Down

Home > Other > Down > Page 16
Down Page 16

by Nate Southard


  Die Finger wanderten seinen Oberschenkel hinauf. Ein ebenso gelenkiges wie kraftvolles Gewicht bewegte sich auf ihm, und selbst in der Dunkelheit konnte er das Kreisen von Danis Hüften und Schultern wahrnehmen, während sie auf ihn zukroch. Er hatte noch nie etwas gesehen, das so sexy war, und nie damit gerechnet, dass eine Frau wie Dani ihm diesen Anblick bescherte.

  Leute konnten einen überraschen, wenn man kurz wegschaute und nicht aufpasste. Er wusste, dass das ein Problem von ihm war. Aber Probleme hatte er mehr als genug und dieses musste sich hinten anstellen. Solange er es schaffte, den Tag zu überstehen, war für ihn alles in Ordnung. Dann kümmerte der Rest ihn einen feuchten Dreck. Inzwischen krabbelten Danis Finger wie Spinnenbeine an seinem Schenkel entlang und er konnte sich nicht recht entscheiden, ob er erregt sein oder Angst haben sollte.

  »Was machst du da?«, fragte er sie. Er nahm an, dass seine Worte undeutlich und verwaschen klangen, aber es kam ihm nicht wichtig vor. Ein Lächeln überzog seine taube Gesichtsmuskulatur. Passierte das gerade wirklich? Durch den Nebel aus schwerfälligem Genuss realisierte er, dass etwas seinen Gürtel öffnete und ihn mit einer Reihe ungeschickter, ruckartiger Bewegungen aus den Schlaufen zog. Etwas, das zwischen einem Lachen und einem Keuchen anzusiedeln war, drang zitternd aus seinem Mund. Als die Finger den Reißverschluss seiner Cargo-Shorts herunterzogen, war ihm nach Kichern zumute. Alles war Wärme. Alles war Elektrizität. Sie strich über seine Haut wie eine sanfte Brise. Er fühlte sich lebendig. So lebendig, dass es fast wehtat.

  Hände zogen ihm die Schuhe aus, streiften die Shorts ab.

  Alles war Elektrizität. Alles war in bester Ordnung.

  Kühle Nachtluft küsste die Haut an seinen Beinen. Hände berührten sie, bewegten sich von seinen Knöcheln über die Waden bis zu den Knien und sandten Schauer durch den zugedröhnten Körper. Er keuchte und seine Wirbelsäule reckte sich in die Höhe. Er würde es tun. Nein, sie würde es mit ihm tun. Sehnte sie sich nach menschlicher Nähe oder war sie einfach nur geil? Egal, sie würde ihn anfassen. Sie würde ihn berühren und lecken und streicheln, und wenn er so hart war, wie sie es wollte, würde sie sich auf ihn setzen und ihn reiten. In seinem Geist zerteilten sich die Schleier. Er konnte den Schweiß auf ihrer Haut sehen und wie ihr das Haar über die Schultern fiel, als sie den Kopf in den Nacken warf und schrie, bis ihre Stimme sich überschlug und einem Weinen Platz machte.

  Alles war in bester Ordnung.

  Die Hände erreichten erneut seine Schenkel und fühlten sich wie Samt auf Stein an. Ein Schauer durchfuhr ihn vom Kopf bis zu den Zehen, und seine Finger verkrampften sich zu Fäusten, entspannten sich dann wieder. Die Hände fielen schlaff an seinen Seiten herab. Langsam arbeiteten sich gierige Finger zur Innenseite seines Oberschenkels vor, spreizten ihm die Beine und glitten höher. Die Handfläche war so dicht an seinen Eiern, dass er die Spannung kaum noch ertrug.

  »Das … bist du sicher?« Es war so untypisch für sie. Noch während er die Frage stellte, betete er, dass sie weitermachen würde. Er wollte ihre Hände und Lippen und Zähne und Zunge spüren, wollte, dass sich ihr nackter Körper an seinen drängte und ihn die heiße Feuchtigkeit ihrer Mitte begehrte. Er wollte wachsen und wieder schrumpfen. Alles war Schatten. Alles war Elektrizität.

