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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)

Page 15

by Engel, Kathinka


  Sein schwerer Arm wandert auf meinen Körper. Er ist tatsächlich ganz warm.

  »Ich mag das. Wenn jemand neben mir liegt.«

  Ich mag es auch. Auch wenn Curtis der Falsche ist. »Tut dein Gesicht weh?«, frage ich.

  »Ja.«

  »Soll ich dir Eis holen?«

  »Nein, ich mag das.«

  »Dass es wehtut?«

  Ich spüre, wie er an meinem Hals nickt, und mein Herz zieht sich zusammen.

  Als ich schon beinahe weggedämmert bin, regt Curtis sich noch mal kurz. »Sie ist so weich«, flüstert er.

  24 – Jasper

  Heute

  Als Bonnie mit ihrem Kontrabass auf dem Rücken um die Ecke biegt, haben wir uns bereits geeinigt. Sal fährt in Curtis’ Pick-up, und Link, Bonnie und ich nehmen das Auto meines Schwiegervaters. Nachdem ich Weston und Maya vorhin dort abgesetzt habe, bin ich mit seinem alten Subaru zurückgefahren.

  Bonnie legt ihren Bass zu Schlagzeug und Verstärkern auf Curtis’ Ladefläche, und gemeinsam zurren sie eine Plane über die Instrumente und das sonstige Equipment.

  In der feuchten Nachmittagswärme scheint alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Jede Bewegung zieht sich, fällt schwer, ist schwerfällig. Deswegen sind alle froh, als wir abfahrbereit sind. Cons Wagen ist zwar so alt, dass er keine funktionierende Klimaanlage mehr hat, aber der Fahrtwind ist besser, als in der prallen Sonne zu stehen und darauf zu warten, dass man zerfließt.

  »Ich würde vorschlagen, ihr fahrt uns einfach nach«, sagt Curtis. »Dann könnt ihr euch unterwegs die Setlists überlegen. Oak Valley heißt die Plantage, oder?«

  Sal nickt und hebt sein Handy. »Hab die Adresse schon eingegeben.«

  »Perfekt. Dann sehen wir uns dort«, sage ich.

  Bonnie klettert auf den Rücksitz von Cons Subaru, Link setzt sich auf den Beifahrersitz.

  Autotüren werden zugeschlagen, und Curtis startet den Motor seines Pick-ups. Er lenkt ihn auf die Straße, und ich tue es ihm nach.

  Link schaltet das Radio ein und dreht eine Weile an den Knöpfen herum, bis er einen Sender gefunden hat, dessen Musik ihm zusagt. Es ist ein leichter, verspielter Jazz-Sound. Er lehnt sich zurück und seufzt.

  »Ich liebe Roadtrips«, sagt er.

  »Großes Wort für eine Fahrt von ungefähr zwei Stunden«, meldet sich Bonnie von hinten. Sie ist in die Mitte der Rückbank gerutscht, sodass sie direkt in meinem Sichtfeld sitzt, wenn ich in den Rückspiegel blicke. Ihre Braids trägt sie heute offen, und es wirkt so, als würden sie einen Rahmen um ihren Körper bilden. Ich ertappe mich dabei, wie mir das Gefühl der dicken Zöpfe unter meinen Fingern in den Sinn kommt. Ich lasse meinen Blick für einen Moment auf ihrer leicht gekräuselten Stupsnase verweilen. Dann ermahne ich mich selbst und konzentriere mich auf die Rücklichter von Curtis’ Wagen.

  »Es ist ein Trip, wir sind auf der Straße«, sagt Link grinsend. »Das reicht für mich.«

  Er lässt seinen Arm aus dem offenen Fenster hängen und trommelt im Takt der Musik von außen gegen die Autotür. Bonnie hat die Ellbogen auf ihre Knie gestützt und zückt nun einen kleinen Block und einen Stift.

  »Sollen wir Ideen für die Setlist sammeln?«, fragt sie.

  »Für den Empfang spielen wir Standards«, schlage ich vor. »All of Me, Black Orpheus …«

  »Take the A-Train«, sagt Link. »Misty, My Funny Valentine, …«

  Ein weiterer Blick in den Rückspiegel verrät mir, dass Bonnie mitschreibt. Und dass ihr Gesicht noch etwas hübscher ist, wenn sie sich konzentriert. Wir werfen immer wieder einen Titel in die Runde, diskutieren, ob und wann wir ihn spielen sollen.

