Ich beuge mich zu Bonnie und küsse ihre Schulter, die von dem Hemdkleid nur halb bedeckt wird. Lausche dem fröhlichen Gelächter meiner Kinder, die durch den Garten jagen. So viel Platz sind sie nicht gewöhnt.
»Ihr könnt jederzeit kommen, um im Garten zu spielen«, sagt Faye, die offenbar meinem Blick gefolgt ist. »Ihr seid hier immer willkommen.«
»Danke«, erwidere ich. »Aber sie können auch weniger entzückend sein, glaub mir.«
»Das sagst du immer. Aber ich habe sie noch nie unentzückend erlebt«, mischt Bonnie sich ein.
»Ja, weil sie dich lieben«, sage ich. »Da zeigen sie sich immer von ihrer besten Seite.«
»Und dich lieben sie nicht?«, fragt Franzi grinsend.
»Ich bin derjenige, der ihnen sagt, dass sie nicht mit auf Klassenfahrt können«, sage ich. Eigentlich sollte es ein Scherz sein, eine unbequeme Wahrheit, die man als Witz tarnt. Aber sie kommt mir viel ernster über die Lippen.
»Warum können sie nicht mit auf Klassenfahrt?«, fragt Faye, und auf einmal ist es mir unendlich peinlich, dass ich meine Klappe nicht halten konnte.
»Dafür … reicht das Geld oft nicht«, sage ich und taste unter dem Tisch nach Bonnies Hand. Ich brauche sie.
»Verstehe«, sagt Faye. Sie scheint kurz nachzudenken. »Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich bin schließlich so etwas wie eine Stiefgroßmutter. Und als solche würde ich ihnen gerne zum Geburtstag und zu Weihnachten kleine Geschenke machen, wenn ich darf. Das könnten vielleicht Klassenfahrten sein. Was meinst du?«
Ich finde es wunderschön, dass Faye einfach nur einen Vorschlag macht. Und noch nicht einmal einen unverschämten. Wenn man sich ihr Haus ansieht, liegt die Vermutung nahe, dass sie ziemlich reich ist. Sie könnte Weston und Maya wahrscheinlich mit teuren Geschenken überschütten. Aber sie weiß, dass es sich nicht gehört. Das finde ich bewundernswert.
»Das würde die beiden sicher freuen«, sage ich deswegen und lächle Faye dankbar an.
»Kann ich mal auf Kaffeefahrt gehen?«, fragt Hugo. »So zum Geburtstag oder zu Weihnachten?«
»Du weißt schon, dass auf Kaffeefahrten vor allem Leute deines Alters mitfahren, oder?«, fragt Faye.
Hugo sieht erschrocken aus. »Ziehe meinen Wunsch zurück.« Er grinst. »Das heißt aber nicht, dass ich das Recht, einen Wunsch zu haben, zurückziehe, damit wir uns richtig verstehen.«
»Oh, keine Sorge, Hugo, wir haben dich alle sehr wohl verstanden«, sagt Franzi schmunzelnd mit einem theatralischen Seufzen.
Die heißen Sommertemperaturen haben nun ihren Höhepunkt erreicht, und Faye serviert eimerweise Eiscreme.
»Ich habe gehört, ihr esst am liebsten Schokolade«, sagt sie zu Weston und Maya, und beide nicken eifrig. Anscheinend war es doch keine so schlechte Idee, heute hierherzukommen.
Der späte Nachmittag wird von einem frühen Abend abgelöst. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bäumen, die Grillen beginnen ihr zirpendes Konzert. Charlie und Con haben Fotoalben mitgebracht, erzählen Geschichten von Blythe, Bonnie und mir, von den Kindern. Fotos werden herumgereicht, während Maya langsam auf meinem Schoß wegdämmert – das Zeichen, dass es für uns langsam Zeit wird, an den Heimweg zu denken.
»Vielen Dank für den herrlichen Nachmittag«, sage ich wenig später zu Faye.
»Kommt bald wieder.« Sie drückt mich fest an sich. »Es ist so schön, wenn ein bisschen Leben im Haus ist. Leben und Kinder.«
»Wir werden dir schrecklich auf die Nerven fallen«, erwidere ich lächelnd.