  Die Hände griffen nach dem Bund seiner Unterhose und zogen daran. Sein Schwanz sprang hervor und für einen einzigen schrecklichen Moment glaubte er, alles wäre vorbei. Er würde explodieren und sie würde ihn auslachen. Lieber Gott, sie würde gar nicht mehr aufhören und es ihrer Schwester und allen anderen in der Band später in allen Einzelheiten erzählen. Selbst wenn es ihre Ehe zerstörte, würde sie es für die tollste Geschichte aller Zeiten halten. Eines Tages würde er im Rolling Stone alle schmutzigen Details lesen können. Möglicherweise war es doch keine so gute Idee. Falls es ihm gelang, den Arm zu heben, konnte er sie wegschieben.

  Dann küsste ihr Atem die Haut seiner Schenkel und er fühlte sich machtlos. Die Hände wanderten bis zu seinen Hüften hinauf und alles war Wärme. Sie kratzte mit ihren Nägeln an seinen Schenkeln und alles war Elektrizität. Es schmerzte, aber er liebte es, hatte nie zuvor etwas so Fantastisches und Verbotenes gespürt. Alles war in bester Ordnung.

  Ihre Finger schlossen sich um seinen Schaft, fingen an, sich langsam auf und ab zu bewegen. Alles war fantastisch. Er begann zu lachen, war unfähig, irgendeinen anderen Laut von sich zu geben oder eine einzige Faser seines Körpers zu kontrollieren. Jeder einzelne Nerv stand unter Spannung und es war besser, als high zu sein, sogar besser, als am Leben zu sein. Ihre samtige Hand bearbeitete ihn, rauf und runter, und dann trafen ihre Lippen auf seine Haut, bewegten sich über seine Schenkel bis zum Bauch hinauf. Ihre Zunge schnellte hervor wie die einer Eidechse.

  Alles war Wärme. Alles war fantastisch.

  Ihr Mund stieß an die Spitze seines besten Stücks und nahm ihn in sich auf, Zentimeter für Zentimeter, und alles war Elektrizität. Sein Lachen ging in einen ekstatischen Aufschrei über. Er wünschte sich dies mehr als alles andere. Dani hatte nichts mit den furchtbaren Ereignissen dort draußen zu tun. Mit dem Geruch von Treibstoff und Öl und Verbanntem. Sie war ungefährlich und wundervoll, roch so angenehm nach Schweiß und Hitze. Die ganze Nacht bis in den Morgen würde er sie ficken und schmecken. Wenn die Sonne wieder aufging, würde alles besser sein, und niemand konnte ihm einreden, dass es falsch war, denn er brauchte es. Vom tiefsten Inneren bis zu seiner brennenden Haut, er brauchte es.

  Ihr Mund ließ von ihm ab. Ihre Zungenspitze berührte seine Eichel ein letztes Mal, beinahe neckend, dann widmete sie sich ausgiebig der weichen Innenseite seines Oberschenkels, während ihre Hand ihn weiter massierte. Ihre Zähne knabberten an ihm, reizten ihn, doch er spürte es kaum. Obwohl er sich lebendiger fühlte als je zuvor, machte das Heroin alles warm, elektrisch und fantastisch.

  Ein Geräusch drang an sein Ohr. Etwas Samtiges und Feuchtes, Kauendes. Es machte keinen Sinn und als er das schwere, abschließende Geräusch des Schluckens hörte, begriff er noch immer nicht. Die zärtliche Hand fuhr fort, ihn zu streicheln, und die Zähne kehrten zu seinem Bein zurück. Moment. Da war ein Schmerz, etwas, das falsch war. Etwas, das vorher nicht da gewesen war. Eine weitere Blüte gedämpfter Qual und dann ertönte das Kauen noch einmal.

  Oh Gott!

  Er versuchte, sie wegzutreten, aber ihr Gewicht lastete zu schwer auf ihm. Noch einmal versuchte er, seine Hände zu Fäusten zu ballen. Sie gehorchten ihm nicht.

  Irgendwo hinter diesem Entsetzen spürte Conner einen massiven Druck und dann ein Bersten, das von seiner Körpermitte ausging. Sein Atem verließ ihn in einem erschöpften Röcheln.

  Alles war Schatten. Alles war in bester Ordnung.

  Alles war Schmerz.

  Alles verschwand.

  Elf

  Dani wusste alles. Jetzt, wo sie die Symbole berührt und die tief in ihnen verwurzelte Dunkelheit wahrgenommen hatte. Genauso wie die grauen Hände, die sie überall hintragen konnten und ihr die Welt so zeigten, wie sie schon immer gewesen war, und nicht so, wie sie geglaubt hatte, dass sie war. Sie kannte die endgültige Wahrheit. Sie wusste, warum niemand den Kiefernwald erschlossen hatte, nicht einmal eine Schotterpiste durch ihn hindurchführte. Während sie sich an Conners nutzlosem Körper labte, erkannte sie, dass die Bestie früher ein Mann gewesen war, dass die Dunkelheit in der Tiefe ihm diese neue Gestalt verliehen hatte. Nachdem sie gesättigt war, konnte sie spüren, wie die Veränderung einsetzte. Ihr stand die Verwandlung in etwas Neues, unglaublich Herrliches bevor.