  »Wenn wir wirklich ein paar Swing-Klassiker spielen, bin ich dafür, sie an einem Stück zu spielen«, sagt Link. »Augen zu und durch.«

  »Die Braut wünscht es sich …«, gebe ich zu bedenken und ordne mich hinter Curtis in die richtige Spur ein. Interstate 10 Richtung Osten.

  »Autumn Leaves ist auch so eine Easy-Listening-Nummer. Könnten wir als Übergang vom Swing zurück zum Jazz nehmen«, schlägt Bonnie vor. »Dann machen wir davor Have You Met Miss Jones? und Fly Me to the Moon und haben einen Übergang, der ganz smooth ist. Was meint ihr?«

  »Klingt gut.«

  »Passt für mich«, sagt auch Link, und Bonnie lächelt, während sie schreibt.

  Ich ertappe mich dabei, wie ich öfter in den Rückspiegel sehe, als ich müsste.

  Bald haben wir New Orleans und den Lake Pontchartrain hinter uns gelassen und folgen dem Flusslauf des Mississippi, der sich zu unserer Linken in Schlangenlinien durchs Land windet. Gigantische Zuckerrohr-, Mais- und Sojabohnenfelder werden von kleinen Nebenarmen des Flusses unterbrochen. Wir fahren mitten durch das Mississippi-Delta, das sogenannte Mündungsschwemmland. Ab und zu wird aus den Nebenflüssen und Seen eine einzige Wassermasse links und rechts von uns. Lediglich die inzwischen nur noch zweispurige Straße ist trocken. Bäume ragen aus diesem gigantischen See heraus, der über die Sommermonate wieder zurückgedrängt, in seine Bahn gelenkt werden wird. Einige von ihnen mit Blätterkrone, andere kahl und tot wie das Louisiana-Moos, das sich gespenstisch im sanften Wind wiegt. Hier und da wurden Häuser von der Flut überrascht. Das Einzige, was man von ihnen noch sieht, sind die Dächer – umgeben von nichts als graubrauner Überschwemmung, die in der Sonne glänzt. Die Blues-Musik aus dem Radio unterstreicht diese seltsam friedliche und doch bedrohliche Stimmung. Die Macht der Natur kontrastiert vielleicht nirgendwo eindringlicher zivilisatorischen Verfall.

  »Haben sich Weston und Maya auf ein Wochenende bei ihren Großeltern gefreut?«, fragt Link in die nachdenkliche Stille hinein, die sich wie automatisch über uns gelegt hatte.

  »Maya ganz besonders«, sage ich und denke an das freudige Jauchzen, das ihr entfuhr, als sie ihre Großmutter erblickte. Charlies Rollstuhl stand auf der Veranda, und die Kleine rannte auf sie zu und sprang auf ihren Schoß, als hätte sie sie seit Ewigkeiten nicht gesehen. Dabei sind wir regelmäßig bei Charlie und Con. Zum Essen, zum Spielen, zum Erinnern … »Sie liebt Charlie abgöttisch«, sage ich.

  »Spricht sie mit ihr?«, fragt Link.

  »Nicht mehr als mit mir. Aber ich glaube, dass sie trotzdem eine besondere Bindung zu ihr hat.«

  »Ist ja auch Blythes Mom.« Bei Bonnies Worten blicke ich wieder in den Rückspiegel. Doch sie hat den Kopf zur Seite gedreht, scheint ganz versunken in die wüste Landschaft, die uns umgibt. Und ich denke daran, dass sie in meinen Gedanken war, als sie es nicht hätte sein sollen. Seltsam ertappt lenke ich den Blick wieder auf die Straße, auf Curtis’ Wagen vor mir.

  »Meinst du, das ist es?«, fragt Link. »Sehnt sie sich nach ihrer Mutter, obwohl sie sie nie gekannt hat?«

  Ich zucke mit den Schultern. Dieser Gedanke ist mir nicht neu. Schon oft habe ich mich gefragt, was es für meine Kinder bedeutet, nur mit mir aufzuwachsen. Mit einem Dad, der erst die Rolle als alleinerziehender Vater akzeptieren und lernen musste – und dann auch die Rolle der Mutter.

  »Ich glaube, es ist noch mal etwas völlig anderes, als Familie mit Verlust umzugehen. Immer, wenn es allein um mich ging, wusste ich, wie ich damit fertigwerde. Aber bei den Kindern ist es anders«, sage ich. »Ich dachte lange, es würde reichen, wenn ich mein Bestes gebe. Aber ich muss unser beider Bestes geben.« Für Weston und Maya. Und für Blythe.

  »Das ist unmöglich«, sagt Link.