»Ich freue mich drauf.«
Dann verabschieden wir uns von Hugo, Franzi und Link, der heute Nacht hierbleibt.
»Ihr müsst unbedingt bald alle zusammen zu uns kommen«, sagt Charlie, als Con sie ins Auto hebt. Sein Rücken ist nach dem Hexenschuss glücklicherweise wieder völlig hergestellt. Trotzdem hoffe ich, dass er sich nicht übernimmt.
»Das machen wir«, verspreche ich.
»Ihr alle«, sagt Charlie so laut, dass auch Bonnie es hört.
»Sehr gerne«, erwidert sie. »Danke.«
»Du musst dich nicht bedanken, Bonnie«, sagt Con und geht auf sie zu. »Du gehörst schließlich zur Familie.«
Ihr Strahlen wird so breit, dass es mich bis ins Herz trifft. Ein süßer, schöner Stich durchzuckt mich. Es ist das Gefühl, etwas Kostbares gefunden zu haben.
51 – Bonnie
Heute
Jasper sitzt neben mir auf dem Sofa. Im Fernseher läuft Millionaire Matchmaker, wir halten Händchen, und ich habe meinen Kopf auf seine Schulter gelegt. Immer wieder kommen Weston und Maya kichernd angerannt, um weitere Decken und Kissen zu entführen.
»Bald sitzen wir auf dem Boden«, sagt Jasper, als Maya das Kissen hinter seinem Rücken gemopst hat.
»Glaubst du, Patti ist in all den Jahren wirklich nicht gealtert? Ich meine, schau sie dir an, sie sieht immer noch aus wie Anfang dreißig. Aber mit Sicherheit ist sie vor zehn Jahren schon auf die vierzig zugegangen.«
»Wer so viel Glück und Liebe verteilt …«, sagt Jasper lachend. »Das hält sicher jung. Das und die Botox-Behandlungen, die sie von den Schönheitschirurg-Millionären umsonst bekommt.«
Ich kichere und kuschle mich noch enger an Jasper.
»Feeeertig«, rufen Weston und Maya nach einer Weile im Chor. »Ihr könnt kommeeeeen!«
Etwas widerwillig erheben wir uns vom Sofa und schalten den Fernseher aus. Denn das heute ist Westons Abend. Westons Trostpflaster, weil er auf diese Klassenfahrt noch nicht mitkonnte.
Aus den Polstern und Kissen und Decken haben die beiden in der Mitte des Gartens ein richtig gemütliches Lager gebaut. Um uns herum kehrt langsam die Dunkelheit ein. Der Mond steht bereits hoch am Himmel. Weston setzt sich eine Stirnlampe auf und vertieft sich in seine Comics. Heute liest er Volume 1 der Runaways zu Ende. Ich lehne mich mit Maya im Arm zurück, die Augen geschlossen, und lausche Jaspers sanfter Vorlesestimme. Ich weiß nicht einmal, worum es in dem Bilderbuch geht, so eingelullt bin ich von alldem Wohlsein um mich herum.
Unser Date vor anderthalb Wochen war tatsächlich genau, wie Jasper gesagt hat, ein Startschuss. Wir befinden uns immer noch am Anfang – am Anfang einer Beziehung, einer Familie. Ich liebe diesen Anfang, liebe den Mann, mit dem ich ihn teile, liebe seine Kinder. Und ich werde alles lieben, was noch kommt. Es ist, als würde nun, da ich es zulasse, all die Liebe, die ich in mir hatte, auf einmal aus mir hinausdrängen. Und das Schöne ist, dass Jasper, Weston und Maya dankbare Abnehmer dafür sind.
Seit unserem Startschuss haben wir keine einzige Nacht getrennt voneinander verbracht. Wir schlafen auf einer neuen Matratze, die wir uns gegönnt haben, nebeneinander ein, wachen nebeneinander auf. Manchmal mit Maya zwischen uns. Oft nur wir beide. Wir erzählen uns alles über einander. In allen Belangen. Wir lernen, was unsere Hände, Lippen, Körper für den anderen tun können, erleben einander, saugen einander auf.