  Aber erst musste sie die Finsternis dabei unterstützen, sich ans Licht zu kämpfen. Als sie Conners zerfetzten Körper aus dem Wrack zerrte, staunte sie über ihre neu gewonnene Kraft. Er fühlte sich in ihren Händen wie ein Blatt Papier an. Seine zerrissenen Muskeln und freigelegten Knochen glitten mit unglaublicher Leichtigkeit aus dem Flugzeug. Dani schleifte die Leiche über den Waldboden. Die Sonne war hinter dem Horizont versunken, aber das spielte keine Rolle. Ihr Wissen leitete sie.

  Die grauen Hände umschmeichelten ihren Geist, bis sie in etwa 30
Metern Entfernung vom Wrack auf die fast vergessene Senke stieß. Die Körperteile, die auf ihrem Grund lagen, waren längst ausgedörrt und nutzlos geworden. Weitere Löcher hatten sich aufgetan. Die Dunkelheit da unten stieg Stück für Stück in die Welt hinauf. Als sie Conners Überreste den Hang hinunterschleuderte, damit sie den anderen Knochen auf dem Grund Gesellschaft leisteten, tat sich eine weitere Öffnung im Boden auf. Unterdessen ritzten die Bestie und eine weitere Präsenz Symbole in eine lose Formation von Nadelbäumen.

  Sie stand am Rand der Senke, bis sie schließlich den sanften Klang von Händen vernahm, die aus der Erde brachen. Ein Schmatzen, das davon kündete, dass die Hände auf das verbliebene Fleisch von Conner gestoßen waren. Als sie in das Loch spähte, konnte sie die Hände beim Greifen, Ziehen und Reißen beobachten. Sie lächelte euphorisiert, schwelgte in ihrer Wahrnehmung und der Kraft, die durch ihren Körper floss wie elektrischer Strom. Unter ihr brach etwas mit einem Geräusch wie morsches Holz entzwei. Sie strahlte und wandte sich ab.

  Dani spähte in die Schwärze des Waldes. Sie konnte die anderen in einiger Entfernung spüren und ihre Angst förmlich riechen wie abgestandenen Schweiß. Es wurde Zeit, sie abzuliefern. Die Dunkelheit dort unten verlangte nach ihnen.

  Mit schwarzen Tränen, die durch ihr Gesicht liefen, und einem Lächeln, das an den Rändern zu zerreißen drohte, rannte Dani durch die Nacht.

  Greg arbeitete an seinem dritten Symbol und fräste eine sanfte Kurve in den Stamm einer Kiefer, die ihm hart wie Stein vorkam. Als er mit dem Schnitzen angefangen hatte, war er davon ausgegangen, die Arbeit unmöglich bewältigen zu können. Inzwischen wusste er, dass der geschärfte Knochen dank seiner neu gewonnenen Kräfte so widerstandslos durch das Holz glitt wie eine Rasierklinge über eingeschäumte Haut.

  Etwas Wunderbares passierte, während er schnitzte. Mit jedem Schnitt, jedem Zentimeter, den er dem Baum abtrotzte, fühlte er, wie er der Dunkelheit in der Tiefe näher kam. Er spürte eine unbändige Energie, die durch ihn strömte. Beim Arbeiten fühlte er sich größer, mächtiger. Eine Gier regte sich in ihm und mit ihr kam ein Hunger nach Gewalt. Er wollte sich nicht damit begnügen, die Dunkelheit aus ihrem Gefängnis zu befreien. Nein, die anderen mussten leiden. Wenn sich das Loch in der Welt auftat, würde es nach frischem Blut verlangen, aber es war wählerisch. Er stellte sich vor, wie seine Hände, die sich so stark anfühlten, weiches Fleisch zerrissen, und hätte am liebsten gejubelt. In seinem Geist malte er sich aus, wie sie ihn entsetzt anflehen würden, dass er sie verschonte. Er sah, wie Körper strampelten, während er sie zum Loch schleifte, zu den grauen, ausgestreckten Händen, die die Arbeit vollenden und die Macht in der Tiefe füttern würden.

