für die Mülltonne gut sind. Amory sieht trotzdem wie immer makellos aus. Ich weiß nicht, wie sie das macht. Aber jedes Mal, wenn ich sie sehe, habe ich das Gefühl, sie ist noch schöner geworden. Es ist, als würde sie von innen heraus strahlen.
»Also, wie gehen wir vor?«, fragt Franzi interessiert.
Ich führe die beiden nach hinten in den Garten, wo sich neben zwei Leitern außerdem die Farbeimer und das Schleifgerät unseres Nachbarn befinden.
»Was für Farben habt ihr ausgesucht?«, fragt Amory mit einem Blick auf die abblätternde gelbe Farbe der Hauswand.
»Meine Mom hat ein leichtes Mintgrün für die Wand gewählt. Und ein blasses Gelb für die Fensterläden und Türrahmen.« Ich deute auf die Eimer. »Aber bevor wir mit dem Streichen anfangen können, müssen wir die Fensterläden aushängen und die alte Farbe abschleifen.«
Wir sind zwar nur zu dritt, doch Franzi und Amory sind begeistert bei der Sache. In nicht einmal einer Stunde haben wir alle Fensterläden ausgehängt und die Tür- und Fensterrahmen abgeklebt. Währenddessen habe ich begonnen, die alte Farbe abzuschleifen. Es ist eine befriedigende Arbeit. Aus Alt mach Neu. Es ist ungefähr das Gegenteil von mir, die ich die meiste Zeit in der Vergangenheit lebe. Aber vielleicht kann ich, genauso, wie das Haus seine abgeblätterte Farbe loswird, auch ein bisschen was von meinem Ballast abwerfen.
Unter der Plastikbrille komme ich schnell ins Schwitzen, sodass ich beschließe, mein weites Band-T-Shirt mit den hochgekrempelten Ärmeln auszuziehen und in meinem alten Bikinioberteil weiterzumachen.
»Wow, Bonnie«, sagt Amory, die einen Knoten in ihr Shirt gebunden hat, um sich ebenfalls ein bisschen abzukühlen.
»Was?«, frage ich.
»Du hast eine Form.« Sie grinst.
»Witzig«, sage ich und drohe ihr scherzhaft mit dem ausgeschalteten Schleifgerät.
Sie lacht, doch dann wird sie auf einmal merkwürdig still. »Sag mal«, beginnt sie zögerlich.
»Hm?«
»Deine weiten Klamotten …« Sie zeigt auf meine abgeschnittene Jeans und das T-Shirt.
»Was ist damit?«
»Trägst du die … weil du nicht auffallen willst?«
Für jemanden wie Amory ist es vermutlich unvorstellbar, sich ein bisschen zurückhaltender zu kleiden. In dieser Hinsicht ist sie wie Lula, nur etwas bedeckter.
Ich schüttle den Kopf und wende mich ab, um keine Antwort geben zu müssen. Aber ich weiß, dass Amory es weiß. Und sie weiß, dass ich es weiß.
»Das ergibt Sinn, schätze ich«, sagt sie. Dann legt sie einen bereits abgeschliffenen Fensterrahmen auf zwei Böcke und zückt ihren Pinsel.
Am späten Vormittag habe ich die komplette Rückseite des Hauses abgeschliffen, inklusive der Fensterläden. Diese trocknen alle brav in der Sonne, nachdem Amory und Franzi die blassgelbe Farbe daraufgepinselt haben.
Drinnen in der Küche hört man Lula rumoren, die aufgestanden ist. Sie war nicht gerade begeistert, als ich ihr erzählt habe, dass wir frühmorgens anfangen würden, das Haus zu renovieren.
»Morgen, Schwesterherz«, sagt sie nun und tritt nach draußen, in der Hand einen großen dampfenden Becher Kaffee. »Und Morgen, Freundinnen von ihr.« Sie runzelt die Stirn, als könnte sie kaum glauben, was sie sieht. »Hi, Amory, hi, Franzi. Wusste nicht, dass das hier eine Mädelsveranstaltung wird. Hätte ich das geahnt, hätte ich mich auch angemeldet.« Sie grinst.
»Es gibt genug zu tun«, sage ich und gestikuliere grob Richtung Hauswand. »Schnapp dir einen Pinsel, und leg los.«
Stattdessen setzt sie sich auf die oberste Stufe der kleinen Treppe, die aus der Küche nach draußen führt. »Ich schau erst mal zu, ob es wirklich so viel Spaß macht, wie ich glaube.«
Ich schüttle amüsiert den Kopf. Ich liebe meine Schwester. So unterschiedlich wir auch sind, sie ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, obwohl man das vielleicht nicht meinen würde, wenn man uns kennt. Ich bewundere sie für so vieles – und ganz besonders für die Fähigkeit, sich aus Dingen herauszuhalten, die ihr keinen Spaß machen.
Amory löst mich am Schleifgerät ab, sodass Franzi und ich die dicken Pinsel in die mintgrüne Farbe tunken und beginnen, die Rückseite des Hauses zu streichen. Sie rechts, ich links von der Tür. Lula blickt von Franzi zu mir und lächelt.
»Sieht tatsächlich schön aus«, sagt sie.
Und es ist schön. Die körperliche Betätigung in der Sonne, die einem den Schweiß auf die Stirn treibt, das Gefühl, etwas zu schaffen, Vergangenes loszuwerden – es ist beinahe reinigend.