  »Nein, weißt du, das ist es nicht. Man wächst über sich hinaus.« Und genau das tue ich seit Jahren. Seit der Diagnose. Denn man glaubt nicht, dass dieses Unsagbare passieren kann. Man versucht es auszublenden, lässt die Gedanken nicht zu. In diesem Moment fällt es mir wie Schuppen von den Augen. »Ich war es. Ich habe nicht gesprochen«, sage ich.

  »Du warst was?«, fragt Link.

  Ich räuspere mich. Es ist auf einmal so klar. »Ich habe blockiert. Dichtgemacht. Ich war da, habe funktioniert. Aber ich habe nie über meine Trauer gesprochen.«

  »Willkommen im Club«, sagt Link. »Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?«

  »Ich habe nicht gesprochen, Maya spricht nicht … Ich hatte keine Antworten für sie. Ich hatte auch keine Fragen für s
ie. Ich …« Der Rest des Satzes bleibt mir im Hals stecken. »Ich mache mir um beide Sorgen. Um Weston und Maya. Aber Maya ist diejenige, die nicht spricht. Weston kann ich fragen, wie er sich fühlt. Bei Maya bin ich hilflos, weil ich nicht weiß, ob es ihr gut geht.«

  »Alter«, sagt Link.

  Im Rückspiegel trifft mein Blick den Bonnies. Ich sehe direkt in ihre mahagonifarbenen Augen. Für einen Moment ist mir mein Ausbruch unangenehm. Aber das muss die Lösung sein. Die Leerstellen, die Blythes Tod hinterlassen hat, gepaart mit den Leerstellen, die durch mein Schweigen hinzugekommen sind.

  »Ich bin mir sicher, es geht ihr gut«, murmelt Bonnie. Ihre Stimme ist ganz sanft. So behutsam, als hätte sie Sorge, etwas Falsches zu sagen.

  Wir sehen uns weiterhin an, und in mir breitet sich eine große Wärme aus. Wärmer als der Fahrtwind, der sich anfühlt, als würde man von einem Föhn angeblasen. Wärmer als Mayas Atem an meinem Hals, wenn ich sie ins Bett trage. Wärmer als die verblassenden Erinnerungen. Denn mit Bonnie hat meine Tochter gesprochen.

  Nach etwas über einer Stunde erreichen wir Baton Rouge, Louisianas Hauptstadt. Die verschlafene Landschaft weicht Autobahnkreuzen, dichtem Verkehr und Industrieanlagen. Auf großen Schildern werden Fast-Food-Restaurants und riesige Supermärkte angepriesen.

  Kurz verlieren wir Curtis’ Wagen aus den Augen, weil er wie ein Irrer die Spuren wechselt. Doch er gewinnt dadurch höchstens ein paar Meter.

  Trotz des Verkehrs haben wir die Stadt schnell hinter uns gebracht und folgen nun dem Highway 61.

  Aus dem Radio erklingt ein Country-Song, metallener Gitarrensound, eine Männerstimme, die von verpassten Chancen auf Liebe singt. Bonnie summt die Melodie mit. Es ist beinahe eine Verschwendung, dass sie in unserer Band immer nur die zweite Stimme singt. Wenn überhaupt.

  Für einen Moment sehe ich wieder meine Fantasie vor Augen. Ihre Haut, ihren Blick. Mein Herzschlag beschleunigt sich, und ich versuche die Vorstellung schnell wieder aus meinem Kopf zu kriegen. Doch obwohl ich starr geradeaus auf die Straße sehe, setzt sich die Wärme in mir fest.

  Ich versuche meine Gedanken wieder auf Maya und auf die Frage zu richten, was genau ihr fehlt. Ist es ihre Mutter? Ist es eine Mutter?

  Doch erneut werden meine Gedanken unterbrochen. Und auf einmal ist mir klar, was es bei mir ist. Blythe wird immer einen Platz in meinem Herzen haben. Wird immer die Mutter meiner Kinder sein, meine erste Frau. Doch ich habe genug davon, allein zu sein. Genug davon, mich zu verschließen. Es ist nach über vier Jahren an der Zeit, etwas zu wagen.

  Ich setze mich aufrecht hin, strecke meine Arme durch, blicke auf die vollkommen gerade Straße vor uns. Eine Linie. Wie das Leben. Ohne, dass man sicher weiß, was als Nächstes kommt. Man sieht immer nur, was direkt vor einem ist. Je weiter man versucht, in die Zukunft zu sehen, desto verschwommener wird es. Noch vor einem Jahr wären die Gedanken, die ich nun habe, unmöglich gewesen. Nie hätte ich gedacht, dass ich irgendwann einmal wieder in der Lage sein würde, mich der Vorstellung von Gefühlen zu öffnen. Aber heute bin ich auf meiner Linie so weit vorangeschritten, dass es vor mir zu liegen scheint. In greifbarer Nähe. Und wer weiß, vielleicht sitzt das, was vor mir liegt, hinter mir. Mein Kopf scheint es zu glauben. Zu wollen.