  Sein Lächeln verschwand, als er die Schritte hörte. Sie waren eilig und bewegten sich auf die Lichtung zu. Er spürte einen kurzen Moment lang etwas, an das er sich kaum noch erinnern konnte und das er als Panik identifizierte. Im nächsten Augenblick fühlte er die Kraft der herannahenden Gestalt und wusste, dass die Dunkelheit auch sie in ihr Reich aufgenommen hatte. Als die Frau aus dem Wald hervortrat, vermeinte er, sie wiederzuerkennen. Er war nicht sicher, doch eine Stimme in seinem Inneren verkündete, dass er diese Frau gekannt hatte. Blut klebte an ihrem Kinn und tränkte die Vorderseite ihres Shirts. Schwarze Tränen zierten ihre Augen. Die Hände fingen an, sich in Klauen zu verwandeln. Sie hatte Blut kosten dürfen und dieser Umstand erfüllte ihn mit Neid. Der Hunger in ihm verlangte nach einer Kostprobe, wollte darin ertrinken.

  Ohne nachzudenken, ließ er den Baum mit dem halb fertiggestellten Symbol allein und näherte sich der Frau. Sie musterte ihn mit den glühenden Augen eines Raubtiers und gefletschten Zähnen. Ihr durchnässtes Oberteil klebte an ihrer Brust. Das Heben und Senken erregte ihn irgendwie. Knurrend trat er vor und drückte seinen Mund auf ihren. Sie biss ihn und er genoss jeden Tropfen von Lust und Gewalt.

  Gemeinsam bildeten sie etwas Neues. Etwas Besseres. Sie würden den anderen zeigen, wie unwichtig sie waren, nichts weiter als Treibstoff für die Dunkelheit da unten. Sie kicherte, als er das Blut von ihrem Kinn und ihrem Hals leckte. Seine Hände wanderten über ihren Oberkörper und die Spitzen seiner Klauen gruben sich in ihr Fleisch. Er wurde steif. Die Lust war eine der letzten verbliebenen menschlichen Empfindungen. Er genoss sie, wusste aber auch, dass er sie nicht vermissen würde, wenn sie nicht mehr da war.

  Das Knurren hinter ihm lenkte ihn von der Frau und ihrem Körper ab. Greg drehte sich um. Das Biest ragte vor ihnen auf. Jeder Ausdruck von Emotion war schon lange aus seinen Augen gewichen. Es war erfüllt von tiefer Entschlossenheit und Greg versank in diesem Blick und dachte an das, was von ihm erwartet wurde.

  Ohne einen weiteren Laut streckte die Kreatur eine Klaue aus und zeigte in den Wald hinein. Er folgte dem schwarzen Dolch aus Fleisch und wusste, dass in dieser Richtung die Absturzstelle lag. Ein Blitz aus purer Begeisterung durchzuckte ihn. Er ballte seine Hände zu festen, unruhigen Fäusten, wobei seine Klauen sich in die Handflächen bohrten. Es war so weit. Die Dunkelheit drängte an die Oberfläche – sie wollte endlich frei sein. Er würde die Frau begleiten und das Blut und Fleisch beschaffen, welche benötigt wurden, um ein weiteres Portal in die Welt zu öffnen.

  Er warf ihr einen Blick zu und ein Teil von ihm wünschte, er könnte sich an ihren Namen erinnern. Die Frau stand neben ihm und strich mit ihren scharfen, geschwärzten Fingerspitzen über ihren Bauch. Ihr T-Shirt hing bereits in Fetzen und er sah das Blut in roten und schwarzen Rinnsalen aus den Kratzern quellen. Es trat ebenfalls aus den Rändern ihres Mundes, wo die Haut aufplatzte, als sich ihr Lächeln immer weiter ausdehnte. Er fand, dass er noch nie etwas so Anziehendes miterlebt hatte, doch dann erstarb die Anziehungskraft jäh. Übrig blieb nur das, wonach die Dunkelheit da unten verlangte.

  Mit einem Knurren in der Kehle wandte sich Greg von der Frau ab und rannte in die Dunkelheit. Er spürte, wie sie ihm folgte, und wusste, dass sie gemeinsam das Loch öffnen und die ganze Welt verändern würden.