Die dickflüssige Farbe tropft von meinem Pinsel und läuft in dicken Nasen von der Wand nach unten. So gut es geht, fange ich die Tropfen auf, vermale sie mit dem Rest. Es ist eine langsame, meditative Arbeit, die – ich kann es nicht anders sagen – glücklich macht, weil sie sinnvoll ist. Weil sie bunt ist. Und im Gegensatz zum letzten Mal, als wir das Haus vor vier Jahren gestrichen haben, warten wir diesmal nicht auf das Unausweichliche. Damals war es ein Versuch, vor Traurigkeit nicht den Verstand zu verlieren. Ein gemeinsames Projekt, das zusammenschweißte, während wir nicht mehr vollständig waren. Nun scheint das Streichen heil zu machen.
»Okay, lass mich mal«, sagt Lula. »Ich will auch.«
»Nimm dir einfach einen eigenen Pinsel«, sage ich und steige auf eine der Leitern, die an der Hauswand lehnt, um Lula meinen Platz frei zu machen.
Sie singt, während sie pinselt. Irgendeinen Song, zu dem sie nachts tanzt, nehme ich an. Ich male um die Fensterbretter im ersten Stock herum, klettere von der Leiter, um sie ein Stück nach rechts zu schieben, steige wieder hinauf – und verschwende keinen Gedanken an Jasper. Nur diesen einen. Jetzt gerade. An seinen Hinterkopf mit den fein gelockten Haaren. Seine gerade Nase im Profil.
Als ich merke, dass ich abdrifte und die ganze Aktion ihren ursprünglichen Zweck zu verfehlen droht, löse ich Amory an der Schleifmaschine ab. Der Lärm leert meinen Kopf, und Amory ist froh über die Abwechslung.
»Und? Funktioniert es?«, fragt sie noch, ehe sie um die Hausecke zu den anderen biegt.
»Es funktioniert«, sage ich und bin froh, dass sie nicht hinter meine Fassade sehen kann.
Am späten Nachmittag haben wir zweieinhalb Seiten des Hauses komplett abgeschliffen. Ebenso alle Fensterläden und Türen. Einige von ihnen sind zusammen mit zwei kompletten Wänden bereits fertig gestrichen. Morgen kommen die beiden restlichen Wände dran. Dazu das Geländer der Veranda und die Holzsäulen vor dem Eingang.
»Wow!«, sagt Franzi, als sie sich mit einem Bier in der Hand in einen der weißen Plastikstühle fallen lässt.
»Müde?«, fragt Lula.
»Ich spüre jeden einzelnen Knochen«, bestätigt sie, und uns Übrigen geht es nicht anders. Wir sind so fertig, dass wir kaum sprechen, sondern selig schweigend an unseren Bierflaschen nippen.
»Kann man euer Werk schon bewundern?«, fragt eine Männerstimme aus der Küche.
Noch ehe ich den Kopf wende, weiß ich, dass es Link ist. Mit einem Lächeln im Gesicht drehe ich mich um – und erstarre. Denn er ist nicht allein, sondern hat Jasper im Schlepptau.
Sofort bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich obenrum nichts trage als mein Bikinioberteil. Mein Bauch und mein Dekolleté sind mit Farbe bespritzt. Und unwillkürlich rasen meine Gedanken auf diesen einen Moment vor über vier Jahren zu. Als wir uns nicht unter Kontrolle hatten. Als die Traurigkeit und Einsamkeit in einem schlimmen Fehler resultierten.
Ich sp�
�re Amorys und Franzis Blicke auf mir, als ich mich langsam erhebe und zu meinem T-Shirt stolpere. Doch es sind nicht die einzigen Blicke. Ich sehe kurz auf, und meine Augen treffen Jaspers. Er lächelt. Vorsichtig, unschuldig. Hebt die Hand zum Gruß.
»Hi«, sagt er.
»Hi«, sage ich und mache eine halbe Pirouette, um mir mein Shirt überzuziehen. Damit fühle ich mich der Situation gewachsen. »Wollt ihr auch was trinken?«, frage ich.
Mit erstaunlich langen Schritten für meine kurzen Beine gehe ich in die Küche. Ich öffne den Kühlschrank, und die kalte Temperatur, die herausdringt, ist eine Wohltat für mein plötzlich überhitztes Gesicht.
»Kann ich dir was helfen?«, fragt Jasper.
»Zwei Flaschen Bier schaffe ich gerade so allein.« Was eigentlich ein neckender Spruch hätte sein sollen, klingt in meinen Ohren auf einmal patzig. Obwohl es das Gegenteil von dem ist, was ich sein möchte.
»Hör zu, Bonnie«, sagt Jasper. »Wenn ich dir neulich Abend zu nahegetreten bin mit irgendwas …«
»Ach was«, sage ich, denke an Fassaden und habe mich nun wieder vollkommen im Griff.
»Es ist nur …«, beginnt er, doch ehe er etwas sagen kann, schiebe ich den Kühlschrank energisch zu, lächle und reiche ihm ein Bier.
»Cheers«, sage ich.
»Cheers«, erwidert er. Er nimmt einen Schluck und fährt sich mit der Hand über die Haare. »Alles gut?«
»Alles gut«, bestätige ich.
Wir gehen gemeinsam nach draußen, aber ich achte darauf, mich so zu setzen, dass ich weder neben ihm sitze, noch in Verlegenheit komme, ihn die ganze Zeit ansehen zu müssen. Denn Sinn und Zweck der heutigen Aktion war Ablenkung. Und ich habe vor, es dabei zu belassen. Auch wenn derjenige, von dem ich mich ablenken muss, nicht einmal einen Meter von mir entfernt ist.
14 – Jasper
Vor vier Jahren
Sie sieht müde aus. Ihr Kopf liegt auf das weiße Kissen gebettet, und durch die warme Beleuchtung ihres Zimmers sieht sie aus wie ein Engel. Ein müder, schwacher Engel.
»Was machst du denn schon wieder hier?«, fragt sie lächelnd. »Solltest du nicht längst zu Hause sein?«
Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 8