Wir singen miteinander. Links Song, der uns zusammengebracht hat, dessen Text wir spätestens bis zu Al Avrils heiß erwartetem Anruf endlich geschrieben haben müssen, der aber noch keine Fortschritte gemacht hat, weil wir nicht lange genug konzentriert nebeneinandersitzen können. Und weil die Vereinigung unserer Stimmen bewirkt, dass wir uns auf allen anderen möglichen Ebenen vereinigen müssen. Auf der Stelle.
Als Jaspers Stimme verklungen ist, öffne ich die Augen. Er beleuchtet mit der Taschenlampe die letzte Seite, sodass Maya das Bild von zwei Bären betrachten kann, die Hand in Hand in den Sonnenuntergang laufen.
»Also gut, ihr Mäuse, dann kuschelt euch mal in die Decken«, sagt Jasper.
»Dad«, beschwert sich Weston.
»Mausekönig«, korrigiert er und fängt sich ein genervtes Stöhnen von seinem Sohn ein. »Wie gefällt dir dein Campingausflug?«
»Guuuut!«, sagt Maya.
»Das glaub ich dir sofort. Wenn alle zusammen auf engem Raum schlafen. Das ist dein absoluter Traum, oder?«
»Jaaaa!« Sie nickt begeistert.
»Und du, Wes?«
»Find’s cool«, sagt er, aber natürlich wäre er jetzt gerade lieber auf seiner Klassenfahrt.
»Hö
r mal.« Jasper beugt sich zu ihm. »Faye hat gesagt, dass sie dir zum Geburtstag den nächsten Trip mit der Schule schenken würde. Was hältst du davon?«
»Echt jetzt?«, fragt Weston. »Das ist ja cool!«
»War doch nicht so schlecht, dass wir bei ihr zu Besuch waren, oder?«
»Nee«, erwidert er. »Faye ist nett.«
»Das ist sie«, bestätigt Jasper.
»Alle sind nett«, mischt sich Maya ein.
»Alle?«, fragt Jasper.
»Alle, die wir kennen.«
Ich lache leise und hoffe, dass Maya noch lange an diesem Glauben festhält. Jedem, der ihr das Gegenteil beweist, trete ich eigenständig in den Allerwertesten.
Die Nacht ist inzwischen vollständig über uns hereingebrochen. Der Himmel ist sternenklar. Die Bedingungen sind perfekt. Ich löse mich von Maya und stehe etwas schwankend auf. Vom Gartentisch hole ich die Rakete und eine leere Weinflasche. Mit Klebeband habe ich einen neuen Stab befestigt, sodass man sie jetzt ohne Probleme zum Zünden in eine Flasche stecken kann.
»Also dann«, sagt Jasper. »Gute Nacht, Weston.« Er küsst seinen Sohn auf den Kopf.
»Gute Nacht, Dad«, erwidert Weston.
»Gute Nacht, Maya.« Jasper steckt die Decke um sie herum fest und gibt auch ihr einen Kuss.
»Gute Nacht, Dad.«
»Gute Nacht, Bonnie«, sagen sie im Chor.
»Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Mom«, sagen wir alle gemeinsam.
Und dann stelle ich die Flasche mit der Rakete in sicherem Abstand auf. »Seid ihr bereit für eine Überraschung, bevor euer Dad und ich uns zu euch legen?«, frage ich.
»Jaaaa!«, sagen Weston und Maya wie aus einem Mund.
»Maya, hast du schon mal eine Rakete gesehen?«
»Nein«, piepst sie unter ihrer Decke.
»Okay, pass auf. Es ist ein bisschen laut, aber wenn du keine Angst hast und dich nicht versteckst, sondern in den Himmel schaust, siehst du ganz viele bunte Lichter, die auf uns runterregnen.«
»Ich hab keine Angst«, sagt sie. »Mit euch hab ich keine Angst.«
Jasper ist neben mich getreten. Er hat seinen Arm um meine Taille gelegt. »Bereit?«, fragt er.
»Bereit«, sage ich, beuge mich vor und zünde die Zündschnur mit einem Feuerzeug an.
Sie sprüht kleine Funken, brennt langsam nach oben ab. Und dann schießt die Rakete mit einem lauten Wuuuuuuuuuusch in den Himmel, wo sie mit einem gedämpften Knallen ihren rosafarbenen und goldenen Lichterregen entlädt.
»Oooooooh«, macht Maya, und trotz der Dunkelheit sehe ich, dass ihre Augen leuchten.