  Ich atme geräuschvoll aus. Ein beinahe erleichtertes Seufzen. Oder ist es sogar mehr als das? Link dreht den Kopf, sieht mich fragend an. Und ein Blick in den Rückspiegel verrät mir, dass Bonnie die seltsame körperliche Reaktion auf meine Gedanken ebenfalls wahrgenommen hat.

  »Ist alles in Ordnung?«, fragt Link.

  »Alles gut«, erwidere ich. »Ich freue mich einfach, mal rauszukommen.«

  Der Ortseingang von St. Francisville gleicht all den anderen unspektakulären Ortschaften, durch die wir gefahren sind. Ein Best Western zu unserer Rechten, eine Kirche zu unserer Linken. Das Schild davor verkündet, dass Gott gut ist. Zu beiden Seiten der Straße wechseln sich Tankstellen und Diners ab. Ampeln sind quer über den Highway gespannt und schalten auf Rot, als wir uns nähern. Nach dem unablässigen Brummen und Vibrieren des Motors während der letzten Stunde ist die Ruhe, die uns nun umgibt, eine Wohltat für die Ohren.

  Einige Hundert Meter weiter setzt Curtis den Blinker, und wir biegen nach rechts ab.

  »New Orleans kommt einem vor wie eine bunte Insel, oder?«, fragt Link. Und wenn ich mir die einstöckigen Backsteinhäuser ansehe, hat er recht.

  Kurz darauf biegen wir erneut ab. Ein weißes Schild mit geschwungenen goldenen Lettern sagt uns, dass wir unser Ziel erreicht haben. Oak Valley Plantation.

  Wir fahren eine schmale Allee entlang. Die Eichen zu beiden Seiten bilden ein Dach über uns und malen Schattensprenkel auf die staubige Straße. Louisiana-Moos hängt von ihren Ästen und verleiht ihnen den Anschein einer schweren Last, die sie zu tragen haben. Die Last der Vergangenheit vielleicht.

  Als wir auf dem Besucherparkplatz ankommen, will ich gerade die Tür öffnen, doch Bonnie hält mich zurück.

  »Vielleicht müssen wir ein bisschen auf Curtis achtgeben«, sagt sie.

  »Was meinst du?«, fragt Link, und ich drehe mich zu ihr.

  »Amory bringt ein Date mit«, erklärt sie.

  »Scheiße«, entfährt es mir. Uns ist allen klar, dass Curtis in Amory verliebt ist. Er würde das nie zugeben, aber es ist offensichtlich. Nur, dass Amory zu pragmatisch und zu klug ist, um sich auf sein Chaos einzulassen.

  »Deswegen die Schlägerei im Funk House? «, fragt Link.

  Bonnie nickt. »Er wird sich schon zusammenreißen, nehme ich an. Nur für den Fall der Fälle …«

  »Ich behalte ihn im Auge«, sage ich.

  25 – Bonnie

  Heute

  Das Haupthaus von Oak Valley ist eine opulente zweistöckige Südstaatenvilla. Verzierte weiße Säulen erstrecken sich vom Boden bis zum Dach. Eine ebenfalls weiße Flügeltür bildet den Haupteingang, daneben werden deckenhohe Fenster von schwarzen Fensterläden flankiert. Das Glas ist alt und wirkt leicht uneben. Neben der langsam untergehenden Sonne taucht eine warm scheinende Laterne über dem Eingangsbereich die Veranda in ein gelbes Licht. Der Balkon, der im ersten Stock um das komplette Gebäude herumführt, wird ebenfalls künstlich beleuchtet. Die Szenerie hat etwas Unwirkliches, beinahe Magisches. So gern ich diesen Ort auch verabscheuen möchte, selbst ich muss zugeben, dass die heutige Stimmung perfekt ist für eine Hochzeit.

  Wir werden von einer rundlichen Frau in Empfang genommen. Sie stellt sich ziemlich barsch als Judy vor und betont, nicht für uns verantwortlich zu sein, bietet uns aber ein wenig missgelaunt eine kurze Führung durchs Haus an.