  Das Feuer kam nur langsam in Gang, doch bald prasselte es ansehnlich. Potter rieb sich die nackten Unterarme und betrachtete die Flammen, verfolgte sie bis zum Himmel und fragte sich, ob jemand sie wahrnahm. Dabei plagten ihn ganz andere Sorgen. Die Flammen angelten nach den benachbarten Kiefernzweigen. Die sattgrünen Nadeln verdunkelten sich. Was mochte passieren, wenn die Bäume in Brand gerieten? Wie lange würde es dauern, bis sämtliche Fluchtwege durch eine Mauer aus Hitze versperrt waren? Wenn er sich ausmalte, wie er versuchte, einem Inferno zu entkommen – auf seinem einzigen gesunden Bein mit dem Gewicht von Kevins leblosem Körper auf dem Rücken – schien der Ausgang vorprogrammiert zu sein. Er verglich es mit dem Angriff aus der vergangenen Nacht und war sich nicht sicher, was er weniger schlimm fand.

  »Hoffen wir das Beste«, meldete sich Shannon. Sie stand neben ihm und starrte auf den Haufen brennender Gepäckstücke und Sitze, den sie aufgeschichtet hatten. Nach ein paar Sekunden wanderten ihre Augen in Richtung Waldrand.

  »Wenn er da draußen ist, wird er es sehen.«

  »Wir wissen, dass er da draußen ist, Potter. Im Moment mache ich mir eher Sorgen, warum er sich dort herumtreibt und ob er aus eigener Kraft zurückkehren kann.«

  »Wenn er auf der Suche nach Curtis’ Leiche gewesen ist …«

  »Ich weiß. Es ist dumm von mir. Egal. Wie viel Zeit bleibt Ihnen noch?«

  Er brauchte nicht auf die Uhr zu schauen. »Etwas weniger als 24 Stunden. Wissen Sie, wenn ich mehr als eine Sekunde darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass es noch keine zwei Tage her ist, seit ich das letzte Mal mit meiner Schwester gesprochen habe. Es wird nicht einmal ein Arzt in der Nähe sein, der zu dieser Uhrzeit eine solche Entscheidung treffen kann. Also läuft die Frist zur Entscheidung, ob sie bei meinem Alten den Stecker ziehen oder nicht, sogar noch früher ab.«

  »Oder sie beschließen, auf Sie zu warten.«

  »Das kann ich mir nicht vorstellen. Dazu müssten sie erst einmal ernsthaft damit rechnen, dass ich komme.«

  »Tut mir leid.«

  »Nicht Ihre Schuld.«

  »Ich
sehe mal nach unseren Schützlingen. Kommen Sie besser mit, falls dieses Ding zurückkommt.«

  »Vielleicht kommt es gar nicht mehr. Wäre es sonst nicht längst aufgetaucht?«

  Hinter dem Feuer und den am nächsten stehenden Bäumen empfing Potter ein undurchdringlicher schwarzer Vorhang. Er wartete und hoffte, dass seine Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnen würden, doch die Schwärze büßte nichts von ihrer Intensität ein.

  »Trotzdem, ich glaube nicht …«

  Der Rest seines Satzes blieb ihm im Hals stecken, als er etwas hörte. Knackende Zweige und huschende Tritte drangen aus dem Wald. Es schienen gleich zwei Personen zu sein. Sein Körper spannte sich an. Shannon schien es nicht anders zu gehen. Ihre weit aufgerissenen Augen fokussierten denselben Punkt: eine Bresche zwischen den Bäumen zu ihrer Linken.

  Während die Schritte näher kamen, stellte er fest, dass er mit leeren Händen dastand. »Scheiße. Wo sind die …«

  »Ich hole sie«, erwiderte Shannon und rannte zum Flugzeug. Sie griff sich die beiden Speere, die sie an den Rumpf gelehnt hatten, und kehrte an Potters Seite zurück, wobei sie ihm eine der Waffen in die ungeduldig ausgestreckte Hand drückte.

  Potter atmete tief durch und umklammerte den Speer. Seine Hand schmerzte. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, trat er vor Shannon und bereitete sich mit erhobener Hand darauf vor, den unbekannten Störenfrieden, die da durch den Wald trampelten, die Spitze zwischen die Rippen zu rammen.

  Doch dann verstummten die Schritte abrupt. Um sie herum wurde alles still. Das Knistern des Feuers und sein eigener Puls, der ihm in den Ohren dröhnte, waren alles, was er noch hörte. Er starrte auf den Waldrand und wartete darauf, dass etwas zwischen den Bäumen hervortrat. Als das nicht geschah, drehte er sich zu Shannon um und zog eine Augenbraue hoch. Sie antwortete mit einem kurzen Schulterzucken.

 

‹ Prev