»Ich liebe dich«, flüstert Jasper, und das Glück, das ich empfinde, potenziert sich. Potenziert sich ins Unermessliche.
Es ist ein vollkommener Augenblick. Eine winzige Momentaufnahme nur, aber der Beweis dafür, dass es sich lohnt, mutig zu sein. Dass Freundschaften und Liebe es wert sind. Dass es sich lohnt, sich verletzlich zu machen, trotz des Schmerzes, den man vielleicht empfindet.
»Jetzt«, flüstere ich, sodass lediglich Jasper es hören kann, und umfasse den herzförmigen Anhänger meiner Kette. »Jetzt kann sie sich zurücklehnen und Nektar und Ambrosia schlürfen. Denn jetzt weiß sie, wie glücklich wir sind.«
ENDE
Danksagung
Die Geschichte von Bonnie und Jasper war wohl bislang meine emotionalste. Beim Schreiben – besonders während der Szenen, in denen getrauert wird – hatte ich manchmal regelrecht körperliche Schmerzen vor Kummer, was dieses Schreiberlebnis absolut einzigartig gemacht hat. Ich fühle immer mit meinen Figuren, doch irgendetwas hat die Liebe der beiden an sich, das mich völlig eingenommen hat. Und ich hoffe, dass ihr es beim Lesen ebenso gemerkt habt. Denn Fakt ist: Ich mache das ja nicht zum Spaß. Auch zum Spaß, aber nicht nur. Ich schreibe schließlich für euch und hoffe, euch mit meinen Büchern schöne Lesestunden zu bescheren, ebenso wie ihr mir mit eurer Begeisterung, euren wunderbaren Rezensionen und Rückmeldungen glückliche Momente beschert. Ich danke euch allen von Herzen dafür.
Mein Dank gilt außerdem all den wundervollen Menschen beim Piper Verlag, die an diesem Buch beteiligt waren. Es ist mir eine Ehre, Teil dieses Verlags zu sein, mitzubekommen, wie ihr euch für eure Arbeit, die Bücher, die Autor*innen begeistert. Ich kann mir keinen besseren Verlag wünschen.
Vor allem, weil meine sagenhafte Lektorin Greta dort ist, mit der die Zusammenarbeit so großartig ist. Mit der zusammen jeder Schritt vom ersten Satz bis zum fertigen Buch Spaß macht und mit der ich noch auf viele weitere Projekte hoffe!
Außerdem danke ich meiner Redakteurin Anita, die mit mir am Text gefeilt hat.
Riesiger Dank gebührt meinem Wunder-Agenten Niclas (ihr kennt ihn schon aus vorangegangenen Danksagungen). Niclas ist mein Fels in der Brandung, mein Zuhause in der Literaturwelt. Er ist Cheerleader und beruhigender, weiser Mann in einer Person und für meine Arbeit von un-schätz-ba-rem Wert. Sucht euch einen Niclas, wenn ihr könnt.
Ich danke meinen lieben Testleserinnen Sabine, Susi, Ina, Nini, Isi, Jennifer für Kritik an den richtigen Stellen und Lob an allen anderen. Ihr habt keine Ahnung, wie viel mir euer Engagement bedeutet. Ich hoffe, ich kann mich irgendwann revanchieren.
Inniger Dank geht auch an meine Freundinnen und Freunde, meine Familie. Die immer da sind, wenn ich sie brauche – manchmal auch darüber hinaus. Vor allem Linus mit seinem Musikwissen und seiner Musik, die die Musik von After Hours ist. Und ganz besonders auf Nena, Sophie und Sarah als meine engsten Autorinnenfreundinnen kann ich in diesem verrückten Leben nicht mehr verzichten. Denn wer nicht selbst drin steckt, kann sich das Ausmaß des Wahnsinns einfach nicht vorstellen.
Und schließlich Maxi, der jedes Mal als Letztes genannt wird, weil dieser Absatz immer der schwierigste im ganzen Buch ist. Ich bin kein gefühlsduseliger Mensch, aber dieser Mann macht, dass ich mir wünschte, es zu sein, einfach um in Worte zu fassen, was er mir bedeutet. Kitschiger wird es nicht mehr, denn jetzt sage ich einfach Danke. Danke, Maxi, für alles.
Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 35