  »Salon, Schlafzimmer, Küche.« Man merkt, dass sie kein Interesse hat, für uns die Fremdenführerin zu mimen. Die glänzenden antiken Möbel aus dunklem Holz sind trotz ihrer Unlust lebendige Geschichte und erzählen von den vergangenen Bewohnern.

  Im Flur gehen wir an einer Vitrine mit alten Gewehren vorbei. Ich erhasche einen kurzen Blick auf eine goldverzierte Flinte aus rotbraunem Holz.

  In einem »Zimmer für die Damen«, wie Judy es ausdrückt, bestimmt eine steife geblümte Sitzecke die Szenerie. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Dame des Hauses hier ihren Nachmittagstee eingenommen hat. Die Knie zusammengepresst, die Schultern nach hinten gestreckt. Vielleicht ein paar Kinder in ihr stilles Spiel vertieft. Stickende Frauen hier, rauchende Männer im Salon, Sklaven, die den Betrieb am Laufen halten.

  »Sie sind offensichtlich im Nebengebäude untergebracht. Die Gasträume im Haupthaus sind dem Hochzeitspaar und ein paar anderen ausgewählten Gästen vorbehalten«, sagt Judy, als wir wieder im Empfangsbereich angekommen sind.

  »Offensichtlich«, flüstert Curtis von hinten und lacht leise.

  Beim Nebengebäude handelt es sich um ein deutlich kleineres, ebenfalls in Weiß gehaltenes Haus, das hinter ein paar Kiefern durchschimmert.

  Die Einrichtung ist einfach, aber nicht ungemütlich. Tatsächlich fühle ich mich hier sogar wohler.

  »Ihre Zimmer befinden sich im ersten Stock«, sagt Judy, und wir folgen ihr eine knarzende Treppe hinauf. »Es gibt ein Gemeinschaftsbad und unten eine weitere Toilette. Wir haben zwe
i Einzelzimmer und ein Gemeinschaftszimmer mit Schlafkojen. Sie müssen allerdings darauf achten, dass die Türen der Einzelzimmer von außen nur mit Schlüssel geöffnet werden können.«

  »Hat das einen historischen Hintergrund?«, fragt Jasper.

  »Die Einzelzimmer waren den Frauen vorbehalten. Man wollte verhindern, dass sich nachts ungebetene Gäste Zutritt verschaffen.«

  »Wow«, sage ich, und mir wird ein wenig schlecht.

  Judy öffnet die Tür zum ersten Einzelzimmer. »Junge Dame?«, fragt sie, und bei ihrem Tonfall wage ich nicht, zu widersprechen. Außerdem bin ich froh, Judy und ihre schlechte Laune los zu sein.

  Ich werfe meinen Rucksack auf das Bett und lasse mich daneben fallen. Die Tür gleitet mit einem leisen Klicken ins Schloss, und ich bin allein. Das Zimmer ist einfach, ein Bett, ein kleiner Tisch mit einem Stuhl davor.

  Vom Flur dringen die Stimmen der anderen zu mir hinein.

  »Die meisten Gäste kommen erst morgen. Das Brautpaar sowie einige Verwandte sind bereits hier. Abendessen gibt es im Haupthaus um halb acht. Sie sollten besser pünktlich sein.«

  Ich frage mich, ob Amory auch zu denen gehört, die schon früher kommen. Und wenn ja, ob mit oder ohne ihr Date. Ich wünschte, Curtis wäre in der Lage, Amorys plus one zu sein. Ich kenne ihn nun lange genug, um zu wissen, dass er nicht aus seiner Haut kann. Glücklicherweise weiß Amory es auch und wartet nicht darauf, dass er sich für die Liebe ändert. Aber es macht mich traurig, zu sehen, was möglich wäre. Wahrscheinlich fühle ich mich ihm in dieser ausweglosen Situation besonders verbunden.

  Das Abendessen verläuft ohne Zwischenfall. Wir sitzen an langen Tafeln, bedienen uns an einem simplen Büfett. Es gibt Salat mit Dressing, das zu hundert Prozent aus Mayonnaise besteht, und ein trocknes Stück Fleisch. Wenig glamourös, aber ein junger Typ, Daniel, der seiner Aussage nach Judys Sohn ist und hier den Sommer über in den Gartenanlagen arbeitet, versichert uns, dass das Essen für die Hochzeit deutlich besser sein wird – da ein externer Cateringservice damit beauftragt wurde.

  »Trinkt ihr noch was mit mir?«, fragt Daniel. »Ich kann uns aus der Küche ein paar Lager klauen, wenn ihr Bock habt.«

 

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